Protocol of the Session on November 5, 2003

Auch für den Haushalt 2004, die Finanzplanung und die Haushaltsbegleitgesetze gilt: Wenn die Länderhaushalte auch in Zukunft nicht Not leiden sollen und wir die Standards in Deutschland in Zukunft auf diesem Niveau halten wollen, dann brauchen wir in Deutschland endlich wieder Wirtschaftswachstum. Ich habe es gestern gesagt, und ich sage es auch heute: Das Land Hessen trägt ein kleines Stück dazu bei. Lassen Sie uns vor allem gemeinsam dafür kämpfen, dass in Berlin eine bessere Politik gemacht wird. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich erteile dem Abg. Wagner, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was die CDU seit der Vorstellung der „Operation düstere Zukunft“ abliefert, was wir gestern in der Rede des Herrn Finanzministers und gerade eben in der Rede von Herrn Kollegen Milde gehört haben, setzt nahtlos das fort, was wir in der letzten Plenarwoche mit dem Verbraucherportal von Herrn Dietzel erleben mussten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich spreche von der völligen Vermischung von Landespartei und Regierungsinteresse. Das haben wir heute hier erlebt. Bei Herrn Staatsminister Dietzel wurde auf einer mit Steuergeldern finanzierten Internetseite offen für die CDU geworben. Herr Staatsminister Dietzel hat den Anfang gemacht,bei der „Operation sichere Zukunft“ wurde es zum Prinzip erklärt. Das Prinzip lautet ganz einfach: Was Roland Koch macht, ist gut für die Landesregierung. Was die Landesregierung macht, ist gut für die CDUFraktion.Was gut für die CDU-Fraktion ist, ist gut

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Für Hessen!)

für die Union in Hessen insgesamt. – Meine Damen und Herren, Sie haben eines vergessen: unser Bundesland Hessen und die Menschen, die in ihm leben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der „Operation düstere Zukunft“ wurde nicht um den besten Weg in der Sache gerungen.Es ging schon gar nicht um fachliche Erwägungen. Das Einzige, worum es ging, ist, dass sich eine kleine Gruppe um Ministerpräsident Koch ausgedacht hat, wie sie den völlig an die Wand gefahrenen Haushalt, wie sie das völlige finanzpolitische Versagen der ersten Regierung Koch kaschieren könnte. Das ist das Einzige, worum es bei der „Operation sichere Zukunft“ ging.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, das treibt schon sehr merkwürdige Blüten. Da erleben wir ausgewachsene Minister, die nicht mehr um ihre Haushalte kämpfen, sondern wie die Streber auf der Regierungsbank ihre Haushaltspläne beim Ministerpräsidenten abgeben. Frau Staatsministerin Lautenschläger, bei Ihnen hat man den Eindruck, das macht Ihnen auch noch Spaß, wenn Sie Ihre Kürzungen im Sozialbereich abgeben können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Da gibt es 53 direkt gewählte CDU-Abgeordnete, die nicht mehr für die Projekte in ihren Wahlkreisen kämpfen, die sich nicht mehr dafür einsetzen, die nicht mehr schauen, was sie am Regierungshandeln noch verbessern wollen – nein, die im Gegenteil über die Projekte in ihren Wahlkreisen sagen, man sollte sich nicht so aufregen. Das sind die merkwürdigen Blüten, die die „Operation sichere Zukunft“ treibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Schlussendlich erleben wir einen Finanzminister, dem zu allem nur eines einfällt: die lapidare Feststellung „Berlin ist schuld.“ – Herr Staatsminister Weimar, was Sie hier gestern abgeliefert haben, war, um es sehr freundlich zu sagen, für einen hessischen Finanzminister doch zumindest unterkomplex.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine solche Rede mag für einen CDU-Parteitag gut und angemessen sein, auch nichts gegen die pointierte politische Auseinandersetzung. Aber Sie haben gestern nicht als Kreisvorsitzender der CDU Limburg-Weilburg gesprochen – das ist ja auch der Kollege Peuser –, sondern Sie haben als hessischer Finanzminister gesprochen. Dafür war es unterkomplex.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei Ihrer Ansprache ist mir eine Redewendung in den Sinn gekommen, die ich leicht abwandeln und auf Politiker beziehen möchte. Es gibt drei Arten von Politikern. Die einen sorgen dafür, dass etwas passiert. Die anderen schauen zu, wie etwas passiert. Und es gibt Dritte, die wundern sich, was um sie herum passiert. Herr Staatsminister, zumindest zur ersten Kategorie haben Sie nicht gehört.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben viel über Berlin, also über die politische Ebene gesprochen, von der der Herr Ministerpräsident nachts – wenn ich ihn mir anschaue, vielleicht auch tagsüber – träumt.Wir haben wenig davon gehört, was Sie in Hessen zu verantworten haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Haushaltslöcher, die Sie jetzt mit der „Operation düstere Zukunft“ bekämpfen wollen, kommen nicht von ungefähr. Sie haben vier Jahre sehr hart dafür gearbeitet, damit wir diese Haushaltslöcher in Hessen haben.

