Protocol of the Session on November 26, 2003

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die letzten acht Monate haben auch gezeigt, dass für einzelne Politiker die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Herr Ministerpräsident, der 2. Februar war nicht nur der Höhepunkt Ihrer politischen Karriere, er war zugleich auch der Scheitelpunkt. Seit dem 2. Februar geht es nämlich bergab.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Sie sind plötzlich nicht mehr der Macher. Sie sind der Getriebene. Sie treffen falsche Entscheidungen, oder Sie haben das Pech,dass andere Sie von Entscheidungen,die Sie angehen, nicht rechtzeitig informieren. Ihr Handling von krisenhaften Lagen ist erschreckend unprofessionell. Sehen Sie: Es sind doch Ihre Abgeordneten und Funktionäre, die sich in den Bürgerhäusern die wütende Frage stellen lassen müssen, warum Frauenhäuser geschlossen und auf der anderen Seite gleichzeitig Vorstandsgehälter für den Fraport-Vorstand um 150.000 c erhöht werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Mit dieser Frage werden Sie doch konfrontiert. Herr Ministerpräsident, Sie haben nach dem 2. Februar Ihre politische Fortune verloren. Sie haben Ihr Gespür für Stimmungen im Volk verloren. Sie haben am 2. Februar ganz offensichtlich Ihren Zenit überschritten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Horst Klee (CDU): Diese Verlogenheit!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Mitte des Hauses würde es wahrscheinlich jetzt heißen:„Sie haben am 2.Februar die FDP verloren“, was die rechte und harte konservative Grundhaltung dieser Landesregierung nunmehr vollständig und offen zutage treten lässt.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es gehört aber zur Redlichkeit,dass auch Sie an der Verabschiedung der Megaverschuldungshaushalte 2002 und 2003 mitgewirkt haben. Auch Sie tragen deshalb ein Stück Verantwortung für die katastrophale Haushaltslage, in der wir uns befinden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Umso mehr freut es mich, dass nunmehr alle drei Oppositionsfraktionen dieses Hauses, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung und unterschiedlichen Schwerpunkten, diesen Haushalt 2004 grundsätzlich ablehnen. Darüber hinaus, das ist vielleicht jenseits der Tagespolitik weitaus wichtiger, schickt sich die konservative Alleinregierung an, die Grundlinien zu verschieben.

Unser Bundesland Hessen hat eine lange Tradition als sozialer, als liberaler, als weltoffener und toleranter Rechtsstaat. Etwas später ist dann – das war das Verdienst nicht nur,aber vor allem der GRÜNEN – die ökologische Komponente hinzugekommen, das Wissen, dass wir mit den natürlichen Ressourcen unseres Landes verantwortungsvoll umgehen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine rechtskonservative Tradition hat unser Bundesland bislang nicht. Bislang stand Hessen nicht für soziale Kälte und Herzlosigkeit, die am Kahlschlag der sozialen Infrastruktur deutlich werden. Bislang stand Hessen auch nicht für illiberale Tendenzen, die daran deutlich werden, dass bei der Rede des Hessischen Ministerpräsidenten vor jüdischen Mitbürgern in einer Synagoge die jüdischen Mitbürger dieselbe aus Protest verlassen. Eine rechtskonservative Tradition wollen wir in diesem Lande nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn der Herr Ministerpräsident nach mir an das Rednerpult tritt, wird er am

Anfang, in der Mitte und am Ende seiner Rede über Bundespolitik sprechen.Er wird alles Schlechte nach Berlin verorten.

(Zurufe von der CDU: Es ist ja auch so!)

Er wird sagen: Alles Gute wird hier in Wiesbaden gemacht, schuld an allem ist die rot-grüne Bundesregierung.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das ist die Wahrheit!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen Sie, es ist relativ einfach:Wenn man anfängt, über Märchen zu erzählen, ist es immer das Gleiche – dann freuen die sich und fangen an zu klatschen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich will einige der bekannten Argumente sozusagen antizipieren, um dem Herrn Ministerpräsidenten die Möglichkeit zu geben, zu reagieren und nicht nur im luftleeren Raum zu parlieren.

(Frank Lortz (CDU): Sei nicht so frech!)

Der zentrale Vorwurf wird sein, dass die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland über drei Jahre eine wirtschaftliche Stagnation zu verantworten hat und dass wir uns im unteren Drittel des wirtschaftlichen Wachstums befinden.

(Michael Boddenberg (CDU): Ja! – Clemens Reif (CDU): Das ist auch so!)

