Was wir nicht außer Acht lassen dürfen – das haben Sie eben auch schon erwähnt –, ist, die Diskussion vom Kind her zu führen. Wir sind sehr schnell dabei, wenn wir von Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen, die Erwerbstätigkeit der Eltern in den Vordergrund zu stellen. Die Bedürfnisse und Wünsche der Schülerinnen und Schüler sollten wir deshalb aber auch nicht aus den Augen verlieren. Wir unterscheiden in unserem Ganztagsschulangebot kooperative Ganztagsschulen mit offener und gebundener Kooperation und pädagogischer Mittagsbetreuung. Besonders die Bedeutung der pädagogischen Mittagsbetreuung möchte ich noch einmal hervorheben, weil sie, wie schon gesagt, immer wieder von Ihnen heruntergeredet wird. Gerade die Gemeinschaftsaufgabe mit Schule, Eltern, Jugendhilfe, Vereinen, aber auch den Kirchen und der Wirtschaft ist in ihrer Vielfalt für Kinder und Jugendliche so wichtig und nicht nur das Konzentrieren auf Unterrichtsinhalte, aber – erachten wir das nicht zu gering – auch ein gesundes Mittagessen und die Hausaufgabenbetreuung. Je vielfältiger die Angebote sind, umso mehr werden sie von Schülerinnen und Schülern akzeptiert und angenommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Landesregierung ist, was den Ausbau der Ganztagsschulangebote anbelangt, auf dem richtigen Weg.
Ganztagsschulangebote können nur ein ergänzendes Angebot sein und kein Ersatz für die Erziehung in den Familien.
(Zuruf von der SPD: Ganz genau! – Norbert Schmitt (SPD): „Ich bin auf dem richtigen Weg“, sagte die Schnecke!)
Sie sollten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und erleichtern.Hessen ist,was die Versorgung mit Ganztagsplätzen angeht, mit an der Spitze der westdeutschen Flächenländer. Das erste Ziel, nämlich bis 2008 für jede Schülerin und für jeden Schüler die Möglichkeit zu schaffen, ein wohnortnahes ganztägiges Schulangebot in Anspruch zu nehmen,haben wir erreicht.Jetzt kommen wir zum nächsten Schritt, dem Ziel, bis 2015 schrittweise alle Schulen, d. h. flächendeckend, beginnend mit Grundund Hauptschulen, mit Ganztagsschulangeboten von jeweils in der Regel 7.30 bis 17 Uhr auszubauen – ohne Zwang für Eltern und Schülerinnen und Schüler, die das Angebot nicht annehmen wollen, aber flexibel und bedarfsgerecht und vor allem vielfältig und qualitativ hochwertig. Wir setzen dabei weiterhin auf die wertvolle Unterstützung und Mitarbeit der Eltern, der Jugendhilfe, der Vereine, der Wirtschaft und der Kirchen. Wir sehen aber auch – ich finde gar nicht, dass man das so herunterreden soll, Frau Habermann – beim Ausbau der Ganztagsschulangebote eine große Chance für Vereine und Organisationen insbesondere zur Nachwuchsgewinnung und zur Stärkung des Vereinslebens.
Ich wiederhole abschließend: Wir wollen den schrittweisen Ausbau eines flächendeckenden Ganztagsschulangebots in der Regel von 7.30 bis 17 Uhr, beginnend mit Grund- und Hauptschulen, auf freiwilliger Basis, damit die Möglichkeit vorhanden ist zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die CDU hat hierzu einen Antrag eingebracht. Den SPD-Antrag lehnen wir ab.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bereits am Beginn des Landesprogramms „Ganztagsschule nach Maß“ in der letzten Legislaturperiode hat dieses Programm der SPD-Fraktion in diesem Landtag nicht gepasst. Ich erinnere an Sätze wie: „Ein warmes Süppchen und ein bisschen Betreuung wird in unseren Schulen angeboten.“
So war es damals, und ich habe Ihnen damals schon gesagt: Das ist eine Missachtung aller Beteiligten, die an diesem Programm mitarbeiten und sich dafür engagieren. Gerade das, was Sie gesagt haben, Frau Habermann, nämlich dass es sehr viele Schulen gibt, die bereits eine offene Ganztagsbetreuung anbieten, obwohl sie nur die pädagogische Mittagsbetreuung bezahlt bekommen, zeigt doch, wie groß dieses Engagement ist und wie bereit die Schulen sind, da mitzumachen. Deshalb sollte man sie loben, ihnen ein Kompliment aussprechen und nicht ihre Arbeit hier herunterreden und missachten.
