Protocol of the Session on March 19, 2004

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Er soll es vorlegen!)

Dieses Gutachten wird von der Landesregierung wie eine Geheimakte gehandelt. Wir haben es bereits mehrfach

beim Chef der Staatskanzlei, Herrn Grüttner, schriftlich angefordert – Fehlanzeige.

Wir bekommen stets die gleiche lapidare Antwort, dass dieses Gutachten lediglich der „internen Willensbildung der Landesregierung“ diene. Da ich davon ausgehe, dass diese interne Willensbildung abgeschlossen ist,fordere ich Sie an dieser Stelle noch einmal auf, uns dieses Gutachten endlich zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage mich natürlich, wie wir als Opposition, wenn wir die Entscheidungsgrundlage für die Amtsgerichtsschließung nicht kennen,unserem verfassungsmäßigen Auftrag, die Regierung zu kontrollieren, überhaupt gerecht werden können. Herr Wagner, wir müssen letztlich davon ausgehen, dass Sie uns und der Öffentlichkeit etwas zu verheimlichen haben und dass das Gutachten des Landesrechnungshofs noch mehr Sprengstoff enthält, als bisher bekannt geworden ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Schließung von Amtsgerichten wird nicht nur die Bürgernähe der Justiz gerade in strukturschwächeren Regionen verloren gehen, sondern auch die Akzeptanz der Rechtspflege.Vor Ort kennen sich die Verfahrensbeteiligten besonders gut, und die örtlichen Gegebenheiten sind auch bekannt. Viele Amtsrichter haben eine sehr hohe Vergleichsquote.

Außerdem ist Ihr Ansinnen, die Amtsgerichtsstandorte in der Fläche aufzugeben, familien- und frauenfeindlich. Sie wissen, dass gerade viele Frauen mit Teilzeitverträgen arbeiten. Diese Frauen müssen jetzt noch längere Anfahrtszeiten in Kauf nehmen und die Kinderbetreuung, wenn sie überhaupt möglich ist, völlig neu organisieren.

Sie haben bei Ihrer Entscheidung auch die örtlichen besonderen Gegebenheiten überhaupt nicht berücksichtigt. So haben Sie z. B. nicht berücksichtigt, dass in Bad Wildungen neben dem Amtsgericht auch noch das Forstamt und die Kurklinik Waldeck geschlossen werden. Das hat doch bestimmt nichts mit regionaler Ausgewogenheit zu tun. Auch wurden besondere Aufgaben der Amtsgerichte nicht berücksichtigt, etwa die des Amtsgerichts Butzbach, das zwei nahe gelegene Justizvollzugsanstalten zu betreuen hat, nämlich Butzbach und Rockenberg.Wenn die Vorführungen jetzt durch das Amtsgericht in Gießen vorzunehmen sind, wird das natürlich erheblich kostenintensiver.

Besonders beschämend ist auch, dass diese Landesregierung eine Informationspolitik nach Gutsherrenart betreibt. Die betroffenen Mitarbeiter haben von der Schließung der Amtsgerichte wieder einmal erst aus der Presse erfahren. Erst etwas später flatterte dann eine lapidare EMail ins Haus,die über die Schließung der Behörde unterrichtete. Wir kennen zwar diese Informationspolitik der Landesregierung – siehe „Operation sichere Zukunft“ – zur Genüge; sie ist aber gewiss kein guter Stil.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie glauben immer noch, dass Sie die politische Durchsetzbarkeit Ihrer Entscheidung erhöhen können, wenn Sie die Betroffenen über die Presse informieren. Ich hingegen bin der Überzeugung, dass Sie die Akzeptanz Ihrer Entscheidung erhöhen können, wenn Sie die Betroffenen

frühzeitig einbeziehen. Sie machen Ihre Entscheidung auch insgesamt sachgerechter.

(Zuruf von der CDU:Wie hat Schröder Ihre Partei einbezogen?)

