Protocol of the Session on July 4, 2007

„Die Besten der Gesamtschule halten mit den schlechtesten Gymnasiasten nicht mit.“ So weit das Ergebnis. Das muss uns doch zu denken geben.

Abschließend: Das, was Sie vorhaben, ist nichts anderes als der Versuch, eine Einheitsschule einzuführen, aber das Ganze zu kaschieren. Sie sprechen von längerem gemeinsamem Lernen, von Gemeinschaftsschule, von Einheitsschule, von Gesamtschule, von No-Name-Schule. Frau Ypsilanti hat erklärt, Gymnasien, Hauptschulen und Realschulen sollen nach dem Willen der SPD-Spitzenfrau in einer Gemeinschaftsschule aufgehen.

Herr Kollege Irmer, letzter Satz, bitte.

Wer schulformbezogene Stundentafeln, schulformbezogene Lehrpläne und eine entsprechende Lehrerausbildung abschaffen will, der propagiert die Einheitsschule. Wir wollen keine Einheitsschule à la DDR.Wir wollen die Schulwahlfreiheit auch für SPD-Mitglieder, damit Sie in Zukunft Ihre Kinder aufs Gymnasium schicken können.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Ist die Grundschule auch eine Einheitsschule?)

Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Henzler für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sie von der CDU-Fraktion werden verstehen, dass wir von unserer Seite nicht nur Lob und Anerkennung aussprechen können.

(Mark Weinmeister (CDU):Aber hauptsächlich!)

Nach der Rede des Kollegen Irmer fällt es mir schon fast schwer, zu sagen, dass wir diesem Antrag natürlich zustimmen werden.

(Zuruf von der SPD:Was?)

Selbstverständlich werden wir zustimmen. Ich werde Ihnen auch erklären, warum wir zustimmen müssen, obwohl dieser Antrag eigentlich ein Jubelantrag und zudem völlig rückwärtsgewandt ist.

(Mark Weinmeister (CDU): Inhaltlich ist er völlig in Ordnung!)

Insbesondere zum letzten Absatz muss ich sagen: Einer Regierungsfraktion, die hier im Hause die absolute Mehrheit hat, fällt nichts anderes ein, als, bezogen auf die Zukunft, zu schreiben:

Der Landtag bittet die Landesregierung, auf der Grundlage der beschriebenen Maßnahmen und Erfolge auch künftig an weiteren Verbesserungen der materiellen, organisatorischen und pädagogischen Schulbedingungen, im Sinne aller Schüler, zu arbeiten.

Ich halte das inhaltlich für äußerst dürftig, einer Regierungsfraktion, die hier mit absoluter Mehrheit regiert, nicht würdig.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Irmer, zu Ihrer Rede möchte ich sagen: Man kann vieles richtig machen, aber auch wenn man sich Mühe gibt, gehen gewisse Dinge daneben oder laufen einfach falsch.Deshalb wäre doch ein bisschen Selbstkritik in irgendeiner Form angebracht. In Ihrer Rede war diesbezüglich allerdings komplette Fehlanzeige.

(Zurufe von der CDU)

Sie haben auch nicht gesagt, was Sie in Zukunft konkret machen wollen. Sie haben nur in die Vergangenheit geblickt.

Ich will Ihnen jetzt erklären, warum wir diesem Antrag zustimmen werden. Er enthält nämlich erstens die Worte „seit 1999“, zweitens die Worte „seit 1999“, drittens die Worte „seit 1999“ und viertens die Worte „seit 1999“.

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Sie sind ja objektiv! – Dr.Walter Lübcke (CDU):2003 sind wir richtig durchgestartet!)

All die Dinge, die Sie hier loben, sind in der Zeit zwischen 1999 und 2003 entstanden.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das haben wir fortgesetzt!)

Alle innovativen Vorhaben sind damals entstanden. Sie wurden zum Teil erst jetzt Realität, sie wurden zum Teil erst jetzt umgesetzt. Daher muss man sehr genau beleuchten, wie sie verwirklicht und umgesetzt worden sind. Dazu muss ich Ihnen sagen, bei der Umsetzung gibt es wenig Licht und viel Schatten.

