Herr Minister, in unserem Entwurf werden wir allerdings die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts etwas umfassender und präziser umsetzen, als Sie das in Ihrem Entwurf getan haben. Das Bundesverfassungsgericht hat am 31.05.2006 entschieden,dass der Gesetzgeber gehalten ist, ein eigenes Gesetz zur Regelung des Jugendstrafvollzugs zu schaffen. Dabei gibt es sehr genaue Vorgaben. Bereits unmittelbar nach der Vorstellung Ihres Gesetzentwurfs im März – auch das wissen Sie – haben wir Sie in der Presse ausdrücklich gelobt. Ich bitte auch die rechte Seite dieses Hauses, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Dazu gehört, dass der Jugendstrafvollzug mehr Personal zur Betreuung der Jugendlichen erhalten soll, insbesondere bei den Fachdiensten, also bei den psychologischen und sozialen Diensten.Das unterstützen wir ausdrücklich.
Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Auch die Ankündigung der Unterbringung in Wohngruppen von nur acht Gefangenen findet unsere Unterstützung. Herr Minister, allerdings sage ich Ihnen heute auch in aller Deutlichkeit: Uns bereitet Sorge, dass Ihr Gesetzentwurf keine verbindlichen Größenfestlegungen vorsieht. Gemäß § 18 Ihres Entwurfs, der die Unterbringung regelt, ist nur festgelegt, dass sie in Wohngruppen erfolgt. Leider fehlt jegliche Größenangabe. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich zwar Ihr – wie Sie es nennen – ambitioniertes Ziel der Sollgröße von acht Gefangenen in der Wohngruppe, allerdings verbunden mit der Einschränkung, wenn der Vollzugsdienst es erfordere, könne es auch geändert werden. Herr Minister, das ist uns eindeutig zu wenig.Wir werden Sie an dem messen, was Sie im März versprochen haben.
Denn nur bei der angekündigten Größe der Wohngruppen können die Jugendlichen und Heranwachsenden intensiv betreut und kann die Rückfallquote verringert werden. Wir reden von einer Rückfallquote im Jugendstrafvollzug von nahezu 80 %.Diese hohe Rückfallquote zeigt, dass an der momentanen Vollzugsform etwas nicht stimmt. Herr Minister, das können Sie nicht wegreden – schon gar nicht damit, offene Vollzugsformen als „Weicheipolitik“ zu bezeichnen. Die Rückfallquote von 80 % bei jugendlichen Straftätern liegt um ein Vielfaches über der erwachsener Straftäter. Das müssen wir gemeinsam ändern.
Meine Damen und Herren, die bessere Qualifikation der Justizvollzugsbediensteten findet ebenfalls unsere Unterstützung. Darüber hinaus soll der Vollzug stärker mit den Maßnahmen der Jugend- und Bewährungshilfe verzahnt werden.Auch das begrüßen wir ausdrücklich. Die Ausbildung der Gefangenen kann im Einzelfall über die Haftdauer hinaus dauern. Diese Zukunftschance für straffällig gewordene Jugendliche gilt es ebenfalls zu unterstützen.
Die Einrichtung einer sozialtherapeutischen Abteilung findet unsere Unterstützung. Sie ist im Übrigen ausdrücklich Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtsurteils aus dem letzten Jahr.
Herr Minister, nun aber kommen wir zu den kritischen Punkten. In dem Entwurf sind leider sehr viele Regelungen enthalten, die den positiven Eindruck, den auch Sie hier zu vermitteln versucht haben, erheblich stören. Denn alle Experten wissen, dass bei der extrem hohen Rückfallquote jugendlicher Straftäter dringender Handlungsbedarf besteht.Das dient letztlich – das ist das Wichtige – der Sicherheit der Allgemeinheit. Denn wenn wir weniger rückfällige Straftäter haben, dient dies dem Schutz der Bevölkerung. Ihre Gleichsetzung des Resozialisierungsziels mit dem Ziel der Sicherheit ist verfassungsrechtlich unzulässig. Wir haben mehrfach angeführt, dass dies vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht erlaubt ist. Die Resozialisierung ist oberstes und einziges Ziel; sie steht nicht neben dem Ziel der Sicherheit.