Herr Justizminister, nicht zuletzt sind Sie auch wortbrüchig geworden. Sie tingeln nämlich stets durch das Land und loben die effektive Arbeit der Amtsgerichte. In Bad Vilbel haben Sie im November 2000 dem Personalrat und den Bediensteten des Amtsgerichts eine Bestandsgarantie abgegeben,an die Sie sich jetzt natürlich nicht mehr erinnern können. Das Amtsgericht Bad Vilbel wird nämlich platt gemacht. Dabei ist dieses Amtsgericht ein ganz besonderes; denn das Gebäude wurde erst 1989 eingeweiht. Es ist speziell auf die Bedürfnisse eines Gerichts zugeschnitten.

Aber,Herr Justizminister,Sie argumentieren auch mit falschen Informationen.

(Günter Rudolph (SPD): Was? Das ist ja unglaublich!)

Das Amtsgericht Bad Arolsen, das die Schließorgie vorerst überlebt hat – nach Ihren Aussagen –, soll aufgrund eines Staatsvertrags zwischen Waldeck und Preußen aus dem Jahr 1928 eine Bestandsgarantie haben. Dieser Staatsvertrag – ich habe ihn hier; Sie können nur § 14 dieses Staatsvertrags meinen, den man übrigens lediglich im Hessischen Staatsarchiv in Marburg bekommt – enthält überhaupt keine Aussage zu dem Amtsgericht.

(Beifall bei der SPD – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da hat man wie- der einmal gelogen!)

Das heißt doch,dass Sie sich die Realität wieder einmal so zurechtlegen, wie Sie sie gerade brauchen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wozu also das Ganze? Herr Justizminister, Sie sprechen immer von Einspareffekten in Höhe von 1 Million c jährlich. Bislang gibt es aber keine Kosten-Nutzen-Analyse, wie Herr Frömmrich das auch schon angemerkt hat. Im Gegenteil, die Mehrzahl der Amtsgerichtsgebäude, die nun frei werden, steht unter Denkmalschutz und ist, auch angesichts des derzeit schlechten Immobilienmarkts, überhaupt nicht veräußerbar. Überlegungen, andere Behörden in diese Immobilien einziehen zu lassen, sind bis dato, z. B. in Homberg (Efze), in Wolfshagen, kläglich gescheitert.

(Zuruf von der CDU: Wolfhagen! Wolfshagen liegt in Niedersachsen!)

Viele Gerichte wurden in den letzten Jahren – das wissen Sie auch – mithilfe von Steuergeldern modernisiert, vernetzt,und sie erhielten das elektronische Grundbuch.Nun sollen diese Immobilien leer stehen.

Aber den Amtsgerichten soll noch weiter der Garaus gemacht werden.Nach dem Willen der Landesregierung sollen die Amtsgerichte weitere Zuständigkeiten verlieren, nämlich die Grundbuchsachen, die mit den Katastersachen in so genannten Bodenmanagementbehörden an sieben Standorten in Hessen konzentriert werden sollen.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Sehr gut!)

Es hat natürlich Charme, Liegenschafts- und Grundbuchauszüge in einer Hand zu sehen. Aber in der Realität haben Grundbuch- und Katastersachen doch sehr wenig

miteinander zu tun. Das ist so, als ob man Ordnungswidrigkeiten durch den TÜV bearbeiten ließe.

(Reinhard Kahl (SPD): Oh! Das wäre auch noch eine Möglichkeit!)

Jeder Jurist und Rechtskenner weiß doch ganz genau,dass Grundstücksangelegenheiten meist rechtlich diffizil sind und dass ihre Bearbeitung fundierte Rechtskenntnisse voraussetzt. Eintragungen im Grundbuch genießen den öffentlichen Glauben. Sachen der Katasterämter, Liegenschafts- und Vermessungsangelegenheiten sind meist tatsächlicher, nicht rechtlicher Natur.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sollte aber kein Gegensatz sein!)

