Protocol of the Session on January 27, 2004

(Beifall bei der FDP)

Heute und morgen werden an vielen Schulen in Hessen Briefe der Schulleitungen an alle Eltern geschrieben und abgeschickt, um ihnen klarzumachen, welche Änderungen in Stundenplan und Lehrpersonen ihre Kinder ab dem 1. Februar 2004 zu erwarten haben.

Das zweite Halbjahr beginnt nämlich erst am 2. Februar. Erst dann greifen die neuen Arbeitszeitmodelle richtig, erst dann laufen viele BAT-Verträge aus, erst dann beginnen die Kürzungen in den Vertretungsverträgen zu wirken.

Frau Ministerin, heute mag Ihr Kurs noch sicher erscheinen,ab kommendem Montag laufen Sie mit Sicherheit ein Sturmtief an.

(Rudi Haselbach (CDU): Ei, ei, ei!)

Die Tatsache, dass Sie sich entschieden haben, zu diesem Zeitpunkt am heutigen Tag eine Regierungserklärung abzugeben, ohne die notwendige Zeitspanne abgewartet zu haben, die erforderlich wäre, um die Auswirkungen auf die Schulen wirklich ehrlich analysieren zu können, kann nur nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ interpretiert werden.

(Beifall bei der FDP)

Das zeigt wirklich Ihre Ignoranz gegenüber den Problemen der Schulen.

Beim zweiten Teil des Titels dieser Regierungserklärung – „auf dem Weg zu neuer Qualität“ – drängt sich der Eindruck auf, dass Sie beginnen, eine Unterscheidung zwischen neuer Qualität bei der jetzigen CDU-Regierung und alter Qualität bei der CDU/FDP-Regierung vorzunehmen – obwohl Sie vorhin noch die alte Qualität sehr, sehr hoch gelobt haben.

Allerdings kann in unseren Augen bei dem, was von dieser Landesregierung im vergangenen Jahr schulpolitisch abgeliefert wurde, von Qualität keine große Rede mehr sein. Eine Gesetzesankündigung folgte der anderen. Heute wurde wieder das neue Schulgesetz angekündigt. Selbst der Ministerpräsident stimmt in dieses Lied ein:„In einigen Wochen werden wir das vorlegen“, ein Jahr lang aber ist gar nichts passiert.Ich erinnere einmal an das Jahr 1999, damals hatten wir bereits im September die erste Lesung des Schulgesetzes.

(Beifall bei der FDP)

Der gemeinsam begonnene Qualitätskurs steckt fest. Die innovativen Ideen der FDP fehlen. Also mögen Sie sich zwar auf dem Weg zu neuer Qualität befinden, aber dieser Weg führt schnell und direkt vor das Jahr 1999 zurück.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie uns jetzt einmal ganz konkret über die Situation an den Schulen nach dem 2. Februar sprechen. Quer durch Hessen haben wir in verschiedenen Schulen nachgefragt, in welcher Weise die Mehrarbeit dort umgesetzt wird und welche Folgen das für die jeweilige Schule hat. Wir haben das sehr sachlich und in aller Ruhe getan und ausgewertet.Dabei haben wir weder Hysterie noch Chaos oder Sonstiges verbreitet.

An jedem größeren Gymnasium finden ab dem Schulhalbjahr unvermeidbar Fachlehrerwechsel statt, sei es

durch den Einsatz von Referendaren, durch Mutterschutz oder durch Pensionierungen. Ab nächsten Montag kommt aber zusätzlich zu diesem regulären Wechsel der Fachlehrerwechsel hinzu, der durch die Umorganisation, bedingt durch die Mehrarbeit, nötig geworden ist.

Ich will Ihnen ein Beispiel eines von uns befragten Gymnasiums vorstellen. In Jahrgangsstufe 5 gibt es fünf zusätzliche Fachlehrerwechsel – regulär wären es drei gewesen, jetzt sind es insgesamt acht. In Jahrgangsstufe 6 gibt es dort fünf zusätzliche Fachlehrerwechsel – regulär wäre es nur einer gewesen, jetzt sind es insgesamt sechs. In der Jahrgangsstufe 8 gibt es acht zusätzliche Fachlehrerwechsel – regulär wären es nur vier gewesen, also sind es jetzt zwölf.

