Frau Hoffmann, vielen Dank für die Berichterstattung. – Als erster Redner hat Herr Abg. Siebel das Wort für die SPD-Fraktion. Zehn Minuten Redezeit.
Wir gehen heute sozusagen in die letzte Runde des so genannten Zukunftssicherungsgesetzes. Wenn ich mir am Anfang eine persönliche Bemerkung erlauben darf: In Anbetracht der Proteste, die auch heute noch bis zur jetzigen Stunde vor dem Hessischen Landtag stattfinden, habe ich den Eindruck, dass zumindest eine qualifizierte Gruppe und vielleicht sogar Mehrheiten in diesem Land dieses Gesetz nicht als Zukunftssicherungsgesetz begreifen, sondern eher als Zukunftsvernichtungsgesetz.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))
Herr Milde, dann kommen wir einmal zur Aufklärung. Darauf möchte ich gern eingehen. Sie haben als Mehrheitsfraktion hier im Hessischen Landtag ein bisschen die zweite Säule Ihrer Aufgabe versäumt. Das ist wahrzunehmen. Die eine Säule unserer gemeinsamen Arbeit ist, Gesetze zu erarbeiten und sie zu verabschieden. Die zweite Säule ist die, dass man als Parlamentarier zur politischen Willensbildung und zur politischen Kommunikation beitragen muss. Genau dieser Pflicht sind Sie als Fraktion nicht mehr nachgekommen, indem Sie sich gerade den Diskussionen beim Studienguthabengesetz massiv entzogen haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das ist gar nicht wahr!)
Herr Milde, ich sage Ihnen und den Kollegen Ihrer Fraktion: Es ist gegenüber jungen Leuten aus der Jungen Union eine Schweinerei – ich benenne das so –, sie in Dis
kussionen zu schicken, in alle Städte, ohne sie wenigstens ein bisschen auf das vorzubereiten, was sie dort erwartet.
Sie haben es nicht einmal für nötig gehalten, diese Leute über die Argumente, die auf Ihrer Homepage und auf der Homepage des Ministeriums stehen, zu informieren. Das geht meiner Ansicht nach nicht in Ordnung. Insofern kommen Sie nicht Ihrer Pflicht nach, zu kommunizieren und mit den Leuten zu reden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))
Ihnen ist verschiedentlich und in umfangreicher Art und Weise nachgewiesen worden, dass die eigentlichen Zwecke dieses Gesetzes besser oder mit anderen Mitteln zu erreichen gewesen wären.
Was sind die Zwecke? – Der eine Zweck kann der sein, dass man sagt:Wir wollen das Studium effizienter organisieren. – Okay, aber Sie haben im Hessischen Hochschulgesetz dazu bereits die Instrumente.Aber Sie wollen jetzt ein weiteres, ein strengeres, wie auch immer geartetes Instrumentarium haben. Warum Sie aber nicht die Instrumentarien, die zur Verfügung stehen und die auf Motivation und nicht auf Repression setzen, auch nutzen, das ist nicht zu verstehen.
Der zweite Punkt ist der, der von Ihnen immer wieder unter dem Missbrauchsargument vorgetragen wird. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie tun etwas Falsches, wenn Sie einem Teil einer studierenden Generation vorhalten, dass alle den Studentenausweis und den Studentenstatus als Missbrauchsgegenstand benutzen. Meiner Ansicht nach geht das so nicht.
Das, was Frau Kühne-Hörmann gemacht hat, den unsäglichen Begriff der „Bummelstudenten“ einzuführen, war auch nicht in Ordnung. Das war auch vor dem Hintergrund nicht in Ordnung, dass es darum geht, auch wieder Leute in Kommunikation zurückzuholen.
Dann stellt man sich natürlich die spannende Frage, warum diese Operation überhaupt gemacht wird. Herr Boddenberg, da spreche ich Sie einmal als einen derjenigen an, die auch für die Programmatik Ihrer Partei zuständig sind. Ich habe den Eindruck, und das lässt sich nicht mehr anders interpretieren, was hier im Hessischen Landtag passiert, dass Sie diese Diskussion um Studiengebühren für Langzeitstudierende nur deshalb begonnen haben und auch in dieser Härte und Schärfe durchziehen, weil Sie mittelfristig darauf hinaus wollen, hier in Hessen allgemeine Studiengebühren einzuführen.
Wenn das Ihr Punkt ist, wenn das Ihr programmatisch erklärter Wille ist, dann muss es auch offen gelegt werden.
