Ganz anders sieht das bei Religionslehrern aus, die an die Schule ausschließlich für Religionsunterricht abgeordnet sind. Das sind die Nonnen, die in ihrer Nonnentracht kommen, das sind die Priester oder die Ordensgemeinschaftsbrüder, die in der Kutte in die Schule gehen.Wenn wir einmal eine islamische Religionsgemeinschaft haben, die in diesem Land anerkannt ist und die für alle Muslime spricht, die dann eine Lehrerin zum Religionsunterricht an die Schule entsendet, dann kann diese Lehrerin selbstverständlich auch das Kopftuch tragen – aber nur als entsandte Lehrkraft und nur im Religionsunterricht und nicht als verbeamtete Lehrerin im Staatsdienst im allgemeinen Unterricht.
Auch da dürfen wir sehr gespannt sein. Das Kopftuch ist auch im Islam umstritten. Es wird sehr interessant sein, ob, wenn sich eine einheitliche Religionsgemeinschaft bildet, diese für Kopftücher tragende Lehrerinnen ist oder nicht.
Bei Schmuck – das muss ich ehrlich sagen – kann ich das nicht mehr nachvollziehen. Wenn Schmuck ein Schmuckstück ist und nicht ein bewusst zur Schau getragenes religiöses Symbol, dann bin ich ganz ehrlich der Meinung, dass sich Männer und Frauen um den Hals hängen können, was sie wollen. Das geht niemanden etwas an.
Ich frage Sie: Wie würde der Schulleiter – an diesem würde es hängen bleiben – jeden Morgen kontrollieren, was die Damen und Herren um den Hals hängen haben? Er müsste jedes Mal eine Körpervisitation durchführen. Das halte ich an den Schulen für nicht besonders glücklich.
Zu der Ansicht, dass Schülerinnen kein Kopftuch tragen dürfen sollen,die vereinzelt geäußert wurde,muss ich ehrlich sagen: Davon halten wir überhaupt nichts. Die Folge wäre nämlich gerade für diese Schülerinnen ein Schulverbot, wenn sie nicht mehr schulpflichtig sind, weil die Eltern sie ohne Kopftuch nicht aus dem Haus lassen. Das Zweite wäre die sehr intensive Forderung nach Privatschulen rein muslimischen Charakters. Das können wir alle nicht wollen.
Gerade junge Frauen aus dem muslimischen Umfeld benötigen sehr gute Bildung, um unabhängig zu werden, um sich gegen die Eltern durchsetzen zu können, um sich auch gegen die Zwänge durchsetzen zu können, um dann in Deutschland ein freies, selbst bestimmtes Leben führen zu können. So weit sollten wir nicht gehen. Wir sind gespannt auf den Gesetzentwurf der Landesregierung und sagen eine sehr intensive Prüfung zu.
Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir täten dieser Diskussion einen Tort, wenn wir behaupten würden, es handele sich um eine reine Debatte über Religion und Religionsfreiheiten. Nein, es handelt sich um eine Debatte über Weltanschauungen und die politische Nutzung von religiösen Symbolen. Das ist der wichtige Ansatzpunkt dieser Diskussion.
Das Verfassungsgericht hatte sich mit einer Frau auseinander zu setzen, die bewusst und auch als politische Demonstration ein Kopftuch als Angestellte und auch später als Beamtin des Landes Baden-Württemberg tragen wollte. Das war der Grund der Auseinandersetzung. Bei aller Vermeidung von Gerichtsschelte: Das Bundesverfassungsgericht hat sich diesem letztendlich entzogen. Es hat damit alle 16 Länder vor die außerordentlich schwierige Situation gestellt, dass sie übergangslos gezwungen werden, eine eigene gesetzliche Regelung zu finden. Denn es gibt keinen Vorschlag des Bundesverfassungsgerichtes für eine übergangsweise Lösung dieses Problems. Insofern kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen, was die drei Richter in ihrem Minderheitenvotum geschrieben haben. Meine Damen und Herren, das sollte man sich sehr gut zu Gemüte führen.
