Protocol of the Session on December 13, 2006

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Religion kann und darf kein Deckmantel für Verletzungen des Tierschutzes sein.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Unser Antrag befasst sich heute wieder einmal mit dem Thema, dass aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November dieses Jahres weiterhin das betäubungslose Schlachten erlaubt ist, wenn die religiösen Motive hinreichend dargelegt werden.

Obwohl das Grundgesetz seit Mitte des Jahres 2002 den Tierschutz als Staatszielbestimmung festschreibt, zog das Bundesverwaltungsgericht daraus leider nicht die erhofften tierschutzpolitischen Konsequenzen. Das bedauert die CDU-Landtagsfraktion, das bedauern darüber hinaus aber auch sehr viele Menschen in unserem Lande.

Was ist passiert? Am 23. November urteilten die Bundesrichter, dass auch die Einführung des Staatsziels Tierschutz an der Auslegung der Vorschriften des Schächt-Paragrafen nichts ändert. Danach ist das betäubungslose Schlachten grundsätzlich verboten; Ausnahmen davon werden aber genehmigt, um den Bedürfnissen der Angehörigen von Religionsgemeinschaften Rechnung zu tragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit stellt sich das Gericht in die Linie eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von Anfang des Jahres 2002,jedoch mit dem Unterschied, dass es damals die Staatszielbestimmung Tierschutz noch nicht gab. Einmal abgesehen von der rechtlichen Auseinandersetzung ist das Signal, das von diesem Urteil ausgeht, in meinen Augen katastrophal. Denn dieses Urteil signalisiert, dass der Tierschutz begrenzt oder sogar wirkungslos ist.

Es darf aber unter keinen Umständen vergessen werden, dass Schächten bzw. das betäubungslose Schlachten grausam und mit erheblichem Leid für die Tiere verbunden ist. Ich gehe davon aus, dass es den Richtern gar nicht klar war, was das Durchschneiden einer Kehle bedeutet. Die Tiere strampeln, brüllen, leiden und haben Erstickungsängste, weil das Blut in ihre Lungen fließt.

Der einzige positive Punkt dabei ist, dass das Schächten an den Nachweis der Sachkunde des Schlachters gebunden ist und vom Veterinäramt überwacht werden muss. Damit sind zumindest Privatschlachtereien, Privatmetzeleien untersagt.

Meine Damen und Herren, aber es geht hier um die grundsätzliche Frage: Stehen in Deutschland Religionsfreiheit und Tierschutz im Gegensatz zueinander, oder sind sie miteinander vereinbar? Ich sage hier: Religionsfreiheit und Tierschutz stellen keinen Gegensatz dar.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Es ist nur eine Frage der Interpretation. Man muss schon ganz deutlich sagen: Religion kann und darf keinen Deckmantel für Verletzungen des Tierschutzes darstellen.

(Beifall bei der CDU)

In jeder friedlichen und freien Gesellschaft ist Religionsfreiheit eines der wichtigsten Menschenrechte. Religion gestaltet das Leben von Menschen und bestimmt es auch. Religion gibt Freiheit, Erklärung, Geborgenheit, Sinn und Entlastung, und sie schafft auch Kunst und Kultur. Meine

sehr geehrten Damen und Herren, Religion kann aber auch Angst machen, einengen, Gewalt fördern, zu Kriegen führen und den Tod von Mensch und Tier bedeuten.

Erlauben Sie mir bitte aus diesem Grunde einige grundlegende Bemerkungen zum religiös motivierten Schächten. Was ist es eigentlich, und wie wird es praktiziert? Meine folgenden Ausführungen sind jedoch leider nichts für empfindsame Seelen.

Streng gläubige Muslime halten sich an die religiösen Aussagen des Korans. Danach ist ihnen der Verzehr von Blut – das die Seele des Lebewesens darstellt – untersagt. Um diesem religiösen Gebot gerecht zu werden, sehen es die gläubigen Muslime als zwingend an, nur das Fleisch von geschächteten Tieren zu verzehren. Es handelt sich dabei in erster Linie um Schafe, Ziegen und Rinder.

Aber wo findet man im Talmud oder im Koran einen einzigen Hinweis darauf, dass die Tiere ohne Betäubung geschächtet werden müssen? Die Antwort hierauf ist: nirgends.

