Protocol of the Session on September 27, 2007

(Beifall bei der FDP – Heiterkeit des Abg. Jörg- Uwe Hahn)

Nun wird als Argument angeführt, dass auch andere Bundesländer dieses Modell übernehmen würden.Hierzu kann ich nur sagen: Das ist sehr löblich, aber hoffentlich machen diese bei der Umsetzung vieles anders, als es hier in Hessen geschehen ist.

(Ministerin Karin Wolff: Gar nicht, es gibt nur we- niger Geld!)

Nun zum G 8. Die Schulzeitverkürzung ist sowohl inhaltlich als auch in ihrer Umsetzung völlig unzureichend vorbereitet gewesen. Dabei hätte man sich ein Beispiel an den Turboklassen nehmen können, denn diese hat es bereits gegeben. Mittlerweile gibt es Kinder, die nun in der Jahrgangsstufe 11 sind und die diese Turboklassen erfolgreich durchlaufen haben.

Die Schulen haben dies damals folgendermaßen gemacht: Sie haben nach der Klasse 5 die Besten der 5. Klasse in eine gemeinsame neue 6. Klasse zusammengeführt und haben im Anschluss sofort mit der zweiten Fremdsprache begonnen. Diese Klasse wurde dann zum Abitur geführt. Es wurde gesagt, dies seien so leistungsstarke Schüler, dass man ihnen zwar denselben Stoff vermitteln,die Lernund Wiederholungszeiten aber kürzen könne.Diese Schüler bräuchten den Stoff in der Schule nur einmal zu wiederholen, dann sitze er und werde gekonnt. Das geht bei gleichen Lehrplänen; da kann man das machen.

Das geht aber nicht mehr,wenn man plötzlich alle Kinder, die im Gymnasium angemeldet werden, diesen schnellen Weg gehen lässt und die Klassen auch noch auf bis zu 34 Kinder pro Klasse vollstopft. Die Turboklassen waren nämlich alle mit unter 30 Kindern pro Klasse bestückt. Es ist ein Unterschied, ob man im Unterricht lediglich den Lernstoff vermittelt und die Vertiefung den Schülern und ihren Eltern überlässt oder ob man auch in der Schule Zeit für Wiederholungen hat.

(Beifall bei der FDP)

Hierzu sage ich Ihnen eines: Da nützt der Ausspruch „gefühlte Veränderungen“ und „das Verfahren hat seine Richtigkeit“, den die Kultusministerin gemacht hat, gar nichts. Auf die Forderung, das zu überarbeiten, haben Sie am 24. September dieses Jahres in der „Fuldaer Zeitung“ gesagt, das G 8 sei sehr behutsam und gut vorbereitet eingeführt worden, die überarbeiteten Lehrpläne seien mit Zustimmung des Elternbeirats in Kraft getreten, sodass das Verfahren seine Richtigkeit gehabt habe. – Das Verfahren hatte seine Richtigkeit,dennoch ist es für die Schulen nicht praktikabel und umsetzbar.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt ein weiteres Zitat, das besagt, dass sich Eltern zumeist als überforderte Nachhilfelehrer sähen, weil aufgrund der Stofffülle im Unterricht zumeist keine Gelegenheit zum Einüben bleibe. Das können Sie, Frau Kultusministerin, als Lehrerin kaum glauben, denn Sie kommentierten dies wie folgt: „Üben gehört zum täglichen Geschäft. Ich würde keinem Lehrer wünschen, dass er dazu keine Zeit mehr hat.“

Dann fragen Sie die Schülerinnen,Schüler und Lehrer vor Ort doch einmal danach,was sich diese wünschen würden.

Diese wünschen sich nämlich klipp und klar eine Entrümpelung der Lehrpläne, weil sie aufgrund der Stofffülle keine Zeit mehr haben,genügend Wiederholungen durchzuführen. Es gibt nicht mehr genügend Zeit zum Lernen. Der Druck auf die Elternhäuser ist deutlich gestiegen, weil sehr viel Lernzeit, die in der Schule stattfinden müsste, auf die Elternhäuser verlagert wird – und dies, obwohl der Schulunterricht bis in den Nachmittag hinein geht.