Es ist objektiv so. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber ich halte dieses Argument für einigermaßen schäbig. Es blendet nämlich komplett die Dimension der deutschen Wiedervereinigung aus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU und des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Es waren noch bis zum Ende der Neunzigerjahre Ihre Argumente. Auch im Jahre 2003 waren die Transferleistungen von West nach Ost immer noch ein hoher zweistelliger Milliardenbetrag.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Herr Kollege Reif,zu Ihnen komme ich später noch.Hören Sie sich doch wenigstens einmal die Zahlen an. – Allein beim Länderfinanzausgleich, der insgesamt ein Volumen von 7,3 Milliarden c im Jahre 2002 hatte, flossen 5,8 Milliarden c in die neuen Bundesländer. Das sind 80 % des gesamten Transfervolumens.

Wenn man überlegt,was dies allein für die Finanzsituation des Landes Hessen bedeutet: Wir haben im Jahre 2002 1,9 Milliarden c in den Länderfinanzausgleich eingezahlt. Man kann natürlich so nicht rechnen, aber 80 % weniger davon – jedem der Kolleginnen und Kollegen wird relativ schnell klar, was dies für den hessischen Haushalt bedeuten würde. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hinzugerechnet die Sozialtransfers, die Transfers der Bundesmittel, dann wäre die Bundesrepublik Deutschland nicht am Ende des Rankings, sondern dann wären wir an der Spitze des europäischen Rankings. Das wissen Sie ganz genau. Deshalb: nicht dieses schäbige Argument.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten alle über die Wiedervereinigung froh sein.Wir sollten – Herr Ministerpräsident, ein Satz, den Sie auch

schon gesagt haben – ein Stück weit stolz darauf, dass wir es in so relativ kurzer Zeit nach vierzigjähriger Teilung geschafft haben, dieses Land wieder – –

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Wir reden über die Wiedervereinigung, und die Leute beklagen sie? Ich bin über die Position ausgesprochen verwundert.

Ich gebe Ihnen ja Recht. Natürlich befindet sich Deutschland in einer schwierigen Situation. Wir haben strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt. Wir haben strukturelle Probleme bei den sozialen Sicherungssystemen. Wir leiden unter der weltwirtschaftlichen Krise, verstärkt durch verbrecherische Terrorangriffe von verblendeten Fundamentalisten, und wir stehen vor einem dramatischen demographischen Wandel.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat die notwendigen Reformen auf den Weg gebracht. Die Gesetze sind verabschiedet und liegen vor. Nur, deren Umsetzung wird bislang von den B-Ländern im Bundesrat blockiert, vorneweg der Ministerpräsident, der nachher nachhaltig bestreiten wird, dass er eine Blockadehaltung einnimmt.

Herr Ministerpräsident, wie erklären Sie sich denn Ihre Äußerungen vom Oktober dieses Jahres, dass „wir diese Bundesregierung“ – wir, die Union – „durch schnörkellose, glasklare Opposition im Bundesrat stürzen sollen“? – Ich habe Ihnen vorhin gesagt, dass Sie am 2. Februar Ihren Zenit überschritten haben. Dies zeigt sich bei dieser Debatte. Da haben Ihnen Frau Merkel und die Unionsführung ordentlich einen mitgegeben.

Der „Wiesbadener Kurier“ hat Recht, wenn er am 22.10. titelt: „Umstürzler Koch allein in der Union“.

Auch Herr Stoiber hat Recht, wenn er Ihnen sagt: „Wir können keine Obstruktionspolitik betreiben.“ Auch Herr Wulff hat Recht, wenn er Ihnen sagt:

(Zuruf des Abg. Gerhard Bökel (SPD))

„Wir sind dem Land verpflichtet und nicht einer Partei.“ Herr Ministerpräsident, wenn Sie nachher reden, klären Sie uns auf.

(Frank Gotthardt (CDU): Das tut Not!)

Wir sind wissbegierig. Obstruktion ja oder nein? Wenn nein, wo sind Ihre Kompromisslinien? Klären Sie uns vor allem darüber auf, was Folgendes bedeutet

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

jetzt zitiere ich Ihren Haushaltsentwurf –: „... in Erwartung haushaltsentlastender bundespolitischer Maßnahmen 390 Millionen c global an Steuermindereinnahmen zu erzielen.“

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Herr Ministerpräsident, 390 Millionen c sind ein großer Batzen des Haushalts.Ich nehme an,dass Sie diese Zahl in irgendeiner Art und Weise errechnet haben.

(Heiterkeit bei der SPD)