Dann benennen Sie das bitte auch so, denn wenn dem so ist, dann bedeutet das, dass der parlamentarische Widerstand gegen dieses Gesetz und auch der Protest gegen dieses Gesetz mit dem heutigen Tag nicht zu Ende gehen
Sie haben nämlich darüber hinaus ein paar nicht ganz unentscheidende Fragen nicht geklärt. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit ist nicht geklärt. Die Frage ist nicht geklärt, inwieweit dieses Gesetz mit dem Hochschulrahmengesetz auf Bundesebene kompatibel ist. Die rechtliche Frage ist nicht geklärt, inwieweit eine Bestandschutzregelung existieren kann oder nicht.
Wenn man dies alles zusammen nimmt, sind so viele Unwägbarkeiten in diesem Prozess mit einbezogen, dass nach unserer Auffassung der Erfolg dieses Gesetzes mehr als infrage steht; und insofern erleiden Sie nicht jetzt, aber vielleicht in einem halben Jahr damit eine Bauchlandung. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon das Beratungsverfahren zu diesem Gesetzentwurf – der Kollege Siebel hat eben darauf hingewiesen – zeigt überdeutlich, dass von einer sicheren Zukunft unter der Regie von Roland Koch und seiner Gefolgschaft überhaupt keine Rede sein kann. Der Gesetzentwurf war noch gar nicht eingebracht, da lag schon der erste Änderungsantrag der CDU-Fraktion vor.Dann wurde die sachgerechte Anhörung verweigert. Das haben wir schon gehört. Nur der äußerste Druck der Opposition hat es möglich gemacht, wenigstens den Hochschulteil im zuständigen Fachausschuss einer Anhörung zuzuführen. Das gesamte Verfahren, das das Zukunftsverdüsterungsgesetz bisher durchlaufen hat, lässt nur die Diagnose eines akuten Falls politischen Autismus bei der hessischen CDU zu.
Da geht es nach dem Motto,Herr Kollege Hoff:Wir lassen uns doch nicht von größerem Sachverstand von unserer politischen Überzeugung abbringen. – Sie von der CDUFraktion und auch die Landesregierung können doch nur froh sein, dass die Opposition überhaupt eine dritte Lesung beantragt hat. Sieben Änderungsanträge aus den Reihen der Regierungsfraktion wurden mittlerweile zum Zukunftsverdüsterungsgesetz eingebracht und letzte Woche im Haushaltsausschuss abgehandelt. Das sind die Drucks. 16/1656 bis 16/1662. Auch an diesen Änderungsanträgen zeigt sich einmal wieder die Arroganz der absoluten Mehrheitsmacht.
Die wirklich gravierenden Einwände aus der Anhörung und die ungezählten schriftlichen Eingaben wurden natürlich nicht berücksichtigt. Stattdessen werden einige kleine Fehler ausgebügelt und die Fesseln für die Personalvertretungen und Frauenbeauftragten noch fester angezogen.
Wir halten diese Vorgehensweise für eine Verhöhnung aller Betroffenen. Sie ist das absolute Gegenteil von Souveränität im Umgang mit Problemen und ein totales Armutszeugnis für den Macher Koch und seine Gefolgschaft, wenn als einzige Antwort auf die Kritik die berühmte Behauptung gebetsmühlenartig wiederholt wird, das sei alles alternativlos. Wir sollten uns dabei klarmachen, dass die Situation, wie wir sie zurzeit in Hessen haben,von der Landesregierung und der sie tragenden Fraktion durchaus vorsätzlich selbst geschaffen worden ist.
Sie, die Landesregierung und die CDU, haben die Menschen, seien es die Bediensteten des Landes, die Studierenden oder andere Gruppen der Bevölkerung, massiv betrogen und geben dieser Betrugsaktion jetzt auch noch den unverschämten Titel „Operation sichere Zukunft“.
Wer so mit seinen Bürgerinnen und Bürgern umgeht, der sollte sich nicht wundern, wenn die Proteste nicht abreißen. Wir erinnern uns noch, wie die Kabinettsmitglieder – allen voran der Ministerpräsident – einst im Mai so stolz durch Haupteingänge schritten und sich bejubeln ließen. Heute stehlen sie sich klammheimlich durch Hintereingänge hinein und wieder hinaus.Aber auch damit können sie die Protestler nicht abschütteln.
Herr Kollege Hoff, damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir GRÜNEN propagieren keineswegs die Zweckentfremdung von Lebensmitteln als Ausdruck der Proteste. Aber wir fragen uns doch, was Sie sich schon lange hätten fragen sollen.Wenn Tausende von Polizeibeamten ebenso wie Eltern, Schüler, Studierende und sozial engagierte Bürgerinnen und Bürger – darunter sehr viele, die bislang ihre politische Heimat bei der CDU hatten – jetzt zur Protestpfeife greifen und die Regierung und ihre Gefolgschaft nicht mehr hören wollen und niederpfeifen, dann haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU, doch offensichtlich etwas massiv falsch gemacht.
