Protocol of the Session on February 18, 2004

Meine Damen und Herren, ich will zitieren, was der Abg. Wintruff in Baden-Württemberg, ein SPD-Landtagsabgeordneter, gesagt hat:

Wir entziehen uns nicht unserer klaren Verantwortung. Wir wissen, dass wir mit unserer Zustimmung zum Gesetz der Landesregierung auch in unseren eigenen Reihen nicht nur Freunde finden.Aber aus unserer selbst auferlegten Gesamtverantwortung für das Schulwesen in Baden-Württemberg haben wir uns so und nicht anders entschieden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, es ist richtig, diese Entscheidung im Konsens zu treffen.Worum geht es? Es geht doch nicht darum,dass wir uns darum beworben hätten,ein Gesetz machen zu müssen. Wir haben doch nicht beim

Bundesverfassungsgericht darum gebettelt und haben gesagt, wir müssen unbedingt so etwas machen. Im Gegenteil, es war doch so, dass eine durchaus qualifizierte Minderheit des Bundesverfassungsgerichts und sechs Instanzen der Gerichtsbarkeit in Deutschland,Baden-Württemberg vorneweg, der Meinung gewesen sind, dass es keines gesonderten Gesetzes bedürfe, um festzulegen, welche allgemeinen Grundsätze des Beamtentums sich aus Art. 33 Abs. 5 ergeben. Meine Damen und Herren, wir denken, dass die hergebrachten Grundsätze des Beamtentums, die Neutralität und das Mäßigungsgebot, dazu führen würden, solche Symbolik zu verbieten, die politischen Druck ausübt. Dies hat in öffentlichen Behörden und insbesondere in Schulen nichts verloren.

Meine Damen und Herren, da uns das Bundesverfassungsgericht nun aber einen Auftrag gegeben hat, ist es richtig – die Landesregierung begrüßt es auch –, dass wir diesen Gesetzentwurf auf dem Tisch haben. Der Gesetzentwurf ermöglicht es zum einen, dass bei Lehrerinnen und Lehrern Symbole,die nicht den Grundsätzen der Verfassung entsprechen, untersagt werden können, weil sie Druck auf Schülerinnen und Schüler ausüben. Dies sollte auch auf andere Beamte übertragen werden, denn ich denke, wir können verlangen, dass Polizistinnen, Richterinnen und Staatsanwältinnen sichtbar dafür stehen, dass wir in unserem Staat Gewaltenteilung haben und dass sie vorrangig diese repräsentieren.

(Beifall bei der CDU)

Dazu gehört, dass die Religionsfreiheit, die unbezweifelbar für jeden Mann und jede Frau gilt, in Konkurrenz und in Abwägung zur weltanschaulichen Neutralitätspflicht steht. Die Symbole bringen diese Neutralitätspflicht in Gefahr. Die allerwichtigsten Güter unserer Republik müssen rechtlich miteinander abgewogen werden. Deswegen muss man auf Erkennungsmerkmale verzichten, die dies infrage stellen würden. Es gilt das Mäßigungsgebot dort, wo Bürgerinnen und Bürger, wo Kinder solchen Symbolen nicht ausweichen können.

Deswegen hat meine Kollegin Annette Schavan im baden-württembergischen Landtag in der vergangenen Woche gesagt:

Deshalb halte ich es für zumutbar, eine Lehrerin aufzufordern, im Unterricht ihr Kopftuch abzulegen und damit jeden Zweifel daran auszuräumen, grundlegende Verfassungsrechte infrage stellen zu wollen. Das ist ein Beitrag zur Integration und gegen kulturelle Abgrenzung.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Redner von SPD und GRÜNEN haben es sich an mindestens einer Stelle erheblich zu leicht gemacht. Wenn Sie nur von der Religionsfreiheit und von religiösen Symbolen reden, dann übersehen Sie, dass bereits das Bundesverfassungsgericht Gründe dafür genannt hat, dass das Symbol des Kopftuchs nicht ein rein religiöses Symbol ist, sondern durchaus ein politisch aufgeladenes Symbol. Das ist der Kern der Auseinandersetzung,um den es geht.Es geht dabei nicht um die Religionsfreiheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, das Kopftuch könne als Symbol des islamistischen Fundamentalismus verstanden werden. Mit diesem Urteil „Fundamentalismus“ wird zugleich gesagt, dass damit eine Abgrenzung

