Gerade jetzt wäre es bitter notwendig, dass wir wirklich Politik für Jugendliche machen. Sie haben auf den Ausbildungsnotstand hingewiesen. Nach den aktuellen Zahlen des Landesarbeitsamtes werden fast 10.000 Ausbildungsplätze in Hessen fehlen:Auf knapp 12.000 unbesetzte Stellen kommen in unserem Lande mehr als 21.000 Bewerberinnen und Bewerber.
Herr Ministerpräsident, für diese Jugendlichen muss Ihr Slogan vom Erfolgsland Hessen doch geradezu zynisch klingen.
Der Not gehorchend,planen Sie jetzt am 5.Mai einen runden Tisch für mehr Ausbildung. Das finde ich richtig, und dabei wünsche ich Ihnen im Interesse der Jugendlichen in unserem Lande viel Erfolg.Allerdings befürchten wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nach Ansicht dieses Regierungsprogramms, dass Sie es hier erneut nur bei Appellen an die Wirtschaft belassen.
Was wir aber brauchen, ist mehr als Appelle. Was wir brauchen, ist ein Programm, auch ein hessisches Programm, für mehr Ausbildungsplätze in unserem Land. Wenn Sie nicht wissen,wie das geht,dann schauen Sie einmal in das Wahlprogramm der SPD zur Landtagswahl. Da haben wir Ihnen eine ganze Menge aufgeschrieben, wie man Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen kann, jenseits von Programmen.
Sie sagen, alle müssen über die Grenzen gehen. Da haben Sie Recht, auch die Bundesebene muss über die Grenzen gehen.Wenn ich richtig informiert bin, hat das Kabinett in Berlin in den letzten Tagen beschlossen, dass die finanziellen Mittel zur Förderung von 100.000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen bereitgestellt werden – dies in schwieriger finanzieller Situation. Nur, wenn wir es nicht tun, wird es auf Dauer teurer. Wenn wir jetzt nicht in die Ausbildung und Qualifikation der jungen Menschen investieren, wenn wir jetzt kein Geld in die Hand nehmen, um diese Leute zu qualifizieren, werden wir in wenigen Jahren schon weitaus höhere Folgekosten haben.
Die Gleichstellungspolitik haben Sie angesprochen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel dieser Landesregierung ist die Gleichstellung von Mann und Frau.
Wenn man sich im Kabinett umschaut, muss man sagen, Herr Koch, bei dem Regierungsprogramm ist Ihnen wirklich etwas durch die Lappen gegangen. Da hätten Sie einmal Kontrolle lesen müssen. Denn in dem Programm heißt es wirklich, und das ist jetzt Realsatire:
Da die gleichrangige Besetzung von Gremien mit Frauen und Männern nach wie vor keine Selbstverständlichkeit ist, werden wir uns weiter dafür einsetzen, dass die Kompetenzen von Frauen bei der Besetzung von Gremien stärker berücksichtigt werden.
Herr Ministerpräsident, Sie schauen mich zweifelnd an. Das ist Originaltext aus Ihrem Regierungsprogramm. Ich glaube tatsächlich, dass Sie bei einem solchen Kabinett – „männlich dominiert“ wäre noch zurückhaltend formuliert – solche Sätze besser nicht in ein Programm hineinschreiben sollten. Man muss sie nicht wirklich kommentieren. Man muss nur nach links und rechts schauen und kann sagen: In der Tat, dieses Programm hat an einer Stelle Recht, die gleichrangige Besetzung von Gremien mit Frauen und Männern ist noch ein großes Problem, an dem wir arbeiten müssen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Vision 2015!)
