Protocol of the Session on November 5, 2003

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Staatsminister Weimar oder vielleicht besser Herr Ministerpräsident Koch – schließlich ist die Finanzpolitik seit kurzem Chefsache –, erst den Karren an die Wand fahren, dann aussteigen, sich den Scheitel gerade ziehen und sich dann auch noch als Sanitäter aufspielen wollen, das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die Oppositionsfraktionen in diesem Hause haben – sofern sie GRÜNE und SPD heißen, schon seit langem; die FDP, seit sie nicht mehr in der Regierung ist – darauf hingewiesen, dass ein Kassensturz in Hessen dringend nötig und dringend überfällig ist. Bis zur „Operation düstere Zukunft“ wurde dies entweder von Staatsminister Weimar in seiner doch erfrischenden Mundart als „dummes Zeusch“ – ich hoffe, ich konnte das richtig wiedergeben – oder von der CDU-Fraktion in analytisch scharfer Argumentation als „Quatsch“ bezeichnet. Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich die zweite Regierung Koch mit der „Operation düstere Zukunft“ jetzt endlich zu der Erblast der ersten Regierung bekannt hat. Das ist ein Fortschritt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Was bisher immer „dummes Zeusch“ oder „Quatsch“ war,ist jetzt Teil Ihres Regierungshandelns.Es ist ein Fortschritt. Das soll noch einmal festgehalten werden.

Das, was wir allerdings auch dieses Jahr als Haushalt für das Jahr Hessen vorgelegt bekommen, ist schon weniger ein Fortschritt.

(Norbert Schmitt (SPD): Eben!)

Es ist vielmehr eine ganz eigene Sicht auf die Welt. Es ist ein ganz eigenes Gedankengebäude. Als „Finanzer“ macht man viel mit ökonomischer Theorie und mit ökonomischen Annahmen. Das alles ist es nicht. Es ist keine ökonomische Theorie, es sind keine finanzpolitischen Annahmen, es ist schlicht und ergreifend wieder Weimars Welt, was uns mit diesem Haushalt vorgelegt wird. Mit seriöser Finanzpolitik hat es absolut wenig zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Staatsminister Weimar, manchmal habe ich den Eindruck, Sie spielen mit den Oppositionsfraktionen hier im Hause ein eigenartiges Spiel. Das Spiel geht so: Ich verstecke ein paar Luftbuchungen im Haushalt, mal sehen, ob ihr sie findet. – Herr Finanzminister, wir haben diese Luftbuchungen auch dieses Jahr wieder gefunden – vielleicht nicht alle.

(Norbert Schmitt (SPD): Eben!)

Aber das, was wir gefunden haben, reicht völlig aus, um zu sagen: Dieser Haushalt ist wieder unsolide und unseriös aufgestellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Fangen wir mit der größten Luftbuchung an, der Bezeichnung der „Operation düstere Zukunft“ als „größtes Sparpaket in der Geschichte Hessens“. Das ist die größte Luftbuchung.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr richtig!)

Im „größten Sparpaket in der Geschichte Hessens“ steigt das formale Ausgabenvolumen von 2003 bis 2004 um 400 Millionen c auf 21,4 Milliarden c. Auch bei den bereinigten Ausgaben wird rechtzeitig vor der Landtagswahl 2008 wieder richtig draufgesattelt.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Im „größten Sparpaket der Geschichte Hessens“ steigt die Neuverschuldung bis 2007 auf rund 32 Milliarden c.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Fast 30 % aller hessischen Schulden haben dann Roland Koch und seine Regierung aufgenommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Im „größten Sparpaket in der Geschichte Hessens“ steigen die Ausgaben für Versorgung bis 2007 weiter um über 10 %.Bei den Zinsausgaben gibt es allein im Jahr 2004 ein Plus von 6,8 %. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Sie zeigt eines: Gespart im eigentlichen Sinne wird gar nichts. Es wird gekürzt, um weniger Schulden aufzunehmen.Am Ende steht kein Sparguthaben, sondern stehen noch mehr neue Schulden. Statt der Überschrift „größtes Sparpaket in der Geschichte Hessens“ hätte die Landesregierung ehrlicher schreiben sollen: Regierung Koch will Verschuldensgrenze der Verfassung einhalten.– Das wäre bei Ihrer Landesregierung immer noch eine Sensation gewesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Kommen wir zu dem, was ich den Jo-Jo-Weimar-Effekt nenne. Spätestens seit Helmut Kohl kennen wir den einfachen Jo-Jo-Effekt. Der einfache Jo-Jo-Effekt geht so: Man fährt in den Urlaub an den Wolfgangsee,speckt 20 kg ab, kommt zurück aus dem Urlaub und schafft sich 30 kg