Eine zweite Tatsache ist,dass Schulbücher fehlen.Zur Anschaffung von Schulbüchern ist der Haushaltsansatz erhöht worden, dennoch reicht dies nicht, wenn man zwei Jahrgänge parallel unterrichten will. Es mangelt den Schulen an passenden Schulbüchern.

Nun zur dritten Tatsache, dass nämlich die Curricula der zweiten Fremdsprache nicht auf die Verkürzung abgestimmt worden sind.Aber auch das ist etwas,was man vorher hätte wissen müssen – dass es nämlich bestimmter grammatikalischer Voraussetzungen bedarf, die im Deutschunterricht gelehrt werden müssen, bevor man mit Latein als zweiter Fremdsprache beginnen kann.

(Beifall bei der FDP)

Hinzu kommt nun die massive Kritik des Landeselternbeirats am G 8.Die Mittagspausen sind nicht richtig strukturiert, Mittagessen sind nur unzureichend möglich.Auch in diesem Falle fing man aber schließlich an, zu sagen: Wenn der Wochenstundenplan auf 35 oder 36 Stunden ausgedehnt wird, dann brauchen Schulen auch geeignete Räume für die Nachmittagsbetreuung sowie das Mittagessen. – Doch da waren die IZBB-Mittel leider schon zum großen Teil verplant. Deshalb hat man im Kommunalen Finanzausgleich aufgestockt, um dies – –

(Mark Weinmeister (CDU): 36 Stunden?)

Natürlich,gehen Sie doch einmal in eine 7.oder 8.Klasse einer Schwerpunktschule für Musik; da haben die Schüler zusätzlich noch Musikunterricht. Herr Weinmeister, es tut mir leid, aber Sie laufen immer durch die Weltgeschichte, ohne wirklich mit den Leuten zu reden.

(Zuruf von der CDU: Dafür haben wir ja Sie!)

Ja, dafür haben Sie mich; ich mache das auch. – Die Landesregierung hat das Turboklassenmodell ohne genaue Überlegungen dem kompletten gymnasialen Bildungsgang übergestülpt. Das geht eben nicht so einfach. Unsere Warnungen, dass dies ein Run auf die IGS auslösen würde,wurden in den Wind geschlagen,obwohl es nun genau so gekommen ist.

Was die FDP-Fraktion allerdings am schlimmsten trifft, und dies sollte auch die SPD-Fraktion treffen, sind die Auswirkungen auf die kooperativen Gesamtschulen. Die kooperativen Gesamtschulen sind in den Siebzigerjahren unter SPD/FDP-Regierungen gemeinsam geschaffen worden, weil diese eigentlich das Idealbild des Wunsches darstellen, Kinder länger gemeinsam lernen zu lassen – nämlich in der Förderstufe im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren, damit man sie dann entsprechend ihrer Begabungen in die drei Bildungsgänge bringen sowie gezielt auf die spezifischen Abschlussprüfungen vorbereiten kann. Das war eine Schulform, die insbesondere im ländlichen Raum sehr gut angenommen wurde, weil sie alle drei Bildungsgänge in einem Haus angeboten hat und weil sie die Durchlässigkeit, die hier immer wieder gefordert wird, als einzige Schulform wirklich gut hingebracht hat.

(Beifall bei der FDP – Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) schüttelt den Kopf.)

Herr Wagner, schütteln Sie nicht den Kopf. – Die Durchlässigkeit war in der KGS sehr viel mehr gewährleistet als in der IGS, und das schon damals. Diese verpflichtende Verkürzung für die kooperativen Gesamtschulen hat die Förderstufen vernichtet, weil eine Förderstufe plus Verkürzung nur dann durchführbar ist, wenn es sich um eine sehr große Schule handelt. Davon gibt es zwar einige, doch sind dies sehr wenige. Die meisten anderen Schulen haben sofort gymnasiale Eingangsklassen geschaffen, sodass sie die Förderstufe nur noch für die Haupt- und Realschüler anbieten durften und der Ursprungsgedanke der Förderstufe, nämlich alle drei Bildungsrichtungen in einer Klasse zu haben, ad absurdum geführt wurde. Das heißt, die Förderstufen wurden sofort abgeschafft.