Sie fordern hier und heute ein neues Landesprogramm zum Ausbau von Ganztagsschulen in Hessen.Über die genaue Ausgestaltung dieses Ganztagsangebots, über den zusätzlichen Personal- und Raumbedarf und vor allem über die gesamte Finanzierung sagen Sie kein einziges Wort.
Meine Damen und Herren, das ist in der heutigen Finanzsituation keine solide, keine glaubwürdige Politik vonseiten der SPD.
Das Ganztagsprogramm nach Maß ist in der gemeinsamen Regierungszeit entstanden.Wir haben 2001 angefangen, darüber zu diskutieren. Ich gebe zu, dass unser damaliger Koalitionspartner von der Idee, Ganztagsschulen einzuführen, noch nicht sehr überzeugt war. Aber Sie haben ja gesehen:Wir haben es gemeinsam gemacht,und die CDU hat sich als sehr lernfähig erwiesen.
Wir haben diesen Zug gemeinsam auf die Reise gesetzt, und er ist sehr viel schneller, besser und innovativer losgefahren, als wir uns das überhaupt vorgestellt hatten. Wer das nicht sieht, der läuft mit Scheuklappen durch die Welt.
Die FDP-Fraktion sieht in dem Ganztagsprogramm nach Maß einen Anfang und einen Teil für eine Verbesserung der Bildungschancen der hessischen Kinder. In einem stimme ich Ihnen zu: Man kann Ganztagsschulen und Ganztagsangebote heute nicht mehr nur unter dem Aspekt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehen, sondern man muss heute einfach sehen, dass wir mehr Bildungschancen für Kinder brauchen, insbesondere für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern. Es ist noch nicht allzu lange her, da haben wir uns darüber unterhalten, wie viel Zeit Kinder allein zu Hause nachmittags vor dem Fernseher oder der Playstation verbringen. Dem muss man entgegenwirken. Das kann man machen, indem man ihnen an der Schule Angebote macht, wo sie weiter lernen können, wo sie Zeit zum Spiel haben und wo sie überhaupt Zeit haben, sich mehr mit Bildung und mit anderen Kindern zu befassen.
Die FDP-Fraktion hat daher immer gesagt: Die pädagogische Mittagsbetreuung ist ein erster Schritt. In unseren Augen ist es einfach unrealistisch, wenn man die Forderung nach gebundenen Ganztagsschulen in diesem Land von null auf hundert erhöht,ohne überhaupt zu sagen,wie man das umsetzen kann.
Aus reinen Halbtagsschulen lassen sich eben nicht in kurzer Zeit und einfach von oben herunter verordnet gebundene Ganztagsschulen in kompletter Zahl machen. Diesen Paradigmenwechsel in einer Gesellschaft müssen Sie langsam vorbereiten. Den müssen Sie von unten nach oben vorbereiten.Ich kann nicht einfach heute den Eltern sagen, dass ihre Kinder zukünftig von morgens bis 17 Uhr in der Schule sind und dort auch bleiben müssen.
Die Weiterentwicklung zu ganztägig arbeitenden Schulen muss deshalb von den Schulen selbst erfolgen. Das hat auch etwas mit Eigenverantwortung von Schulen zu tun, wie wir sie gerne haben möchten. Die Entwicklung kann also nicht von oben nach unten gehen,
sondern sie muss von unten nach oben gehen und unter Mitwirkung aller an Schule Beteiligten erfolgen. Denn jeder einzelne Schritt in Richtung Ganztagsangebote muss akzeptiert und angenommen werden
von den Lehrern, von den Schülern, von den Eltern und auch von der Umgebung dieser Schule. Wichtig ist dabei, dass die Schule als Erstes ein überzeugendes pädagogisches Konzept vorlegt, so wie es in diesem Ganztagsprogramm nach Maß vorgesehen ist, das in der Schule abgestimmt ist und hinter dem die gesamte Schulgemeinde und natürlich auch der Schulträger stehen.Es nützt nichts, wenn Schulen tolle Konzepte entwickeln,die sie dann umsetzen, wenn keines der Kinder sich daran beteiligt.
Frau Habermann, Sie sollten auch einmal an Schulen gehen, wo Erschreckendes festzustellen ist. Ich denke einmal an das Schulzentrum in Hanau, wo wunderbare Angebote ausgebaut worden sind. Diese Angebote wurden anfangs sehr angenommen, aber plötzlich brachen die Schüler weg, insbesondere die Schüler des Hauptschulzweiges, die dort nicht mehr hingehen. Das Gleiche habe ich jetzt in Eschenburg bei einer kooperativen Gesamt
schule mit Ganztagsangeboten erlebt. Der Schulleiter sagt: Wundern Sie sich nicht, wer die Angebote wahrnimmt: der Gymnasialzweig. Der Hauptschulzweig geht nach Hause. Er hat kein Interesse daran, am Nachmittag in der Schule zu bleiben.
