Protocol of the Session on December 18, 2003

Die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist an vier Kriterien festzumachen: hoher Beschäftigungsstand, Stabilität des Preisniveaus, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum.Wenn eines dieser Kriterien verletzt ist, können die Maßnahmen des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft angewandt werden. Zwei Kriterien davon sind unstreitig in einer Situation, dass ein Überziehen der Sparmaßnahmen des Staates zu negativen Folgen führen würde.

Das eine sind die Arbeitsplätze. Der Aufschwung, der für 2004 vorausgesagt wird, ist nach alldem, was alle Wirtschaftsinstitute und Sachverständigen sagen, noch nicht einmal dazu geeignet, die Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren, sondern wir müssen 2004 mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen. Selbst wenn man davon ausgeht,dass dieser moderate Aufschwung kommt,ist auch davon auszugehen, dass Kapazitätsauslastungen im Jahr 2004 sinken werden – abgesehen davon, dass die Frage, wie wir international dastehen, wenn sich der Aufschwung in den USA nicht als dauerhaft erweisen sollte, sicherlich allen bekannt ist.

Wir rechnen im nächsten Jahr mit 1,5 % Wachstum – so die allgemeine Rechnung der Bundesregierung. Davon sind aber 0,5 % durch die Lage der Feiertage bedingt,also Kalendereffekte.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieder falsch, bundesweit 1,7 %, davon 0,6 % durch Feiertage!)

Das heißt, von dem Wachstum ist nach derzeitiger Schätzung real 1 % zu erwarten, was nichts Signifikantes und Stabiles ist, um es als Aufschwung zu bezeichnen, sondern das ist die Grenze zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung. In Hessen wird diese Entwicklung geringfügig positiver sein. Aber dies lässt keine andere Einschätzung der Erfüllung der Kriterien in Hessen zu, wenn man überhaupt auf ein einzelnes Bundesland differenzieren will und differenzieren kann.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie reden doch schon für das Protokoll für den Staatsgerichtshof!)

Der zweite Punkt ist die Bestimmtheit und die Geeignetheit der Kreditaufnahme zur Störungsabwehr. Hier ist eine Abwägung zwischen Einsparung und/oder höherer Kreditaufnahme vorzunehmen.

Meine Damen und Herren, wir haben das größte Sparprogramm, das in Hessen nach dem Krieg je aufgelegt worden ist, aufgelegt. Deswegen haben wir die Grenze dessen, was zu sparen ist, in einer Weise ausgereizt, wie dies in diesem Land noch nicht geschehen ist. Deswegen würde ein Überschreiten dieser Grenze – 1 Milliarde c bei 21 Milliarden c eingespart –, eine darüber hinausgehende Maßnahme, mit Sicherheit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in beachtlicher Weise beeinträchtigen helfen, obwohl es mit den 262 Millionen c vergleichsweise bescheidene Beträge über die Verfassungsgrenze hinaus sind.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, Ihre Verteidigungsrede können Sie vor dem Staatsgerichtshof halten!)

Meine Damen und Herren, damit das klar ist: Das würde rein rechtlich bedeuten, dass 7.500 Stellen sofort zum 1. Januar wegfallen müssten, um diesen Geldbetrag aufzubringen – es ist geradezu Unsinn, zu sagen, das könnte auch nur irgendwie gelingen –, dass wir alle freiwilligen Leistungen, die noch im hessischen Landeshaushalt sind, kürzen müssten

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Reden Sie schon für den Staatsgerichtshof?)

und dass sich, wenn wir an die Schulen und Hochschulen gehen, die Frage des Humankapitals stellt. Dort sind aus unserer Sicht keine weiter gehenden Einsparungen möglich, weil es das Einzige ist, was positiv in die Zukunft weist.

Es wäre leicht gewesen, wie das die Oppositionsfraktionen in Teilen gemacht haben, schlichtweg mit höheren Steuereinnahmeerwartungen und weiteren Veräußerungserlösen die Verfassungsgrenze – –

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt wird es unfair!)

Natürlich. Die eine Fraktion hat 585 Millionen c weitere Veräußerungserlöse beantragt. Die andere Fraktion hat gesagt, allein aus der Erbschaftsteuer gibt es 250 Millionen c mehr,und hat sie zur Grundlage ihrer Planungen gemacht.

