Protocol of the Session on May 12, 2004

Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an außenpolitische Fragestellungen, bei denen ein gemeinsames Handeln notwendig wäre.Auch in Zukunft muss es da ein gemeinsames Auftreten geben. Damit würde ein Beitrag zur Entwicklung des Friedens und zur Entwicklung der Freiheit in der Welt geleistet. Dabei handelt es sich meines Erachtens um eine wichtige Aufgabe, bei der es noch ein Stück weit zu einer Verbesserung kommen muss, damit die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, die jetzt 25 Staaten umfasst, auch in Zukunft gewährleistet ist.

Wenn ich dann aber sage: „Wir dürfen aber nicht in einen Prozess kommen, der die Menschen der Europäischen Union im Grunde genommen überfordert“, dann stellt sich doch zu Recht eine Frage. Im Dezember sollen mit der Türkei Verhandlungen mit der Perspektive des Beitritts aufgenommen werden. Ich finde, der eine oder andere hat zu Recht darauf hingewiesen, dass damit die Europäische Union überfordert wird. François Mitterrand war es, der einmal gesagt hat: Wir dürfen nicht zu einer Europäischen Union kommen, bei der die Letzten, die dazu kommen, sozusagen feststellen, dass diese Europäische Union im Innern schon völlig ausgeblutet ist. – Damit hat er Recht. Wir müssen die Europäische Union in dieser Dimension fortentwickeln

(Beifall des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

und dürfen die Menschen nicht so überfordern, dass es dann am Schluss mit einer Freihandelszone endet. Das ist nicht der Weg, den wir für Europa vorsehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will nur wenige Sätze zum Thema Beitritt der Türkei sagen. Es ist unbestritten – es hat auch keiner etwas anderes gesagt –,dass sich die Türkei derzeit nicht in einem Zustand befindet, der sie in die Lage versetzen würde, den Beitritt zur Europäischen Union zu vollziehen. Das ist die Wahrheit. Wir reden hier über Menschenrechte usw., und dann nehmen wir hier Leute aus Asylgründen auf. Das passt doch nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU)

Dann kommt der zweite Punkt. Wenn Sie die Leute fragen, ob sie der Meinung sind, dass jetzt ein Beitritt erfolgen sollte, dann sagt die überwiegende Mehrheit Nein.

Wenn Sie die Leute fragen, ob sie der Meinung sind, dass die Türkei völlig ausgeschlossen sein sollte, sagt ebenfalls die überwiegende Mehrheit Nein. Das will zu Recht auch niemand,weil wir der Türkei nicht die Perspektive für Europa in einem positiven Prozess verbauen dürfen.

(Zurufe der Abg. Christel Hoffmann und Norbert Schmitt (SPD))

Die überwiegende Mehrheit von 70 % sagt dann: Eine privilegierte Partnerschaft ist genau der richtige Weg,

(Christel Hoffmann (SPD): Jetzt kneift er!)

weil die Vollmitgliedschaft mit der Identität Europas nicht übereinstimmt, aber die privilegierte Partnerschaft der Türkei einen Weg eröffnet, der eine positive Zusammenarbeit gewährleistet, ohne die Vollmitgliedschaft letztlich zu ermöglichen, die Europa in seinen Dimensionen sprengt.

(Norbert Schmitt (SPD):Wie sieht die denn aus?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb ist das aus meiner Sicht genau die richtige Perspektive, um den Schritt Europas vom 1. Mai auch in Zukunft positiv zu vollziehen, die Identität Europas zu bewahren, Europa positiv nach vorne zu entwickeln, aber auch Partnerschaften in der Region einzugehen. Ich denke, deshalb ist unser Antrag in allen Punkten der richtige Weg, um ein Europa zu bauen, das die Grundprinzipien von Frieden, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit auch in Zukunft umsetzen kann und einen positiven Weg für die Menschen in Deutschland und die Menschen in Europa entwickelt. – Besten Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Abg. Bökel für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich beginnt jetzt erst so richtig die Arbeit nach den Feierlichkeiten des 1. Mai.Wir sind uns alle sehr wohl bewusst, dass der Reformdruck, der auf den neuen Staaten der Europäischen Union gelastet hat, fortgesetzt werden muss.Aber es wird auch große Anforderungen an uns geben, z. B. in der Wissenschaft, der Forschung, der wirtschaftlichen Entwicklung mitzuhalten,weil wir jetzt schon eine unglaubliche Dynamik in den neuen Staaten feststellen können.

(Beifall der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Zweite Bemerkung. Herr Minister Riebel, Sie haben uns zum Abschluss mit Ihrer üblichen Intellektualität sehr flexibel darauf hingewiesen, welche historischen Fehler die Sozialdemokraten gemacht hätten.Ich kann Ihnen nur sagen,ich weiß sehr wohl,was Staatsmänner wie de Gasperi, Schuman und Adenauer getan haben, um die Westintegration, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die EU aufzubauen. Ich sage Ihnen aber genauso: Ohne sozialdemokratische Bundeskanzler, ohne einen Willy Brandt wäre es nicht so weit gekommen, dass wir jetzt selbstverständlich über dieses neue Europa reden können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darm- stadt) (FDP) – Günter Rudolph (SPD), zu Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) gewandt: Herrn Genscher hat er vergessen!)

