Protocol of the Session on March 25, 2004

Viele KGS haben aufgrund der Elternwünsche in den letzten Jahren offen oder verdeckt bereits gymnasiale Eingangsklassen neben der Förderstufe gebildet. Das wird zukünftig verboten sein. Also werden sie sich in ein dreigliedriges Schulsystem unter einem Schuldach entwickeln müssen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Für Kinder, die früher nach der Förderstufe in der 7. Klasse in den Gymnasialzweig gewechselt haben – das gab es auch trotz der gymnasialen Eingangsklassen immer noch –, werden jetzt sofort dorthin gehen, weil sie diese Chance nicht verpassen wollen. Dann werden sie vier Jahre unter dem Druck der Querversetzung leben.

Ich muss ganz ehrlich Folgendes sagen: Nachdem wir mit PISA festgestellt haben, dass die Lehrer in Deutschland das Gefühl haben, dass sie immer die falschen Kinder vor der Nase sitzen haben,werden sie in dieser Angelegenheit darin noch bestärkt.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Querversetzung konterkariert jedwede Forderung nach einer individuellen Förderung auch der schwächeren Kinder. Das bestärkt sogar die Aussage, dass die Herkunft der entscheidende Faktor für den weiteren Schulweg sein wird.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die KGS, die noch eine wirkliche Förderstufe anbietet, muss nun auch verkürzen. Ich erinnere an eine von mir gestellte Frage in der Fragestunde, auf die Frau Ministerin noch Folgendes geantwortet hat: Die bestehende kooperative Gesamtschule mit Förderstufe bildet erst ab der Klasse 7 Gymnasialklassen.Eine Schulzeitverkürzung mit Verlagerung der Stunden einer Jahrgangsstufe der Mittelstufe auf die übrigen Stufen ist analog der ersten Gruppe nicht möglich.

Damals hieß es also noch – das war eine Hoffnung für die KGS –, dass diejenigen, die wirklich eine reine Förderstufe haben, nicht verkürzen müssen. Jetzt müssen sie verkürzen. Das bedeutet, dass die zweite Fremdsprache in Klasse 6 eingeführt wird. Das führt schlicht und ergreifend dazu, dass die pädagogische Einheit der Förderstufe ausgehöhlt und sie damit überflüssig wird.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der pädagogische Anspruch der kooperativen Gesamtschule, Kinder gemeinsam länger lernen zu lassen, ist damit ad absurdum geführt, und diese Schulform in ihrem Ursprungskonzept existiert dann nicht mehr. Wir appellieren daher an die Landesregierung, den kooperativen Gesamtschulen ein Stück von der Selbstständigkeit zu geben, die wir – worin wir alle einig sind – eigentlich für alle Schulen fordern: mehr Selbstständigkeit, mehr Eigenverantwortung. Deshalb fordern wir, dass den kooperativen Gesamtschulen die Entscheidung über die Verkürzung in eigener Verantwortung überlassen wird.

(Beifall bei der FDP)

Dann können sie sich je nach Wettbewerbssituation verhalten. Sind sie im direkten Wettbewerb zu den verkürzenden Gymnasien und haben Angst, dass ihnen die Kinder weglaufen.Dann sollen sie verkürzen.Sind sie aber im ländlichen Raum das einzige Angebot für Kinder, die aus anderen Bildungsverhältnissen kommen, dann muss man ihnen die Chance geben, dass sie nicht verkürzen, sondern ihre Ursprungsangebote erhalten.

(Beifall bei der FDP)

Angesichts der zu niedrigen Akademikerquote in Deutschland dürfen wir in Hessen schon gar nicht den Fehler machen, gute Schüler vom Abitur auszuschließen, nur weil sie etwas länger Zeit brauchen. Sie werden genauso gute Abiturienten, und sie werden hinterher genauso gute Auszubildende und genauso gute Studenten. Sie brauchen einfach etwas mehr Zeit.