Wir werden uns über die Vollzugsformen streiten. Auch wir werden – ähnlich wie die GRÜNEN – vorsehen, den Regelvollzug im offenen Vollzug durchzuführen. Ich sage Ihnen auch, warum. Wir lehnen Ihre Vollzugsform ausdrücklich ab. Herr Minister, auch wir wollen uns intensiv mit den jugendlichen Straftätern beschäftigen. Aber der
offene Vollzug ermöglicht den jungen Menschen am ehesten die Rückkehr in ein straffreies Leben und bewahrt sie vor den unnötigen schädlichen Einflüssen des Jugendstrafvollzugs. Der geschlossene Vollzug ist nämlich ein extremer Eingriff in die Entwicklung der jungen Menschen, den es ausdrücklich zu vermeiden gilt.
Wir orientieren uns dabei nicht an unserer eigenen Meinung, sondern an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, und wir schauen über die Landesgrenze und stellen fest, dass die Schweiz komplett ohne geschlossenen Strafvollzug für Jugendliche auskommt. Herr Minister, hier gilt es, die negativen Erfahrungen der Gegenwart zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, der Anteil der Gefangenen im offenen Jugendstrafvollzug liegt im Moment in Hessen bei nur 2 % und damit weit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt, der bei ca. 15 % liegt. Das schreibt Herr Dünkel,den Ihr Haus sonst gerne auch zitiert,in der Strafvollzugszeitschrift. Die vorgesehenen Regelungen sind deshalb nicht geeignet, die extrem hohe Rückfallquote abzubauen.
Ich möchte auf einen weiteren sehr kritischen Punkt hinweisen. Sie haben in § 46 Ihres Entwurfs die Bekämpfung des Suchtmittelmissbrauchs geregelt, und zwar leider verfassungsrechtlich bedenklich. Herr Minister, Sie wissen das. Denn Sie haben in der Pressekonferenz bereits gesagt, dass dies eine sehr schwierige Regelung sei, die gegebenenfalls gerichtlich überprüft werden müsse.
Gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift dürfen nämlich Drogentests allgemein angeordnet werden, wenn dies z. B. dem Erziehungsziel dient. Herr Minister, eine allgemeine Anordnung genügt insoweit nicht, da hierdurch der Einzelne ohne jegliche konkrete Anhaltspunkte unter Generalverdacht gestellt wird. Deshalb ist ein Begründungserfordernis gegeben.
Jetzt kommt der Gipfel. In Abs. 3 dieser Vorschrift haben Sie eine Regelung für Gefangene, die eine Mitwirkung an der Durchführung der nach unserer Ansicht schon unzulässigen Allgemeinkontrollen ohne hinreichenden Grund verweigern. Sie unterstellen gesetzlich, dass die Suchtmittelfreiheit bei diesen Gefangenen nicht gegeben ist. Herr Justizminister, das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die grundgesetzlich gesicherte Unschuldsvermutung aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Grundgesetz. Herr Minister, so geht das nicht.
Sie haben in Ihrer Pressekonferenz im März angekündigt, dass zur Entlassungsvorbereitung der jugendlichen Gefangenen verstärkt Fußfesseln eingesetzt werden sollen. Auch das ist unverhältnismäßig; denn Gefangene, die in den Genuss von Lockerungsmaßnahmen zur Entlassungsvorbereitung kommen, haben eine günstige Sozialprognose. Deshalb ist der Einsatz von Fußfesseln bei diesen Gefangenen ein zusätzlicher Eingriff in deren persönliche Freiheitsrechte. Auch das lehnen wir ab. Das dient sicherlich nicht dazu, die hohe Rückfallquote bei jungen Strafgefangenen abzubauen.
