Protocol of the Session on February 18, 2004

(Beifall bei der FDP und der CDU – Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Hahn, grundsätzlich keine Zwischenfragen?

(Gerhard Bökel (SPD): Das ist aber schade!)

Der Vorsitzende der Hessischen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, Herr Kollege Harald Müller, ist in der „Frankfurter Neuen Presse“ mit den Worten zitiert: „Am Kopftuchverbot scheiden sich die Geister nicht zwischen, sondern quer durch die Parteien.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gilt auch für die FDP-Fraktion im Hessischen Landtag.Ich sage das deutlich und bin stolz darauf, dass das so ist. Es gibt Kollegen, die von der Argumentation her sagen: Es gibt eigentlich keinen oder eins, zwei Fälle. Muss man dafür die Gesetzesmaschinerie anwerfen? Ist es wirklich notwendig, das zu tun?

Ja, so kann ein Liberaler argumentieren. So kann ein Liberaler denken. Es gibt andere, die sagen:Worüber reden wir überhaupt? – Dem möchte ich mich etwas intensiver widmen. Worum geht es überhaupt in der Diskussion? Geht es um das Verhältnis Staat und Kirche? Geht es um Streit zwischen den Religionen? Geht es um die Frage Beibehaltung der Bezüge, der Werte, die das christlich-jüdische Abendland in den letzten Jahrhunderten ausgemacht hat? Worüber diskutieren wir eigentlich? – Das Kopftuch ist doch nur ein Symbol für eine Diskussion, die wir in dieser Gesellschaft seit einiger Zeit haben. Die Politik muss letztlich eine Antwort geben, wohin die Reise geht.

(Beifall bei der FDP)

Da hat z. B. Rupert von Plottnitz Recht, wenn er sagt:Wir müssen uns auf die Werte besinnen, die in dieser Gesellschaft entstanden sind, und zwar über Jahrhunderte entstanden sind. – Das sind nun einmal die Werte des christlich-jüdischen Abendlandes. Woraus ist denn die Demo

kratie hervorgegangen? Woraus ist denn der Rechtsstaat hervorgegangen?

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wo sind denn die Bezüge – ich sage es ganz deutlich – zur Gleichberechtigung der Geschlechter hergekommen? – Sie sind aus dieser Kultur heraus gekommen. Deshalb möchte ich persönlich diese Kultur erhalten wissen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier geht es um die Frage, worauf wir uns besinnen, und um die Frage, was wir in Zukunft möchten. Ich für meine Person möchte, und wir – ich spreche für die Mehrheit der Fraktion und nicht für alle – wollen das, was in den letzten Jahrhunderten aufgrund der Strukturen, auch der religiösen Strukturen in diesem Abendland – wie es so schön oder nicht schön heißt – erreicht worden ist, erhalten und gepflegt wissen.

Wir möchten auf der anderen Seite natürlich eine offene Gesellschaft haben, in der auch die anderen Kulturen und die anderen Religionen begrüßt werden. Aber die Frage der Werte – das hat eben schon ein Kollege gesagt – ist eine andere, als wenn man laizistisch oder – andersherum formuliert – relativ wertneutral organisiert. Ich bekenne mich dazu, dass ich die Werte dieses christlich-jüdisch geprägten Abendlandes nicht nur gut finde, sondern auch in die Zukunft prolongieren möchte.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Jetzt kann man sagen – ich habe Verständnis, wir haben in der Fraktion lange darüber diskutiert –: Ist das nicht ein bisschen überhöht? Ist das nicht ein bisschen zu viel, was ich eben im Zusammenhang mit zwei, drei, fünf – keine Ahnung –, wegen mir 100 Fällen von Kopftuch tragenden Lehrerinnen im Wartestand aufgebaut haben? – Ich antworte: Ja, das ist viel. Aber ich glaube, und das glaubt die Mehrheit in meiner Fraktion, wir sollen uns dieser Frage stellen, weil sie zukunftsweisend für diese Gesellschaft ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in unserer Gesellschaft ist die Säkularisierung durchgeführt worden. Es gibt keinen hier im Raum, der das in irgendeiner Art und Weise negativ findet. Ich unterstelle das einmal.Aber auf der anderen Seite ist Deutschland nie ein laizistischer Staat gewesen. Darin unterscheiden wir uns von Frankreich.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr richtig!)

Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen. Das ist geschichtlich etwas, auch wenn es aus demselben christlichjüdisch tradierten Abendland herauskommt. Wir haben eine andere Entwicklung in dieser Gesellschaft. Unsere Vorfahren haben sie genommen. Jedenfalls möchte ich an dieser Entwicklung weiter anknüpfen.

Ich meine,dass das Tragen eines Kopftuchs durch eine Referendarin oder der Wunsch, es zu tragen, ein demonstrativer Akt ist. Das hat nicht so sehr etwas damit zu tun, ob man tatsächlich seine Glaubensfreiheit auslebt.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Al-Wazir hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir vier verschiedene Werte des Grundgesetzes miteinander abzuwägen haben. Wir Juristen nennen das dann praktische Konkordanz. – Ich glaube, das schaffen wir alle nicht; denn diese vier Werte stehen sich diametral gegenüber: erstens die Glaubensfreiheit der Lehrerinnen – wir

reden über Kopftuchträgerinnen –, zweitens das Erziehungsrecht der Eltern, drittens die Glaubensfreiheit der Schüler und viertens das Neutralitätsgebot des Staates.

