Protocol of the Session on December 18, 2003

Vielmehr haben wir die härtesten Grenzen. Wir begründen gut, warum wir diese im nächsten Jahr leicht überschreiten. Wenn es im Vollzug gelingt, den Haushalt wieder in die Grenzen der Verfassungsvorgaben zu bringen, dann ist es umso besser. Dann brauchen wir uns am Jahresende nicht zu streiten. Glauben Sie nicht, dass eine Regierungsfraktion nicht lieber die Ansätze so schönreden würde, dass wir am Anfang sagen können, wir seien innerhalb der Grenzen? Wir würden uns doch einen Bärendienst erweisen,wenn wir das nicht machen würden,wenn wir es könnten.

Deswegen bleibe ich dabei: Es ist ein realistischer Ansatz. Er ist gut vorbereitet. Er ist gut ausgehandelt, und er ist heute beratungsfähig.Deswegen stimmen wir gegen Ihren Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Sie waren punktgenau, Herr Milde, das haben wir festgestellt. – Als nächster Redner hat Herr Wagner für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

(Michael Boddenberg (CDU): Die gleiche Rede von eben kommt jetzt noch einmal!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Boddenberg, bei den GRÜNEN ist die Kreativität größer als bei der CDU. Wir brauchen keine Textbausteine zu wiederholen, sondern wir schreiben jede Rede neu, Herr Kollege Boddenberg.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Meine Damen und Herren, was wir gestern in der Sitzung des Haushaltsausschusses erfahren haben, war nicht mehr und nicht weniger als der Offenbarungseid der Finanzpolitik dieser Landesregierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Diese Landesregierung hat 1999 einen Landeshaushalt mit sinkenden Ausgaben übernommen.

(Reinhard Kahl (SPD): Richtig!)

Dann ging das Prassen los:Die Ausgaben wurden hoch gesetzt, immer höher, immer höher.

(Reinhard Kahl (SPD): Und noch Schulden auf das Jahr 1998 gemacht!)

Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Die Haushalte wurden im Vollzug verfassungswidrig, erst einmal nur im Vollzug. Dann kam die zweite Stufe, weil die Schwarzen so „gut“ mit Geld umgehen können.

(Zurufe der Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) und Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Die zweite Stufe war, dass die Nachtragshaushalte im Ansatz verfassungswidrig waren. Das war die zweite Stufe schwarzer Finanzpolitik. Gestern ist der Tiefpunkt erreicht worden.

(Reinhard Kahl (SPD): Dann war immer noch etwas mit Verrechnen!)

Jetzt ist es so, dass schon die Planung für das Folgejahr verfassungswidrig ist. Das hat es in diesem Bundesland noch nie gegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte auf ein Argument eingehen. Sie sagen, das Vorziehen der Steuerreform führe dazu, dass wir über die Verfassungsgrenze gehen müssten. Ich gehe auf das Argument ein; dessen Sinnhaftigkeit möchte ich gleich beleuchten.

Es stimmt gar nicht. Wenn es so wäre, dass Sie die Nettokreditaufnahme nur um den Betrag erhöhen würden, den das Vorziehen der Steuerreform kostet, dann könnte man sagen, sie liegen zumindest im Rahmen dessen, was Sie in Ihrer „Operation sichere Zukunft“ angekündigt haben. Aber das stimmt nicht. Sie satteln obendrauf. Das heißt, Sie haben in Ihrem eigenen Ansatz, in Ihrer eigenen „Operation sichere Zukunft“ von vorn herein diese Lücken, weil Sie nicht sauber gearbeitet haben bei der Aufstellung dieses Haushaltsansatzes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also schieben Sie es nicht wieder nach Berlin. Sie müssen schon Ihre eigenen Hausaufgaben machen.

Herr Kollege Milde, alles Hin- und Herrechnen hilft nichts. Es ist eine ganz einfache Tatsache. Die Landesre

gierung hat im Entwurf des Landeshaushalts 2004 gesagt, sie will 390 Millionen c Steuermehreinnahmen durch bundespolitische Regelungen erzielen. Wir haben Sie mehrfach und frühzeitig gefragt: Wie sollen diese Regelungen erbracht werden? Denn uns fehlte damals schon der Glaube. Wir haben damals schon gesagt: Für die Beratung dieses Haushalts ist es von elementarer Bedeutung, wie diese 390 Millionen c erbracht werden. Denn wenn sie nicht erbracht werden, fallen weite Teile der Geschäftsgrundlage für diesen Haushalt weg.

Wir haben immer wieder danach gefragt, aber wir haben keine befriedigenden Antworten bekommen. Jetzt haben die hessischen Bürgerinnen und Bürger die Quittung bekommen. Sie können Ihre Versprechungen nicht einlösen. Es gibt 100 Millionen c Mindereinnahmen, für die Sie verantwortlich sind. Kein Berlin, einzig allein Sie sind für diese fehlenden 100 Millionen c verantwortlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist ein Beispiel, wie Sie die Nettokreditaufnahme mehr erhöhen, als das Vorziehen der Steuerreform kostet, wie Sie mit dem weiteren Erhöhen der Nettokreditaufnahme über die Verfassungsgrenze hinaus Ihre eigenen Fehler ausgleichen, Ihr eigenes schludriges Arbeiten bei der Erstellung dieses Haushaltes. Das ist nur ein Beispiel dafür.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Kollege Irmer, wir reden hier nicht über Herrn Eichel. Wir sind hier im Hessischen Landtag und reden heute über den Haushalt 2004 und darüber, ob wir diesen Haushalt 2004 heute beraten können. Darüber reden wir heute, Herr Irmer.Wir können gerne auch an dieser Stelle über die Politik von Herrn Eichel reden. Aber das ist im Moment nicht unser Thema.

