Protocol of the Session on May 30, 2007

Sie merken,es ärgert mich immer noch,weil Sie diese Diskussion im September so inhaltsleer geführt haben – ich will bewusst kein anderes Wort nehmen –,wie Sie es getan haben.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Er ist jetzt ganz betrübt!)

Die vierte Bemerkung war, dass wir damals gesagt haben – da habe ich mir damals schon Streit von Frau Kollegin Faeser und von dem Kollegen Dr. Jürgens eingehandelt –,

(Nancy Faeser (SPD): Zu Recht!)

dass wir einen Gleichklang zwischen den Aufträgen haben: dem Schutz der Allgemeinheit auf der einen Seite und der erzieherischen Aufgabe des Justizvollzugs auf der anderen Seite.

(Nancy Faeser (SPD): Das ist verfassungsrechtlich nicht zulässig!)

Frau Kollegin Faeser, ich weiß, dass wir uns darüber schon mehrfach, auch von diesem Platz aus, gestritten haben. Ich weiß auch, dass Sie intellektuell genau nachvollziehen können, was wir wollen. Deshalb: Sie machen hier eine Scheindiskussion

(Nancy Faeser (SPD): Nein!)

doch, glauben Sie es mir –, weil Sie so tun, als ob das Bundesverfassungsgericht das nicht akzeptieren würde, was wir vorgeschlagen haben. Das ist falsch.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Alfons Gerling (CDU) – Lachen und Widerspruch der Abg. Nancy Faeser (SPD) und Dr.Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen darauf hingewiesen, dass die Folge des Vollzugszieles – Frau Kollegin Faeser, darf ich Ihr Ohr gerade einmal haben, Sie haben vorhin meines erbeten und auch bekommen – ins Gesetz hineingeschrieben werden kann und das die Sicherheit der Allgemeinheit ist.

(Nancy Faeser (SPD): Genau das ist es! Das ist der Unterschied zum Ziel!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns darüber nicht mehr streiten, dann brauchen wir uns gar nicht mehr über diese Dinge auseinanderzusetzen. Das ist sophisticated, was Sie hier vortragen. Das hat nichts mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu tun.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Alfons Gerling (CDU))

Fünfte Bemerkung. Ich kann es nicht nachvollziehen, was Sie eben zum Thema elektronische Fußfessel vorgetragen haben. Ich halte das für unlogisch, was Sie sagen.

(Nancy Faeser (SPD): Ja? – Alfons Gerling (CDU): Ja, so ist es!)

Ich halte die elektronische Fußfessel – ich glaube, auch dafür den Rückhalt des Bundesverfassungsgerichts zu haben – für den minder schweren Eingriff in die Freiheitsrechte einer Person als den Vollzug.

(Nancy Faeser (SPD): Es ist nicht statt Strafe, es ist Entlassungsvorbereitung!)

Frau Kollegin Faeser,ich glaube,dass wir uns darüber einig sind,dass es eine größere Verletzung der Freiheit eines Einzelnen ist, wenn er im Knast sitzt, als wenn er – ich bleibe jetzt bei dem Beispiel eines ehemaligen Justizministers des Freistaates Bayern – mit der Fußfessel auf dem Balkon sitzt und ein Weizenbier trinkt.Das ist ein höheres Maß an Freiheit. Deshalb kann es doch nicht richtig sein, wenn Sie uns jetzt erzählen wollen, dass dies nicht verhältnismäßig ist.

(Nancy Faeser (SPD): Ja!)

Es ist dann nicht verhältnismäßig, wenn überhaupt kein Freiheitsentzug mehr gemacht werden dürfte. Da haben Sie vollkommen Recht. Dann darf auch keine Fußfessel eingesetzt werden. Wenn aber die Freiheit entzogen werden kann und dann eine minder schwere Maßnahme angewandt wird, nämlich die elektronische Fußfessel, dann kann diese Maßnahme nur verhältnismäßig sein, Frau Kollegin Faeser.

(Beifall bei der FDP)

Wir diskutieren jetzt über das Grundprinzip.Ob die Wortwahl in dem Gesetzentwurf der Landesregierung eine überaus glückliche ist, darüber streiten wir uns im Ausschuss. Sie haben aber eben das Grundprinzip angemahnt und gesagt, es sei unverhältnismäßig, eine Fußfessel einzusetzen. Darauf antworte ich ganz entspannt: Das ist falsch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie merken, dass wir ein wenig froh darüber sind, dass die Aussage, die auch in den letzten Monaten aus den Reihen der Union zu hören war, man wolle einen „sehr intensiven“ Justizvollzug in Hessen organisieren – ich will mich diplomatisch ausdrücken, wir hatten ja auch einmal den „brutalstmöglichen“ Justizvollzug –, in dem Gesetzentwurf, den Jürgen Banzer eben vorgelegt hat, nicht umgesetzt worden ist.