Herr Kollege Al-Wazir, in einem Punkt widerspreche ich Ihnen. Es gibt nicht nur zwei Lösungen. Es kann auch einen dritten Weg geben. Meine Parteifreundin, die Justizministerin aus Baden-Württemberg, Frau Corinna Werwigk-Hertneck,hat dies nicht nur in guten Reden vor dem baden-württembergischen Landtag, sondern auch in einer Vielzahl von Veröffentlichungen dargelegt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Leider sieht man es im Gesetz nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb sage ich zu dem Gesetzentwurf der CDU: Darüber müssen wir uns in der Anhörung noch lange auseinander setzen.

(Beifall bei der FDP)

Wir können keinen Schnellschuss machen, weil wir nicht wissen, ob das, was für Baden-Württemberg gilt, auf Hessen übertragbar ist. Wir haben nun einmal eine andere Verfassung. Darüber muss ich uns alle nicht belehren, denn wir sind gerade in dem Prozess der Umorganisation unserer Verfassung. Wir haben eine vorkonstitutionelle Verfassung. In ihr sind die Werte nicht so festgeschrieben, wie sie z. B. in der baden-württembergischen Verfassung festgeschrieben sind.

(Beifall der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Ich lese Ihnen Art. 12 der baden-württembergischen Verfassung vor:

Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe,... zu erziehen.

Eine derartige Formulierung ist in der Hessischen Verfassung nicht vorhanden.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Der Gesetzentwurf der Union in Hessen gleicht in wesentlichen Teilen dem Gesetz in Baden-Württemberg. Liebe Kollegin Faeser, diese juristische Scheindiskussion, die Sie eben geführt haben, stimmt so nicht. Die Kernfrage ist: Ist die Hessische Verfassung in diesem Punkt genauso – ich sage jetzt ganz bewusst in Gänsefüßchen – „gottzentriert“, wie es die baden-württembergische Verfassung ist? Darüber müssen wir reden. Dazu müssen wir uns juristischen Sachverstand einkaufen. Ich weiß heute noch nicht, ob das so ist.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich, weil die Zeit verrinnt – obwohl die Frage sehr wichtig ist –, für die FDP-Fraktion Folgendes nur noch zusammenfassend sagen.Wir begrüßen, dass die Diskussion den Hessischen Landtag nun auch in Form einer Gesetzesvorlage erreicht hat. Wir bedauern, dass die Gesetzesvorlage nicht, wie es üblich ist, vom Kabinett eingebracht worden ist.Wir wissen, warum.Wir gehen davon aus, dass die Debatte in aller Ruhe, ohne Hektik und ohne Zeitdruck in den zuständigen Ausschüssen des Landtags geführt wird.

(Beifall bei der FDP)

Wir fordern die Mehrheitsfraktion auf und bitten sie, dass das, was in der Pressekonferenz gesagt worden ist, nicht

Wahrheit wird. Wir bitten darum, dass eine umfassende Anhörung zu diesem Thema stattfindet.

(Beifall bei der FDP)

Dies sollte eine juristische Anhörung sein,eine Anhörung, in der wir uns über Fallzahlen unterhalten und über die Frage der Plausibilität, die auch das Bundesverfassungsgericht gestellt hat. Ich will zwar keine Meinungsumfragen für den Ausschuss haben, aber es muss ein bisschen mehr „Butter bei die Fische“.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Union, die Kopftuchträgerinnen stehen vor den Klassenzimmern nicht Schlange. Daher haben wir Zeit für diese Diskussion. Diese Zeit sollten wir uns auch nehmen.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen:Ich empfehle Ihnen allen, am Ende der Diskussion, wie sie auch immer enden wird, jedem Abgeordneten dieses Hauses die Entscheidung freizustellen. Wir Liberale haben uns dies gegenseitig versprochen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Wolff.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe es schon mit einem gewissen Erstaunen, mit welcher Selbstgerechtigkeit von der rotgrünen Seite bereits verfassungsrechtliche Erwägungen vorgenommen werden und ein möglicherweise künftiges Bundesverfassungsgerichtsurteil vorweggenommen wird. Ich sehe es mit großem Erstaunen, mit welcher Arroganz SPD und GRÜNE an dem vorbeigehen, was die meisten in unserem Land denken und wovon sie zutiefst überzeugt sind.

(Beifall bei der CDU)

Ich frage mich, warum hier schon wieder das „Hessensyndrom“ greift. Allein aufgrund der Tatsache, dass ein Gesetzentwurf von der Mehrheitsfraktion eingereicht wird, funktionieren sofort die Reflexe, und Rot und Grün glauben, anders als in vielen anderen Ländern, mit Aggressivität und Arroganz darüber richten zu müssen.

(Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt einmal langsam!)

Meine Damen und Herren, ich will zitieren, was der Abg. Wintruff in Baden-Württemberg, ein SPD-Landtagsabgeordneter, gesagt hat: