Der zweite Punkt ist noch spannender. Er bezieht sich auf Ihre Darstellung. Mehr als 3.000 Jahre, bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein, war die Methode des Schlachtens, die Sie gerade beschrieben haben, die am ehesten tierschutzgerechte. An dem Punkt haben Sie völlig zu Recht aus jüdischen und islamischen Schriften zitiert,in denen sehr präzise beschrieben wird,dass der Umgang mit Tieren und die Achtung vor der tierischen Kreatur in diesen beiden großen Weltreligionen einen ganz anderen Stellenwert hatten als in den berühmten „zivilisierten“ Gesellschaften Europas und Nordamerikas.
Der Punkt ist: Irgendwann erreichen wir ein Stadium, in dem der Fortschritt der Vergangenheit selbst zur Vergangenheit wird.Wir sind seit Kurzem – weltgeschichtlich ge
sehen seit ein paar Jahrzehnten; was die konkrete Methode angeht, seit ein paar Jahren – in der Situation, dass wir eine Variante des Schächtens haben. In der Tat kann man Menschen wie Frau Dr.Martin sehr dankbar sein,die sagt: Wir können diese Form des Schlachtens noch verbessern. – Ich finde es völlig in Ordnung, dass sich alle in diesem Hause dafür einsetzen, eine Elektrokurzzeitbetäubung oder ähnliche Methoden einführen, weil das das Leiden vermindert. Das ist völlig unstreitig. Darüber brauchen wir keine Debatte zu führen.
Der spannende Punkt ist, wie der Weg dorthin aussieht. Sie haben es eigentlich schon gesagt:Wir müssen Frau Dr. Martin sehr dankbar sein, dass sie in langwieriger Arbeit Menschen davon überzeugt hat, dass das, was sie seit Jahrhunderten für richtig halten, korrigierbar ist. Sie hat in langwieriger Kleinarbeit dafür gesorgt, dass in vielen Bereichen eine Änderung durchgesetzt worden ist.
Die Frage ist nun, ob Sie in einem letzten Schritt das, was Sie vorhaben, in der Härte durchsetzen können, oder ob Sie dabei nicht über das Ziel hinausschießen und in der Tat dann nicht mehr bei einer So-oder-so-Regelung, sondern bei einem grundlegenden Verfassungskonflikt sind. Darüber müssen Sie nachdenken. Das können wir aber, glaube ich, im Ausschuss ausführlicher tun.
Wir führen keine Debatte über ein Thema, das die Parteien trennt. Die Auseinandersetzung mit Herrn Altinküpe ist von dem sozialdemokratischen Landrat des Lahn-Dill-Kreises geführt worden, der als engagierter Tierschützer nicht ganz unbekannt ist, und er ist von der christdemokratischen Landesregierung unterstützt worden. Es ist also völlig unstreitig, dass das keine Streitfrage zwischen den Parteien ist.
Dennoch hat uns das Gericht im Rückblick auf die Verfassungsgerichtsrechtsprechung Grenzen dafür gewiesen, wie weit politisches Handeln geht.Man kann über alle Urteile diskutieren, auch über Urteile eines Verfassungsgerichts.Ich glaube aber,dass man an der Stelle prüfen muss, ob es nicht gute Gründe dafür gibt, dass ein Gericht so und nicht anders entschieden hat.
Lassen Sie mich damit aber zum Tierschutzteil kommen. Der ist für mich eigentlich der spannende an dieser ganzen Debatte.Warum eigentlich haben Sie dieses Feld ausgesucht? Warum reden Sie nicht von der Masse, von der Vielzahl des tierischen Leidens, vom millionenfachen Leiden? Warum reden Sie nur von dieser winzigen Sequenz?
Ich fange ganz schlicht an.Wenn Sie einmal erlebt haben, wie das im Schlachthof ist, wenn der Bolzen nicht richtig gesessen hat, dann reden Sie von einem Zustand, gegenüber dem das, was Sie gerade beschrieben haben, geradezu idyllisch ist.
Dann reden Sie von einem Zustand, in dem unsachgemäßes Handwerk, in dem eine alte Schlachttradition unter ganz normalen Umständen für Zustände sorgt, die für Tiere nicht ertragbar sind. Wenn Sie heute auf einen Schlachthof gehen,finden Sie auf guten Schlachthöfen genau das, was Sie beschrieben haben, nämlich eine Kurzzeitbetäubung. Sie haben sie aber nicht überall. Der spannende Punkt ist,ob Sie über ein paar Tausend Tiere reden, die geschächtet werden, oder über Hunderttausende, von denen ein bestimmter Anteil nicht nach modernen Methoden geschlachtet wird. Warum wenden Sie sich dann der kleinen Zahl zu? Ich denke, wenn wir Tierschutz in
diesem Landtag ernst nehmen wollen, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die große Zahl geschützt wird.
