Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal einen Bogen zum Anfang schlagen. Wenn wir die Rechte von Kindern
in die Verfassung aufnehmen,wenn wir die Verfassung dahin gehend modernisieren, dass wir Kinder als eigenständige Persönlichkeiten sehen, wenn wir anerkennen, dass jedes Kind als eigenständige Persönlichkeit anerkannt werden muss, dass jedes Kind das Recht hat, sich zu entfalten und zu entwickeln, dass es ein Recht auf die Gewährung von Schutz,auf Förderung und Partizipation hat, wenn uns das gelingt, dann ist die Aufnahme der Rechte von Kindern in die Verfassung zwar ein erster Schritt,aber er entlässt uns nicht aus unserer Verpflichtung zum Handeln. Im Gegenteil, wir sollten jetzt damit anfangen, konkrete Konzepte zu erarbeiten, um eine bessere Zukunft für die Kinder in Hessen zu gestalten.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! „Kevin und die Folgen – wie schützt der Staat unsere Kinder?“, das war das Thema einer hochkarätig besetzten Diskussionsrunde, zu der die Kinderhilfestiftung Frankfurt und unsere Staatsministerin Lautenschläger in der vergangenen Woche eingeladen haben.Einig war man sich darin, dass man eine Werteverschiebung zugunsten der Belange unserer Kinder in der Gesellschaft braucht.
Meine Damen und Herren, wie schützt der Staat unsere Kinder? Das ist eine Frage, der wir uns auch in diesem Parlament stellen müssen. Die Anhörung, die der Hessische Landtag zu diesem Thema durchgeführt hat, hat uns allen gezeigt, wie wichtig es war, dass das Thema Kinderschutz in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist. Die Kinder sind nämlich das schwächste Glied unserer Gesellschaft. Leider gibt es auch bei uns Kinder, die unendliches Leid tragen müssen, oft unbemerkt von der Öffentlichkeit. Sie sind ihren Schutzbefohlenen ausgeliefert, und sie können sich kaum wehren. Durch die verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit ist die Zahl der Meldungen von Verdachtsfällen durch die Bevölkerung deutlich gestiegen. Ich finde, das ist gut so, denn wegzuschauen ist das Schlimmste,was wir tun können.Ich kann nur an alle Bürgerinnen und Bürger appellieren, nicht wegzuschauen, wenn es Hinweise darauf gibt, dass Kinder misshandelt oder vernachlässigt werden.
Den Eltern alleine die Schuld zuzuweisen, damit werden wir aber unserer Verantwortung nicht gerecht. Meist gibt es im Vorfeld eindeutige Signale: Die Eltern befinden sich in Stresssituationen, sind im Umgang mit ihrem Kind überfordert, oder sie finden keinen Weg aus einer schwierigen Situation. Deshalb halten wir die Präventionsarbeit für besonders wichtig. Wir müssen den Eltern frühzeitig Hilfestellungen geben. Wir werden diesbezüglich bereits bei den Hebammen anfangen.
Es ist aber genauso eine Aufgabe des Staates, Fälle von Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung frühzeitig zu erkennen und die Kinder zu schützen. Wir brauchen deshalb einen wirksamen Kinderschutz in Deutschland. Die deutsche Jugendministerkonferenz, in der unser Bundesland durch Ministerin Lautenschläger vertreten ist, hat am 1. Juni dieses Jahres in Potsdam beschlossen, die Aufnahme der Rechte der Kinder in die Verfassung im kommenden Jahr zu einem Schwerpunktthema zu machen.
Dreh- und Angelpunkt ist die heute bereits mehrfach erwähnte UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahre 1989, die von der BRD 1992 ratifiziert wurde. Ein wesentliches Element dieser Konvention ist die Subjekt-Stellung des Kindes. Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten. Ihnen stehen eigene Rechte zu.