Meine Damen und Herren, sicher, es mag auch bundespolitische Gründe für die Finanzlage in Hessen geben.Aber sie entlassen Sie nicht aus Ihrer politischen Verantwortung, nicht aus Ihrer Verantwortung für die Gründe, die Sie als Regierungsfraktion hier in Hessen zu verantworten haben. Vor allem waren Sie doch an den steuerpolitischen Entscheidungen auf Bundesebene nicht unbeteiligt. Tun Sie doch nicht immer so,als hätten Sie mit diesen Entscheidungen nichts zu tun gehabt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Reden wir also über die Bundespolitik. Da brauchen wir uns doch gar nicht zu verstecken. Da gibt es den feststehenden Textbaustein des Finanzministers, die Steuereinnahmen hätten sich nicht so entwickelt wie geplant. Das bestreiten wir gar nicht. Was wir bestreiten, ist, dass die CDU und die Regierung Koch damit nichts zu tun hätten.

Die heute geltenden Einkommen- und Körperschaftsteuersätze gehen auf die Steuerreform 2000 zurück. Diese Reform konnte nur in Kraft treten, weil die damaligen großen Koalitionen in Berlin, Brandenburg und Bremen zugestimmt haben. Die CDU war bei den großen Koalitionen. Aber der Fairness halber: Die Hessische Landesregierung hat damals gegen die Steuerreform 2000 gestimmt, aber sie konnte nur mit den Stimmen der Union in Kraft treten. Das wollen wir einmal festhalten.

Spätestens im Jahre 2002 war absehbar, dass sich die Steuereinnahmen nicht wie geplant entwickeln. Ein wesentlicher Baustein der Steuerreform 2000 – wie eigentlich jeder Steuerreform – war weggebrochen, nämlich die so genannte Selbstfinanzierung. Rot-Grün in Berlin hat daraus Konsequenzen gezogen.Wir schreiben das Jahr 2002, mitten im Bundestagswahlkampf: Rot-Grün in Berlin hat trotz Bundestagswahlkampf keine weiteren Steuersenkungen versprochen, weil wir wussten, wir haben eine schwierige finanzpolitische Situation.

Anders die Union. Ich meine, ein Kurzzeitgedächtnis mag in der Politik von Vorteil sein. Sie und Ihr Kanzlerkandidat Stoiber – auch im Wahlkampf haben Sie es getan – haben weitere Steuersenkungen im Jahre 2002 bei wegbrechenden Steuereinnahmen versprochen. Sie wollten den Spitzensteuersatz um 9 % senken. Das wären Milliarden Euro Steuerausfälle auf der Bundesebene gewesen. Es wäre ein dreistelliger Millionenbetrag in Hessen gewesen. Das ist das, was Sie im Jahre 2002 zur bundespolitischen Steuerregelung vorgeschlagen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ende des Jahres 2002, Anfang 2003 sind die Steuereinnahmen weiter zurückgegangen. Auch das bestreiten wir nicht. Da gab es wieder einen Vorschlag der rot-grünen Bundesregierung. Sie hat das Steuervergünstigungsabbaugesetz vorgeschlagen – Einnahmeverbesserungen für Hessen ein dreistelliger Millionenbetrag. Dann war es nicht die Bundesregierung, die das gestoppt hat. Es waren an vorderster Front die Hessische Landesregierung und Roland Koch, die diese Einnahmeverbesserung blockiert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Finanzminister, Sie müssen sich schon einmal entscheiden, was Sie beim Thema Steuern sagen wollen.Wollen Sie beim Thema Steuern den Feuerwehrmann spielen, oder wollen Sie der Brandstifter sein? Sie müssen sich entscheiden. Beides zusammen geht zwar auch, aber man verbrennt sich sehr leicht die Finger, Herr Finanzminister.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Ihre Textbausteine gerne aufnehmen. Wir haben sie so oft gehört. Sie sollen endlich einmal eine Antwort darauf bekommen. Vielleicht lassen Sie die alten Textbausteine dann endlich sein. Der nächste Textbaustein der Landesregierung lautet: Wir brauchen Strukturreformen in Deutschland, damit wir endlich wieder Wachstum bekommen. – Da werden Sie von uns GRÜNEN in der Abstraktheit keinen Widerspruch hören. Natürlich brauchen wir in Deutschland Strukturreformen, damit wir wieder Wachstum bekommen.