von den nachfolgend genannten Werten vollzogen wird, nämlich eine Abgrenzung von der durch die Verfassung gegebenen Ordnung der westlichen Gesellschaften, eine Abgrenzung von der Möglichkeit der individuellen Selbstbestimmung, eine Abgrenzung von der Gleichberechtigung der Frau und eine Abgrenzung von der in unserem Staat vorgesehenen Gewaltenteilung. Das ist es, was wir unter Fundamentalismus verstehen. Darum geht es bei der Frage des Tragens des Kopftuchs. Es geht dabei nicht nur um das Tragen eines religiösen Symbols.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Es geht um die Frage der Religionsfreiheit in der Abwägung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung und den grundlegenden Prinzipien unseres Staates. Die Religion darf nicht dafür missbraucht werden, Unfreiheit an anderer Stelle durchzusetzen. Wir sind beauftragt, so etwas zu bekämpfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Selbst der stellvertretende Generalsekretär von Milli Görüs – das ist jemand, den ich nicht unbedingt täglich zitiere – sagt, man könne, aber man müsse das Kopftuch nicht als religiöses Symbol betrachten. Herr Prof. Battis schreibt ein Gutachten für die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er schreibt das aber zum gesamten öffentlichen Dienst!)

Er sagt eindeutig, das Kopftuch sei nicht allein nur ein religiöses Kleidungsstück.In dieser Frage sind sich alle,auch die von Herrn Dr. Jung vorhin zitierte Integrationsbeauftragte des Rheingau-Taunus-Kreises, einig. Dieses Symbol kann zwiespältig interpretiert werden. Dem muss man dann doch in der Diskussion und auch in der Gesetzgebung entsprechend Rechnung tragen.

Ich möchte an die Diskussion erinnern, die es im vergangenen Jahr gegeben hat,als die Iranerin Schirin Ebadi den Friedensnobelpreis bekam. Damals ging es um die Interpretation dessen, was sie dazu sagte, welche Bedeutung das Kopftuch und die Religion innerhalb der Theokratie des Iran hätten. Wir befinden uns in diesem Themenumfeld.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wissen Sie, was Schirin Ebadi zum Kopftuchverbot gesagt hat?)

Es geht dabei auch immer wieder um die Frage der Gleichbehandlung. Dabei wird immer wieder die Argumentation aufgebaut, dass man das Kopftuch nur als rein religiöses Symbol ansehen dürfe. Ich will dazu aber auch eines sehr deutlich machen: Wir dürfen über das Vehikel der Gleichbehandlung keinem Laizismus aufsitzen, den wir in Deutschland im Unterschied zu Frankreich nicht haben. Herr Kollege Hahn hat schon darauf hingewiesen. Deutschland ist kein laizistischer Staat.

Die Fraktion, die diesen Gesetzentwurf vorgeschlagen hat, wird damit auch kein Gesetz schaffen, das das Religiöse unter Quarantäne stellt. Eine Gesellschaft braucht das Religiöse.Allerdings ist der Staat nicht Werkzeug der Religion und die Religion nicht Werkzeug des Staates. Da muss man in unserer Gesellschaft trennen. Der Staat ist mit Sicherheit nicht Richter über die richtige Religion. Allerdings muss er hinschauen, wenn über das Vehikel der Religion politische Absichten vertreten werden und in die Gesellschaft hineingetragen werden sollen.

Ganz ausdrücklich sage ich, dass der Staat kein Recht hat, die Menschen zur Ausübung einer oder mehrerer Religionen zu erziehen.Deswegen wird bei uns deutlich zwischen Staat und Religion unterschieden. Deswegen gibt es auch die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht abzumelden. Ich denke aber schon, dass der Staat in einer Gesellschaft mit christlich-humanistischer Tradition,Vergangenheit und Gegenwart die Pflicht hat, seinen jungen Menschen Auskunft über die die Gesellschaft prägenden Elemente zu geben. Das betrifft den Staatsaufbau, die Gesellschaftsordnung, aber auch die Kultur und die Architektur und reicht über die Musik und die Literatur bis hin zur bildenden Kunst. Ein Staat muss über diese Dinge Auskunft geben.Denn er führt damit die jungen Menschen in ihre eigene Gesellschaft ein.

Das Bundesverfassungsgericht hat sehr wohl den Bezug auf die christlich-humanistische Tradition zugelassen. Die entsprechende Stelle des Urteils wurde bereits zitiert. Ich will es trotzdem noch einmal sagen. Es dürfen „Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke Verwurzelung berücksichtigt werden“. Das zu berücksichtigen hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zugelassen. Das ist in den Gesetzentwurf nahezu wörtlich aufgenommen worden. Das entspricht auch dem § 2 Abs. 2 Hessisches Schulgesetz und damit der hessischen Tradition der Bildung. Darüber hat im Landtag von Baden-Württemberg bei drei der vier Fraktionen auch kein Dissens bestanden. Die Einzigen, die dem nicht zugestimmt haben, sind die GRÜNEN.

