Protocol of the Session on March 19, 2004

Unterschiedliche Maßstäbe an gleiche Sachverhalte anzulegen sind wir ja schon einigermaßen von Ihnen gewohnt, aber wir wollen es Ihnen doch nicht durchgehen lassen. Frau Kollegin Zeimetz-Lorz, Sie hatten in der letzten Plenarsitzung gesagt – ich zitiere –: „Es gibt bis zum heutigen Tag nicht eine einzige fachliche Begründung für eine Verlegung des Hauptsitzes des BKA.“ Sehr richtig, Frau Kollegin, aber wir haben ja auch einen gemeinsamen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Aber, liebe Frau Kollegin, wo sind denn die fachlichen Begründungen für die Verlagerung der Standorte der Forstverwaltung, der Katasterämter,

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sehr richtig!)

der Umweltverwaltung oder aber der Amtsgerichte? Bis heute Fehlanzeige. Bis heute haben wir eine fachliche Begründung für die Standortentscheidungen der Landesregierung noch nicht vorliegen.

Nehmen wir doch das klassische Beispiel der Organisation der Standorte von Amtsgerichten. Es gibt da eine inhaltliche Aussage an das Parlament, warum jetzt nach einer ersten Phase – Nebenstellen wurden aufgelöst – wieder Gerichte mit Nebenstellen eingerichtet werden. Es gibt nirgendwo für uns im Parlament ein nachvollziehbares Argument dafür. Es gibt vor allem auch keine KostenNutzen-Analyse für diese gesamten Dinge. Ist hier im Parlament jemals darüber gesprochen worden, dass Sie erst Standorte renovieren und sanieren sowie mit neuer Technik ausstatten, diese Standorte aber jetzt zur Schließung vorsehen? Hat der Minister jemals hier im Parlament Rede und Antwort darüber gestanden, warum wel

che Standorte aufgegeben werden und warum welche Standorte erhalten bleiben? Meine Damen und Herren, bis zum heutigen Tag Fehlanzeige.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So schreiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtsgerichts in Bad Vilbel:

Wir haben als Mitarbeiter mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, wie Herr Innenminister Schily beim geplanten Umzug des BKA nach Berlin von der Landesregierung heftig angegriffen wurde mit dem Argument, dass man so mit Menschen nicht umgeht, wenn sie existenzielle Dinge aus der Presse bzw. zeitgleich wie die Presse erfahren.Wieso kann eine Regierung, die diese Praxis zu Recht massiv missbilligt, bei uns diese Praxis durchführen?

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Richtig!)

Das ist eine vollkommen legitime Fragestellung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Staatssekretärin Scheibelhuber hat in der Innenausschusssitzung am 11. Februar – Sie waren ja auch anwesend – über die Fusion der Landkreise,z.B.Kassel/KasselLand,geredet und in der Debatte gesagt,die Organisation muss der Aufgabe folgen. Richtig, Frau Staatssekretärin. Aber warum gilt dieser Grundsatz nicht bei der Zusammenlegung von Amtsgerichten? Warum legen Sie eigentlich die gutachterlichen Stellungnahmen des Landesrechnungshofs zu diesem Themenbereich nicht vor? Haben Sie da irgendetwas zu verbergen?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie schließen über das gesamte Land Hessen Standorte. Sie organisieren um. Frau Kollegin Zeimetz-Lorz, Sie haben eben nicht die Debatte mit den Betroffenen vor Ort geführt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Umgang mit Personal und mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, der schon allein die Forderung nach einem Verzicht auf die Maßnahmen und nach einer ergebnisoffenen Prüfung zulassen sollte.

Noch einmal: Was Sie für die BKA-Beschäftigten zu Recht einfordern, muss von uns für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landes genauso gelten. Die Absurdität Ihres Handelns wird doch an dem Beispiel Bad Wildungen, meinem Heimatwahlkreis, deutlich. In Bad Wildungen machen Sie das Forstamt dicht. Gleichzeitig machen Sie ein neues Nationalparkamt in Bad Wildungen auf.Sie machen das eine dicht.Die ziehen demnächst nach Vöhl, um die Aufgabe dort zu erfüllen. Gleichzeitig machen Sie ein neues Nationalparkamt auf und verlagern Aufgaben von Edertal nach Bad Wildungen, um dort eine Nationalparkverwaltung einzurichten.Das kann doch weder als geordnet noch als nachvollziehbar bezeichnet werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann das nur als Chaos bezeichnen. Sie sind nicht in der Lage, ein vernünftiges, nachvollziehbares und abgeglichenes Konzept vorzulegen. Dafür sind Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, genauso zu kritisieren wie Herr Schily für den geplanten Umzug des BKA

nach Berlin. Es ist weder für die Beschäftigten vor Ort noch für uns hier im Parlament nachvollziehbar, wie Sie zu diesen Entscheidungen kommen. Liebe Frau Kollegin Zeimetz-Lorz, in der Diskussion um die Verlagerung des Standortes des BKA haben Sie berechtigterweise kritisiert, dass die Aufgabe der inneren Sicherheit in der Phase des Umzugs nicht mehr gewährleistet sei.