Dann haben wir noch eine Besonderheit, die ich – ehrlich gesagt – nicht verstehe und die Sie nicht begründet haben. Sie haben eine Regelung in Ihrem Gesetzentwurf, die das
Tragen von Schusswaffen der Bediensteten im Jugendstrafvollzug vorsieht. Das ist eine Neuerung. Das war bislang nicht der Fall. Das ist auch in den bislang vorgelegten Gesetzentwürfen weder von der FDP noch von den GRÜNEN der Fall.Wir verstehen auch nicht, warum sich diese Notwendigkeit ergeben soll. Im Vollzug der jugendlichen Strafgefangenen sollen die Erziehung und Ausbildung der jungen Menschen im Vordergrund stehen. Deshalb lehnen wir das Tragen von Schusswaffen im Vollzug ausdrücklich ab.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 31.05.2006 ausdrücklich gefordert, dass die Jugendlichen ein Vielfaches der Besuchszeit im Vergleich zum Erwachsenenstrafvollzug haben sollen. Sie haben lediglich vier Stunden Besuch im Monat geregelt, die nach unserer Ansicht zu wenig sind; denn für die jungen Strafgefangenen sind die Außenkontakte zu ihrem familiären Umfeld für ihre persönliche Entwicklung äußerst wichtig. Deswegen reicht uns das auch an dieser Stelle nicht aus. Wir werden in unserem Gesetzentwurf eine höhere Stundenzahl vorsehen.
Herr Minister,wo Sie wirklich nacharbeiten müssten – das meine ich ganz ernst –, ist im Datenschutz. Bei den Regelungen des Datenschutzes in den §§ 58 ff.müssen Sie wirklich einen sensibleren Umgang wählen. Sie gehen mit persönlichen Daten von Gefangenen viel zu leichtfertig um. Daten aus der Gefangenenakte sind zwei Jahre nach der Entlassung der Gefangenen zu löschen und nicht, wie es der vorliegende Entwurf vorsieht, nach fünf Jahren. Diese Regelung erhöht die Gefahr des Missbrauchs und ist aufgrund der Datenaufbewahrung bei Polizei und Ermittlungsbehörden auch keineswegs erforderlich. Herr Minister, ich bin sicher, der Datenschutzbeauftragte wird Ihnen das in der Anhörung ins Stammbuch schreiben.
Bei der Bildung haben Sie sich vorhin sehr gebrüstet. Herr Justizminister, auch da gilt es aufzuklären. Sie haben nämlich leider bei der Standardsetzung zur Schaffung von Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten in Ihrem Gesetzentwurf sehr zurückhaltend gehandelt. Auch in Hessen muss es möglich sein, dass jugendliche Heranwachsende während des Vollzugs innerhalb eines halben Jahres einen qualifizierten Hauptschulabschluss bekommen und innerhalb eines Jahres einen Realschulabschluss erwerben können. Dies gewährleistet Ihr Gesetzentwurf nicht. Wir wissen, wie wichtig diese Ausbildung ist. Sie haben vorhin davon geredet, dass wir sehr viele kurz straffällig Gefangene haben, sodass wir unbedingt darangehen müssen.
Herr Justizminister, meine Damen und Herren, insgesamt überwiegen daher leider die zusätzlichen Einschränkungen für den jugendlichen Strafgefangenen, die wir nicht für geeignet halten, die jugendlichen Strafgefangenen in ein straffreies Leben zurückzuführen. Sie haben einigen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend Rechnung getragen, sodass wir dem Gesetzentwurf so nicht folgen können.Aber wir werden um jede einzelne Vorschrift mit Ihnen ringen,und wir werden mit Ihnen um den besseren Weg ringen. Wir meinen, wir kennen den besseren Weg. Deshalb werden wir Ihnen einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der hessische Justizminister hat darauf hingewiesen, dass sich die Landesregierung neun Monate Zeit genommen,dass sie die Zeit genutzt und dass sie viele Gespräche geführt hat. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir sind sehr zufrieden, dass Sie sich die Zeit genommen, viele Gespräche geführt und jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der zu über 90 % deckungsgleich mit dem Gesetzentwurf ist, den meine Fraktion, die FDP, im August des vergangenen Jahres vorgelegt hat.