wieder drauf. – Damit es nicht parteipolitisch einseitig wird: Der frühere hessische Umweltminister und heutige Vizekanzler Joschka Fischer soll diesen Effekt auch kennen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das ist der normale Jo-Jo-Effekt. Die Leistung von Karlheinz Weimar ist es, diesen Jo-Jo-Effekt in die Finanzpolitik eingebracht zu haben. Schauen wir uns an, wie der finanzpolitische Jo-Jo-Effekt funktioniert. Im Entwurf des Landeshaushaltes gehen die Steuereinnahmen hoch. Im Haushaltsvollzug gehen sie wieder herunter. Im Entwurf des Haushaltes gehen die Erlöse aus Verkäufen hoch, im Haushaltsvollzug gehen sie wieder herunter. Im Entwurf geht die Neuverschuldung herunter, im Haushaltsvollzug geht sie wieder hoch. Das ist der so genannte Jo-Jo-Weimar-Effekt in der Finanzpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dieses Mal ist der Finanzminister bei den Buchungen allerdings zumindest teilweise kreativ. Wir alle kennen seine Zahlen über die Immobilienverkäufe. Es sollten immer 100 Millionen, 120 Millionen, 140 Millionen c sein. Es wurde in der Planung jedes Jahr mehr. Im Ist ist dann immer nicht viel dabei herausgekommen. Das kennen wir jetzt alles schon. Er hat es sich dieses Jahr auch nicht mehr getraut. Er hat jetzt nur noch gesagt, er will nicht mehr 20 Millionen c erlösen, wie im Nachtrag 2003, sondern 30 Millionen c. Das wird immer noch nicht klappen, es ist aber immerhin in der Nähe der Seriosität.

Dafür fällt ihm jetzt aber etwas Neues ein. Direkt unter diesem Haushaltstitel lesen wir: „Neu – Haushaltstitel 131 02, Erlöse aus der Veräußerung von Dienstgebäuden, Ansatz 2004 145 Millionen c.“ Ich kann nur sagen: Der Finanzminister lässt das Jo-Jo-Spielen nicht. Was bisher bei den normalen Verkäufen von nicht mehr benötigten Immobilien nicht geklappt hat, soll jetzt also durch die kreative Leistung von Karlheinz Weimar mit den Gebäuden passieren, die das Land noch nutzt. Ich sage voraus: Dieser Haushaltstitel wird das gleiche Schicksal erfahren wie der Haushaltstitel, der davor steht. Es wird eine Luftbuchung sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Dass es sich um einen Spielball der Finanzpolitik handelt, sehen wir daran, dass dieser Haushaltstitel zwischen der Vorstellung der „Operation sichere Zukunft“ und Vorlage des Haushaltsgesetzentwurfs eben einmal um 20 Millionen c erhöht wurde. Innerhalb von zwei Monaten wird dieser Haushaltstitel um 20 Millionen c erhöht. Warum oder wieso dies der Fall ist, weiß kein Mensch. Doch, wir wissen es. Wir haben es nämlich nachgeschaut. Es ist so: Die Zahlen, die Sie hinsichtlich des Personalabbaus im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ vorgestellt haben, stimmten nämlich nicht. Die Zahlen wurden korrigiert. Was haben Sie im Rahmen der „Operation sichere Zukunft“ gesagt? Da sollten es 2.150 Stellen sein, die im Haushalt des Jahres 2004 wirksam werden. In dem Entwurf des Landeshaushaltes für das Jahr 2004 lesen wir, dass es nur noch 1.957 sein sollen. Über die Jahre hinweg sollten es 4.750 Stellen sein. Jetzt sind es nur noch 3.992 Stellen. Weil das aber irgendwie mit der „Operation sichere Zukunft“ zusammenpassen musste und deshalb wieder 1.030 Millionen c herauskommen müssen, hat man dann aus der Luftbuchung ein Luftschloss gemacht