Allein durch diese Mehrarbeitsregelung kommt es dort insgesamt zu 29 zusätzlichen Fachlehrerwechseln, von denen besonders die Klassen 5 und 6 betroffen sind – also gerade die Kinder, die soeben einen kompletten Schulund Lehrerwechsel hinter sich haben.Die werden jetzt zusätzlich noch von einem erneuten Fachlehrerwechsel im Schulhalbjahr betroffen. Wie wir wissen, hat aber gerade die Kontinuität des Lehrpersonals entscheidend mit der Qualität des Unterrichts zu tun.

An einer von uns befragten kooperativen Gesamtschule ist es noch kritischer. Hier mussten nämlich dreieinhalb Stellen komplett abgeordnet werden. Das führt zu einer massiven Kürzung im Musikunterricht und zu einem Fachlehrerwechsel in jeder Klasse dieser Schule. Das heißt, hier werden 45 Lehrerwechsel – von insgesamt 60 – allein wegen der Mehrarbeitsregelung nötig.

Bei den Grundschulen ist die Situation je nach Größe sehr unterschiedlich. Aber auch hier gibt es deutliche Verschlechterungen. Anstelle eines vollen BAT-Vertrages werden an einer Schule zwei Lehrerinnen stundenweise von benachbarten Schulen abgeordnet, um ihre Mehrarbeit zu leisten. Allerdings sind sie aufgrund der geringen Stundenzahl der Abordnungen und geringer Präsenzzeiten an der Schule, zu der sie abgeordnet wurden, nicht nur schwierig im Stundenplan unterzubringen, sondern sie können weder in Deutsch noch in Mathematik eingesetzt werden, weil sie nicht kontinuierlich fünf Stunden pro Woche dort sind. Dort muss dann fachfremd unterrichtet werden, und es wird ernsthaft – wie an vielen Grundschulen – über Schichtunterricht nachgedacht: Ein Teil fängt früh an, ein Teil geht dann weiter bis in den Nachmittag.

Eine andere Schule verliert eine Lehrkraft durch Pensionierung, und ein BAT-Vertrag wird nicht verlängert. Sie haben Recht,es werden nicht sehr viele gekündigt,oder es wird zum 31. Januar gar keiner gekündigt – denn zu diesem Datum laufen sowieso sehr viele aus.

(Beifall bei der FDP)

Für diese beiden Vollzeitstellen kommt eine Vertretung für 14 Stunden, die nur fachfremd eingesetzt werden kann.

An vielen Grundschulen in Hessen gibt es bereits doppelte Klassenführung. Ich sage Ihnen nur ganz kurz einige Reaktionen von Schulleitern: „Umsetzen mit Zähneknirschen“, „unsichere Zukunft der BAT-Kollegen“, „Förderunterricht muss ausfallen, da alle Lehrer im Pflichtunterricht sind“, „obwohl rechnerisch Abdeckung vorhanden ist, müssen Pflichtstunden ausfallen, da es nicht ausreichend Lehrpersonal gibt“, „dichte Stundenpläne, Fließbandarbeit der Lehrer“ – „was uns jetzt abverlangt wird, sind akrobatische Verrenkungen.“

Soweit nur einige Zitate.

(Beifall bei der FDP)

Damit will ich das Aufzählen von Beispielen beenden.Als Ergebnis will ich nur festhalten, dass gegenwärtig die Tendenz bei den Schulen heißt: Es geht allen Schulen nicht richtig gut; es herrscht bei allen Schulen ein mittleres Wohlfühlgefühl.

Ein Schulleiter hat das so beschrieben: „Stellen Sie einen Mann mit einem Bein in einen Eimer mit kochendem Wasser und mit dem anderen Bein in einen Eimer mit eiskaltem Wasser – dann fühlt er sich im Mittel wohl.“ So geht es den Schulen in Hessen momentan.

(Beifall bei der FDP – Dr. Franz Josef Jung (Rhein- gau) (CDU): Die Leute in Hessen sind zufrieden, das ist gut!)