Ich möchte zur Schulpolitik kommen. Sie versprechen in Ihrem Regierungsprogramm, dass Sie flächendeckend in Hessen Ganztagsschulangebote unterbreiten wollen. Das ist gut; jedenfalls formal entspricht dies einem der zentralen Versprechen meiner Partei im Landtagswahlkampf. Dieses Versprechen können Sie nur deshalb machen – das ist die Wahrheit,das haben wir im Wahlkampf auch immer
gesagt –, weil die Bundesregierung in diesem Jahr und in den nächsten drei Jahren geschätzt um die 80 Millionen € dem Land Hessen zum Aufbau eines Ganztagsschulsystems zur Verfügung stellt. Frau Kultusministerin, nach dem ganzen Hickhack, den Sie im Wahlkampf veranstaltet haben, was diese Bundesmittel angeht, hätten wir schon erwartet, dass Sie jetzt mit der absoluten Mehrheit ein bisschen lockerer sind. An dieser Stelle hätten Sie doch die rot-grüne Bundesregierung tatsächlich einmal loben können.
Diese 1 Milliarde € pro Jahr sind in der Tat kein Pappenstiel. Hier hätte die rot-grüne Bundesregierung es tatsächlich einmal verdient, dass sie gelobt wird, weil Ihnen das vieles einfacher macht.
Frau Kultusministerin, die flächendeckende Einführung der Ganztagsschulen habe ich jetzt gelobt; das ist gut.Was ich nicht loben kann, sind die Konzepte, die bei Ihnen hinter der Ganztagsschule stehen. Denn bislang haben Sie Ganztagsschule verstanden als Vormittagsschule plus möglicherweise Mittagessen und dann am Nachmittag zwei Stunden unter Aufsicht in der Schulbibliothek. Das ist, ganz zurückhaltend gesagt, ein Etikettenschwindel, und was viel schlimmer ist, es nützt den Schülerinnen und Schülern in unserem Land nichts.
Die Frau Kultusministerin ist nicht einverstanden mit dem, was ich sage. – Frau Kultusministerin, Sie glauben doch nicht wirklich, dass die zusätzliche Zuweisung einer halben Lehrerstelle aus einer Halbtagsschule eine Ganztagsschule macht.Das ist doch wirklich lächerlich,zu glauben, mit einer halben Lehrerstelle wird das eine Ganztagsschule.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen auch Bildungsfortschritt bei der Landesregierung, was frühkindliche Bildung angeht. Im letzten Jahr haben SPD und FDP zeitgleich Vorstellungen für frühkindliche Bildung entwickelt. Die Reaktion der Union war, vorsichtig formuliert, eher zurückhaltend. Hier sehen wir mittlerweile auch, dass die Landesregierung zumindest die Notwendigkeit anerkennt; das ist richtig. Allerdings, das Grundproblem gilt auch hier: Titel ohne Mittel. Durch wen und wie das finanziert werden soll, bleibt völlig schleierhaft.
Ein weiterer Bereich, wo wir Fortschritte sehen, sind die beruflichen Schulen. Dass diese zu Zentren lebensbegleitenden Lernens weiterentwickelt werden sollen, halten wir für richtig. Allerdings hätten Sie besser einmal bei Bernd Riege nachgesehen, was an Papieren vorhanden ist. Es reicht nicht, den beruflichen Schulen eine Perspektive anzubieten, irgendwann einmal mehr Autonomie zu bekommen, sondern die beruflichen Schulen brauchen jetzt sofort mehr Autonomie,um Handlungsfreiheit zu haben, um sich an regionalen Netzwerken zu beteiligen. Ebenfalls ganz wichtig: Die beruflichen Schulen brauchen jetzt ein Investitionsprogramm, um so modern ausgestattet zu werden, dass sie überhaupt die Zusammenarbeit mit diesen Ausbildungszentren der Wirtschaft organisieren können. Ohne diese zusätzliche Autonomie und ohne diese zusätzlichen Mittel können Sie berufliche Schulen
Aber der Kern der bildungspolitischen Debatte ist ein anderer. Der Kern der bildungspolitischen Debatte ist: Was steht an bildungspolitischen Grundsätzen hinter dem, was wir an Tagespolitik betreiben? Meine sehr verehrten Damen und Herren, da bin ich der festen Überzeugung, übrigens schon vor PISA, dass wir in unserem Land wieder eine Schulformdebatte brauchen. Wir müssen eine Debatte organisieren,auch in diesem Landtag,nicht nur über die quantitativen Voraussetzungen von Bildung, sondern auch über die qualitativen Voraussetzungen.