Man hat auch die Alternative für den gymnasialen Bildungsgang, das Abitur in sechs Jahren, abgeschafft. Die KGS musste bei den Eingangsklassen genauso kürzen wie das Gymnasium. Hätte man hier eine Alternative gelassen, dann hätte man diesen Run auf die herkömmlichen Gymnasien nicht gehabt, sondern es hätten wirklich nur die Eltern ihre Kinder aufs Gymnasium geschickt, die gesagt hätten:Wir trauen unseren Kindern das zu; sie sind so leistungsstark, dass sie es auch mit relativ kurzen Wiederholungszeiten schaffen werden. – Die anderen Eltern hätten die kooperative Gesamtschule als wirkliche Alternative gewählt.

(Beifall bei der FDP)

Daher wird insbesondere im ländlichen Raum – darauf habe ich bereits hingewiesen – der gymnasiale Bildungsgang deutlich ausgedünnt. Eines ist ganz klar: Die Schulvielfalt und die Wahlfreiheit der Eltern sind ausgedünnt worden, als man den kooperativen Gesamtschulen diese Verkürzung aufgezwungen hat.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP-Fraktion steht ganz klar zum G 8.Wir haben das immer gefördert, und wir wollen das auch.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind der Meinung, dass es Kinder gibt, die in zwölf Jahren ein erfolgreiches Abitur ablegen können.Für diese Kinder muss es ein Angebot geben.Wir sind aber auch dafür, dass es genügend gute Alternativen für die Kinder geben muss, die ein Jahr länger brauchen, insbesondere an den kooperativen Gesamtschulen.

(Beifall bei der FDP)

Wir fordern in unserem Antrag deshalb noch einmal – wir haben dies bereits vor vier Jahren gefordert, doch wurde es leider abgelehnt –, dass die kooperativen Gesamtschulen wählen können, ob sie verkürzen oder nicht, sowie schnellstmöglich zu den sechs Jahren Sekundarstufe I zurückkehren können.

Herr Bundespräsident Köhler hat sich für eine systematische Auslese der Besten bei einer Chancengleichheit im Bildungssystem ausgesprochen. Hierbei hat er sich insbesondere für die Förderung der Besten ausgesprochen. Deshalb halten wir es für richtig und gut, dass es ein Gymnasium gibt, das die Schüler in relativ kurzer Zeit auf das Abitur vorbereitet. Ich denke, dass dieses Angebot richtig ist – unter der Voraussetzung, dass es genügend Alternativen gibt.

Nun zum dritten Problem: die große LUSD. In Bezug auf die LUSD gab es sogar Kritik aus den Reihen der CDUFraktion. Der Schuldezernent in Gießen, Herr Fricke, fordert für die Mehrarbeit der Schulsekretärinnen mehr Geld. Ich habe gerade die Antwort der Kultusministerin vom Dienstag noch einmal nachgelesen und stelle fest, dass seine Forderung wohl vergeblich sein wird. Sie hat sehr deutlich gesagt, dies werde betrachtet, wenn die LUSD erst einmal funktioniere. Es werde geprüft, welche Minderarbeit sie für die Sekretärinnen bedeuten werde; und dies werde mit der Mehrarbeit, die die Schulsekretärinnen gemacht hätten, verrechnet. Es wird mit ziemlicher Sicherheit für die Schulsekretärinnen überhaupt kein Geld geben.

Wir bekräftigen unsere Forderungen. Allein die Landesregierung hat den Schulen die Suppe eingebrockt. Deshalb muss die Landesregierung diese Suppe für die Schulen auch wieder auslöffeln.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt,alle,die durch LUSD geschädigt sind,brauchen einen Ersatz, brauchen eine finanzielle Zuwendung, nicht nur die Lehrer. Herr Staatssekretär Jacobi hat den Schulleitungen schriftlich eine Mehrarbeitsvergütung angekündigt. Er hat geschrieben:

Die aufgetretenen Probleme bei der Erstellung der Halbjahreszeugnisse haben bei Ihnen auch zu einer erheblichen und nicht von Ihnen zu vertretenden Mehrarbeit geführt. Deswegen kündige ich an, dass wir den davon betroffenen Kolleginnen und Kollegen über die Anerkennung von Mehrarbeit einen finanziellen Ausgleich zukommen lassen werden.