(Beifall bei der FDP)

So sehr die FDP Vorreiter beim Thema Schulzeitverkürzung ist, halten wir es dennoch für sinnvoll und notwendig, Alternativen zu erhalten. In Ballungsräumen bietet die IGS, die nicht verkürzen muss, diese Alternative. Im ländlichen Raum gibt es sie in erreichbarer Nähe häufig nicht. In der Stadt und im Landkreis Fulda gibt es überhaupt keine integrierte Gesamtschule, sodass die Wahlmöglichkeit zwischen acht oder neun Jahren zum Abitur für die Schüler- und Elternschaft in diesen Bereichen überhaupt nicht besteht. Langsame Schüler, die aus bildungsferneren Elternhäusern kommen, haben da keine Chancen mehr.

Im Hinblick auf den Rechnungshofbericht und die Verpflichtung, die Größe von Schulen unter ökonomischen Gesichtspunkten zu beachten, ist eine Diskussion um sinnvolle Schulgrößen richtig. Allerdings darf es bei der Betrachtung nicht nur um Wirtschaftlichkeit und Einsparmöglichkeiten gehen. Es gehören Standorte, Schulwege, das Alter der Schüler und die Vielfalt im Angebot dazu.

Die zukünftig vorgeschriebene Zweizügigkeit wird ein weiteres existenzielles Problem für die KGS. Im ländlichen Raum existieren eine Reihe von Schulen mit lediglich einem Gymnasialzweig,was aber gut funktioniert und ein wichtiges Angebot ist. Hier sollte nicht an der falschen Stelle gespart, und es sollten den Kindern keine langen und umständlichen Schulwege zugemutet werden.

(Mark Weinmeister (CDU): Das ist doch in Ordnung!)

Frau Ministerin, die Formulierung in dem Gesetzentwurf – „bei unzumutbaren und nicht gleich erreichbaren Bildungsgängen“ – ist eine Gummiformulierung, die auszulegen ist, wie es gerade passt.

(Mark Weinmeister (CDU): Die ist ganz klar!)

Auch die Vierzügigkeit der IGS erscheint in der Umsetzung problematisch und wird einige in ihrer Existenz bedrohen.Spätestens mit der Festlegung dieser Größen lässt sich die Haltung der Landesregierung gegenüber Gesamtschulen nicht verbergen und auch nicht beschönigen. Sie mögen sie nicht, und Sie wollen sie nicht.

(Beifall bei der FDP)

Dabei ist aber auch die Planung der Schulträger zu berücksichtigen, die bei diesen einschneidenden Änderungen an einem Ort Schulen schließen und an einem anderen Standort Schulen erweitern müssten. Von den entstehenden Schülerbeförderungskosten will ich gar nicht reden. Bei der Diskussion um effektive Schulgrößen kann daher nicht in allen Landkreisen der gleiche Maßstab angelegt werden. Richtwerte für Klassengrößen und Mindestgrößen der Schule müssen flexibel ausgelegt werden. Sie müssen unter Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort angewendet werden, sodass es in Hessen kein Angebotsgefälle gibt.

Die FDP fordert deshalb, dass die Verordnungen zum Schulgesetz, in denen vieles davon im Detail geregelt wird, spätestens mit der Einbringung des Gesetzentwurfs

vorgelegt werden. Nur dann kann man das im Ganzen sinnvoll und inhaltlich diskutieren. Diese Verordnungen sollen ebenfalls in die Diskussion eingehen. Außerdem haben wir die Bitte, dass wir diesen Schulgesetzentwurf als Synopse vorgelegt bekommen, denn es ist schon eine Sisyphusarbeit, wenn man z. B. die letzten Worte in Abs. 3 Satz 4 des Entwurfs mit denen vergleichen muss,die im alten Schulgesetz stehen.

Die Liberalen wollen keine Ideologiedebatte.Wir machen uns für praktikable Lösungen stark, die die Schulzeitverkürzung für alle Schulformen organisatorisch erleichtern, die die Schulvielfalt in Hessen nicht antasten und die Qualität der Schulen voranbringen. Der Schulgesetzentwurf zeigt eindeutig eine andere Tendenz und wird in der vorliegenden Form von der FDP nicht mitgetragen.