(Frank-Peter Kaufmann und Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und die dritte?)

Auf der Basis hätten Sie relativ leicht einen ausgeglichenen Haushalt unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Verfassungsgrenze herbeiführen können.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie:Wäre dies seriöser gewesen, als jetzt zu versuchen, so, wie wir es getan haben, durch die größte Sparaktion, die das Land Hessen je erlebt hat, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, bei dem die Verfassungsgrenze nicht überschritten worden ist? Oder aber wäre es richtig und angemessen, diese Grenze in irgendeiner Art und Weise zu umgehen, indem man entweder höhere Steuereinnahmen oder Veräußerungserlöse einrechnet?

Ich bin dafür, dass man das aufdeckt und nicht den verdeckten Weg geht, wie das von der Opposition in Teilen vorgeschlagen worden ist. Wir wissen, dass dieser Haushalt verfassungsgemäß ist. Wir wissen, dass er konjunkturell angemessen ist.Wir wissen, dass er auch für das Land Hessen und für die Bürgerinnen und Bürger eine große Belastung darstellt.Aber wir wissen auch, dass mit diesem Haushalt,mit den Tendenzen und Entwicklungen,die dort festgeschrieben worden sind, eine außerordentlich positive Entwicklung des Landes Hessen bei einem allgemeinen Anspringen der Wirtschaft vorgezeichnet ist. Das macht uns sehr optimistisch für die Zukunft, dass wir unseren Weg – jetzt in schwierigen Zeiten, später in besseren Zeiten – an die Spitze der Bundesrepublik Deutschland weitergehen können.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, es gibt noch eine Wortmeldung. Kollege Walter, Vorsitzender der SPD-Fraktion.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Der Worte sind genug gewechselt!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst eine Zahl richtig stellen, die der Herr Finanzminister versucht hat, unterschwellig zu verbreiten. Die Behauptung, dass das Land Hessen durch den Kompromiss im Vermittlungsausschuss Einbußen hinnehmen müsse, ist falsch. Herr Finanzminister, ich habe es vorhin schon dargestellt. Tatsächlich hat das Land Hessen durch den Kompromiss im Vermittlungsausschuss eine Mehreinnahme in Höhe von 121 Millionen c.

(Beifall bei der SPD)

Diese Zahl ergibt sich ganz eindeutig aus Ihrem eigenen Haushalt. Wenn Sie einfach einmal vorweg 390 Millionen c als globale Mehreinnahme in Ihrem Haushalt vorsehen, ohne das zu begründen, und wir nun nach Ihren eigenen Zahlen feststellen, es fehlen 268 Millionen c im Haushalt, dann ist es rechnerisch relativ einfach und, wie ich das vorhin in der Debatte verstanden habe, auch relativ unstrittig, dass wir in Hessen durch den Kompromiss im Vermittlungsausschuss entlastet und nicht belastet worden sind.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Eieiei, das ist holzapfelsche Mengenlehre!)

Wenn Sie allerdings vorweg sagen:„Wir haben einmal virtuell eine globale Mehreinnahme veranschlagt; insgesamt wollen wir diese globale Mehreinnahme plus das, was aus dem Vermittlungsausschuss herauskommt“, dann ist das natürlich eine unseriöse und keine seriöse Finanzpolitik.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Für die juristische Beurteilung ist es notwendig, noch einmal zwei Dinge klarzustellen. Sie begründen die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene. Beides, so haben Sie und wir alle durch das Urteil des Verfassungsgerichts in Berlin gelernt, ist notwendig. An dieser Stelle ist der Beurteilungsspielraum des Landes relativ groß. Deshalb

will ich gar nichts kritisieren, was die Feststellung dieser Störung angeht.

Aber, Herr Finanzminister, dies bedeutet natürlich nicht, dass, wenn ich diese Störung festgestellt habe, sozusagen alles egal ist,was ich in dem Lande mache,also egal ist,wie hoch die Überschreitung ist,was die Schulden angeht,und vor allem wofür ich dieses Geld einsetze, das ich an zusätzlichen Schulden aufnehme.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe vorhin angefangen, eine Liste vorzutragen. Da geht es um die Frage:Wie sieht es aus mit der Aussetzung von SAP? Da geht es um die Frage der Verfügungsmittel der Minister. Da geht es um die Frage:Wie sieht es aus mit Zuschüssen, beispielsweise für die Vertriebenenverbände? Wie sieht es aus mit Zuschüssen für die Rennsportanlage in Frankfurt? – In dem Urteil in Berlin heißt es, dass die Mittel geeignet sein müssen, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwenden.