Für Kataster und Grundbuch sind unterschiedliche Gerichtszweige zuständig, und es werden auch verschiedene Rechtswege eröffnet. Mithin lehnen alle Praktiker – das wissen Sie auch –, ob das nun Richter, Rechtspfleger oder auch Leute aus dem Katasterwesen sind, Ihre Pläne als unsinnig ab.

(Zuruf von der CDU: Das stimmt doch nicht!)

Bis zum Ende dieses Jahres wird jedes Amtsgericht in Hessen über das elektronische Grundbuch verfügen. Schwer nachzuvollziehen ist auch, warum Standards, die sich bewährt haben und die zu finanzieren sehr teuer war, nun wieder obsolet sein sollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus unserer Sicht reicht eine technische Verknüpfung von Kataster- und Grundbuchsachen mittels einer gemeinsamen Datenbank völlig aus. Ihr Vorschlag, eine Bodenmanagementbehörde einzurichten, ist mithin reiner Murks.

Lassen Sie mich zum Schluss klarstellen, dass auch wir als SPD-Fraktion für eine Organisations- und Aufgabenkritik innerhalb der Landesbehörden sind.

(Zuruf von der CDU: Die Sozialdemokraten? – Ar- min Klein (Wiesbaden) (CDU): Das haben Sie doch noch nie gemacht!)

Wir wollen eine Kosten-Nutzen-Analyse und tragfähige Konzepte, die, wenn möglich, einvernehmlich mit den Betroffenen erarbeitet werden.Wir beschreiten damit einen völlig anderen Weg als diese Landesregierung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Roland von Hunnius das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die hessische Landesverwaltung muss schlanker, flexibler und dienstleistungsorientierter werden. Sie sollte mindestens so bürgerorientiert bleiben, wie sie es bisher ist.

(Beifall bei der FDP)

Das ist der Obersatz, der sicherlich ungeteilten Beifall bei allen Fraktionen dieses Hauses findet. Aber dazu gehört – das will ich gleich für die FDP-Fraktion sagen –, dass Synergieeffekte genutzt werden, wo immer es möglich ist. Dazu gehört, dass Behördenstandorte zusammengelegt werden, wenn dies aus Sachgründen geboten ist. Dazu gehört natürlich auch – das ist damit verbunden –, dass die Zahl der Behördenstandorte insgesamt reduziert wird.

(Beifall bei der CDU)

Das möchte ich gleich vorab sagen; denn bei aller Kritik daran, wie das umgesetzt wird, muss man sich darin einig sein, dass das Ziel auf jeden Fall besteht und erreicht werden muss.

Wenn man an diese Aufgabe herangeht, sollte eine lückenlose Analyse des Bestands die Grundlage dafür sein. Daraus sollte eine Definition des Zielzustands resultieren.Das ist genau der Punkt,den wir an der ganzen Geschichte vermissen.

Die FDP-Fraktion hat versucht, in einem Schreiben zu eruieren, welche Analysedaten zugrunde gelegt worden sind und welche Perspektiven sich für die Behördenstandorte daraus entwickeln. Dazu gab es ein Antwortschreiben des Staatsministers Grüttner, das der Fraktionsvorsitzende der FDP, Herr Hahn, an dieser Stelle schon charakterisiert hat. Das muss ich nicht mehr tun.Wir haben dann Dringliche Berichtsanträge gestellt. Die darauf gegebenen Antworten sind – freundlich ausgedrückt – als „lapidar“ zu bezeichnen.

(Beifall bei der FDP – Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist sehr freundlich ausgedrückt!)

Positiv ist: Die Dauerforderung der FDP nach einem Behördenkataster zeigt endlich Wirkung. Darüber freuen wir uns. Wir haben zwar kein Behördenkataster, aber immerhin, es wird daran gearbeitet.