(Beifall bei der FDP)

Wir wünschen uns ein Schulgesetz, das alle Schulformen gleichermaßen in ihrer Qualität fördert und nicht einseitig der Dreizügigkeit Vorrang gibt.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön, Frau Henzler. – Ich darf Frau Staatsministerin Wolff das Wort erteilen.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Henzler, wenn ich mit dem technischen Hinweis beginnen darf: Der Schulgesetzentwurf steht bereits seit mindestens vier Wochen in Form einer Synopse im Internet und kann dort ohne Schwierigkeiten verglichen und wahrgenommen werden. Wir haben alles getan, um die Diskussion auch durch den unmittelbaren Vergleich zu ermöglichen, sodass nicht jeder die Sisyphusarbeit des Suchens unternehmen muss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich die ersten beiden Reden von Abgeordneten der GRÜNEN und der SPD gehört habe, dann kann ich nur sagen: Das ist die Geisterbahndiskussion der Siebziger- und Achtzigerjahre, die mich in der Tat in die CDU gebracht hat, wie es die eine oder andere Zeitung geschrieben hat.

(Beifall bei der CDU)

Das war die von Friedeburg’sche Schulpolitik, die die hessische Union stark gemacht und mit Sicherheit wesentlich dazu beigetragen hat, dass wir in der zweiten Legislaturperiode die Möglichkeit haben, dieses Land zu gestalten, und zwar exakt nicht in dem Sinne, wie Sie das mit Blick auf die so genannte Selektivität und das soziale Gefälle beschrieben haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, rechnen Sie vielleicht mit der Vergesslichkeit der Menschen, nicht mehr zu wissen, dass nach der PISA-Studie gerade die Länder, die in der Tendenz und Zielrichtung am meisten auf integrative Schulsysteme gesetzt haben, diejenigen gewesen sind, deren soziales Gefälle am allergrößten ist? Es sind im Jahre 2000 Nordrhein-Westfalen und Hessen gewesen,

(Beifall bei der CDU)

wo das soziale Gefälle am allergrößten war. In dem Land, das für Sie des Teufels eigenes Land ist, nämlich in Bayern, ist das soziale Gefälle am niedrigsten und die Chan

cen der Kinder, aus niedrigen sozialen Schichten hochzukommen, am allergrößten.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gucken Sie bitte einmal über den Tellerrand hinaus und vergleichen Sie international!)

Meine Damen und Herren, wenn wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass gerade aus dem Bereich der Migranten viele dabei sind, die leider Gottes immer noch aus niedrigeren sozialen Schichten kommen, und diese im Land Bayern am allerbesten gefördert werden können und jenem Leistungsstand 2000 im Land Hessen entsprechen, dem der Durchschnitt der gesamten Schülerschaft entsprach, dann frage ich mich, wo Ihre ganze Analyse betreffend Selektivität ihre Basis hat. Sie hat keine Basis. Und das wird in Hessen auch weiterhin so sein.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, bei der PISA-Studie musste Bremen zur Kenntnis nehmen, dass es um zwei Jahre hinter den besten Ländern zurückliegt. Bei IGLU, bei der Grundschuluntersuchung, musste das Land Bremen zur Kenntnis nehmen, dass es bereits am Ende der vierten Klasse ein komplettes Schuljahr hinter den besten Ländern zurückliegt.

(Dr.Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):So ist es!)

Das hat den Regierenden Bürgermeister der Freien und Hansestadt Bremen, Henning Scherf, dazu gebracht, zu sagen: Nein, die sozialdemokratische Bildungspolitik und die rot-grüne Bildungspolitik sind schlicht gescheitert.

(Beifall bei der CDU – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): In Bremen ist die große Koalition!)

So war das – Originalton Henning Scherf. Er ist es doch, der mit der CDU in Bremen jetzt ein Schulgesetz vorbereitet, was eine vollständige Wende der Bildungspolitik in Bremen darstellt. Das ist doch eine Tatsache. Ich weiß nicht, ob Sie keine Zeitung lesen.Aber Sie müssten schon einmal zur Kenntnis nehmen, dass das so ist.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die große Koalition in Bremen besteht schon seit vielen Jahren!)

Aber der Regierende Bürgermeister hat jetzt gesagt, dass der hinhaltende Widerstand gegen eine veränderte Bildungspolitik im Land Bremen nunmehr endlich ein Ende hat.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann ist die Frage, in welche Richtung das entwickelt wird!)

Das ist in Ordnung. Das ist die richtige Erkenntnis aus PISA und IGLU.