Meine Damen und Herren,welch eine Chuzpe.Ich will Ihnen ein Beispiel geben,wozu die Entwicklung hier in Hessen führen wird. Liebe Frau Kollegin, Sie schädigen die Standards in Hessen nicht zeitlich begrenzt, sondern Sie bauen sie auf Dauer ab. Notwendige Funktionen, z. B. im Umweltschutz, werden dauerhaft abgebaut. Erläutern Sie doch einmal, wie die Umstrukturierung der Umweltverwaltung funktionieren soll. Von den 218,5 Stellen bei der Umweltverwaltung in Marburg und Wetzlar sollen 94,5 Stellen eingespart werden. Die Mitarbeiter der Abteilung in Marburg schreiben: „Die für die Umweltabteilung angesetzten 94,5 Stellen als Einsparungsziel lassen sich nicht nachvollziehen, haben mit einer seriösen Aufgabenkritik nach dem neuen Steuerungsmodell nichts zu tun und kommen einer Zerschlagung der Umweltabteilung gleich.“

Sie strukturieren nicht um, sondern Sie zerschlagen eine funktionierende Verwaltung, ohne mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ohne mit den betroffenen Städten und Gemeinden vorher das Gespräch gesucht zu haben. Frau Kollegin Zeimetz-Lorz, Sie haben in der Debatte um das BKA gesagt – ich zitiere –: „Jetzt fragt sich natürlich, warum wir dieses Vorhaben mit aller Entschiedenheit und gemeinsam mit fast 100 % aller Beteiligten ablehnen.“ Da stelle ich die Frage: Haben Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung in die Debatten einbezogen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es kommt sogar noch schlimmer. Im Zusammenhang mit der Debatte um das Zukunftssicherungsgesetz haben Sie Mitbestimmungstatbestände, die im HPVG formuliert sind, gleich so abgeändert, dass die Personalräte in die Umstrukturierungsmaßnahmen nicht mehr eingebunden werden müssen. Frau Kollegin, an Sie ist doch die gerechtfertigte Frage zu stellen:Warum kritisieren Sie etwas in Berlin, was Sie in Wiesbaden genauso machen?

Den Vogel schießt in der gesamten Debatte der Ministerpräsident dieses Landes ab. Er wirft Otto Schily „rechthaberische Ignoranz“ vor. Seine Aussage gipfelt in der Äußerung: „Sie sind nicht der Vertreter der kaiserlichen Regierung im Preußischen Herrenhaus.“ Herr Ministerpräsident, so, wie Sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landes umgehen – Arbeitszeitverlängerung,Kürzung des Urlaubs- und des Weihnachtsgelds, Kündigung der Tarifgemeinschaft, Einrichtung von Personalvermittlungsstellen, Schließung von Behördenstandorten –, stellt sich für uns die Frage, in welche Geschichtsepoche wir Sie einordnen müssen. Ich würde sagen, Sie passen in die Zeit von Ludwig XIV., des Sonnenkönigs.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht zu viel der Ehre!)

Wer nämlich von oben herab eine Verwaltungsreform, eine Strukturreform durchführt und Personalvermittlungsstellen einrichtet, ohne die Mitarbeiter sowie die Städte und Gemeinden einzubinden,und dabei noch nicht einmal eine vernünftige und schlüssige Aufgabenkritik vorlegt, der kommt aus einer längst vergangenen Epoche.

Wie wir z. B. im Innenausschuss erlebt haben, haben Sie nicht einmal die Anfrage der FDP-Fraktion beantwortet, die wissen wollte, welche Behördenstandorte frei werden und wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt untergebracht werden sollen. Sie waren nicht in der Lage, in der Ausschusssitzung etwas zum Sachverhalt zu erklären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern Sie auf – das haben wir heute schon in der Aktuellen Stunde zum Thema BKA getan –, unsere Vorstellungen in Richtung Berlin gemeinsam zu formulieren und uns für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort Wiesbaden einzusetzen. Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, wenn Sie aber in dieser Frage in Richtung Otto Schily entsprechend argumentieren, dann sind Ihre Argumente auf Sie selbst anzuwenden, wenn es um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nächste Rednerin ist Frau Hofmann von der SPD-Fraktion. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Kurz vor Weihnachten hat die Hessische Landesregierung vollmundig verkündet, zahlreiche Behördenstandorte bei der Forst-, Finanz-, Sozial- und Justizverwaltung platt zu machen – natürlich ganz im Zeichen der Einsparung von Steuergeldern und der Bündelung von Aufgaben und Zuständigkeiten. Ich prophezeie der Landesregierung bereits jetzt, dass sie bei der Zusammenlegung von Behördenstandorten als Raubkatze gestartet ist und als Bettvorleger landen wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Vorstellung von der zukünftigen Behördenstruktur des Landes lässt nämlich, wie Herr Frömmrich schon gesagt hat, jegliche Konzeption vermissen und wird von den Betroffenen vor Ort als Entscheidung vom grünen Tisch aus verstanden.

