Protocol of the Session on December 18, 2003

Meine Damen und Herren, ich eröffne die heutige Sitzung. Es ist der letzte Plenartag vor der Weihnachtspause. Wir nähern uns dem Tag, an dem Friede auf Erden einkehrt. In diesem Sinne heiße ich Sie alle willkommen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung teile ich Ihnen mit: Noch offen sind die Punkte 6 a und b, 7, 17 bis 20, 22, 23, 25 bis 27, 29, 31 bis 36, 38 bis 42, 46 und 48.

Noch eingegangen und bereits an Sie verteilt sind zu Tagesordnungspunkt 6 a – Haushaltsgesetz 2004 – ein Nachtrag zur Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses, Drucks. 16/1668, sowie die Änderungsanträge Drucks. 16/ 1682 neu von der Fraktion der SPD, Drucks. 16/1731 bis 16/1734 von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Drucks. 16/1736 von der Fraktion der FDP.

Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde.

Wir beginnen jetzt mit den drei Aktuellen Stunden, die mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion vereinbart wurden. Anschließend geht es weiter mit Tagesordnungspunkt 48, Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD, Drucks. 16/1735. Hierfür wurde eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vereinbart. Dann folgen die Tagesordnungspunkte 6 a, Dritte Lesung des Haushaltsgesetzes 2004, und 6 b, Dritte Lesung des Finanzausgleichsänderungsgesetzes 2004. Die Redezeit wurde in gemeinsamer Vereinbarung von 25 auf 20 Minuten je Fraktion reduziert.

Meine Damen und Herren, entschuldigt fehlt heute, wie bereits angekündigt, Herr Staatsminister Riebel.

Meine heutige Gratulation zum Geburtstag spreche ich im Namen des gesamten Haus dem hessischen Innenminister, Staatsminister Volker Bouffier, aus: alles Gute und Glück auf, bleibe gesund, halte dich munter.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt steigen wir in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Sozialer Wohnungsbau für Grafenhäuser) – Drucks. 16/1683 –

Das Wort hat der Kollege Kaufmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich allen, und herzlichen Glückwunsch dem Innenminister.

Kurz vor Weihnachten 2003 steht dennoch in Hessen die Welt auf dem Kopf: Krieg den Hütten und Friede den Palästen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DEN GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, verkehrte Welt des Georg Büchner – da reibt man sich doch verwundert die Augen: ein völliger neuer Aspekt von Roland Kochs Operation. Sie heißt nämlich vollständig:„Sichere Zukunft für den al

ten Adel“. Das ist das Leitmotiv schwarzer Regierungskunst im 21. Jahrhundert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir hatten bislang nicht richtig verstanden, was der eigentliche Grund für den Kahlschlag und das finanzielle Erdrosseln der Schuldnerberatung war. Jetzt ist in der Zeitung zu lesen: Die Beratungsstellen sind überflüssig, der Chef macht’s selbst –

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

allerdings nur, wenn es sich um verarmten Adel handelt: Das Geschlecht muss mindestens seit 850 Jahren urkundlich erwähnt sein.

Meine Damen und Herren, so kommt es, dass der „größte Deal“, den das ehrwürdige Geschlecht derer zu ErbachErbach je gemacht hat, in persönlichen Verhandlungen mit dem Ministerpräsidenten eingefädelt wurde. Die Grafenfamilie hat „den Ballast endlich vom Buckel“. Meine Damen und Herren,das ist echt kochsche Familienpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da sind wir doch alle mächtig stolz auf unseren Ministerpräsidenten. Von einem früheren zum heutigen Landesvater ist man sich schnell einig geworden – nachdem sich zuvor die Verhandlungen mit subalternen Staatsministern jahrelang ergebnislos hingezogen hatten.