Hier gibt es noch ein ganz anderes Problem, das mir auch aus Grundschulen gesagt worden ist. Wir müssen aufpassen, da bei den Kindern der Hartz-IV-Empfänger das Geld noch nicht einmal für das Mittagessen in der Schule reicht.
Wir sehen also in den Ganztagsschulen nicht das Allheilmittel für eine bessere Schulbildung. Aber auch hier gibt es wie immer keinen Königsweg. Aus liberaler Sicht können Ganztagsschulen zu einer verbesserten und intensiveren individuellen Förderung beitragen.Allerdings sind sie nur ein Kriterium für mehr Bildungsqualität in Hessen.Es kommt auf die Unterrichtsgestaltung an. Es kommt auf die Unterrichtsinhalte an, auf die Qualifikation der Lehrkräfte und auf das Hilfspersonal, das zukünftig in die Schule geholt werden muss.Eine schlechte Schule,die den ganzen Tag arbeitet, ist auch nicht erstrebenswert. Die Schule muss erst einmal von innen heraus verbessert werden und ihre Qualität steigern.
Langfristig benötigt man mehr Finanzmittel für den Ausbau der Ganztagsschulen und Ganztagsangebote. Auch dafür ist die FDP. Allerdings soll man mittelfristig finanziell Stück für Stück investieren.Das geht nicht von einem Tag auf den anderen.Wie gesagt, es muss ein vernünftiges Konzept dahinterstehen.
Wir haben von Anfang an kritisiert – das ist leider auch so gekommen –, dass die Mittel zum großen Teil in den Ausbau der Gymnasien gehen. Durch die Einführung von G 8 ist, gewollt oder ungewollt, das Gymnasium zu einer Ganztagsschule geworden. Auch die zusätzlichen Mittel im Kommunalen Finanzausgleich sind gezielt für die Gymnasien gedacht, um dort die Schulzeitverkürzung besser umsetzen zu können.
Die Folge davon ist – das ist auch eine interessante Entwicklung –, dass die Eltern dieser Gymnasialschüler massiv protestieren, dass ihre Kinder zu lange in der Schule sind, sodass sie zu Hause keine Zeit mehr haben für die Freizeitangebote, die die Eltern ihnen gerne bieten würden und die sie sonst immer hatten, als da sind Musikinstrumente lernen oder besondere Sportangebote. Mittlerweile laufen die Eltern der G-8-Schüler Sturm. Das kann ich ihnen aus meinem Heimatwahlkreis sagen, aber auch aus anderen Wahlkreisen. Die Eltern sagen: Wir wollen nicht, dass die Kinder den ganzen Tag in der Schule sind. Wir wollen die Möglichkeit haben, ihnen eigene Bildungsangebote zu geben.
Haupt-, Real- und Gesamtschulen werden bei dem Ausbau der Ganztagsangebote leider benachteiligt und fallen ein bisschen hinten herunter.Insbesondere an den Hauptschulen sollten die Ganztagsschulmittel verwendet werden; denn dort ist die intensive Förderung der Schüler ganz besonders wichtig. Wir haben das in Bezug auf SchuB-Klassen diskutiert. Vielleicht sind die letzten Mittel des Schubs gar nicht mehr nötig, wenn man die Kinder von Anfang an den ganzen Tag in der Schule hat, ihnen mehr Zeit zum Lernen lässt und sie dort auch intensiver fördert.
Hier ist der Weg auch in die gebundene Ganztagsschule wichtig.Wie ich vorhin gesagt habe,ist es insbesondere für
die Hauptschüler ganz wichtig, dass sie in der Schule bleiben müssen und nicht sagen dürfen, ihnen sei der Computer zu Hause wichtiger als die Nachmittagsangebote in der Schule.
Für die FDP ist die pädagogische Mittagsbetreuung keine minderwertige Form der Nachmittagsbeschulung. Hausaufgabenbetreuung oder Arbeitsgemeinschaften, die gemeinsam mit Vereinen aus dem Umfeld der Schule durchgeführt werden, leisten einen wertvollen Beitrag für die Bildung der Kinder. Aber auch da sage ich Ihnen: Sie schreiben zwar hinein, dass es gut sein kann für die Vereine, aber auch in den Vereinen muss ein Denkwechsel im Kopf stattfinden