Protocol of the Session on July 13, 2004

Die gegenseitige, nicht unmittelbare Verantwortung der verschiedensten Bereiche, auch der Parlamente, hat dazu beigetragen, dass unser Land in diese Lage geraten ist. Ich glaube, deshalb müssen wir die Kraft zu einer positiven Entscheidung haben.Wir müssen die Länder wieder stärken und wieder klare Verantwortlichkeit herbeiführen.So müssen wir unseren Beitrag leisten, um unser Land wieder nach vorne zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir müssen hier auch selbstkritisch sein. Natürlich ist die Entwicklung, die wir jetzt auch zu einem Teil aus der Sicht der Länder und der Landesparlamente beklagen, nicht ohne unsere Mitwirkung geschehen, zumindest nicht ohne Mitwirkung der Länder. Kollege Walter hat zu Recht darauf hingewiesen. Wir waren an diesem Prozess mit beteiligt.

Gegen finanzielle Unterstützung und Mitwirkungsmöglichkeiten im Bundesrat haben wir eine solche Entwicklung zugelassen und Kompetenzen aus der Hand gegeben.

Deshalb müssen wir jetzt die Kraft haben, uns diese Kompetenzen zurückzuholen – bei gleichzeitiger Rückgabe der Zustimmungsrechte im Bundesrat. Ich glaube, es besteht die große Chance, da jetzt doch eine wesentliche Übereinstimmung darin besteht, mit wem man auch darüber diskutiert, dass die Verfassungsväter und -mütter eigentlich davon ausgegangen sind, dass 10, allenfalls 20 % der Gesetze zustimmungspflichtig sind.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): So ist es!)

Mittlerweile haben wir in Deutschland mehr als 60 % zustimmungspflichtige Gesetze. Das ist eine Situation, die zum einen nicht Grundlage unserer Verfassung war und die zweitens zu einer gegenseitigen Blockade führt, nicht zu klarer Verantwortlichkeit. Deshalb muss das in Zukunft im Hinblick auf die Verlagerung von Kompetenzen auf die Länder bei gleichzeitiger Rückgabe der Zustimmungspflichtigkeit eindeutig und klar geregelt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Meine Damen und Herren, ich glaube auch, dass die Reform der föderalen Staatsordnung einen Beitrag zur Entbürokratisierung und zur Wachstumsförderung in Deutschland leisten kann. Herr Kollege Walter, Sie haben das Beispiel vorgetragen. Selbstkritisch haben Sie das Thema der Steuerreform angesprochen. Ich bin beispielsweise der Meinung, wenn wir diese Chance der Umsetzung gehabt hätten, wären wir heute in einer anderen Situation.Wir können auch über Punkte wie Wachstumsförderung und Entwicklung reden. Sie haben andere Punkte vorgetragen, die ich ebenfalls nicht bestreiten will.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verloren hättet ihr 1998 trotzdem!)

Ich glaube, an diesen Beispielen wird deutlich, wo es an klaren Verantwortlichkeiten fehlt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn der Vermittlungsausschuss in Deutschland zum Ersatzparlament wird, dann ist das ein falscher Weg. Das darf allenfalls die Ausnahme sein.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Meine Damen und Herren,deshalb finde ich – hier bin ich ein Stück optimistischer, Herr Kollege Walter, als Sie das zum Abschluss Ihrer Rede zum Ausdruck gebracht haben –, dass wir das, was die Kommissionsvorsitzenden Ministerpräsident Stoiber und Fraktionsvorsitzender Müntefering in diesen Tagen gemeinsam erklärt haben, dass die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze gegen die Rückübertragung von Kompetenzen um die Hälfte zu reduzieren sei,aus unserer Sicht nachdrücklich unterstützen sollen. Wenn die beiden formuliert haben, die größte Staatsreform seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland bewirken zu wollen, dann sollten wir sie durch unsere Aktivitäten unterstützen, um dieses Ziel zu erreichen. Denn ich glaube, es ist gut und notwendig für die Entwicklung in Deutschland, aber auch für die Verantwortlichkeit dieses Landesparlamentes.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, Bund und Länder, aber auch Geber- und Nehmerländer müssen hierbei die Kraft haben, aufeinander zuzugehen.

