Protocol of the Session on December 14, 2006

(Axel Wintermeyer (CDU): Ja!)

Es besteht allgemeine Einigkeit.

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 52 auf:

Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle Stunde (Beitrittsverhandlungen mit Türkei aussetzen) – Drucks. 16/6664 –

Das Wort hat der Kollege Klein, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Anlass dieser Aktuellen Stunde ist die Weigerung der Türkei, ihren Verpflichtungen aus dem AnkaraProtokoll nachzukommen, und die Reaktion der Europäischen Union darauf.

In diesem aktuellen Fall werden die beiden grundsätzlichen Probleme der Verhandlungen um den EU-Beitritt der Türkei deutlich – zum einen der Unwille und auch die Unfähigkeit der Türkei, sich an europäische Regeln zu halten, sowie ihre politische und kulturelle Überforderung mit der Erfüllung der Voraussetzungen für eine Vollmitgliedschaft; zum anderen eine unscharfe, inkonsistente und insgesamt unglaubwürdige Verhandlungsposition der Europäischen Union.

Die von den EU-Außenministern beschlossenen Maßnahmen sind unzureichend. Die Verhandlungen zu acht Kapiteln auszusetzen, heißt nämlich,

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

über die restlichen 27 Kapitel kann ab sofort verhandelt werden, als sei nichts geschehen.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Eine solche wirkungslose Reaktion der EU auf die Missachtung der vor mehr als einem Jahr von der Türkei eingegangenen Verpflichtung ist unglaubwürdig und schadet der Akzeptanz der EU in unserer Bevölkerung, ja in Europa.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb lautet unsere Forderung, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszusetzen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, abgesehen von der fortgesetzten Verletzung der Verpflichtungen aus dem Ankara-Protokoll hat unsere Forderung sehr viel weitergehende Gründe. Dazu bekenne ich mich ausdrücklich. Der jüngst vorgelegte Fortschrittsbericht der EU über den Stand der Reformbemühungen in der Türkei hat gezeigt: In der Türkei bewegt sich zurzeit fast nichts mehr. Der Reformprozess ist nahezu zum Stillstand gekommen. Ein Weiter-so ist also das falsche Signal.

Die Türkei muss verstehen, dass beispielsweise Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Religionsfreiheit und Menschenrechte keine Verhandlungsgegenstände sind.

(Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kaufmann, hören Sie zu, sonst sage ich, was Herr Öger – der bekanntlich nicht meiner Partei angehört – gesagt hat, nämlich: Die Partei – – Die Türkei ist nicht beitrittsfähig. Das war im „Focus“ letzter Woche.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Partei ist auch nicht beitrittsfähig!)

Verehrter Herr Al-Wazir, versuchen Sie nicht, es ins Lächerliche zu ziehen. Dazu neigen Sie.

(Axel Wintermeyer (CDU): Dazu ist dieses Thema viel zu ernst!)

Ganz offensichtlich ist die Türkei mit den Anforderungen des EU-Beitrittsprozesses überfordert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Einmal mehr zeigt sich: Die Beitrittsoption für die Türkei als Vollmitglied ist eine Schimäre, die falsche Hoffnungen weckt und große Enttäuschungen nach sich ziehen wird.

Viel ehrlicher ist dagegen, was die CDU seit langer Zeit und auch jetzt wieder vorschlägt, nämlich das Angebot einer privilegierten Partnerschaft.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, eine solche Partnerschaft entspricht auch dem Geist des Assoziierungsabkommens von 1963. Damals ging es um die Perspektive eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Meine Damen und Herren, die Europäische Union von heute ist etwas völlig anderes, ist weit mehr. Die Union ist eine Union mit gemeinsamen Werten, gemeinsamen – –

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geht es um den Beitritt der CDU zur Europäischen Union? – Axel Wintermeyer (CDU): Das ist kindisch!)

Ich spreche von der Europäischen Union. Sie sind häufig kindisch.

(Beifall bei der CDU)

Vor allem verbindet uns eine kulturelle Tradition. Die EWG des Jahres 1963 baute dagegen ausschließlich auf gemeinsame ökonomische Interessen, war also eine Wirt

schaftsgemeinschaft. Daher haben wir immer die Auffassung vertreten, dass es ein schwerwiegender Fehler war, der Türkei die Option einer Vollmitgliedschaft anzubieten. Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass diese Option eine Zusammenarbeit mit der Türkei eher behindert als befördert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will ausdrücklich feststellen: Die Türkei ist ein bedeutender und verlässlicher Partner des Westens, ein wichtiges und verantwortungsbewusstes Mitglied der Nato und bereits heute eng mit der EU verbunden.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Aber?)

Sie ist eine wichtige Brücke zur islamischen Welt,zum Nahen und Mittleren Osten. Diese Brückenfunktion kann sie aber besser wahrnehmen, wenn sie nicht als Vollmitglied vollständig in die EU-Solidarität eingebunden ist und dann in der islamischen Welt mit der EU identifiziert wird.

Meine Damen und Herren, es wird immer wieder vorgebracht, die Türkei brauche die Beitrittsperspektive, weil anders für sie kein Anreiz bestehe, ihre erheblichen Defizite in Fragen der Demokratie und der Menschenrechte abzuarbeiten. Ich frage hier: Wollen wir ernsthaft allen Ländern, bei denen es Defizite in Fragen der Demokratie und der Menschenrechte gibt, den Status eines EU-Beitrittslandes geben? Das kann doch wohl nicht die Rechtfertigung für eine EU-Erweiterung sein.

(Beifall bei der CDU)

Wollen wir etwa zur Stabilisierung von Demokratie und Menschenrechten künftig auch mit den Maghreb-Staaten über einen EU-Beitritt verhandeln? Das müssen Sie beantworten.

Die Frage stellt sich hier also viel grundsätzlicher:Welches sind die Grenzen Europas? – Eine Antwort hierauf kann nicht über die Geografie hinweggehen. Das Staatsgebiet der Türkei gehört zu 95 % zu Asien, nicht zu Europa.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er hat in der Tertia aufgepasst!)

Daher versteht sich die Türkei auch ausdrücklich als asiatischer Staat. Sichtbar wurde das etwa bei der Gründung des zentralasiatischen Gipfels der türkischen Republiken im Oktober 1992 in Ankara.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das darf doch nicht wahr sein!)

Herr Kollege Klein, Sie müssen zum Schluss kommen.

Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss.

Diese asiatische Organisation beruht auf der Gemeinschaft der Turkvölker, und die Türkei sieht sich dabei in der Vorreiterrolle einer zentralasiatischen Großmacht. Meine Damen und Herren, mit dem Beitritt der Türkei zur Europäischen Union würde die EU zu einer euro-asi

atischen Union. Wie wollen wir dann Beitrittswünschen weiterer nicht europäischer Staaten begegnen?

Meine Damen und Herren, ich komme nicht mehr zu den ökonomischen Konsequenzen der Angelegenheit. Von den enormen EU-Subventionen für ein unterentwickeltes Land kann ich hier aus Zeitgründen nicht mehr reden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,die Vorlage des Fortschrittsberichts der EU-Kommission und die Nichtbeachtung des Ankara-Protokolls durch die Türkei sollten für die EU der Anlass sein, den eingeschlagenen Weg der Beitrittsverhandlungen zu überdenken.Wir brauchen eine Atempause, um darüber nachzudenken, wie ein glaubwürdiges Angebot der Kooperation der EU mit der Türkei aussehen kann – nicht die Vollmitgliedschaft. Ich sage das zum Schluss ganz besonders akzentuiert.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)