Was ist es aber für ein Argument, das Vorziehen der Steuerreform könne man nicht anders als über Schulden auffangen? Was ist das für ein Argument? Sie haben seit einiger Zeit sehr gute Kontakte nach Nordrhein-Westfalen, der Herr Ministerpräsident zum Kollegen Steinbrück und der Finanzminister zu seinem Kollegen Finanzminister in Nordrhein-Westfalen. Schauen wir uns einmal an, wie das in Nordrhein-Westfalen ist. Normalerweise werden die Gemeinsamkeiten immer betont.

Ich zitiere aus der „dpa“-Meldung vom 15. Dezember:

Da die Steuerverluste für das Land 2004 nun geringer ausfielen als ursprünglich erwartet, habe er die Hoffnung, mit dem Landesetat die Verfassungsgrenze doch nicht überschreiten zu müssen, sagte Ministerpräsident Peer Steinbrück.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) )

Da stimmt doch irgendetwas nicht. Bei uns kommt der Hessische Ministerpräsident nach Hause und sagt, er muss die Verfassungsgrenze reißen wegen Berlin, und in Nordrhein-Westfalen kommt der Ministerpräsident nach Hause und sagt, wegen Berlin muss er die Verfassungsgrenze nicht reißen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Richtig!)

Was ist das eigentlich für ein Argument,das Vorziehen der Steuerreform hätte dazu geführt,dass der hessische Haushalt verfassungswidrig ist?

(Zurufe des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU) – Weitere Zurufe von der CDU)

Es kommt noch besser. Da haben wir zum ersten Mal in der hessischen Geschichte die Situation,dass ein Haushalt im Ansatz verfassungswidrig ist, und da fragen der Finanzminister und die ihn tragende Fraktion:Was solle mer mache? – Einen größeren Offenbarungseid in der Finanzpolitik, als dass Sie vor Beginn eines Haushaltsjahres angesichts der Situation, dass Sie Einnahmen und Ausgaben nicht mehr in Saldo bringen können, fragen: „Was solle mer mache?“, gibt es gar nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Rudi Haselbach (CDU): Machen Sie einen Vorschlag! – Weitere Zurufe von der CDU)

Die originäre Aufgabe des Finanzministers in der Landesregierung ist, dem Parlament einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen. Da Sie das nicht getan haben, ist dieser Haushalt heute nicht beratungsfähig und sollte, wie es die SPD-Fraktion beantragt hat, auf den Januar verschoben werden. Das ist ein konkreter Vorschlag, über den wir gleich abstimmen können.

Aber es ist ein Stück weit schlimmer mit diesem Haushalt. Es ist nicht nur so, dass der Finanzminister ihn verantwortet. Wir sind schon ein Stück weit daran gewöhnt, dass da schwarze Löcher auftauchen. Nein, es ist so, dass dieser Haushalt und die „Operation sichere Zukunft“ zum ersten Mal in der hessischen Geschichte mit der Richtlinienkompetenz des Hessischen Ministerpräsidenten durchgesetzt wurden.

Jetzt muss man sich schon sehr ernsthaft fragen:Wenn der Hessische Ministerpräsident für die Aufstellung des Haushalts 2004 das verfassungsgemäße Recht des Ministerpräsidenten in Anspruch nimmt, das der Richtlinienkompetenz, und er nutzt diese Richtlinienkompetenz, um die Verfassung zu brechen, was ist das für ein Verfassungsverständnis, das Sie hier an den Tag legen?

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Was mussten wir GRÜNEN uns Anfang der Achtzigerjahre von Ihnen über unsere Verfassungstreue anhören? Was haben Sie uns damals vorgeworfen? Jetzt sind Sie mit Unterstützung der CDU-Fraktion die Ersten, die in der Regierung beim Haushaltsansatz die Verfassung brechen. Das müsste Ihnen wirklich zu denken geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Ihre ganze Berlin-ist-schuld-Rhetorik bricht mit dem heutigen Tag völlig in sich zusammen. Sie hatten in dieser Woche auf allen Ebenen die Möglichkeit, die Steuergesetzgebung zu beeinflussen. Sie hatten auf allen Ebenen die Möglichkeit, den Haushalt zu gestalten. Das Ergebnis ist: Sie überschreiten aus eigener Verantwortung die Verfassungsgrenze. Das ist die Realität.

Eine angemessene Reaktion darauf wäre, zu sagen: Der Haushalt ist verfassungswidrig. Das können wir nicht verantworten. Wir denken noch einmal nach. Wir ziehen uns zurück. Wir legen einen neuen, verfassungsgemäßen Haushalt vor, den wir auch ordentlich beraten können. – Dann würden nicht 24 Stunden vor der Entscheidung Änderungsanträge mit einem Volumen von mehreren 100 Millionen c im Haushaltsausschuss durchgewinkt. Vielmehr würden wir im Januar in einem geordneten Verfahren darüber beraten können. Das wäre das Mindeste, was man angesichts des einmaligen Tatbestands, dass Sie

beim Aufstellen des Haushalts die Verfassung brechen,erwarten könnte. So, wie es aussieht, wird es jedoch nicht dazu kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, noch ein Argument. Sie alle müssen diese Politik in Ihren Wahlkreisen vertreten.

(Zuruf von der CDU: Ja, machen wir auch!)