(Beifall bei der FDP)

Seit 1999 haben sich die Situation und die Bildungschancen aller hessischen Schüler in der Tat deutlich verbessert.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie mich einige positive Aspekte in Erinnerung rufen.Damals waren die Änderungen in der Schulpolitik ein Kraftakt der Koalition. Wir haben den vorher gewollten Unterrichtsausfall – ich denke noch an Rechnungen wie die,dass 80 % gleich 100 % sind – beseitigt und 2.900 Lehrer und 1.600 Referendare zusätzlich eingestellt.

Damals haben wir auch den Einstieg in Ganztagsangebote geschafft. Der Bedarf ist allerdings heute sehr, sehr viel größer, als wir damals ahnen konnten, und auch die Umsetzung kommt dem Bedarf schlicht und einfach nicht hinterher. Dazu muss ich sagen: Es ist sehr schwierig, vorzugeben, dass der Einstieg ausschließlich über eine pädagogische Mittagsbetreuung erfolgen darf. Hier sollte man den Schulen wirklich mehr Freiheit lassen, denn mit den Mitteln für eine pädagogische Mittagsbetreuung wollen manche Schulen Ganztagsschulzweige errichten. Ich denke, hier sollte man ihnen mehr Freiheit geben und sagen: Okay, ihr bekommt zum Einstieg eine Lehrerstelle und die entsprechenden Mittel, aber wie ihr das umsetzt, ist eure Sache. – Das wäre ein Stück zusätzlicher Eigenverantwortung.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben damals die Möglichkeit eröffnet,Kinder früher einzuschulen, die schon in die Schule gehen wollten und

konnten. Das war früher nicht möglich.Wir haben außerdem eine Überprüfung der Sprachkenntnisse ein Jahr vor der Einschulung eingeführt. Ich denke hier an die Einführung der Deutsch-Vorlaufkurse. Sie sind wirklich ein Erfolgsmodell dieses Landes. Sie helfen vielen, vielen Kindern, in den Schulalltag zu finden. Ich denke außerdem daran, dass wir damals beschimpft worden sind, wir würden „Zwangsgermanisierung“ betreiben, und wie geschimpft wurde,dass man die betroffenen Kinder und ihre Eltern unter Druck setzen würde. Heute hat sich erwiesen, dass unser Weg ein sehr richtiger Weg war.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD)

Auch der Begriff Leistung wurde erst 1999 wieder an den Schulen eingeführt. Er wurde entideologisiert, und die Förderung starker Schüler wurde kontinuierlich fortgeführt.Die Begriffe Hochbegabung und Hochbegabtenförderung konnten erstmals wieder verwendet werden. Früher waren das mehr oder weniger Schimpfwörter. Besonders den handelnden Personen an den Universitäten, z. B. Prof. Rost von „BRAIN“, und den Fachleuten im Kultusministerium ist es zu verdanken, dass viele Schulen in Hessen mittlerweile das Hochbegabtensiegel tragen. Die positive Wirkung der Hochbegabtenförderung insbesondere auch auf schwächere Schüler ist mittlerweile eindeutig erwiesen. Da wurde vor Ort sehr, sehr verantwortungsvoll gehandelt.

Leider bekommen die Schulen heute zu Beginn nur noch einen Bruchteil des bisherigen Ersatz-Budgets, das früher bereitgestellt wurde. Ich denke, da sollte man in Zukunft nachsteuern und dieses Budget erhöhen.

(Beifall bei der FDP)

Es sind auch verschiedene andere Maßnahmen zur Leistungssteigerung eingeführt worden. Man vergisst das manchmal. Die Klassenarbeiten umfassen jetzt nicht mehr nur den Stoff der letzten sechs Wochen. Es sind Vergleichsarbeiten eingeführt worden. Die Schulen sagen, diese Vergleichsarbeiten geben ihnen eine Richtschnur; sie wissen, wo sie im Vergleich zu anderen stehen, und sie wissen auch,wo sie nachsteuern müssen.Landesweite Abschlussprüfungen sind eingeführt worden, und zwar aufgrund folgender Konsequenz: Je mehr Freiheit den Schulen bei der Gestaltung ihres Unterrichts gegeben wird, umso mehr muss mittels einheitlicher Prüfungen ermittelt werden, ob alle Schüler die geforderten Standards erreicht haben.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben die gymnasiale Oberstufe reformiert. Jetzt hat der erste Jahrgang das Landesabitur gemacht. Die Projektprüfungen waren sehr erfolgreich, obwohl sie für die Lehrer viel, viel zusätzliche Arbeit bedeutet haben. Sie haben diese Arbeit auf sich genommen, und die Abiturienten haben in den Projektprüfungen sehr gute Noten erzielt. Nach der Antwort auf meine mündliche Frage von gestern ist aber zu befürchten, dass es Veränderungen in der Struktur der gymnasialen Oberstufe geben wird. Das kann ich nicht verstehen. Die gymnasiale Oberstufe hat sich bewährt. Man sollte sie deshalb so lassen.