Ich bedaure dies.Aber ich denke, man muss sehr deutlich machen, dass die Religionsfreiheit mit dem Mäßigungsgebot von Beamtinnen und Beamten konkurriert. Damit meine ich nicht nur Lehrerinnen und Lehrer. Im Grunde muss man auch im Angestelltenbereich darüber nachdenken. Die Religionsfreiheit und das Mäßigungsgebot konkurrieren miteinander im öffentlichen Raum aufgrund des Eides, wie Frau Kollegin Henzler eben gesagt hat, aber auch aufgrund des Erziehungsauftrages der Lehrerinnen und Lehrer und der Notwendigkeit, sich in diesem Bereich mit eigenen Bekundungen zurückzuhalten,sprich zu mäßigen.
Ich will sehr deutlich darauf hinweisen, dass in der Kultusministerkonferenz die Kolleginnen und Kollegen, die gesagt haben, sie sähen sich nicht gezwungen, ein Gesetz zu machen, nicht gesagt haben, sie hätten keinen Handlungsbedarf, sondern sie haben bewusst gesagt, dass auch sie hier ein Problem sähen. Dies gilt z. B. für NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz.Sie sagen:Wir wollen vorläufig andere Regelungen finden, die nicht Gesetzesform haben. Aber ich prophezeie – dafür braucht es nicht sehr viel Prophetie –: Auch diese werden vor Gerichten landen. Bei allen Bemühungen um eine gerichtsfeste und verfassungsgemäße Regelung im Gesetz oder ohne Gesetz werden diese auf jeden Fall wieder vor den Gerichten landen.
Meine Damen und Herren, das Kopftuch betrifft nicht die Auseinandersetzung einer Mehrheitsgesellschaft mit ei
ner Minderheitsgesellschaft. Es betrifft nicht die Auseinandersetzung einer Gesellschaft mit der Religion des Islam, sondern wir haben hier eine zutiefst innermuslimische Auseinandersetzung.
Durch das Urteil ist eine weltweite massive Auseinandersetzung zwischen Muslimen über die Frage ausgelöst worden, ob das Kopftuch eine sinnvolle Regelung ist oder nicht. Es muss jedermann klar sein, dass es keine religiöse Vorschrift ist. Bei den Ländern, die vom Islam geprägt sind, haben wir nur die Alternative eines Gottesstaates oder eines streng laizistischen Staates.
Das haben wir in dieser Form nicht. Bei dieser Auseinandersetzung muss berücksichtigt werden, dass wir nicht etwa eine Spaltung innerhalb der Gesellschaft in unserem Land zwischen den Angehörigen dieser Religion und dem Rest haben, sondern wir haben einen erbitterten Streit innerhalb der muslimischen Gesellschaft. Wenn Sie die Stellungnahmen einzelner Gruppen oder Persönlichkeiten, Journalisten oder auch der Gruppe der Aleviten sehen, dann zeigt sich die Tiefe dieser Auseinandersetzung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kopftuch ist auch ein Thema der Gleichberechtigung. Damit müssen wir uns auseinander setzen. Frau Kollegin Henzler hat die Frage eben benannt. Wenn vorne im Klassensaal eine Lehrerein steht, die ein Kopftuch trägt, muss man sich die Frage stellen, ob sie damit zwangsläufig Einfluss auf ihre Schülerinnen nimmt und auch bewusst wirksam macht, und ob sich die Kinder davon lösen können, dass auf der einen Seite in der Schule eine kopftuchtragende Lehrerin ist und auf der anderen Seite zu Hause Druck ausgeübt wird.
Wir werden uns aufgrund der Reaktionen, die nun aus den Schulen kommen, sehr intensiv mit weiteren Fragen, die in diesem Zusammenhang stehen, befassen. Da gibt es Druck von zu Hause, aus religiösen Gründen etwa nicht am Sportunterricht oder an Landheimaufenthalten teilzunehmen. Wir müssen uns überlegen, wie der Staat damit umgehen soll. Die Kinder geraten in einen ernsthaften Loyalitätskonflikt. Das müssen wir miteinander besprechen.