Herr Banzer, damit haben wir genau das erreicht, was wir erreichen wollten. Sie werden merken, ich werde mich inhaltlich sehr stark von meiner Kollegin Faeser absetzen. Wir wollten mit einer frühen Vorlage eines liberalen Gesetzentwurfes erreichen, dass eine konservative Mehrheit in diesem Hause kein konservatives, sondern ein liberales Strafvollzugsgesetz vorlegt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist uns geglückt.
doch, damit müssen Sie sich kurz beschäftigen – Ausschussvorsitzende ins Protokoll diktiert hat, als die FDPLandtagsfraktion ihren Gesetzentwurf in die erste Lesung gebracht hat. Er hat nämlich von einem Schnellschuss gesprochen. Ich habe damals schon den Kollegen Gerling gefragt, was er eigentlich damit meint. Er hat es inhaltlich nicht begründet. Jetzt weiß ich es. Er konnte es inhaltlich nicht begründen. Ich mache es positiv und sage: Gott sei Dank haben Sie zu einer großen Zahl gerade die wichtigen Dinge übernommen, die wir als Liberale – natürlich auch nach Vorarbeiten, natürlich auch nach Gesprächen mit anderen und auch nach Besuchen von Justizvollzugsanstalten in anderen Ländern und Bundesländern – aufgeschrieben und zusammengefasst haben.
Frau Kollegin Faeser, dieser Entwurf, den wir heute von der Landesregierung bekommen haben und diskutieren, kann das Prädikat „liberaler Jugendstrafvollzug in Hessen“ erreichen.
Da sind noch zwei, drei Dinge, über die wir uns noch mit der Landesregierung streiten werden. Frau Kollegin Faeser, aber das Grundprinzip, das nunmehr Jürgen Banzer für die Regierung vorgelegt hat, ist genau das, was wir bereits im August diskutiert haben und was nach unserer Auffassung das einzig Richtige im Jugendvollzug ist.
Der Justizvollzug muss zum Zweiten von Anbeginn an ohne ideologische Scheuklappen mit dem jungen Verur
teilten – da haben Sie vollkommen Recht, da hat ein deutsches Gericht ein Urteil mit einer Haftstrafe versehen – zuschauen, wie dieser junge Mensch gestrickt ist.
Ich habe in der ersten Lesung etwas plakativ gesagt: Wo sind seine Stärken, damit diese Stärken auch ausgebaut und unterstützt werden können? Aber genauso ehrlich ist zu analysieren, wo seine Schwächen sind. Es ist doch ein Problem in unserem Strafvollzug, dass häufig nicht die Schwächen analysiert werden, sondern dass nach dem Motto darüber hinweggegangen wird: Wir können eh nichts richten. – Das ist dann die platteste Form eines Justizvollzugs, wie wir ihn beim Erwachsenenvollzug in manchen Fällen auch haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben damals gesagt: Wir brauchen eine intensive Diagnostik zu Beginn der Haft. – Genau das finden wir in dem Gesetzentwurf der Landesregierung wieder.
Wir haben zum Dritten gesagt:Wir wollen das Prinzip des Förderns und des Forderns als pädagogische Leitlinie. – Herr Kollege Gerling, das finden wir sogar wörtlich in dem Gesetzentwurf der Landesregierung wieder.Deshalb wäre es an der Zeit, wenn Sie dieses etwas dumme Wort von dem Schnellschuss einfach zurücknehmen würden.
Sie merken,es ärgert mich immer noch,weil Sie diese Diskussion im September so inhaltsleer geführt haben – ich will bewusst kein anderes Wort nehmen –,wie Sie es getan haben.