Wir wissen, dass es zu Interessenkollisionen zwischen den in der Verfassung bereits verankerten Elternrechten – siehe Art. 55 der Hessischen Verfassung – und den Rechten von Kindern kommen kann. In seiner Stellungnahme in der Anhörung des Landtags zum Thema Kindeswohl hat der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft gegen Kindesmisshandlung und -vernachlässigung, Richter a. D. Blumenstein, erhebliche Defizite in der Wahrnehmung der Interessen der Kinder bei allen damit befassten Instanzen gesehen.
Wir müssen also handeln. Wir brauchen eine kinderfreundliche Gesellschaft. Das ist dringend notwendig. Diskussionen, die uns in der Vergangenheit schon häufiger begegnet sind, z. B. im Zusammenhang mit der Genehmigung von Spielplätzen oder Bolzplätzen über die Lärmbelästigung von Anwohnern, werden uns, so fürchte ich, in Zukunft immer häufiger begegnen, denn Kinder werden nicht mehr ganz selbstverständlich ein Teil des täglichen Lebens aller Bürger sein.
Zudem soll die Stellung von Kindern gegenüber ihren Erziehungsberechtigten in Augenschein genommen werden. Wir müssen eine Antwort auf Fragen geben, die sich aus den Erziehungsrechten der Eltern ergeben können, denn das Kindeswohl muss im Zweifel an oberster Stelle stehen. Das gilt auch für den Datenschutz. Das hat die Anhörung zur Kindeswohlgefährdung eindeutig gezeigt. In dieser Anhörung wurde es positiv beurteilt, dass die Bestimmungen zum Thema Kinderschutz im Kinder- und Jugendhilfegesetz in Verbindung mit § 8a SGB VIII den Schutzauftrag zur Verhinderung einer Kindeswohlgefährdung rechtlich konkretisiert haben. Auch das hessische KJHG hat eine entsprechende Regelung bekommen. Die Aufnahme der Rechte von Kindern in die Hessische Verfassung wäre eine gesellschaftspolitische Entscheidung zugunsten der Kinder.
Ich muss Sie aber an dieser Stelle daran erinnern – Herr Rentsch hat es schon geahnt –, dass diese Verfassungsdebatte bereits Gegenstand der Arbeit der Enquetekommission zur Reform der Hessischen Verfassung gewesen ist. Ein Blick in den Bericht der Enquetekommission zeigt, dass sich die Fraktionen bereits auf einen konkreten Formulierungsvorschlag geeinigt hatten. Meine Damen und Herren, eines will ich an diese Stelle klarstellen: Wir halten eine Reform unserer Hessischen Verfassung weiterhin für unbedingt notwendig. Wir sind davon überzeugt, dass die Kinder- und Jugendrechte eine explizite Erwähnung in einem eigenen Artikel finden müssen. Ich erinnere aber daran – das darf nicht verschwiegen werden –,
Auf der Grundlage eines breiten Konsenses hätte folgender Änderungsvorschlag bereits zu diesem Zeitpunkt Eingang in die Verfassung finden können. Art. 4 Abs. 2 hätte dann gelautet: „Kinder und Jugendliche haben das Recht auf eine gedeihliche seelische, geistige und körperliche Entwicklung. Sie sind durch staatliche und gemeindliche Maßnahmen und Einrichtungen vor sittlicher, geistiger und körperlicher Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch, Gefährdung und Gewalt besonders zu schützen.“ Art. 4 der Hessischen Verfassung begründet den staatlichen Schutz und den Förderungsauftrag aller staatlichen Stellen für eine gedeihliche und gesunde Entwicklung der Kinder und der Jugendlichen, insbesondere eine Verpflichtung des Staates, junge Menschen vor Gefahren zu schützen, insbesondere vor Drogen, Kriminalität und sonstige Formen der Verwahrlosung. Die Aufnahme der Rechte von Kindern und Jugendlichen muss auch weiterhin unser gemeinsames Ziel sein.