Ich möchte dies am Beispiel der angekündigten Schließung von Amtsgerichten verdeutlichen. Der Justizminister hat angekündigt, dass er bis zum 31. Dezember 2004 acht Amtsgerichte auflösen und vier weitere zu Zweigstellen machen und damit ein Sterben auf Raten einleiten wird. Das Amtsgericht Hochheim soll zum Amtsgericht Frankfurt-Höchst verlagert werden, obwohl es überhaupt keine geographische oder sachliche Nähe zum Amtgericht Frankfurt-Höchst, sondern eher zum Amtsgericht Wiesbaden hat. Zum anderen hat das Amtsgericht in Frankfurt-Höchst zurzeit noch überhaupt keine räumlichen Kapazitäten, um das Amtsgericht Hochheim aufnehmen zu können. Es hat sie perspektivisch erst dann, wenn die Grundbuchsammlung des Amtsgerichts Frankfurt-Höchst irgendwann in die so genannte Bodenmanagementbehörde nach Limburg verlagert worden ist. Das ist aber allenfalls Zukunftsmusik. Es gibt zurzeit keine entsprechende gesetzliche Regelung in der Grundbuchordnung, die das zulassen würde. Das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiteres Beispiel: Das Amtsgericht in Homberg (Efze) soll vom Amtsgericht Fritzlar aufgenommen werden. Für das Amtsgericht Fritzlar ist aber ein Erweiterungsbau nötig, der 6 bis 7 Millionen c kosten wird, um die notwendigen Kapazitäten bieten zu können. Für diesen Erweiterungsbau sind noch nicht einmal Mittel im Haushalt 2004 vorgesehen. Da die Landesregierung aber noch kein Konzept hat, wird hier schon jetzt kräftig zurückgerudert.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Amtsgericht Homberg (Efze) soll nun plötzlich doch zunächst eine Zweigstelle bleiben. Es ist wirklich widersinnig, dass in Fritzlar für viel Geld ein Erweiterungsbau errichtet werden soll, während im Amtsgericht Homberg (Efze) selbst, in der nahe gelegenen ehemaligen Bundeswehrkaserne und im nahe gelegenen ehemaligen Finanzamt räumliche Kapazitäten vorhanden sind.

Ein weiteres Negativbeispiel ist die Planung für das Amtsgericht in Witzenhausen. Weder beim Amtsgericht Eschwege noch beim Amtsgericht Kassel sind genügend räumliche Kapazitäten vorhanden,um die Mitarbeiter des Amtsgerichts Witzenhausen aufzunehmen.

Auch das Amtsgericht Butzbach soll nach den ursprünglichen Plänen in das Amtsgericht Gießen aufgenommen werden, obwohl es eine nur geringe sachliche und geographische Nähe zu diesem Gericht hat.

(Frank Gotthardt (CDU): Butzbach und Gießen haben keine geographische Nähe? Das ist eine starke Aussage!)

Nun soll das Amtsgericht Butzbach zerschlagen und den Amtsgerichten Gießen und Friedberg zugeschlagen werden.

Diese Beispiele zeigen sehr deutlich, dass Sie kein nachvollziehbares Konzept haben, sondern nach dem Motto „Erst hü, dann hott“ verfahren.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Sagen Sie etwas zu Wolfhagen!)

Herr Justizminister, Sie bezeichnen dieses chaotische Vorgehen als „Feinjustierung“.Aber das trägt bestimmt nicht dazu bei, die Motivation der Bediensteten aufrechtzuerhalten oder zu steigern. Im Gegenteil, das führt zu einer tiefen Verunsicherung der Bediensteten.

Eines kommt noch dazu: Bis zum 31. Dezember 2004 sollen die Amtsgerichte geschlossen werden. Bis jetzt gibt es noch keinen Fahrplan, wie sich das zu vollziehen hat, wann z. B. Miet- und Leasingverträge gekündigt werden. Das heißt, die Mitarbeiter werden völlig im Ungewissen darüber gelassen, wie die Abwicklung funktionieren soll.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Justizminister behauptet stets, er habe Kriterien aufgestellt, nach denen er entschieden habe, welche Amtsgerichte geschlossen werden.Er sagt,hierzu gebe es ein Gutachten des Landesrechnungshofs.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Er soll es vorlegen!)