Frau Kollegin Beer, ich weiß, dass das gefahrgeneigtes Gelände ist. Da gibt es diese berühmten bildungspolitischen Schlachten der Siebzigerjahre, und da heißt es „Zwangsgesamtschule“ und „Griff in die sozialistische Mottenkiste“. Nur, da sind Sie bei mir absolut an der falschen Adresse.
Mit mir können Sie keine Diskussion über Fachdidaktik führen. Bei dem Begriff „Kuschelpädagogik“ denke ich eher an einen Sexualstraftatbestand als an Bildungspolitik. Ich bin also sehr weit weg von diesen Diskussionen.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wieso Straftat?)
Was ich aber sehr wohl glaube zu können, ist, mir objektive Ergebnisse dieser vergleichenden Tests anzuschauen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wird es wieder ernst. Ganz objektiv: Länder mit integrativen Systemen, beispielsweise Finnland und Schweden, schneiden in den internationalen Tests besser ab als die Bundesrepublik.
Das mag viele Gründe haben.Aber es lohnt sich, im Interesse unserer Kinder, sich das einmal genau anzuschauen. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen diese Debatte pragmatisch führen. Wir wollen diese Debatte eben nicht ideologisch führen.
Wir befürchten allerdings, dass diese Debatte im Hessischen Landtag nach wie vor ideologisch geführt werden muss, weil die Hessen-Union – so ist zumindest mein Eindruck – nach wie vor ideologisch tief in den Schulkämpfen der Siebzigerjahre verhaftet ist
und weil insbesondere die Frau Kultusministerin nach wie vor auf die möglichst frühzeitige, dann aber auch endgültige Auslese in der Bildungspolitik abstellt. Es ist doch ein völliger Unsinn: Nach diesen Vorstellungen soll quasi ein Tag im Leben einer Schülerin und eines Schülers der ganz
entscheidende Tag sein. Dieser Tag ist der letzte Schultag in der 4. Klasse. Jetzt zitiere ich wieder das Regierungsprogramm: An diesem letzten Schultag in der 4. Klasse wird „ein verbindliches Übergangsprofil in die 5. Klasse“ erstellt. Dann soll alles feststehen. Dann werden die Weichen gestellt,und es ist gut.– Liebe Frau Kultusministerin, mit diesen Vorstellungen aus den Siebzigerjahren werden Sie Ihre Vision der guten Schulen für das Jahr 2015 niemals erreichen können.
Es ist nicht ganz so, dass Sie das Problem nicht sehen. Sie versuchen auch eine Antwort darauf zu geben.
Frau Wagner, ich befürchte, das ist die gleiche Antwort, die Sie auch geben. – Im Regierungsprogramm heißt es: die Stärkung der Hauptschulen. Der Herr Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung auch angesprochen, wie schwierig es ist, überhaupt die Qualifikation zu erreichen, um in eine duale Ausbildung zu kommen. Das ist auch richtig. Schauen Sie sich einmal die Entwicklung der beruflichen Bildung an. In den Achtzigerjahren sind die theoretischen Anforderungen enorm nach oben gegangen. Noch 1970 hatte die Ausbildungsverordnung für einen Betriebsschlosser zwei Seiten.Heute hat die Ausbildungsverordnung für einen Industriemechaniker über 100 Seiten. Da kommt der traditionelle Hauptschüler, die traditionelle Hauptschülerin nicht mehr mit.
Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass mit den Füßen abgestimmt wird. Es ist doch eine Tatsche, dass die Hauptschule trotz aller christdemokratischen Stärkungsversuche in den letzten Jahren immer schwächer geworden ist. Das liegt daran, dass alle Kinder, wo es irgendwie geht oder wo die Eltern ein Stück weit die Motivation mitbringen, versuchen, mindestens in die Realschule zu kommen.