Da stimmt auch nicht die Ausflucht, das seien alles Vertreterinnen und Vertreter von Einzelinteressen, denen man im Hinblick auf das Ganze nicht nachgeben dürfe, wie es uns der Ministerpräsident weismachen wollte.
Schauen wir einmal genauer hin, was uns die Änderungsanträge wirklich gebracht haben. Im Bereich des Stellenabbaus gibt es eine winzige Korrektur – weniger aus der Einsicht heraus, sondern vielmehr aus Angst, dass hier rechtswidrige Vorgaben gemacht werden könnten. Sie haben für die Einzelpläne 01 und 11 die Abzüge nicht mehr personalisiert, zum Wegfall gekennzeichnet und der Zuweisung an die PVS unterlegt, sondern die Kürzungsvorgaben sollen von den Institutionen selber ausgeführt werden. Das geschieht doch nur deshalb, weil Sie aus Rechtsgründen kaum einen Mitarbeiter beispielsweise des Rechnungshofes oder des Datenschutzbeauftragten in eine andere Behörde abordnen können, um ihn anschließend wieder mit Kontrollaufgaben zu betrauen. Dass das nicht geht, haben Sie gemerkt. Dennoch bleibt die Kritik an der Qualifizierung der PVS als zentraler Mobbingagentur bestehen. Von Aufgabenkritik und geordneter Personalwirtschaft ist weiterhin nicht die Rede.
Sie haben noch einige Lücken im Knebelungsnetz für die Personalvertretungen und Frauenbeauftragten entdeckt. Das habe ich schon erwähnt. Diese Lücken könnten womöglich zu Widerspruchsverfahren bei den Personalmaßnahmen führen. Hier musste nachgearbeitet werden. Zur dritten Lesung soll noch einmal ein weiteres Gesetz ruck, zuck mit geändert werden, um wirklich auch das kleinste Schlupfloch zu schließen. Auch die kleinste Chance, sich gegen Ihre Willkür zur Wehr setzen zu können, musste beseitigt werden. Wenn ich Sie anspreche, dann meine ich die Vorleute bei der CDU, denn die meisten hier auf der rechten Seite des Saales sind wahrscheinlich froh, schon lange nicht mehr die Details verstehen zu müssen.
Diese Bosse, zu denen vielleicht auch einige Kabinettsmitglieder – ich bin sicher, dass es nicht alle sind – gehören, haben sich eine kreative Neuschöpfung für das Haushaltsrecht ausgedacht, den PVS-Vermerk. Einzig in Hessen soll diese höchst zweifelhafte Errungenschaft personalwirtschaftlicher Ignoranz Gesetzeskraft erlangen. Man hat wohl gemerkt, dass es mit den kw-Vermerken personenbezogen nicht so ganz klappen wird. Also erfindet man etwas Neues. Ich sage ganz klar: Das Schöne daran ist, dass man jetzt erst richtig in das haushaltsrechtliche Loch gefallen ist. Denn PVS-Vermerke sind nirgends definiert, und was nicht an irgendeiner Stelle definiert ist, hat auch keine rechtliche Bedeutung. Da bleibt nur noch die Frage, ob das bei Ihnen Absicht war und wir damit vor dem nächsten Betrugsmanöver stehen, oder ob es schlichte Dummheit war. Diese Frage mögen Sie vielleicht noch beantworten.
Kommen wir nun zu anderen Aspekten dieses Gesetzes. Da ist so vieles zusammengebunden.Thema Blindengeld: Hier ist es die CDU-Fraktion höchstselbst, die ihren eigenen Änderungsantrag jetzt wieder ändert. Immerhin – und das sage ich ganz nüchtern – soll anerkannt werden, dass Sie wenigstens an dieser Stelle bereit waren, den Argumenten der Vertreter der Betroffenen zu folgen. Allerdings konnten Sie auch gar nicht anders. Denn nachdem Ihnen nachgewiesen wurde, dass Ihr ursprünglicher Gesetzentwurf nicht nur nichts spart, sondern zu großem zusätzlichen Aufwand geführt hätte, musste das geändert werden.
Wir GRÜNEN – das sage ich ganz deutlich – halten die Kürzung des Landesblindengeldes auch nach neuerlicher Änderung weiterhin für falsch und lehnen sie in der neuen, so genannten moderaten Form ebenso ab. Blinde Menschen sind die Letzten, die man für die verfehlte Finanzpolitik dieser Regierung bestrafen darf.
So moderat wie gegenüber den Blinden ist das Verhalten der Landesregierung und der CDU-Fraktion gegenüber den Studierenden keineswegs. Hier kann man sich nach wie vor des Eindrucks nicht erwehren, dass sie geradezu einen Kreuzzug gegen den kritischen Geist und seine Quellen führen.