Meine Damen und Herren, seit Monaten diskutiert die ganze Republik über Strukturreformen. Alles liegt auf dem Tisch: die Reform des Arbeitsmarktes, Hartz I und II sind in Kraft, Hartz III und IV sind vom Bundestag beschlossen, die Reform des Gesundheitswesens – die CDU hat den Vorschlägen der Bundesregierung zugestimmt –, die Reform der Gemeindefinanzen – liegt im Bundesrat, wird am Freitag abgestimmt –, die Agenda 2010 ist insgesamt auf den Weg gebracht.Es liegt doch alles vor.Jetzt ist die Union am Zug, die angeblich mit allem nichts zu tun hat, was auf Bundesebene passiert. Es liegt an Ihnen, ob wir es im Dezember schaffen, die notwendigen Reformen für unser Land endlich auf den Weg zu bringen, oder ob Sie es im Bundesrat wieder blockieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Spatzen pfeifen es längst von den Dächern. Mit den verantwortungsbewussten Kräften in der CDU ist eine Einigung in all diesen angesprochenen Themen möglich. Egal ob mit Merkel, Merz, Müller, Milbradt, Teufel, Althaus, von Beust, Wulff, Böhmer oder Stoiber – mit allen scheint eine Einigung möglich zu sein. Nur in Hessen wird ein anderer Marsch gespielt. Hier ertönt die alte bayerische Sonthofen-Melodie von Franz Josef Strauß: Blockade um der Blockade willen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, manchmal kommen Sie mir vor wie der letzte kalte Krieger der CDU, der noch nicht begriffen hat, dass um ihn herum die Perestroika ausgebrochen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt einen berühmten Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Meine Damen und Herren, kommen wir zu dem zurück, worum es im Hessischen Landtag eigentlich geht, wofür wir alle hier gewählt sind, und zwar nicht für die Ausflüge des Finanzministers in die Bundespolitik,sondern wir sind für hessische Interessen gewählt, für hessische Politik und für den hessischen Haushalt. Herr Finanzminister, alle Ausflüchte in die Bundespolitik helfen nichts, egal wie Sie es drehen und wenden. Hessens Finanzprobleme sind hausgemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Alles, was Sie zur Bundespolitik gesagt haben, kann eine ganz schlichte und einfache Frage nicht beantworten:Warum wird die Kreditwürdigkeit und somit die Finanzpolitik des Bundes – man höre und staune – sowie der Länder Bayern und Baden-Württemberg von der Ratingagentur Standard & Poor’s weiterhin mit der besten Note Triple-A bezeichnet, und warum wurde Hessen unter Ihrer Verantwortung vor ein paar Monaten abgestuft? Diese ganz einfache Frage können Sie mit all Ihren bundespolitischen Ausflüchten nicht beantworten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle haben die gleichen Rahmenbedingungen. Der Bund, Bayern und Baden-Württemberg bleiben in der Topliga. Hessen steigt ab. Da hilft kein Klagen nach Berlin. Dafür kann auch Eichel nichts. Das obliegt einzig und allein Ihrer hessischen Verantwortung. Oder, wie hat es der Bayerische Ministerpräsident so schön gesagt – ich zitiere –: Wer große Forderungen an die Bundespolitik stelle, müsse erst einmal das eigene Land in Ordnung bringen. – Die „Operation düstere Zukunft“ ist nichts anderes als die finanzielle Erblast, die die erste Regierung Koch der zweiten Regierung Koch hinterlassen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Lehrerinnen und Lehrer, die Polizistinnen und Polizisten, die weiteren Beamtinnen und Beamten, die vielen sozialen Initiativen, die Studierenden, die Forstarbeiter, die Landwirte, der Umweltbereich: Sie alle müssen für Ihre verfehlte Politik der letzten vier Jahre bluten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)