(Ministerin Karin Wolff: Das ist schon vom Fe- bruar!)

Dieser Brief stammt von damals. Das ist wunderbar. Wenn Sie diese Mehrarbeit bereits vergütet haben, werden wir in der nächsten Ausschusssitzung fragen, in welcher Höhe Sie vergütet haben, nach welchem Schlüssel Sie vergütet haben und ob die Herstellerfirma, die Ihrer Meinung nach für das Chaos verantwortlich ist, einen Teil dieser Vergütung übernommen hat.

Frau Kollegin Henzler, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Ich komme zum Fazit. Die drei Projekte LUSD, G 8 und U plus sind Beispiele für das Scheitern der Landesregierung in der Schulpolitik. Sie sind Paradebeispiele dafür, dass die CDU-Alleinregierung weder über das nötige Problembewusstsein noch über die nötige Problemlösungskompetenz verfügt. Mit öffentlichen Verkündigungen und Hochglanzbroschüren allein macht man keine solide Schulpolitik. Dafür ist dieses Gebiet zu vielfältig und zu sensibel. Die Testpersonen sind nämlich immer die betroffenen Kinder. Diese betroffenen Kinder haben nur eine Chance, sind nur einmal in der Schule. Das können sie nicht wiederholen. Deshalb kann man sie nicht als Testpersonen verwenden.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Henzler. – Zu einer Kurzintervention hat sich Frau Kollegin Habermann zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Henzler,ich habe mich an der Stelle gemeldet,als Sie über das Hamburger System und über die gleiche Ausstattung von Schulen gesprochen haben. Ich habe mich gemeldet, weil ich diese Argumentation für falsch halte. Ich will nicht sagen, für unredlich.Aber ich wollte an dieser Stelle zumindest einige Bemerkungen dazu machen.

Sie wissen genau, dass auch zurzeit Schulen nicht gleich ausgestattet sind. In Hessen kann eine Gymnasialklasse mit 33 Schülern und eine Hauptschule mit 18, höchstens 20 Schülern bestehen. Das heißt, wir gehen auch davon aus, dass insbesondere Schüler mit schwächeren Lernvoraussetzungen eine stärkere Bindung an die Lehrkräfte brauchen, dass wir dort eine intensivere Förderung in den Klassen brauchen. Ich glaube, genau das gilt auch, wenn man Klassen mit sehr heterogener Schülerschaft unterrichtet. Das ist genau der Inhalt dessen, was Herr Wagner vorgetragen hat, was auch wir unter individueller Förderung und Differenzierung innerhalb der Klassen verstehen. Dafür bedarf es einer großen pädagogischen Anstrengung, und dafür bedarf es meines Erachtens auch einer besonderen Ausstattung. Ich glaube, man kann an dieser Stelle nicht davon reden, dass dies ungerecht sei oder einen Zwang auf Eltern ausübe, sich für bestimmte Schulformen zu entscheiden. Frau Henzler, Ihre Form von Gleichheit hat zu genau der Ungleichheit der Bildungschancen in Hessen geführt, die wir im Moment haben. Da wollen wir gerne Abhilfe schaffen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Habermann. – Frau Henzler hat Gelegenheit zur Antwort.

Verehrte Kollegin Habermann,in einem stimme ich Ihnen völlig zu: bei der intensiven Förderung aller Kinder.Wenn aber dieses Wort in den Mund genommen wird – deshalb habe ich vorhin den Bundespräsidenten zitiert –, dann heißt es immer: intensive Förderung der schwächeren Kinder. – Zukünftig soll das auch auf die starken Kinder übertragen werden. Es heißt, die schwachen Kinder lernen von den starken. Das ist richtig.

(Beifall bei der FDP – Heike Habermann (SPD): Heterogene Gruppen!)

Dagegen habe ich auch nichts. Aber die starken Kinder haben eine genauso intensive Förderung verdient wie die schwachen Kinder.