Jetzt frage ich Sie: Ist das die neue Qualität an Hessens Schulen? Lehrertourismus innerhalb der Schulbezirke – Abordnungen ziehen immer Wegezeiten nach sich und sind an den Schulen,an die sie erfolgen,immer nur schwer einzuarbeiten. Fachlehrerwechsel in jeder Schule zum Halbjahreswechsel – gerade in solchen Klassen, wo ein Fachlehrerwechsel bereits zum Schuljahresbeginn stattgefunden hat, das ist pädagogisch nicht sehr günstig. Zunehmend fachfremder Unterricht – gerade auch in den Grundschulen. Hätten Sie unserem Ausbildungskonzept für Grundschullehrer vor zwei Jahren schneller zur Realität verholfen, dann hätten wir diese Lehrer weiter ausgebildet.

(Beifall bei der FDP)

Viele BAT-Verträge laufen aus, und dafür kommen keine neuen Mittel.Viele Schulämter haben BAT-Verträge verlängert, um einigermaßen den Ausgleich zum 1. Februar zu schaffen. Aber sie sagen sehr deutlich: Wenn jetzt Krankheiten dazukommen, haben wir keine Mittel mehr, und das können wir dann nicht mehr ausgleichen.

Statt jetzt mit einer Regierungserklärung die Situation an den Schulen schönzureden, wäre es besser gewesen, von Anfang an eine offene und ehrliche Diskussion unter Beteiligung aller Betroffenen über die Notwendigkeit des Sparpakets zu führen.

(Beifall bei der FDP)

Viele Lehrer haben sehr viel Verständnis für diese Maßnahmen. Sie akzeptieren auch die Stunde Mehrarbeit – wenn sie diese denn hauptsächlich zur Qualitätsverbesserung an ihrer Schule verwenden könnten. Der Vorschlag der FDP-Fraktion, wenigstens bis zum Sommer, zum Schuljahresende, den Großteil der Mehrarbeit als Deputate an die Schulen zu geben, hätte die Qualität verbessert und dieses Durcheinander mitten im Schuljahr verhindert.

(Beifall bei der FDP)

Trotz allem muss man den Staatlichen Schulämtern und allen Schulen ein wirklich großes Lob aussprechen, weil sie es in der Kürze der Zeit geschafft haben, schwierige Einsparvorgaben umzusetzen. Dass wenigstens die technische Umsetzung der Einsparvorgaben einigermaßen funktioniert hat, ist allein das Verdienst der Mitarbeiter in den Schulämtern und Schulen.

Meine Damen und Herren,die „neue Qualitätssicherung“ an Hessens Schulen bedeutet eine konzeptionslos arbeitende Landesregierung, die viel verkündet, aber noch nichts eingehalten hat.

(Beifall bei der FDP)

Eine Landesregierung, die ohne ausreichende Transparenz für das Parlament – denn alle Gesetze sind angeblich schon fertig, zum Teil sind sie auch wirklich fertig, nur das Parlament weiß von gar nichts – und für alle von der Schulpolitik unmittelbar Betroffenen hinter verschlossenen Türen berät und vollendete Tatsachen schafft.

(Beifall bei der FDP)

Auf diese Weise wird das Vertrauen in die Verlässlichkeit der hessischen Schulpolitik, das in der Regierungszeit von CDU und FDP mühsam wieder aufgebaut worden war, zerstört und erneut Unruhe in die Schulen gebracht,

(Volker Hoff (CDU):Ah!)

die zurzeit ohnehin an der Belastungsgrenze arbeiten müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Frank Lortz (CDU): Na, na, na!)

Frau Ministerin,der Kurs für das zweite Halbjahr ist überhaupt nicht sicher. Die Fahrt beginnt nämlich erst am Montag.Die so genannte neue Qualität ist in Wahrheit ein Verlust an Unterricht, an Motivation, an Fördermaßnahmen und an Innovation an den Schulen. Nach einem Jahr merkt man bereits überdeutlich, wie sehr die konzeptionelle, ideenreiche Arbeit der FDP in dieser Bildungspolitik in Hessen fehlt.

(Beifall bei der FDP – Lachen bei der CDU)

Das Wort hat Frau Abg. Hinz für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Volker Hoff (CDU): Die Krönung! Sahnehäubchen!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Not ist schon sehr groß, wenn man als Kultusministerin eine Regierungserklärung unter solch einer Überschrift abgeben muss, wo doch die Glaubwürdigkeit der Hessen-CDU in der Bildungspolitik völlig verloren ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU – Dr.Franz Josef Jung (Rhein- gau) (CDU): Erzählen Sie doch so was nicht!)