Zweites Feld. Ich bin ganz froh, dass die Hessische Landesregierung – ich lobe sie dafür ausdrücklich, insbesondere den Minister – einen Preis ausgelobt hat, und zwar nicht nur für Tierschutz, sondern auch für eine Forschung, die ohne Tierverbrauch auskommt. Realität ist aber, dass unter der Regie der gleichen Landesregierung, aber unter der Regie eines anderen Ministers, die Zahl der in Tierversuchen verbrauchten Tiere in Hessen steigt und steigt und steigt. Wo ist da in dieser Landesregierung vom Tierschutz die Rede? Wo wird das Handeln konsequent?
Dritter Punkt – da geht es sozusagen an das Eingemachte des Volkstums, und da müssen Sie entscheiden, wie stark Ihr Argument ist –: Würden Sie einmal die gleiche Rede über das Thema Jagd halten? Würden Sie die gleiche Rede einmal darüber halten,wie viele Schützen eigentlich nicht gut genug sind, um auf die Jagd zu gehen, und es trotzdem tun?
Es ist die Frage, wie viele Tiere erst in der Nachsuche gefunden werden müssen,weil es der Schütze nicht geschafft hat, wie viel Leid das bringt und ob wir nicht an dieser Stelle – ich will insgesamt überhaupt keine Jagdschelte betreiben, sondern ich versuche nur, die Maßstäbe zurechtzurücken – eine ganze Reihe mehr Regeln haben müssten, die dafür sorgen, dass dort der Tierschutz gewährleistet wird.
(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Kommen Sie zum eigentlichen Thema zurück, Herr Grumbach! Sie brauchen doch keine dauernde Rechtfertigung dafür, dass Sie nicht unserer Meinung sind!)
Herr Kollege Boddenberg, ich fände es sehr interessant, wenn Sie mir in einer Kurzintervention erklärten, was das eigentliche Thema ist. Ihre Kollegin hat eine Rede über Tierschutz gehalten. Wenn für Sie etwas anderes das eigentliche Thema ist, dann kommen Sie vor, und legen Sie die Karten auf den Tisch.
Sie alle wissen, wie zwar die Tiertransporte sozusagen reduziert worden sind, aber dass sie zum Teil noch in einer Weise stattfinden, die überhaupt nicht akzeptabel ist. Auch das wäre ein spannendes Thema für Tierschutz.
(Michael Boddenberg (CDU): Sie sind Experte für alles! Alle Achtung! Herr Grumbach, ich habe selten so viel Sachverstand gehört wie bei Ihnen!)
Fünfter Punkt. Wir haben in Hessen in anderen Regierungszeiten eine Situation gehabt,in der die Frage der artgerechten Tierhaltung durchaus im Mittelpunkt des Handelns einer Landesregierung stand. Das ist ein sehr spannendes Feld, weil im Prinzip ein Gleichgewicht gefunden werden muss, und zwar nicht zwischen zwei Grundrech
ten, sondern nur zwischen Tierschutz und dem wirtschaftlichen Umgang mit Tieren. Wir haben dort eine ganze Reihe von Projekten angefangen und stellen nun fest,dass diese in der jetzigen Landesregierung – es tut mir leid – jedenfalls nicht mehr den Stellenwert haben, den sie damals gehabt haben.
Ich nenne nur die Frage, die wir auch zusammen mit dem Tierschutzbeirat debattiert haben: Wie positioniert sich eigentlich diese Landesregierung langfristig bei der Frage der Hühnerhaltung? Wie positioniert sich diese Landesregierung langfristig bei der Frage der Haltung von Schweinen und, und, und? Da erleben wir, dass dann, wenn es um Millionen geht, wenn es um viele, viele Millionen geht, die Landesregierung relativ zurückhaltend ist, weil sie wirtschaftliche Interessen höher bewertet als Tierschutz.
Jetzt ist die spannende Frage, Herr Kollege Boddenberg: Ist die Frage des Tierschutzes hier das Entscheidende, oder wollen Sie einen kulturellen Konflikt mit Minderheiten in dieser Gesellschaft aufmachen?
Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie es laut, dann reden Sie darüber, dann kommen Sie hier an das Podium. Ich habe auf Ihre Kollegin Lannert und deren Argumente geantwortet, wie es sich in einer Landtagsdebatte geziemt. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die freie Ausübung des Glaubens und ein ethischer Umgang mit Schmerz empfindenden Mitgeschöpfen müssen miteinander vereinbar sein.