Ich will ein Letztes nennen. In dieser Debatte wird immer wieder gesagt,es müsse eine strikte Neutralität für alle geben. Das kam auch eben zum Vorschein. Ich will sehr deutlich darauf hinweisen, dass unser Staat weltanschaulich neutral ist.Aber er ist nicht werteneutral.
Das muss in dieser Debatte mit diskutiert werden. Denn der Bildungs- und Erziehungsauftrag, den das Grundgesetz, die Hessische Verfassung und das Hessische Schulgesetz – in § 2 – beschreiben, bezieht sich darauf, dass wir in einer Kultur leben, die sich als christlich, jüdisch und abendländisch bezeichnet. Von dorther bezieht unsere Gesellschaft ihre Werte.Von dorther stammen die Grundsätze der Verfassung und die Grundrechte. Wenn wir dieses Thema als eines der Weltanschauung betrachten und nicht als eines der Toleranz im religiösen Sinne,dann muss man auch sehr deutlich machen,dass die Lehrerinnen und Lehrer, unabhängig davon, welches Fach sie unterrichten, in der Verpflichtung stehen, im Sinne dieser christlich-hu
Dementsprechend muss man hinsichtlich dieses Urteils sehr gut abwägen. Denn dieses Urteil enthält zwei Aussagen.Die eine Aussage bezieht sich auf die Neutralität.Das wurde hier immer wieder einseitig zitiert.Die andere Aussage macht aber sehr deutlich, dass das Gericht nicht die Absicht hat, die kulturellen Traditionen eines Landes außer Acht zu lassen. Meine Damen und Herren, wir machen hier einen Spagat. Ich habe nicht vor, den Bildungsund Erziehungsauftrag zu verletzen, den die Hessische Verfassung und das Hessische Schulgesetz vorgeben.Vielmehr gilt dieser Bildungs- und Erziehungsauftrag weiterhin. Er gilt für alle.
Frau Staatsministerin, vielen Dank. – Ich habe jetzt noch die Wortmeldung der Frau Kollegin Wagner. Frau Wagner, Ihnen steht eine halbe Minute Redezeit zu. – Bitte sehr.
Es handelt sich um drei Themenkomplexe. Unabhängig von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu dieser Frage ist heute Morgen wieder klar geworden, dass unser Grundgesetz die Artikel der Weimarer Verfassung zur Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche übernommen hat. Das Grundgesetz sieht keine Neutralität vor, wie man es bei einem Vergleich bei anderen europäischen Verfassungen findet.
Anders, als es in Frankreich der Fall ist, haben wir ein so genanntes hinkendes Verhältnis von Staat und Kirche. Das ist uns aus den Traditionen des Mittelalters erhalten geblieben.Wenn Sie so wollen, könnte man sagen, dass es bei uns eine wertehaltige Orientierung an der christlichen, abendländischen und jüdischen Kultur gibt. Diese ist dann Inhalt von Gesetzen, Konkordaten mit dem Vatikan und von Staatsverträgen, die auch mit freien Religionsgemeinschaften geschlossen wurden.
Das führt dann dazu, dass wir z. B. ein Kirchensteuerrecht haben. Das ist in anderen Ländern nicht der Fall. Bei uns gibt es Leistungen des Staates gegenüber der Kirche etc. Das alles spielt dabei mit eine Rolle. Wir können nicht einfach ein Gesetz erlassen, das sich auf das Tragen von Kopftüchern bezieht. Hier gibt es ganz tiefe Implikationen.
Ich komme zum zweiten Punkt. Liebe Frau Wolff, wir haben es hier mit einer Fragestellung zu tun, die nicht nur das Tragen von Kopftüchern betrifft. Vielmehr geht es hier wirklich um Symbole,die alle betreffen.Da kann man ganz unterschiedlicher Meinung sein. Ich glaube, hier muss jeder Abgeordneter eine freie Entscheidung treffen und sich nach seinem Gewissen entscheiden. Dabei kann nicht nach Fraktionen abgestimmt werden.
Ja. – Der dritte Punkt ist der, dass es dabei auch um einen politischen Missbrauch religiöser Symbole geht.
Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, es gibt keine weitere Wortmeldung. Damit ist diese Aktuelle Stunde abgehalten.