Ich will hier aber eines deutlich machen: Die Aufnahme der Rechte von Kindern in die Hessische Verfassung darf keinesfalls zur Wahlkampfpropaganda kurz vor Ende der Legislaturperiode verkommen. Wir sollten uns Zeit lassen, und wir sollten eine solche Verfassungsänderung in Ruhe beschließen. Eine Verfassung ist kein Gesetz, dass regelmäßig einmal in der Legislaturperiode angepasst werden kann. Die Verfassung ist ein hochstehendes Gut, mit dem sorgfältig umgegangen werden muss. Deshalb sind wir nach wie vor der Überzeugung, dass wir eine grundlegende Verfassungsreform und kein Stückwerk brauchen, um der Verfassung nach ihrer Reform wieder die Stabilität zu geben, die ihrer Bedeutung gerecht wird.
Sicherlich ist die Verfassungsdebatte im Bund und auch hier in Hessen richtig und sinnvoll; wir werden jedoch allein durch die Aufnahme der Rechte von Kindern und Jugendlichen in die Verfassung noch kein Kind vor einem schlimmen Schicksal bewahren können. Wir müssen jetzt handeln. Richtungweisende Maßnahmen sind bereits auf den Weg gebracht,auch im Jugendschutz.Ich will ganz aktuell die Bekämpfung der Flatratepartys und die Bundesratsinitiative zum Verbot von Killerspielen nennen.Ich erinnere an die hessische und saarländische Bundesratsinitiative zu verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen. Wir brauchen aber ein Bündel weiterer Maßnahmen, unter anderem die Fortbildung der Jugendamtsmitarbeiter, die Sensibilisierung der Ärzte und die Durchsetzung von Früherkennungsuntersuchungen für alle unsere Kinder. Wir sind davon überzeugt, dass ein entsprechender Verfassungszusatz ein wichtiges und notwendiges Zeichen darstellt, jedoch keinen prügelnden Vater davon abhalten wird, wieder zuzuschlagen. Daher können wir auf eine Verfassungsänderung im Sinne eines Kinder- und Jugendschutzes nicht mehr warten, auch nicht bis zum Januar nächsten Jahres.
Meine Damen und Herren, wir alle sollten uns einig sein, dass wir jetzt handeln müssen, dass wir Eltern in schwierigen Lebensumständen jetzt unterstützen müssen. Wir müssen ihnen Hilfestellungen geben, wenn sie den Alltag mit ihren Kindern allein nicht bewältigen können. Wir müssen jetzt einen Zugang zu Risikofamilien schaffen. Wir brauchen Wege, wie wir die Kinder, die der Hilfe des Staates bedürfen, finden und ihnen Unterstützung geben können.
Meine Fraktion will jetzt handeln. Höchste Priorität hat für uns genau aus diesem Grunde das neue Kindergesundheitsschutzgesetz, dessen Einbringung Ministerin Lautenschläger für die nächste Plenarwoche im September angekündigt hat. Ich hoffe auf die Unterstützung aller Fraktionen in diesem Landtag.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Ravensburg, ich teile vieles von dem, was Sie hier gesagt haben, auch Ihre Situationsbeschreibung. Ich sage ganz klar: Wir halten vieles von dem, was die Landesregierung hier unternimmt, für richtig. Es ist richtig, in vielen Bereichen initiativ zu werden, und es ist ein ganzer Baukasten von Maßnahmen notwendig. Sie haben es selbst gesagt.
Die Ereignisse, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, sind ganz besonders erschreckend gewesen. Deshalb glaube ich, dass der Hessischer Landtag als Organ, als die Institution, die die Spielregeln für die Gesellschaft formuliert, dies aufnehmen und die Hessische Verfassung um entsprechende Bestimmungen erweitern muss. Wir müssen als Abgeordnete des Hessischen Landtags, aber auch als Bürgerinnen und Bürger dieses Bundeslandes ein klares Bekenntnis zu Kinderrechten abgeben.