Trotzdem sind in diesem Gesetzentwurf einige Punkte enthalten, wo wir sagen müssen: Das ist schlicht falsch. Das Erste,was uns auffällt,ist Ihre Antipathie gegen Technik. Es ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte, wie Sie mit langen spitzen Fingern mit Unterhaltungsmedien umgehen. Was Sie zum Thema Spielkonsolen, Minicom

puter, MP3-Player in den Gesetzentwurf geschrieben haben, kann wirklich nur jemand nachvollziehen, der nicht versteht, wie die Technik organisiert ist.

Wenn man den Gesetzentwurf so liest, wie man ihn als Jurist lesen muss, kommt man zu dem Ergebnis, das ist alles verboten, das ist alles von Übel, das ist aus einer Zeit, mit der die hessische Union noch nicht richtig umgehen kann. Herr Kollege Banzer, Sie kennen den Herrn Ministerpräsidenten genauso lang wie ich. Ich darf Ihnen sagen, dass moderne Informationstechnologien und Medien – ich nenne jetzt beispielhaft Handys, mit denen man SMS verschicken kann – eigentlich zu dem ganz normalen Geschäft gehören, mit dem man umgehen können sollte. Umso sinnvoller ist es, dass der Einsatz derartiger Unterhaltselektronik – es geht ja nicht um den Kontakt nach außen, sondern um Unterhaltungselektronik im Zimmer, auf der Stube, in der Haftzelle – genehmigt werden kann. Deshalb werden wir darum kämpfen, dass diese nach unserer Auffassung falsche Norm aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wird.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ich habe die herzliche Bitte, das Thema offener und geschlossener Vollzug endlich emotionslos und nicht wie eine Monstranz vor sich hertragend zu diskutieren. Ich war bei Ihrer Anhörung nicht anwesend,aber ich habe mit Leuten gesprochen,die an Ihrer Anhörung teilgenommen haben.Alle haben übereinstimmend gesagt – das ging aus der Presseerklärung so nicht hervor –, dass der offene Vollzug ein geeignetes Instrument im Jugendstrafvollzug ist – für die Jugendlichen, die dafür geeignet sind. Diesen Halbsatz haben Sie immer und überall verschwiegen.

(Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Schlussfolgerungen, die Sie daraus gezogen haben – Herr Dr. Jürgens, ich habe die Presseerklärung gelesen –, sind schlicht falsch. Es gibt nun einmal, das zeigt die Empirik, viel weniger Jugendliche, die für den offenen Vollzug geeignet sind, als Jugendliche, die dafür nicht geeignet sind. Deshalb können Sie nicht behaupten, der offene Vollzug sei der Regelvollzug; denn der Regelvollzug ist die Form des Vollzugs,die für die Mehrheit anwendbar ist.

(Beifall bei der FDP)

Das ist die Monstranz, die die GRÜNEN vor sich hertragen, indem sie einfach die Unwahrheit sagen. Wir haben in Wirklichkeit nicht sehr viele für den offenen Vollzug geeignete Jugendliche.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Weil das so ist, ist der offene Vollzug nicht der Regelvollzug. Der Regelvollzug ist der geschlossene Vollzug.Wenn Sie sich über dieses empirisch festgestellte Ergebnis im Klaren wären, könnten wir viel Streit aus der Diskussion herausnehmen.

Meine letzte Bemerkung: Ich habe das Gefühl, es geht Ihnen in dieser Debatte nicht mehr darum,ein gemeinsames Ziel zu verfolgen und einen liberalen Strafvollzug in Hessen zu organisieren, der praktikabel ist, sondern darum – das zeigen spätestens Ihre Veranstaltung, Herr Dr. Jürgens, und die Art, wie Sie im Nachhinein damit umgegangen sind –, eine ideologische Diskussion zu führen. Sie sagen: Der offene Vollzug ist gut, der geschlossene Vollzug schlecht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Art der Diskussion ist falsch. Wir müssen jedem einzelnen Jugendlichen helfen. Das geht nur, indem man eine gescheite Diagnostik an den Anfang stellt, indem man die Jugendlichen in den Justizvollzugsanstalten fördert und fordert, indem man sie im Rahmen der Resozialisierung frühzeitig auf die Freiheit vorbereitet. Das klappt aber nur auf der Grundlage unideologischer Bemühungen von Fachleuten. In Hessen haben wir zwei Vollzugsanstalten, eine in Wiesbaden, die andere in Rockenberg, die, losgelöst von der jeweils vorherrschenden Ideologie, über Jahrzehnte bewiesen haben,wie es funktioniert.Diese Erfolge sind mit den Namen Fleck und Kirchner und mit den Namen ihrer Nachfolger verbunden.

