Protocol of the Session on September 18, 2003

Der zweite Punkt, der Berücksichtigung finden muss, ist, dass auch das duale System in einer Krise ist. Die duale Ausbildung funktioniert nicht mehr so, wie wir sie von Mitte/Ende der Achtzigerjahre kennen. Neben der wirtschaftlichen Situation der Unternehmen hat das im Kern zwei Ursachen, die im Wesentlichen in der Qualifikation liegen.

Ich stimme Herrn Boddenberg ausdrücklich zu. Es gibt ein Problem mit einer bestimmten Gruppe von Schülerinnen und Schülern: Azubis, die offensichtlich nicht in der Lage sind, eine dreijährige Vollausbildung so aufzunehmen, wie wir uns das alle wünschen. Wenn der Befund richtig ist – wie gesagt,ich stimme Herrn Boddenberg ausdrücklich zu, Herr Jung –, dann frage ich mich schon, warum Sie die Zuschüsse zu einem der wichtigsten Hilfeleistungsinstrumente, nämlich der Fachstelle für Jugend- und Berufshilfe, ausgerechnet jetzt auf null stellen.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann und Dr. Judith Pauly-Bender (SPD))

In den Kontext Qualifikation gehört auch – ich weiß, wenn Herr Möller jetzt noch im Raum wäre, würde ich wieder fürchterlich beschimpft werden,weil er als Meister dazu eine andere Auffassung hat –, dass ein Teil der Betriebe heute nicht mehr in der Lage ist, die Anforderungen zu leisten, die unsere Ausbildungsberufe heute stellen, insbesondere die neuen Ausbildungsberufe. Viele derer, die heute unterrichten, wären gar nicht in der Lage, die Gesellenprüfung zu bestehen – mit dem Wissen, das sie seit 20 oder 30 Jahren haben. Deswegen gibt es auch dort ein Qualifikationsproblem.

Modularisierung ist genannt worden. Für die Personengruppe, über die ich eben als Erstes gesprochen habe, ist das ein wichtiges Thema. Modularisierung ist ein Weg. Stichwort Vertrauensschutz – wir haben es auch im Ausschuss diskutiert –: Modularisierung darf eben nicht nur zur Lohndrückerei benutzt werden.

Viertens sage ich abschließend zu den Problemen:Wir haben auch Orientierungsprobleme in der beruflichen Bildung.Wenn ich erlebe,dass in Berufsschulen noch Schneiderinnen in großen Klassen von 25, 30 Personen pro Jahrgang ausgebildet werden – wir wissen, dass es im Schneiderhandwerk für die Schüler schlecht aussieht, mit Ausnahme derer,die in Designerberufe gehen und die Schnei

derlehre als Berufsvorbildung nutzen –, dann stelle ich fest, dass unsere Berufsschulen einen Fehler machen.

(Beifall der Abg. Dr. Judith Pauly-Bender (SPD) – Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen komme ich abschließend auf das Thema Umlagefinanzierung. Es wird immer wieder versucht, uns in die Ecke zu stellen als diejenigen, die für die Abgabe streiten. Ich bitte Herrn Rhiel, Frau Lautenschläger und auch den Ministerpräsidenten, gut zuzuhören, auch wenn er jetzt nicht im Raum ist.

(Petra Fuhrmann (SPD): Frau Lautenschläger auch nicht!)

Nach unserem Wissen hat es in der Staatskanzlei juristische Prüfungen gegeben, branchenspezifische Finanzierungsmodelle durchzudeklinieren, weil der Ministerpräsident der Auffassung war, dass das ein richtiger Weg ist. Das ist übrigens eine sehr kluge Idee, weil die deutsche Bauwirtschaft ein solches Umlagesystem längst hat und Ausbildungen in überbetrieblichen Zentren über eine Umlage finanziert.

(Minister Dr.Alois Rhiel: Freiwillig!)

Ja, aber in einer Vereinbarung zwischen den Organisationen. Sie sagen: „Das wollen wir.“ Nach unserem Kenntnisstand haben Sie, der Herr Ministerpräsident, auch wenn der Staatssekretär das im Ausschuss nicht wusste, vor, solche Modelle in Hessen anzuschieben, weil Sie um die Ausbildungskrise wissen. Die derzeitigen Finanzierungsstrukturen – 75 % der Betriebe ruhen sich auf dem Ausbildungspotenzial von 25 % der Betriebe aus – sind unsolidarisch verteilt.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pauly-Bender?

Herr Kollege, ich wollte nicht Ihr Argument unterbrechen. Ich wollte Sie aber fragen: Können Sie sich vorstellen, warum die hessische Jugendministerin an diesem Thema der Jugendarbeitslosigkeit und Abhilfen so desinteressiert ist, dass sie den Raum verlassen hat?

(Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wie peinlich!)

Frau Kollegin Pauly-Bender, Frau Lautenschläger sitzt hier. – Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege.

Es gibt eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Wintermeyer. Lassen Sie weitere Zwischenfragen zu? – Bitte schön.

(Frank Gotthardt (CDU): Die war schon so schön! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Kluge Fragen beantworte ich gerne!)

Herr Kollege, können Sie sich vorstellen, warum die SPDFraktion ein so großes Interesse daran hat,dass sie fast gar nicht im Plenarsaal anwesend ist?

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege, ich habe eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Peuser. Möchten Sie diese auch zulassen?

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Da sie mindestens so klug ist wie die eben, gerne!)

Fahren Sie bitte fort. Die Frage hat sich erledigt.

