Aber wir können die Rahmenbedingungen ändern, unter denen sich das Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten Menschen gestaltet. Wir können Barrieren schrittweise beiseite räumen, die ein gleichberechtigtes Miteinander verhindern oder zumindest erschweren. Wir können behinderte Menschen dabei unterstützen, sich mit den Mitteln des Rechts gegen alltägliche Benachteiligungen zur Wehr zu setzen. Mehr kann von einem Gesetzgeber nicht verlangt werden. Ich denke aber, weniger sollten wir auch nicht mehr zulassen.
Diese Grundauffassung, die wir immer vertreten haben, hat sich nach und nach weitgehend durchgesetzt. Sie führte zur Verabschiedung des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes im Februar 2002. Inzwischen haben auch einige Bundesländer für ihre Rechtsordnungen Gleichstellungsgesetze verabschiedet, so RheinlandPfalz, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Bayern. Ber
lin und Sachsen-Anhalt hatten bereits vor In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes eigene Gleichstellungsgesetze.
Mit unserem heute eingebrachten Gesetzentwurf nehmen wir die Vorstöße aus früheren Zeiten wieder auf. Der Landtag kann dafür sorgen, dass auch das hessische Landesrecht stärker als bisher eine der vornehmsten Aufgaben erfüllt, die überhaupt das Recht im demokratischen Rechtsstaat erfüllen kann,nämlich sich auf die Seite derer zu stellen, die benachteiligt sind. Ausgleichend zu wirken im Hinblick auf Lebenschancen und Startbedingungen, diejenigen zu stärken, die der Unterstützung bedürfen, dies alles können wir tun.Nach unserer Überzeugung sollten wir es tun.
In der Sache lehnt sich unser Entwurf sehr eng an das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes und das Landesgesetz von Rheinland-Pfalz an.Wir übernehmen Definitionen z. B. von Behinderung, Benachteiligung, Barrierefreiheit usw., die sich inzwischen weitgehend durchgesetzt haben und – so vermute ich – unter uns weitgehend unstreitig sein werden.
Die von uns vorgesehenen Regelungen über barrierefreies Bauen durch Land und Kommunen, über ein Verbandsklagerecht auf Landesebene und über die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Belange entsprechen ebenfalles im Wesentlichen den Vorgaben im Bundesrecht und den Standards im Landesrecht. Insoweit ist unser Entwurf nichts Neues. Wir haben allerdings in verschiedene Vorschriften eine Formulierung aufgenommen, die stärker als in den bisherigen Vorschriften im Sinne des Gender Mainstreaming gestaltend wirken soll.
Große Bedeutung hat aus unserer Sicht die Verpflichtung öffentlicher Stellen, mit behinderten Menschen in einer für sie wahrnehmbaren Form zu kommunizieren. Wir haben hier ebenfalls die bestehenden Regelungen aus dem Bundesrecht weitgehend übernommen. Hörbehinderte und gehörlose Menschen sollen künftig mit Behörden des Landes und der Kommunen mithilfe der Gebärdensprache oder anderer technischer oder personeller Unterstützung kommunizieren können.
Sie wissen, dass sich meine Fraktion seit vielen Jahren bereits für die Gebärdensprache der Gehörlosen eingesetzt hat. Erstmals wurde im Gleichstellungsgesetz des Bundes die Gebärdensprache als eigenständige Sprache anerkannt. Inzwischen gibt es einige Regelungen, z. B. im Sozialgesetzbuch, die die Hinzuziehung eines Gebärdendolmetschers bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen verankern.Was wir hier vorschlagen, ist ein weiterer Baustein, die Sprache der Gehörlosen zu einer selbstverständlichen Kommunikationsform zu machen.
Ich darf daran erinnern: In den Vereinigten Staaten ist die dortige Gebärdensprache nach Englisch die am zweitmeisten verbreitete Sprache, noch vor dem Spanischen. Davon sind wir noch weit entfernt, aber wir sollten die Möglichkeit nutzen, hier Fortschritte zu erreichen.
Die Verpflichtung, die Internet- und Intranetauftritte der öffentlichen Stellen barrierefrei zu gestalten,wie sie ebenfalls im Bundesgesetz enthalten ist und wie wir sie auf Landesebene übernehmen wollen, hat bereits jetzt in weitem Umfange stilbildend für die Angebote privater Anbieter gewirkt.
Dies alles sind ganz praktische Umsetzungen von Teilhabe, die große Auswirkungen für die Betroffenen haben werden. Hier, wie bei allen anderen Punkten, müssen wir uns entscheiden, ob wir diese Teilhabe ermöglichen wollen oder ob das Landesrecht hierzu weiter schweigen soll.
Wir wollen aber auch die kommunale Ebene in diese Verpflichtungen einbeziehen. Es ist absehbar, dass die möglichen finanziellen Auswirkungen Gegenstand weiterer Diskussionen im Gesetzgebungsverfahren sein werden. Die CDU-Fraktion hat in einer Pressemitteilung bereits kritisiert, dass wir im Vorblatt des Gesetzentwurfs hierfür nur „nicht bezifferbare Kosten“ angegeben hätten.