Das zunehmende Eingeständnis, dass Tiere keine empfindungslosen Geschöpfe sind und dass wir Menschen für ihr Leben eine besondere Verantwortung zu tragen haben, führte am 17. Mai 2002 dazu, dass der Bundestag in einem Art. 20a die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz beschloss. Somit – das ist ganz besonders wichtig – stehen sowohl der Schutz der Tiere als auch die freie Ausübung der Religion im Grundgesetz; das muss aber mit den anderen Verfassungsrechten, die in diesem Bereich auch aufgeführt werden, z. B. dem Verfassungsrecht der Freiheit von Forschung und Lehre oder der Freiheit von Wissenschaft und Kunst, in Einklang gebracht werden.
Meine Damen und Herren, aus Respekt vor dem Grundrecht auf Religionsfreiheit und vor dem Staatsziel des Tierschutzes ist daher ein schonender Ausgleich zu erreichen. In Deutschland ist gemäß § 4a des Tierschutzgesetzes das betäubungslose Schlachten von Tieren – da sage ich ganz deutlich: egal, mit welcher Methode – grundsätzlich verboten. Ausnahmen können aber erteilt werden, wenn zwingende Vorschriften von Religionsgemeinschaf
Sie wissen alle, dass seit Jahren ein türkischer Metzger in Hessen fordert,dass er nach islamischem Ritus Tiere ohne Betäubung schlachten darf.Darüber wurde seit Jahren ein Rechtsstreit geführt. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 23. November 2006 entschieden, dass die Aufnahme des Staatsziels Tierschutz in das Grundgesetz nicht ausschließt, einem muslimischen Metzger eine Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schlachten, also auch zum Schächten, von Rindern und Schafen zu erteilen, um dann seine Kunden entsprechend ihrer Glaubensüberzeugung mit Fleisch zu versorgen.
Meine Damen und Herren, die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung hat also nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in diesem Fall nicht dazu beigetragen, dass eine neue rechtliche Situation eingetreten wäre.Wir sind aber gespannt – das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich – auf die ausführliche Urteilsbegründung, um auch die Abwägung des Bundesverwaltungsgerichts nachvollziehen zu können.
Aus unserer Sicht ist die Lösung durch die sogenannte Elektrokurzzeitbetäubung vor dem Schlachten ein tragfähiger Ausgleich zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz, denn damit verlieren die Tiere für einen kurzen Zeitraum das Bewusstsein und werden schmerzunempfindlich. Diese Methode ist unserer Ansicht nach eine Möglichkeit, wie eben das Grundrecht auf freie Religionsausübung und das im Grundgesetz verankerte Recht auf Tierschutz in Einklang zu bringen sind.
An dieser Stelle danke ich Frau Dr. Martin, die sich in der Vergangenheit in diesem Bereich sehr aktiv eingeschaltet hat.Sie hat in Ausländerbeiräten darauf hingewiesen,dass es diese Möglichkeit des Kurzzeitbetäubens gibt. Ihr ist es mit zu verdanken, dass auch da ein Umdenken erfolgt ist. An dieser Stelle also ausdrücklich der Dank unserer GRÜNEN-Fraktion.
Meine Damen und Herren, es muss aber das Ziel der gesamten Gesellschaft und der Religionsgemeinschaften sein, mehr für den Schutz der Tiere zu tun, um deren Leben bis zum Tod, wenn sie schon von uns Menschen als Fleischlieferanten genutzt werden, so erträglich wie möglich zu gestalten. Die im Tierschutzgesetz genannte Verpflichtung, die uns alle betrifft, Tiere vor vermeidbaren Leiden und Schmerzen zu schützen, ist jedoch nicht nur in diesem Bereich umzusetzen, meine Damen und Herren von der CDU, den Sie jetzt zum Gegenstand des Antrags machen.
Den Tierschutz kann man nicht allein auf das Problem des betäubungslosen Schächtens beschränken. Auch andere Methoden des Schlachtens sind immer wieder auf den Prüfstand zu stellen.Ihnen ist bekannt – Sie sitzen auch im Tierschutzbeirat, Frau Lannert –, dass es bei der Betäubung von Schweinen und Rindern immer wieder zu Problemen kommt.Tatsache ist, dass es auch bei der Elektrobetäubung von Schweinen in vielen Schlachthöfen häufig vorkommt, dass keine ausreichende Kopfdurchströmung erreicht werden konnte und somit auch keine ausreichende Betäubung stattfand.
Meine Damen und Herren, auch bei der Betäubung von Rindern traten und treten immer wieder verschiedene Probleme auf. Daher haben wir einen eigenen Antrag eingebracht, der dem Tierschutzgedanken gerechter wird als