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Das Wort hat Herr Kollege Schäfer-Gümbel. Ich bitte um ein bisschen mehr Ruhe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungsfraktion, ich kann Ihre Aufregung verstehen. Es ist unangenehm. Über die Modelle, die in der Staatskanzlei diskutiert werden, kann Ihr Staatssekretär im Ausschuss keine Auskunft geben, und auch Ihre Fraktion wusste offensichtlich nichts. Das ist ein Vorgang für sich.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) – Lebhafte Zurufe von der CDU – Clemens Reif (CDU): Der eigentliche Vorgang ist, dass Ihnen niemand zuhört!)

Langer Rede kurzer Sinn:Herr Rhiel,wir hätten gerne die Ergebnisse des Umlagemodells, die dort geprüft worden sind, und zwar offensichtlich insbesondere auf ihre Umsetzbarkeit isoliert in Hessen, auf dem Tisch des Hauses. Wir hätten gerne gewusst, was die Staatskanzlei mit diesen Modellen verbunden hat. Ich glaube, dass wir auf dieser Grundlage sehr schnell zu einer gemeinsamen Grundlage für eine solidarische Finanzierung der Ausbildung in Hessen kämen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir zu dem Thema nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.

Tagesordnungspunkt 15, Antrag der Abg. Fuhrmann, Schäfer-Gümbel, Eckhardt, Habermann, Dr. Pauly-Bender, Dr. Spies (SPD) und Fraktion betreffend Ausbildung sichern – Lasten gerecht verteilen – Wirtschaft in die Verantwortung nehmen, Drucks. 16/249, soll federführend an den Sozialpolitischen Ausschuss und, beteiligt, an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr überwiesen werden. – Es wird genickt. Dem ist so.

Tagesordnungspunkt 22, Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Ausbildungsplatzumlage, Drucks. 16/342, soll ebenfalls federführend an den Sozialpolitischen Ausschuss sowie,beteiligt,an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr überwiesen werden. – Dem ist ebenfalls so.

Wir kommen zu dem Beschluss zu Tagesordnungspunkt 78.Dies ist der Dringliche Entschließungsantrag der Frak

tion der CDU betreffend hessische Gesetzesinitiative „Mehr Arbeit, mehr Geld“ in den Bundesrat, Drucks. 16/550. Ich gehe davon aus, dass über ihn gleich abgestimmt wird. Oder soll er ebenfalls dem Ausschuss überwiesen werden?

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Er soll auch dem Ausschuss überwiesen werden!)

Okay. – Soll er, wie die anderen auch, dem Sozialpolitischen Ausschuss, federführend, und dem Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr, begleitend, überwiesen werden? Ist das so? – Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – Drucks. 16/311 –

sowie Tagesordnungspunkt 28:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – Drucks. 16/440 –

Die Redezeit beträgt zehn Minuten pro Fraktion.Als erster Redner hat sich Herr Abg. Rentsch für die FDP-Fraktion gemeldet.

(Wortmeldung des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Herr Kollege Gotthardt, was habe ich vergessen?

(Frank Gotthardt (CDU): Unser Dringlicher Entschließungsantrag, Drucks. 16/550, soll auch noch aufgerufen werden!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist dringend überfällig. Ich denke, darüber besteht in diesem Haus Konsens.Auch Sie wissen,dass diese Reform von der FDP schon lange eingefordert wird.Letzte Woche hat die Bundesregierung dazu einen Gesetzentwurf eingebracht. Dies war überfällig und schon lange angekündigt. Im August sollte er vorliegen. Das wurde wieder einmal nicht eingehalten. Obwohl inzwischen der Gesetzentwurf vorliegt,haben wir immer noch die Hoffnung,positiv auf ihn einwirken zu können.

Der zentrale Dreh- und Angelpunkt dieses Projektes ist das so genannte Jobcenter.Dieses Jobcenter wird kein reines Jobcenter, es wird kein Jobvermittlungsbüro sein. Als solches wird es oft in der Öffentlichkeit dargestellt. Vielmehr wird es als Arbeitsvermittlungs-, Beratungs- und Leistungszentrum dienen. Die Mitarbeiter werden nicht nur die Aufgabe haben, den Klienten bei der Jobsuche zu beraten. Sie werden vielmehr auch die Aufgabe haben, individuelle Probleme des Klienten zu lösen.Wie die Erfahrung zeigt, haben diese Personen neben der Arbeitslosigkeit oft auch soziale Probleme, die etwa in das Aufgabengebiet der Schuldnerberatung, der Drogenberatung oder der Familienberatung fallen. Oft besteht auch das Problem der Kinderbetreuung. Hinsichtlich all dieser Fragen soll das Jobcenter Anlaufstelle für die Klienten sein. Eine Bündelung dieser sozialen Leistungen ist notwendig. Denn es ist nun wirklich nicht sinnvoll, diese Menschen von Amt zu Amt zu schicken. Dort können sie oft erst nach langen Wartezeiten Hilfe erwarten.

Diese Jobcenter benötigen vor allem ein flexibles Spektrum an aktivierenden, qualifizierenden und möglichst betriebsbezogenen Maßnahmen zur Integration der ar

beitsfähigen Leistungsempfänger in den ersten Arbeitsmarkt. Dabei dürfen den Jobcentern keine Steine in den Weg gelegt werden. Unflexible Regelungen von oben werden hier bestimmt nicht weiterhelfen.

Der zentrale Punkt bei den Jobcentern ist die gleichberechtigte Einbeziehung der Kompetenz der Kommunen in ihrer Funktion als Träger der Sozialhilfe. Neben der Kompetenz der Arbeitsverwaltung muss dies in die Arbeit der Jobcenter einbezogen werden. Der Vorschlag der Bundesregierung, die Bundesanstalt für Arbeit solle ab dem Jahr 2006 die Oberaufsicht über die Jobcenter haben, ist nun wirklich eine Schnapsidee. Ich glaube, es gibt auch hier viele Kollegen, die das so sehen.

(Beifall bei der FDP)