(Beifall bei der FDP)

All das waren innovative Projekte, die Hessen vorangebracht haben. Sie haben alle Beteiligten – Schüler, Eltern und Lehrer – in eine Aufbruchstimmung versetzt, die wirklich positiv war.

Allerdings kam es ab dem Jahre 2003 – jetzt kommt der unangenehmere Teil – zu großen Enttäuschungen,

(Beifall bei der FDP)

als z. B. im „Supersparjahr“ 2004 1.000 Lehrerstellen gestrichen sowie weitere Kürzungen im Schuletat vorgenommen wurden. Damit wurden das solide Fundament der bisherigen Schulpolitik und vor allem – das ist das Schlimmste – das Vertrauen in die Schulpolitik in diesem Lande nachhaltig gestört oder gar zerstört.

(Beifall bei der FDP)

Zur Abdeckung des Regelunterrichts wurden und werden zunehmend BAT-Kräfte eingesetzt. Diese haben sich bereits an Ostern arbeitslos gemeldet. Sie erhalten über die Sommerferien Arbeitslosengeld, obwohl das eine völlige Zweckentfremdung des Arbeitslosengeldes ist; denn die Bedingungen, die an die Gewährung geknüpft sind, die Bereitschaft, eine Arbeit anzunehmen, die Bereitschaft, immer verfügbar zu sein, ist für die sechswöchigen Sommerferien überhaupt nicht existent. Die meisten wissen ganz genau, dass sie nach den Sommerferien wieder eingestellt werden.

Mittlerweile sind über 3.500 Stellen mit BAT-Verträgen „versorgt“.Das sind fast 10 % aller Stellen.Dazu kann ich nur sagen: Der Ursprungsgedanke, BAT-Verträge gezielt nur bei Krankheitsvertretungen einzusetzen,ist konterkariert worden.Wenn man BAT-Verträge schließt, weil man Lehrer nicht auf Dauer festhalten, nicht in ein Beamtenverhältnis übernehmen will, weil wir wissen, dass die Zahl der Kinder zurückgeht, dann kann das zwar eine gute Begründung sein, aber dann sollte man den Betroffenen bitte offen sagen, dass sie keine Chance mehr haben, irgendwann in das Beamtenverhältnis übernommen zu werden. Das wäre eine ehrliche und offene Politik.

(Beifall bei der FDP)

Seit 2004 kam ein enorm hoher Druck auf die Schulen zu, weil sie viele Reformen in kürzester Zeit umsetzen mussten. Diese Reformen waren auch noch mit einem hohen Bürokratieaufwand verbunden: Paradebeispiel Unterrichtsgarantie plus – damit beschäftigen wir uns morgen –, Paradebeispiel Förderpläne. Wenn man die Verordnung liest, wie die Förderpläne auszufüllen sind, kann man wirklich sagen: Auch das wird ein bürokratieüberlastiges Ding, obwohl die Förderpläne im Grundsatz eine gute Sache sind.

Bei LUSD gibt es erneut Probleme, auch mit den Zeugnissen. Ich war am Montag in mehreren Schulen. Dort schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen wegen der Mehrarbeit, die geleistet werden muss, weil es sehr schwierig ist,wenigstens die Zeugnisse einigermaßen richtig beizubringen.

Die Schulen werden durch den hohen Reformdruck demotiviert. Außerdem müssen sie die schlecht vorbereiteten Reformen im Eiltempo umsetzen, ohne dass man sich vorher überlegt, welche Konsequenzen diese Reformen haben werden. Man hätte zum Beispiel LUSD zunächst einmal in einem Schulamtsbezirk ausprobieren und alle Fehler ausmerzen können, bevor man das auf das ganze Land Hessen ausgedehnt hätte.