Das ist keine Frage der Parteipolitik, sondern eine Frage von Vernunft im Hinblick auf die Entwicklung der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland. Hierbei sollten aus unserer Sicht die Zentralisten im Bund im Interesse des Landes ihre Aktivitäten einstellen. Aber es sollten auch die finanziellen Kleinkrämer in den Ländern die positive Wirkung einer großen Lösung für sie erkennen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man ein bisschen hinausschaut, gerade auf die internationale, die europäische Entwicklung, die zurzeit klar und deutlich in einen Wettbewerb der Regionen einmündet und in der die mehr zentralistisch organisierten europäischen Staaten beginnen, sich immer mehr zu dezentralisieren, so ist es umso wichtiger, dass auch unsere Länder wieder mehr Freiheit und Kompetenzen eingeräumt bekommen, um auch in Zukunft diesen Wettbewerb bestehen zu können.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, in der bisherigen Diskussion ist folgendes Moment zu kurz gekommen: Durch die Verfassungsreform des Jahres 1994 haben wir bereits eine Veränderung im Hinblick auf die Entwicklung in Deutschland insofern vorgenommen, als die Verfassung nicht mehr von der „Einheitlichkeit“ der Lebensverhältnisse spricht, sondern von der „Gleichwertigkeit“ der Lebensverhältnisse. Dieser Unterschied wurde jetzt bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ladenschluss deutlich. Denn hier hat das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal darauf hingewiesen, dass der Ladenschluss nicht vom Bund, sondern auch von den Ländern geregelt werden kann. Ich glaube, das ist ein wichtiger Hinweis für die zukünftige Entwicklung.

Wir haben auf die „Lübecker Erklärung“ vom 31. März 2003 hingewiesen, auf die weiteren Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz und auch auf den Beschluss der Konferenz unserer Fraktionsvorsitzenden. Ich weiß, es gibt auch die Beschlüsse der Fraktionsvorsitzenden, die in der Kommission sind. Dadurch wurde ein weiterer entscheidender Beitrag dazu geleistet, dass die Reform in Gang gekommen ist und dass wir zielorientiert eine Reform bewirken, die diesen Namen auch verdient.

Tatsache ist, dass die Verflechtungen zwischen Bund und Ländern in einem schleichenden Prozess so vielschichtig geworden sind, dass keine der beiden Ebenen noch wirklich handlungsfähig ist. Die Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgern geht verloren.

Ich glaube, dass die Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgern ein Punkt ist, den wir unmittelbar in die politische Diskussion einbeziehen müssen. Denn durch diese Entwicklung ist aus meiner Sicht ein spürbares Demokratiedefizit entstanden, da die Bürger nicht mehr klar unterscheiden können, für welche Entscheidungen die einzelnen Ebenen wirklich politisch verantwortlich sind. Auch in dieser Fehlentwicklung sehe ich einen Grund für die Politikverdrossenheit. Deshalb müssen wir die Chance nutzen, zu einer effektiven Föderalismusreform zu kommen.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus diesem Grund haben wir auch – dafür bin ich dankbar – den gemeinsamen Antrag formuliert, woraus ich aus unserer Sicht die Schwerpunkte herausgreifen möchte.

Erstens. Wir brauchen einen drastischen Abbau der Mischfinanzierung und der Gemeinschaftsaufgaben. Eine

klare Aufgaben- und Ausgabenverantwortung führt zu weniger Bürokratie und zu mehr Verantwortlichkeit, und es erhöht die Effektivität im Interesse der Bürger. Am konkreten Beispiel wird das deutlich. Wenn beispielsweise das Universitätsklinikum Aufzüge oder Fahrstühle einrichten will, müssen darüber Bund und Land entscheiden.Wenn U-Bahn-Stationen eingerichtet werden sollen, beispielsweise die U-Bahn-Station in der Messe in Frankfurt, dann sind die Stadt, das Land und die Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Meine Damen und Herren, daran wird deutlich, dass es eine Farce ist, wenn man in Zukunft unser Land noch so regieren will. Deshalb brauchen wir eine klare Reduzierung dieser Mischfinanzierung

(Beifall bei der CDU und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

und eine klare Entscheidungskompetenz für die unterschiedlichen Ebenen. Meine Damen und Herren, ich denke, wir können klar und deutlich sagen: Selbstverständlich können wir unseren Hochschulbau machen, wir können den sozialen Wohnungsbau selbst machen, wir können die Gemeindefinanzierung selbst machen. Aber dafür müssen wir die entsprechenden finanziellen Mittel behalten – ich komme auf die Finanzfrage zurück – und dafür sorgen, dass andere diese Chance ebenfalls haben.

Zweitens. Wir sind grundsätzlich für die Streichung der Rahmengesetzgebung und der Verteilung der Verantwortlichkeit auf Bund und Länder. Wenn ich an die Diskussionen über das Hochschulrahmengesetz und andere Punkte denke – Thema Studiengebühren und anderes –, können wir dies in eigener Verantwortung entscheiden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Drittens.Wir sind für die Rückverlagerung der Gesetzgebungszuständigkeiten auf die Länder bei gleichzeitiger Rückführung der zustimmungspflichtigen Gesetze. Hierbei geht es – die Punkte sind angesprochen – vom Abfallrecht bis zur Zulassung der Hochschulen. Den Einzelkatalog hat der Minister in der Regierungserklärung bereits vorgetragen. Ich glaube, hierauf können wir uns verständigen.