Beim rituellen Schächten oder Schlachten werden die Tiere – wie gesagt: Rinder, Schafe, Ziegen – auf den Boden, eine Bank oder in eine mechanische Vorrichtung gelegt und fixiert, also festgebunden. Danach wird ihnen ohne Betäubung mit einem scharfen Messer die Kehle durchgeschnitten, die Haut – die z. B. bei einem Bullen ziemlich dick ist –, Muskeln, Nervenstränge, Luft- und schließlich auch die Speiseröhre. Da das Tier nicht betäubt ist, erlebt es das alles bei vollem Bewusstsein, also natürlich auch mit Todesangst. Es erleidet Schmerzen und Qualen und kämpft gegen das Ersticken, weil das Blut in seine Lungen fließt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Todeskampf kann bis zu zwei oder drei Minuten – Experten sagen aber auch: bis zu sechs Minuten – dauern. Das ist ein grausamer und langsamer Tod, der so nicht sein müsste.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Richtig!)

Das betäubungslose Schächten umfasst nicht nur den Schächtschnitt selbst, sondern ist geprägt von einer Vielzahl von Vorschriften und strengen Regeln, die auch die vor- und nachbereitenden Maßnahmen betreffen. Die Bestimmungen für das rituelle Schächten berücksichtigen auch den umfangreichen islamischen Normenkatalog und sollen dem Tier unnötige Qualen und Schmerzen beim Schächten ersparen und seine Würde als Geschöpf wahren.

Meine Damen und Herren, das zeigt uns ganz deutlich, dass wir hier eine gemeinsame Lösung finden müssen, um Muslimen und Juden den Zugang zu Halal- und Koscherfleisch zu ermöglichen, dass aber die Tiere auch dafür nicht leiden müssen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Man weiß auch, dass die Angehörigen islamischen Glaubens um die Verantwortung des Menschen für das Tier als Geschöpf wissen. Das ist an dieser Stelle sehr wichtig. Sie wissen, dass dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen sind und dass den Tieren nicht grundlos Schmerzen zugefügt werden dürfen. Das ist eine ganz wichtige Ausgangsbasis.

So darf z.B.auch nach dem islamischen Glauben kein Tier in Anwesenheit eines anderen Tieres geschlachtet werden. Die Todesschreie der Tiere dürfen für andere Tiere nicht hörbar sein. Das Schärfen des Messers bzw. die Vor

bereitung der Schlachtutensilien dürfen nicht im Beisein des Opfertieres erfolgen. Die Werkzeuge dürfen nicht im Blickfeld des Tieres ausgelegt werden. Beim Schlachtvorgang selbst muss sich der Schlachter für jedes Tier die notwendige Zeit nehmen. Das heißt, dem Tier wird gut zugeredet, es wird gestreichelt, ihm wird noch Essen oder Trinken angeboten, um es damit zu beruhigen. Denn nur dann, wenn es ganz ruhig ist, darf zum Schnitt angesetzt werden. Er muss mit einem scharfen Messer schnell und professionell ausgeführt werden. Mit einem einzigen Zug müssen die Luftröhre, die Speiseröhre und die beiden Halsschlagadern durchtrennt werden.

Das nächste Opferfest – es gilt auch als das Fest Abrahams – wird vom 31.Dezember dieses Jahres bis zum 3.Januar nächsten Jahres gefeiert. Bei dieser Opferung, die eines der Rituale während der Pilgerfahrt der Muslime nach Mekka ist, wird meistens ein männliches Schaf oder ein anderes männliches Tier geschlachtet bzw. geopfert. Nach einem festgelegten Ritus werden die fehlerfreien Opfertiere mit dem Kopf in Richtung Mekka gelegt. Der Schlachtende spricht verschiedene Gebetsformeln, zerschneidet dann die Halsschlagader des Tieres und lässt es ausbluten.

Wie sieht es nach dieser Zeremonie nun mit dem deutschen Tierschutzgesetz aus? In § 4 des Tierschutzgesetzes heißt es zum Thema Töten von Tieren im ersten Absatz:

Ein Wirbeltier darf nur unter Betäubung oder sonst, soweit nach den gegebenen Umständen zumutbar, nur unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden.Ist die Tötung eines Wirbeltieres ohne Betäubung im Rahmen weidgerechter Ausübung der Jagd oder aufgrund anderer Rechtsvorschriften zulässig oder erfolgt sie im Rahmen zulässiger Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen, so darf die Tötung nur vorgenommen werden, wenn hierbei nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen entstehen.Ein Wirbeltier töten darf nur,wer die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat.