Meine Damen und Herren, schauen wir uns den Deal also einmal genauer an.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Das Land Hessen, mitten in der größten Haushaltskrise seit seiner Gründung, kauft dem gräflichen Haus Erbach das Schloss und die Sammlung von Kunst und Kunsthandwerk, darunter übrigens nicht wenige Beutestücke aus Raubzügen vergangener Jahrhunderte, für stolze 13,3 Millionen c ab. Ein hübsches Sümmchen, das steuerfrei eingestrichen werden soll.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Meine Damen und Herren, auch wenn er verarmt sein sollte, die Landesregierung will dafür sorgen, dass der Adel nicht darben muss.

(Horst Klee (CDU): Das ist ein Unding!)

Zusätzlich zum Verkaufserlös wird ein ewig kostenfreies Wohnrecht mit einem heutigen Jahreswert von 72.000 c garantiert, „solange das Geschlecht in männlicher Linie nicht ausstirbt“.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Eine kleine Zwischenfrage, auch an den Kollegen Klee: Wie war das doch gleich? Gender Mainstreaming als Handlungsmaxime der Landesregierung?

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das ist noch nicht alles. Auch die Nutzung von Schloss und Park „nach Belieben“ und Erhalt des Eigentums an umfangreichen Ländereien und Wäldern – dies kommt alles zusammen, weil man gräflicherseits mit langer Übung offensichtlich das anschauliche bildhafte Wehklagen gelernt hat: über die schlechten Zeiten und die Nöte, die man mit seinem finanziellen Engagements hat.Wir wissen ja:Adel verpflichtet.

Meine Damen und Herren, wir konnten das alles der Presse entnehmen, weil der Graf, statt zur Jagd zu gehen, Interviews gab.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Klagelied des Grafen war zumindest dramatisch übertrieben und mehr fiktiv als real. Er ist nicht pleite. Obendrein steht er unter der Kontrolle des Fideikommiss-Senats und des Landesamts für Denkmalschutz. Ein Verkauf der Sammlung wäre daher eher unwahrscheinlich.

Meine Damen und Herren, was bleibt, ist die sehr ernste Frage: Welche feudale Geisteshaltung hat eigentlich ein Regierungschef,der im Lande,angeblich aus Geldmangel, brutalstmögliche Kahlschlagpolitik praktiziert und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinausmobben will, aber gleichzeitig ein früheres Adelsgeschlecht mit Pfründen segnet?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Horst Klee (CDU): Ei, ei, ei!)

Was ist eigentlich von einer Regierung und Ihrer Fraktion zu halten, die alles brav abnickt, was ihr vorgesetzt wird, ohne die gräflichen Behauptungen überhaupt geprüft zu haben? Nur der Druck der Opposition,die diesen Skandal öffentlich machte, konnte am Ende, zumindest für den Augenblick, das Schlimmste verhüten.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Da zeigt sich, Herr Kollege Klee, wieder einmal der immense Vorteil der Demokratie gegenüber dem Feudalismus. Es bleibt offensichtlich Ihre, der CDU, feste Absicht, den Deal doch noch durchzuziehen.

(Horst Klee (CDU): Das ist Körperverletzung, was sie machen!)

Mit der vorgesehenen Verpflichtungsermächtigung machen Sie es sich sogar selbst noch leichter, denn Sie können,ohne Geld bereitstellen zu müssen,dennoch zum Abschluss kommen.

(Horst Klee (CDU): Der Schaum vor dem Mund muss weg!)

Meine Damen und Herren, Koch und seine Gefolgschaft wollen immer noch am „größten Deal“ der Erbacher Linie festhalten. Das sollten Sie sich noch einmal gut überlegen. Sie alle hier im Hause erhalten heute noch einmal die Gelegenheit, den Skandal zu verhindern. Wir werden nachher beim Haushalt in namentlicher Abstimmung von Ihnen wissen wollen, ob Sie diese Verpflichtungsermächtigung aufrechterhalten oder, wie wir beantragt haben, aus dem Haushaltsplan wieder herausnehmen.

Herr Kollege Kaufmann, Sie müssen zum Schluss kommen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nein, nein!)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wir wollen wissen, wer in diesem Landtag den sozialen Wohnungsbau für Grafenhäuser mit kostenfreiem Luxuswohnen für richtig hält. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)