Ich denke allerdings schon, dass in der Diskussion um die Frage der Gleichberechtigung aller auch berücksichtigt werden muss,dass in dem konkreten Fall,den es in BadenWürttemberg gegeben hat, der Islamrat und der Zentralrat der Muslime in Deutschland sämtliche Prozesskosten übernommen haben. Das geschah doch nicht nur, um einer einzelnen Frau zu helfen.Darum geht es letztlich auch nicht. Aber dass in unserem weltanschaulich neutralen Staat religiöse Minderheiten die Grundrechte unseres Grundgesetzes gegen unseren Staat ausspielen, dagegen müssen wir uns doch zur Wehr setzen dürfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte an dieser Stelle aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitieren, die vor wenigen Tagen erschienen ist. Der Autor, Thomas Schmid, entstammt durchaus einem anderen Lager als dem konservativen. Er bezog sich zuvor auf das angelsächsische Selbstbewusstsein. Dann schreibt er:

Zu diesem angelsächsischen Selbstbewusstsein gehört freilich auch ein positives Verhältnis zu den eigenen Wurzeln, die zu einem beträchtlichen Teil die des Christentums und seiner Idee von der Unüberschreitbarkeit des Individuums sind.

Ich denke, er hat Recht. Die Frage der Gleichbehandlung ist also anders zu stellen, als es vielfach in der Diskussion getan wurde.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein!)

Das Kopftuch im Islam ist ein Symbol, und zwar auch ein Symbol der Unterdrückung. Es ist ein Objekt des Kampfes.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Es ist innerhalb des Islams ein umkämpftes Objekt hinsichtlich der Frage der richtigen Auslegung der Religion. Dieser Kampf findet nicht in Deutschland statt. Er findet zwischen unterschiedlichen Staaten statt. Er findet innerhalb der muslimischen Gesellschaft statt. Es handelt sich dabei um eine erbitterte Auseinandersetzung um die richtige Auslegung des Islams und seiner Lehre.

(Beifall des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP) – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt! Das ist richtig!)

Die Türkei und Algerien sind dabei z. B. säkulare Staaten. Daneben gibt es theokratische Staaten. In und zwischen all diesen Staaten und auch in der islamischen Glaubensgemeinschaft gibt es einen harten Kampf um die richtige Auslegung. Dies wird zum Teil auch von der Politik und staatsrechtlichen Fragen überlagert.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt auch!)

Es kann aber keiner unserem Land und unserem Staat zumuten, dass wir diese Auseinandersetzung, die auf dem großen weltweiten Feld geführt wird, in unsere Schulen und unsere staatlichen Einrichtungen hereinholen.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Deswegen ist es meiner Überzeugung nach ein Dienst am Islam, wenn wir zwischen dem Islam und dem Islamismus trennen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach du liebe Zeit!)

Wir wollen deutlich machen, wo wir Toleranz und bürgerliche Gleichberechtigung, wo wir aber auch harten Kampf und Auseinandersetzung gegen eine islamistische Richtung haben müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen ist es auch richtig, dass wir uns über die Schutzbefohlenen Gedanken machen. Das nämlich sind die Schülerinnen und Schüler, die den Lehrerinnen mit Kopftuch dann entsprechend ausgesetzt sind. Die Rechtssuchenden in unserem Staat, die vor Gericht ziehen, erwarten, dass nach den Prinzipien der Gewaltenteilung und des hier entstandenen Rechts beurteilt und gegebenenfalls verurteilt wird. Wir sind es den Menschen schuldig, als Staat entsprechende Grenzen zu setzen.

Wie viele Muslime haben wir in Deutschland, die vor dem Rechtssystem des theokratischen und autokratischen islamischen Staates geflohen sind und bei uns ein anderes Recht und Rechtsicherheit erwarten? Auch das muss dazu gesagt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der FDP und der Abg.Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich habe schon mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die GRÜNEN, die, so dachte ich, die Gleichberechtigung der Frau immer auf ihr Panier geschrieben hatten, bei dieser Frage einem völlig anderen Werturteil den Vorzug geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Dorothea Henzler und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Ich bedauere schon, dass das, was beim Parteitag der GRÜNEN als intensive Auseinandersetzung um die