Wir haben durchaus versucht,hier zu einer Bezifferung zu kommen. Selbst das zuständige Ministerium in Rheinland-Pfalz, wo seit 2002 entsprechende Regelungen gelten, konnte keine Auskünfte darüber geben, welche finanziellen Auswirkungen das real schon in der Umsetzung gehabt hat. Unsere Vorschläge sind aber so formuliert, dass sie möglichst preiswerte Vorschläge ohne Qualitätsverlust ermöglichen.
Eines sollten wir immer beachten: Das Mehr an Lebensqualität, das damit verbunden ist, hat für die hiervon betroffenen Menschen einen großen, schier unschätzbaren Wert. Den Preis, der dafür in Euro und Cent eingesetzt werden muss, können wir in der Tat nicht beziffern. Aber den Wert für die betroffenen Menschen kennen wir ganz genau.
In Art. 2 des Entwurfs schlagen wir verschiedene Vorschriften für mehr Barrierefreiheit hier in Hessen vor. Auch hier fangen wir nicht bei Null an. Die Hessische Bauordnung enthält schon seit rot-grünen Zeiten Vorschriften zum behindertengerechten Bauen. Das wollen wir weiterentwickeln und teilweise konkretisieren.
Im Hessischen Straßengesetz wurde bereits 2002 von der damaligen Mehrheit eine Regelung zur Barrierefreiheit übernommen, die derjenigen im Bundesfernstraßengesetz entspricht. Da brauchen wir also gegenwärtig nichts mehr zu regeln, da besteht im Augenblick kein weiterer Regelungsbedarf.
Von zentraler Bedeutung für die Mobilität behinderter Menschen ist ein barrierefreier öffentlicher Personennahverkehr. Für diejenigen, die behinderungsbedingt kein Auto fahren können, ist dies die einzige Möglichkeit, jeweils an der Mobilität über weitere Strecken überhaupt teilzunehmen. Nach dem Personenbeförderungsgesetz des Bundes müssen in den Nahverkehrsplänen Maßnahmen zur Barrierefreiheit aufgenommen werden. Dies ist eine Vorschrift, die durch das Gleichstellungsgesetz eingeführt wurde. Dies wollen wir im Landesrecht übernehmen und konkretisieren.
Wir wissen inzwischen durch die Antwort der Landesregierung auf unsere Kleine Anfrage über die Umsetzung in den Nahverkehrsplänen, dass noch erheblicher Nachholbedarf besteht. Wir sind sicher, dass die Konkretisierungen, die wir vornehmen, den Maßnahmeträgern helfen werden, sich entsprechend gesetzeskonform zu verhalten.
Schließlich wollen wir einen Stichtag festlegen, ab dem nur noch barrierefreie Fahrzeuge und Verkehrswegeinfrastruktur neu in Betrieb gestellt werden dürfen. Dabei sind wir hinsichtlich des konkreten Termins, wir haben den 01.07. nächsten Jahres genannt, durchaus gesprächsbereit. Es kann durchaus auch ein späterer Termin sein.Nach den bisherigen Erfahrungen halten wir aber grundsätzlich Stichtagsregelungen für die Umsetzung für erforderlich.
Für Busse im Personenverkehr gilt der Grundsatz der Barrierefreiheit nach entsprechender EU-Richtlinie demnächst ohnehin,sodass hier das Landesrecht nur das übernehmen würde, was im Europarecht ohnehin demnächst gilt.
Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, der meiner Fraktion besonders wichtig ist und über den wir auch im Laufe dieser Plenarsitzung noch weiter reden werden: Wir wollen die Integration behinderter Kinder nicht nur im Kindergarten, sondern auch in der Schule erleichtern und weiter voranbringen. Für uns steht es außer Frage, dass die gemeinsame Erziehung behinderter wie nicht behinderter Kinder für alle Beteiligten die beste Lösung ist. Wir wollen daher das Elternwahlrecht auch in diesem Bereich stärken und bitten hierfür um Unterstützung in allen Fraktionen. Unser Vorschlag für die Regelung einer Schulassistenz soll sicherstellen, dass die schulische Integration nicht an ungeklärten Zuständigkeiten der Kostenund Leistungsträgerschaft scheitert, wie es im Augenblick in der Praxis sehr häufig der Fall ist.
Ich kann nicht auf alle weiteren Einzelheiten unseres Entwurfs eingehen, das müssen wir der Diskussion im Ausschuss überlassen. Ich weiß, dass inzwischen unser Entwurf auch innerhalb der Landesverwaltung diskutiert wird. Es gibt zu einzelnen Punkten verschiedene Stellungnahmen, die sicherlich in der Qualität und in der Wahrnehmung dessen, was wir formuliert haben, noch etwas besser werden könnten. Ich denke, es ist eine gute Grundlage für die weitere Diskussion.
Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion hat uns, als wir den Gesetzentwurf vorgestellt haben, in einer Presseerklärung vorgeworfen,wir wollten uns mit diesem Entwurf nur politisch profilieren. Diesen Vorwurf finde ich, ehrlich gesagt, etwas putzig. Ich bin mir sicher, dass niemand der 110 Abgeordneten im Hessischen Landtag mit dem festen Vorsatz hierher gekommen ist, eine möglichst profillose Politik zu betreiben.