Sie haben Ausführungen zum Islam gemacht. Meine Damen und Herren, wir hatten die Diskussion schon im Europaausschuss. Sie greifen etwas kurz. Es war der Kollege von Hunnius, der Sie, Herr Minister, in beeindruckender Weise mit sehr dezenten Worten darauf hingewiesen hat, dass Sie bitte darüber nachdenken sollten, welche Rolle der Islam in vergangenen Jahrhunderten in Europa, von Spanien bis Bulgarien, gespielt hat. Also tun wir nicht so, als spiele der Islam erst jetzt eine Rolle, wenn es um die Türkei geht. Ganz konkret ist es jetzt schon der Fall.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erlauben Sie Zwischenfragen, Herr Bökel? – Frau Kollegin Wagner.

Lieber Herr Bökel, wären Sie bereit, mit uns gemeinsam zu sagen, dass es auch der Architekten der neuen Ostpolitik und der deutschen Einheit, von Walter Scheel über Genscher und Kinkel, gebraucht hat?

Ich sage ganz ausdrücklich Ja.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber sage noch dazu, was die drei zu Westerwelle sagen!)

Meine Damen und Herren, jetzt lassen wir es. Wir wollen nicht noch weitere Namen aufzählen,aber wir sind uns in diesem Punkt einig.

Es ist darauf hingewiesen worden, dass der jetzige Verhandlungsstand mit der Türkei nichts Neues ist. Es ist nicht nur Walter Hallstein gewesen, es war nicht nur Konrad Adenauer,der sehr konkret gesagt hat,wir müssen die Türkei an die Europäische Gemeinschaft heranführen. Es ging bis in die Regierungszeit von Helmut Kohl. Herr Klein, wie Sie jetzt mit Ihren Altvorderen umgehen, kann ich gar nicht verstehen. Da muss noch etwas anderes eine Rolle spielen.

Wenn ich mir anschaue, was beispielsweise im Lahn-DillKreis auch in der CDU publiziert wird, dann sehe ich: Es geht Ihnen gar nicht um den Beitritt der Türkei. Es geht Ihnen um die Türken, die hier sind. Sie wollen Vorbehalte und Ängste schüren, aber das können wir nicht mitmachen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jür- gen Irmer (CDU))

Wenn jetzt wieder gesagt worden ist, wie viele Millionen Türken nach Deutschland kämen, dann müssen wir völlig klar sagen, dass es eine Unverschämtheit ist, solche Ängste zu schüren.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Irmer, das ist genau das, was Sie falsch in die Welt setzen. Das ist genau der Unfug, den Sie in die Welt setzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, alle seriösen Untersuchungen zeigen – wir hatten eine ähnliche Diskussion, als es um Portugal oder Griechenland ging und Ängste geschürt wurden, dass nun alle Arbeitnehmer hereinkommen –, dass der Zuwanderungsdruck abnehmen wird, je mehr der Wohlstand in den Ländern steigt, die jetzt Mitglieder der Europäischen Union werden oder künftig die Chance haben, bei uns mitzuwirken.

(Fortgesetzte Zurufe des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Der Zuwanderungsdruck wird abnehmen, und außerdem würde mit einer Türkei genau das Gleiche verabredet wie mit den anderen Aufnahmestaaten, dass man nämlich genau festlegt, in welchem Zeitraum überhaupt Arbeitnehmer hierher kommen.

Meine Damen und Herren, so weit sind wir aber noch gar nicht.Wir sind in der Situation, dass die Staatschefs, linke wie rechte, entschieden haben, dass sie sich jetzt zusammensetzen, um zu überlegen, ob mit der Türkei offiziell Verhandlungen mit dem Ziel einer Aufnahme begonnen werden. Das ist ein Zeitfenster von zehn, zwölf, fünfzehn Jahren. Ich sage in aller Ruhe, weil Herr Riebel gesagt hat, wo Sozialdemokraten gestanden haben, und mit Blick darauf, wie insbesondere die CDU und der Kollege Dr. Jung hier argumentiert haben: Ende des Jahres werden die europäischen Staatschefs von Chirac bis Schröder

(Aloys Lenz (CDU): Den gibt es dann nicht mehr!)

der Türkei eine sehr konkrete Möglichkeit geben, mit Verhandlungen zu beginnen. Ich sage Ihnen: Nicht wir werden im Abseits stehen, sondern die Hessische Landesregierung und diese CDU.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Reif (CDU): Ende des Jahres ist Schröder nicht mehr Bundeskanzler!)

Meine Damen und Herren,es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich lasse zunächst über die Änderungsanträge abstimmen. – Herr Kollege Kaufmann.

Herr Präsident, unabhängig von den Änderungsanträgen bitten wir, den Ursprungsantrag in den Abschnitten I und II getrennt abzustimmen.

Jawohl, das machen wir.

Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 16/2259 zu Drucks. 16/2219.Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer lehnt diesen Antrag ab? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Änderungsantrag bei Zustimmung der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Ablehnung der Fraktionen der CDU und der FDP abgelehnt worden.

Änderungsantrag der FDP, Drucks. 16/2260 zu Drucks. 16/2219.Wer wünscht diesem Antrag zuzustimmen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist dieser Antrag bei Zustimmung der FDP und Ablehnung durch alle anderen Fraktionen abgelehnt.

Wir kommen zum Ursprungsantrag, Entschließungsantrag der Fraktion der CDU, Drucks. 16/2219.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Nicola Beer (FDP): Abschnittsweise, bitte!)

Wer wünscht Abschnitt I zuzustimmen? – Gegenprobe. – Stimmenthaltung? – Damit ist Abschnitt I einstimmig zugestimmt worden.