Einen weiteren Punkt will ich ansprechen. Die Frage der Zugriffsrechte und der Experimentierklausel sollte ebenfalls in dieser Diskussion eine Rolle spielen, weil ich denke, dass gerade der föderale Staat die Chance hat, teilweise Modelle auszuprobieren und sie für den Gesamtstaat sozusagen nachher umzusetzen. Wir machen das in Hessen mit dem konkreten Beispiel der Modellhochschule Darmstadt, wozu wir ein Forum hatten, in dem wir sehr dafür gelobt worden sind,im Bereich der Hochschule ein Modell zu konzipieren und zu entwickeln, um die Chance zu haben, das nachher generell für die Hochschullandschaft in unserem Lande umzusetzen.

Das gilt genauso für die Bundesrepublik Deutschland. Sie wissen, wir haben in der Frage Aktivierung der Sozialhilfe am Beispiel Wisconsin immer die Auffassung vertreten, dass wir die Chance hätten haben sollen, das zu erproben, um zu zeigen, dass das der richtige Weg ist. Wir sind jetzt ein Stück weitergekommen.Aber es ist relativ viel Zeit ins Land gegangen.Ich glaube,auch diese Chance müssen wir nutzen, um im Zusammenhang mit der Föderalismusreform zu mehr Öffnungsklauseln und Experimentiermöglichkeiten für die Länder zu kommen.

Viertens. Wir brauchen einen wirklichen Föderalismus – Herr Kollege Walter, ich nehme jetzt das Wort, weil ich

weiß, dass sich der eine oder andere an dem Begriff Wettbewerb manchmal stößt –, der den Ländern Gestaltungsspielraum gibt.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das wird sich auch noch ändern!)

Aber ich glaube, ein gesunder Wettbewerb unter Ländern ist nicht zum Schaden, sondern zum Vorteil für die Bundesrepublik Deutschland. Das können wir einmal in dem Zusammenhang sagen.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Ich denke allerdings, dass ein derartiger Föderalismus nicht in der Art und Weise stattfinden kann, wenn die Herren Runde und Kröning in der Kommission sagen: „Die Bildungsplanung bleibt beim Bund“, oder wenn ich Bemühungen der Bundesministerin zum Thema Eliteunis sehe. Das geht in die falsche Richtung; das eine oder andere, was ich vom Bundesinnenminister höre, auch. Ich füge hinzu, nicht jeder Vorschlag von Mitgliedern der Kommission aus unseren Reihen ist dort zielführend – damit wir uns nicht missverstehen.

(Axel Wintermeyer (CDU): Nicht aus Hessen!)

Nicht aus Hessen, einverstanden. – Wichtig ist, wenn wir uns in diesen Grundpositionen einig sind, diese Einigkeit in die Kommission hineinzutragen, um zu Veränderungen zu kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist die Grundlage für unseren gemeinsamen Antrag. Ich will aber hinzufügen – das ist im Antrag erwähnt, aber der andere Antrag ist mit dieser Debatte verbunden –:Wir müssen auch über die Entflechtung der Verwaltungszuständigkeit und über die Frage der länderübergreifenden Gremien reden. Die sind aus unserer Sicht abzubauen. Wenn es über 700 Gremien zwischenstaatlicher Art in Deutschland gibt,dann zeigt dies,dass dies ein falscher Weg ist und wir zu einem vernünftigen Abbau derartiger Gremien kommen müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Fünftens.Wir brauchen klare Finanzstrukturen.Aber dies ist zugegebenermaßen in den Kommissionen offensichtlich mit das schwierigste Thema. Herr Kollege Walter hat ein paar Punkte angesprochen. Wir haben in unserem Fraktionsvorsitzendenkonferenzbeschluss dieses Thema artikuliert, um einen Weg aufzuzeigen, wie wir zu einer Lösung kommen. Ich habe zu oft in Konferenzen gesessen, sei es in den eigenen Reihen von Ministerpräsidentenkonferenzen oder sei es mit Kolleginnen und Kollegen – jetzt will ich nicht von „Feinden“ reden, lieber Kollege Walter – von unseren politischen Gegnern. Ich stelle immer wieder fest, was typisch war. Ich darf es an einem Beispiel festmachen.Wenn Sie mit dem Ministerpräsidenten Ringstorff über diese Frage reden

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nee, oh Gott!)

lieber Kollege Hahn, wir beide haben das schon gemeinsam getan –, dann kommen immer Argumente, wo Sie merken, da besteht in jedem Punkt nur ein einziger Gedanke: Mir geht ein einziger Euro verloren; deshalb bin ich zu nichts bereit,um hier zu einem Konsens zu kommen.

Meine Damen und Herren, das müssen wir aus der Debatte ein Stück wegnehmen. Deshalb haben wir als Fraktionsvorsitzende dort versucht, eine Lösung anzubieten,

weil ich glaube, dass wir klar und deutlich sagen müssen: Jawohl, wir sind für die Grundsolidarität, wir sind für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland, aber wir müssen auch sagen,dass diejenigen,die sich besonders anstrengen, dafür nicht bestraft, sondern in der Zukunft belohnt werden sollen. Das gehört dazu, wenn wir über Fragen der Finanzen und finanziellen Ausgleich sprechen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Dr. Jung, Frau Kollegin Wagner möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie?

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Bitte sehr!)