Herr Kollege Dr. Jürgens, Frau Kollegin Faeser, lassen wir es doch sein, jetzt wieder die Ideologiebrille aufzusetzen. Den jungen Menschen muss geholfen werden.Damit wird auch der Allgemeinheit geholfen. Das ist die Idee hinter dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion. Er ist neun Monate alt. Das ist auch die Kernidee hinter dem Gesetzentwurf der Landesregierung.Vieles ist aus unserem Gesetzentwurf übernommen worden. Auf diesem Gebiet sind wir also auf einem guten gemeinsamen Weg.

(Beifall bei der FDP)

Zu einer Kurzintervention hat Frau Faeser das Wort.

Lieber Kollege Hahn, ein paar Anmerkungen zu Ihrer Rede seien mir gestattet. Ich bin sehr froh, dass Sie doch noch den feinen Unterschied gemacht, das Resozialisierungsziel vorangestellt und gesagt haben, dass mehr Sicherheit eine Folge der Resozialisierung ist. Das ist nämlich die feine Unterscheidung, die auch das Bundesverfassungsgericht getroffen hat,die aber in dem Gesetzentwurf der Landesregierung gerade nicht gemacht wird, weil die Ziele Sicherheit und Resozialisierung auf die gleiche Stufe gestellt werden.

Sie haben mir beim Thema Fußfesseln etwas unterstellt, und Sie haben mir offensichtlich nicht zugehört. Ich habe nicht dagegen gesprochen, die Fußfessel statt Strafe einzusetzen. Ich habe dagegen gesprochen, Fußfesseln dort einzusetzen,wo bereits festgestellt worden ist,dass ein Täter im Gefängnis für Resozialisierungsmaßnahmen geeignet ist, nämlich im Rahmen der Entlassungsvorbereitungen. Genau dann ist das ein zusätzlicher Eingriff in die Freiheit der Jugendlichen. Das geht nicht. Der Justizminister hat aber in seiner Pressekonferenz im März angekündigt, Fußfesseln in dem Zusammenhang anwenden zu wollen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das steht im Gesetzentwurf aber so nicht drin!)

Das steht im Gesetzentwurf so nicht. Ich habe darüber gesprochen, was der Justizminister in seiner Pressekonferenz im März angekündigt hat.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist doch die Monstranz!)

Warum sollen die jugendlichen Straftäter in Deutschland nicht auch für offene Vollzugsformen geeignet sein, wie sie die Schweiz vorsieht und wie sie jetzt in Baden-Württemberg praktiziert werden? Diese Unterscheidung wer

den Sie uns nicht erklären können. Es geht hier nicht um Ideologie, lieber Kollege Hahn, sondern darum, zu ringen und Wege zu finden, wie wir die Rückfallquote von 80 % verringern können. Darum geht es, nicht um Ideologie, das eine oder das andere hochzuhalten.

(Beifall bei der SPD)

Herr Hahn, Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Frau Präsidentin, meine liebe Kollegin Faeser! Ich kenne den Justizminister von Baden-Württemberg sehr gut und bin mit ihm befreundet.Wenn Prof. Goll gehört hätte, was Sie jetzt gesagt haben, dann würde er Ihnen relativ entspannt und emotionslos antworten:Liebe Kollegin Faeser, in Baden-Württemberg ist der Regelvollzug auch bei jugendlichen Gefangenen der geschlossene Vollzug. – Der Regelvollzug bezieht sich auf die Mehrheit der Gefangenen. Ich habe die Zahlen aus Baden-Württemberg nicht exakt parat,aber ich habe die ungefähren Zahlen im Kopf. In Baden-Württemberg liegt der Prozentsatz der Jugendlichen,die für den offenen Vollzug geeignet sind,zwischen 10 und 15 %. Angesichts dieses Prozentsatzes kann doch niemand von uns davon reden,dass der offene Vollzug der Regelvollzug sei. Im offenen Vollzug sind nur die geeigneten Kandidaten. Von 15 % der Gefangenenpopulation kann man nun einmal nicht „die Regel“ ableiten.

Lassen Sie es doch sein, so zu argumentieren und den Menschen etwas vorzumachen. Sie haben doch mit den Betroffenen gesprochen. Was haben Ihnen die Anstaltsleiter in der Anhörung gesagt? Was haben Ihnen die Leute von den Staatsanwaltschaften gesagt? Sie haben Ihnen doch sicherlich genau dasselbe gesagt wie uns. Herr Kirchner, der hier in Wiesbaden erfolgreich Vollzugsarbeit gemacht hat, der auch lange Zeit für das Haus in Groß-Gerau zuständig war, sagt einem in diesem Zusammenhang immer wieder: Sorry, die Klientel hat sich auch im Jugendvollzug in den letzten 15 bis 20 Jahren deutlich verändert. Es gibt immer weniger junge Menschen, die für den offenen Vollzug geeignet sind.