Das gilt zumal für uns und für die anderen Oppositionsfraktionen, die nicht, wie man gelegentlich bei der Mehrheitsfraktion feststellen kann, sich als parlamentarische Befehlsempfänger der Landesregierung verstehen. Wenn man eigenständige Politik machen will, muss man natürlich versuchen, das möglichst profilhaft zu machen. Außerdem haben die behinderten Menschen in diesem Lande auch eine profilierte Arbeit für ihre Gleichstellung verdient. Dem wollen wir uns stellen und bringen deshalb heute den Gesetzentwurf ein.
Frau Dörr, ich hoffe, dass Sie hier gleich in der Sache Stellung beziehen werden und zu den inhaltlichen Vorschlägen unseres Gesetzentwurfs etwas sagen werden und sich nicht auf Oppositionsschelte beschränken. Ich bitte Sie, ziehen Sie sich nicht zurück in den Schmollwinkel – zumal wir, wie ich weiß, in vielen Fragen übereinstimmen.
Lassen Sie uns deswegen konstruktiv daran arbeiten, wie wir die Gleichstellung behinderter Menschen weiter voranbringen können, welche gesetzlichen Regelungen hierfür notwendig sind und welche möglicherweise nicht. In der Sache können wir uns gern auseinander setzen. Wir sind jedenfalls zu einer konstruktiven Zusammenarbeit
bereit. Für uns geht Qualität eindeutig vor Geschwindigkeit. Unser Anliegen ist nicht eine besonders schnelle, sondern eine besonders gute inhaltliche Diskussion.
Lassen Sie uns gemeinsam ergebnisorientiert arbeiten. Im Ausschuss werden wir besprechen, wie wir in dem Verfahren weiter vorangehen, das dem wichtigen Anliegen der Gleichstellung gerecht wird. Wir sind dazu bereit, ich hoffe, die anderen Fraktionen auch. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Hessische Landtag wartet nach dem Bundesgleichstellungsgesetz nun auf das Landesausführungsgesetz durch die Landesregierung. Dies wird die Diskussionsgrundlage hier im Landtag sein. Sie muss es sein, denn die Landesregierung hat hier das Handlungsmonopol.
Nichtsdestotrotz bleibt zu erwähnen, dass die GRÜNEN hier im Haus die Zeit genutzt haben und einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht haben.
Diese Vorschläge sind aber unserer Meinung nach unfinanzierbar und nicht praktikabel. Herr Dr. Jürgens, das ist jetzt schon absehbar, und das wissen Sie auch. Sie haben heute wieder kaum etwas zum Thema Finanzen gesagt. Sie haben gesagt, die Gleichstellung habe für die Behinderten einen großen Wert.Aber auch Gleichstellung muss in Hessen weiterhin finanzierbar bleiben. Wir plädieren als Liberale für praktische, finanzierbare und einfach umsetzbare gesetzliche Regelungen.
Doch abgesehen davon geht dieser Gesetzentwurf in sehr vielen Punkten über das Bundesgleichstellungsgesetz hinaus. Ich denke, das haben Sie beabsichtigt. Aber unserer Meinung nach brauchen wir ein Landesausführungsgesetz, das das Bundesgesetz tatsächlich ausführt – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich sage den Kollegen von den GRÜNEN ganz klar:Ihr Gesetzentwurf ist dazu nicht geeignet.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen, in denen die GRÜNEN aus liberaler Sicht ganz besonders über das Ziel hinausschießen. Zunächst das Verbandsklagerecht: Dieser Paragraph räumt den Behindertenverbänden ein Klagerecht ein, auch wenn diese nicht in ihrem Recht verletzt sind. Es genügt, wenn eine Maßnahme „den Verband in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt“, und das dürfte meines Erachtens so ziemlich alles sein, was wir uns überhaupt vorstellen können. Die Erfahrung hat doch gezeigt, dass ein Verbandsklagerecht dazu missbraucht werden kann, alle möglichen Vorhaben auf Eis zu legen, und das kann ganz sicher nicht das Interesse behinderter Menschen sein.Von daher halten wir es für gerechtfertigt, dass eine Klage nur von einem Behinderten erhoben werden kann und soll, der ganz konkret in seinen Rechten verletzt ist.
Herr Dr. Jürgens, als weiteren Punkt sprechen Sie den Landesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen an. Zunächst einmal will ich der Landesregierung hier ein großes Lob aussprechen. Sie hat nämlich einen Landesbeauftragten für behinderte Menschen eingeführt, und zwar für alle behinderten Menschen in unserem Land.
Ich sage ganz ehrlich, die Arbeit von Friedel Rinn sollte positiv beurteilt werden. Es ist Aufgabe aller Fraktionen in diesem Haus, Friedel Rinn in seiner Arbeit zu unterstützen.
Deshalb geht Ihre Intention,einen Landesbehindertenbeauftragten einzuführen, über das Ziel hinaus; denn so einen gibt es schon.