(Beifall bei der SPD)

Ich hätte jetzt von Ihnen erwartet, dass Sie zu der einen oder anderen Frage, die wir aufgeworfen haben, begründen, wie diese Ausgaben die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abwenden können. Herr Finanzminister, zu all diesen Fragen haben Sie überhaupt nichts gesagt. Sie hätten an diesen Stellen deutlich intensiver begründen müssen, warum es nicht möglich gewesen ist, die Verschuldung geringer zu halten. Ich habe Ihnen zugestanden: Ob es in der Gesamtheit zu schaffen wäre, die Verfassungsgrenze einzuhalten, will ich gar nicht einmal behaupten. Ich denke, mit viel Anstrengung wäre es möglich gewesen. Aber es wäre jedenfalls möglich gewesen, den Grad der Verschuldung über der Verfassungsgrenze abzusenken.

Deshalb haben wir vorhin beantragt: Ihr habt nicht die Kraft, das relativ schnell zu machen; deshalb lasst uns die Verabschiedung des Haushalts aussetzen, damit ihr noch einen Monat Zeit habt, an allen Stellen nachzuschauen, wie weit wir die Verschuldung reduzieren können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Verfassung wäre es wert, nicht einfach zu sagen: Wir haben da eine verfassungsrechtliche Regelung, die können wir nicht einhalten, schade; dann begründen wir an der einen oder anderen Stelle etwas, dann ist aber das Tor offen, und dann können wir machen, was wir wollen. – So kann man nicht mit der Verfassung umgehen.

(Beifall bei der SPD)

Abschließend: Herr Finanzminister, ich halte es für geradezu zynisch, dass Sie das, was Sie als „Operation sichere Zukunft“ verkaufen, womit Sie unserem Land Hessen nachhaltig Schaden zufügen, sozusagen vor die Klammer ziehen und sagen, alles, was nicht eingespart wird, ist momentan sakrosankt, weil weitere Einsparungen die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht abwenden, sondern im umgekehrten Fall sogar noch verschärfen würden. Herr Finanzminister, tatsächlich sind viele Teile Ihrer „Operation sichere Zukunft“ nicht dazu geeignet – wir haben lange darüber diskutiert –, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwenden, sondern viele Ihrer Punkte werden die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts deutlich verschärfen:

(Beifall bei der SPD und des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Einsparungen in der Bildungspolitik, Einsparungen bei den Investitionen – es ist geradezu widersinnig, zu sagen, wir wollen zur Abwendung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Investitionen kürzen – und natürlich im Sozialbereich, wo Sie jenseits der sozialpolitischen Fragen mit den jetzigen Kürzungen sehenden Auges riskieren, dass in unserem Land schon kurzfristig mehr Geld aufgewandt werden muss, als kurzfristig eingespart werden wird, und dies zulasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der von Ihnen vorgelegte Haushalt ist ein Dokument des Scheiterns. Deshalb wird die SPD-Fraktion geschlossen gegen diesen Haushalt stimmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Walter. – Meine Damen und Herren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Dann sind wir am Ende der Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung über den Gesetzentwurf zum Haushalt 2004. Nach § 19 der Geschäftsordnung des Hessischen Landtags ist am Schluss der dritten Lesung zunächst über vorliegende Änderungsanträge abzustimmen. Danach wird über den Gesetzentwurf im Ganzen mit den im Verlauf der dritten Lesung beschlossenen Änderungen abgestimmt.

Meine Damen und Herren, der erste Änderungsantrag, über den abzustimmen ist, ist der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 16/1682 neu. Dazu ist namentliche Abstimmung beantragt. Sind wir uns einig?

(Reinhard Kahl (SPD): Ja!)

Gut. – Dann bitte ich die Schriftführer, die Namen aufzurufen.

(Namensaufruf – Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das Ergbnis bekannt. Mit Ja gestimmt haben 45 Abgeordnete, mit Nein 55, bei 9 Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag in namentlicher Abstimmung abgelehnt.