Wenn Sie mit damit befassten Institutionen,z.B.dem Kinderschutzbund, sprechen, dann bekommen Sie gesagt, dass wir schon längst hätten handeln müssen.Auch wir sagen ganz kritisch: Die FDP-Fraktion hätte schon längst handeln müssen. Deshalb wollen wir nicht weiter zuwarten. Ich glaube nicht, dass in der Öffentlichkeit darüber diskutiert werden wird, von welcher Fraktion ein entsprechender Gesetzentwurf eingebracht worden ist, denn es geht um das gemeinsame Ziel. Lassen Sie uns dieses Ziel bis zur Landtagswahl gemeinsam umsetzen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will die fünf Minuten Redezeit, die die CDU-Fraktion noch hat, nutzen. Herr Rentsch, Sie haben eben einen Hinweis darauf gegeben,warum Sie den Gesetzentwurf für ein Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen eingebracht haben. Sie haben gesagt, besonders in der letzten Zeit habe es erschreckende Vorfälle gegeben.
Im Endeffekt wollen Sie mit dem Schnellschuss, den Sie hier einbringen, eine Verfassung aus tagespolitischer Opportunität ändern. Ich sage Ihnen – ich bin sehr dankbar für das, was Frau Kollegin Ravensburg gesagt hat –, dass wir inhaltlich damit überhaupt kein Problem haben.
Anhand des Antrags der SPD und des Wortbeitrags der GRÜNEN stelle ich fest, dass das Problem vom Prinzip her erkannt ist und auch gelöst werden soll. Dies haben wir in der Enquetekommission zur Reform der Hessischen Verfassung gemeinsam besprochen. Ich erinnere daran, dass zumindest bezüglich dieses Punktes Konsens herrschte.
In meinem Redebeitrag möchte ich nur auf eines hinweisen:Wir können die Verfassung nicht aus tagespolitischer Opportunität Stückchen für Stückchen ändern oder möglicherweise – ich zitiere in dem Zusammenhang gern die Kollegin Eckert –
Der Zeitpunkt, zu dem dies kommt, ist dekuvrierend. Das muss man eindeutig sagen. Deswegen möchte ich Sie, wie ich es schon im Jahr 2005 getan habe, gern aufrufen, diesen Gesetzentwurf – da wir einen Konsens haben – zurückzuziehen, damit wir in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam einen neuen Anlauf nehmen. Das haben wir uns damals in die Hand versprochen.
Mir steht so wenig Redezeit zur Verfügung. Herr Kollege Rentsch kann gern eine Kurzintervention anmelden. – Frau Kollegin Eckert von der SPD sagte eben, hier werde etwas „wahlkampfmäßig instrumentalisiert“. Das ist richtig.
Frau Kollegin Eckhardt, wir sind in dieser Frage konsequenter. Sie haben jetzt einen Änderungsantrag in der Hoffnung gestellt, dass dieses Vorhaben am Ende der Legislaturperiode möglicherweise in die Diskontinuität fällt.
Wir sagen heute schon zu diesem Thema: Inhaltlich sind wir damit einverstanden. Aber wenn wir uns eine Verfassungsänderung vornehmen, wollen wir das im Konsens und gemeinsam mit anderen Punkten machen. Ich kann keinem Menschen in Hessen verkaufen, warum wir diese Änderung jetzt, aus tagespolitischen Gründen, vornehmen und auf der anderen Seite den die Todesstrafe betreffenden Artikel in der Hessischen Verfassung lassen wollen.
(Florian Rentsch (FDP): Kinder sind keine Tagespolitik! – Nicola Beer (FDP): Kinderrechte sind immer aktuell!)
Kinderrechte sind, wie Frau Kollegin Ravensburg gesagt hat,wichtig,und es muss sofort gehandelt werden.Aber es fragt sich, ob wir zuerst an der Hessischen Verfassung etwas ändern müssen oder ob wir nicht zuerst einen Gesetzentwurf einbringen. Ich bin der Hessischen Landesregierung sehr dankbar dafür, dass sie einen Gesetzentwurf einbringen wird. Er war schon in der Regierungsanhörung.