und eben einmal 20 Millionen c draufgesattelt: Das ist es, was ich mit unseriöser Finanzpolitik meine.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich möchte ein weiteres Beispiel für die unseriöse Finanzpolitik nennen. Das wurde schon angesprochen. Es betrifft die gesetzlichen Regelungen des Bundes. Bisher wurden im Haushalt immer globale Minderausgaben vorgesehen.Auch dabei war der Finanzminister jetzt kreativ. Es war ihm zu peinlich, noch einmal globale Minderausgaben in den Entwurf hineinschreiben zu müssen. Er hat stattdessen diesmal globale Mehreinnahmen in den Entwurf hineingeschrieben. Das ist eine kreative Leistung. 390 Millionen c sind aufgrund von gesetzlichen Regelungen des Bundes vorgesehen. Wir wissen bis heute nicht, wodurch Sie die einnehmen wollen.Bisher wissen wir nur, was Sie an steuerlichen Regelungen auf Bundesebene blockieren wollen. Was Sie wollen, wissen wir nicht. Das schlichte Fazit ist: Ohne entsprechende politische Regelungen auf Bundesebene fehlen Ihrem Haushalt 390 Millionen c. Ohne entsprechende politische Regelungen auf Bundesebene werden der Haushalt des Jahres 2004 und die gesamte Haushaltsplanung bis zum Jahr 2007 vom Ansatz her verfassungswidrig sein. Ohne entsprechende politische Regelungen auf Bundesebene ist Ihre Finanzpolitik am Ende, bevor sie vom Hessischen Landtag überhaupt beschlossen wurde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jürgen Walter und Norbert Schmitt (SPD))

Die Botschaft lautet schlicht: Roland Koch setzt auf Gerhard Schröder. – Das ist die Aussage des Finanzplans, den Sie hier vorgelegt haben.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Kollege Milde, Sie sollten einmal mit Herrn Merz sprechen. Er hat all die Mittel, deren Freigabe Sie durch Blockade politischer Regelungen auf Bundesebene bisher verhindert haben und die Sie jetzt trotzdem in Ihren Haushalt einstellen wollen, schon längst für seine Steuerreform ausgegeben. Ich kann da nur fragen:Was gilt denn jetzt in der CDU? Gelten die Aussagen des Herrn Merz, der Frau Merkel, des Herrn Müller, des Herrn Milbradt, des Herrn Teufel, des Herrn Althaus, des Herrn von Beust, des Herrn Böhmer, des Herrn Stoiber oder des Herrn Koch? Was gilt denn jetzt? Worauf bauen Sie Ihre Finanzplanung auf?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jürgen Walter und Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Gries- heim) (CDU))

Wir haben schon viel über die Textbausteine der Landesregierung gesprochen. Ich finde, Sie verdienen auch auf weitere Ihrer Textbausteine eine Antwort. Es handelt sich um die Textbausteine des Herrn Regierungssprechers. Er schreibt sie in der Staatskanzlei schön auf. Dann werden sie mit dem Ministerpräsidenten besprochen. Es ist dann relativ egal, wer sie vorträgt. Ob dies ein Staatsminister ist,ein Abgeordneter oder der Kreisvorsitzende der CDU, ist dann relativ egal, Hauptsache ist, der Textbaustein stimmt.

Ein Textbaustein lautet in etwa so: Wir haben Prioritäten gesetzt; manches wurde von den Kürzungen ausgenommen, an anderer Stelle dafür stärker gekürzt.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Ja!)

Ich finde, dieser Textbaustein ist ehrlich. Schauen wir uns doch einmal die Prioritäten dieser Landesregierung für den Haushalt des Jahres 2004 an. Die Schuldnerberatungsstellen in Frankfurt sollen sämtliche Zuschüsse verlieren, während die Pferderennbahn in Frankfurt-Niederrad ihren Zuschuss behalten wird.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der pro-familia-Landesverband wird seinen Zuschuss komplett verlieren, der Landesverband des Bundes der Vertriebenen wird seinen behalten. Bei den Verbraucherzentralen werden Mittel in Höhe von 460.000 c gestrichen. Gleichzeitig werden für das Verbraucherfenster von Herrn Dietzel 260.000 c eingestellt. Dort lobt Herr Dietzel, CDU, Frau Apel, CDU, und umgekehrt. Das sind die Prioritäten der Landesregierung von Roland Koch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Sehr üppig geht es bei der Ausstattung der neuen Staatskanzlei zu.Wir haben in einer der vergangenen Plenarsitzungen darüber debattiert. Damals hat Herr Kollege Williges gesagt, die CDU-Fraktion wolle den Herrn Ministerpräsidenten nicht auf einer Apfelsinenkiste sitzen lassen.

(Frank Gotthardt (CDU): Da hat er Recht! Sehen Sie das anders?)

Herr Kollege Williges, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Es muss keine Apfelsinenkiste sein. – Herr Kollege Williges, ich will in Ihrem Bild bleiben: Muss es denn für den Herrn Ministerpräsidenten eine Apfelsinenkiste aus Mahagoni sein, während viele soziale Initiativen nicht einmal mehr eine einfache Apfelsinenkiste haben werden? Sie werden vielmehr ihr Büro schließen müssen.