Des Weiteren wurde in § 4a des Tierschutzgesetzes festgelegt:

Ein warmblütiges Tier darf nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzugs betäubt worden ist.

Abweichend von Abs. 1 bedarf es keiner Betäubung, wenn... die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen...

Nach diesen Ausführungen zeigt sich ganz deutlich, dass es in Zukunft eine Möglichkeit geben muss, beide Verfassungsziele, den Tierschutz auf der einen Seite und die Religionsfreiheit auf der anderen Seite, unter einen Hut zu bringen und eine Änderung des entsprechenden Gesetzes herbeizuführen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Fraktion befürwortet deshalb sehr den Einsatz der Elektrokurzzeitbetäubung oder eine andere geeignete Methode, die das Tier vor der Schlachtung betäubt. Durch

eine dreisekündige Betäubung wird der Herzschlag des Tieres nicht beeinträchtigt, und dieser Vorgang ist sogar reversibel. Das bedeutet, das Tier würde wieder aufstehen, wenn es nicht geschlachtet würde. Durch diese Art der Betäubung ist das Halal bzw. das koschere Schächten, die rituelle muslimische und jüdische Schlachtweise durch Aortaschnitt und Ausbluten, möglich, ohne dem Tier Angst und Schmerzen zuzufügen. Diese Methode des Schlachtens ist in Australien entwickelt worden, einem Land, das schon Exportweltmeister bei geschächtetem Fleisch war.

Dieses Thema ist natürlich auch mit vielen muslimischen Gruppen besprochen worden und wird von vielen inzwischen als Methode des Schlachtens anerkannt. Dass dies so ist, beweist zudem der Export von Fleisch auf diese Weise geschlachteter Tiere aus unserem Land in islamische Länder.

Diese Auffassung wird auch vom hessischen Integrationsbeirat geteilt. Ebenso wie die Delegiertenversammlung der hessischen Ausländerbeiräte erkennt der Integrationsbeirat in der Elektrokurzzeitbetäubung einen Weg, den Belangen des Tierschutzes Rechnung zu tragen und religiös motiviertes Schlachten weiterhin zu ermöglichen. Die Werbung für den Einsatz der Elektrokurzzeitbetäubung bzw. die Verbreitung des notwendigen Wissens darüber darf allerdings nicht aufhören, denn in der Frage der Elektrokurzzeitbetäubung müssen alle Seiten sehr bewusst aufeinander zugehen. Für einen schonenden Ausgleich zwischen beiden Verfassungszielen wirbt auch die Landesbeauftragte für Tierschutzangelegenheiten,die Veterinärmedizinerin Frau Dr. Martin, wofür ich ihr als tierschutzpolitische Sprecherin, aber auch im Namen meiner Fraktion ganz herzlich danken will.

(Beifall bei der CDU)

Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt alle Anstrengungen der Hessischen Landesregierung, die Bundesratsinitiative Hessens, die eine Elektrokurzzeitbetäubung als ein notwendiges und geeignetes Verfahren ansieht, das sowohl religiösen Aspekten als auch Tierschutzaspekten Rechnung trägt, wieder aufzugreifen, die Anforderungen für das religiös motivierte Schlachten zu erhöhen und bei den religiösen Gemeinschaften für eine Elektrokurzzeitbetäubung zu werben, damit die Tiere künftig möglichst ohne Schmerzempfinden geschächtet werden können.

Mit dem von uns heute eingebrachten Antrag wollen wir als CDU-Landtagsfraktion diese Bemühungen unterstützen. Auch die muslimischen Mitbürger sollten bedenken, dass Integration „aufeinander zugehen“ bedeutet,und bei ihrer Religionsausübung den Tierschutz beachten, damit Religionsfreiheit und Tierschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden können.

(Beifall bei der CDU)

Meine Fraktion hofft, dass Hessen nunmehr auch auf eine Unterstützung der Bundesländer bauen kann,die der hessischen Initiative bisher ihre Unterstützung versagt hatten.

Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen, dass die CDU-Landtagsfraktion das Urteil vom 23. November dieses Jahres sehr bedauert. Aus Gründen des Tierschutzes erachten wir die Elektrokurzzeitbetäubung oder eine andere geeignete Betäubungsmaßnahme als notwendiges und geeignetes Verfahren, das sowohl den religiös begründeten Anforderungen als auch Tierschutzaspekten Rechnung trägt.Wir halten es für unbedingt erforderlich,

dass die Bundesratsinitiative Hessens wieder aufgegriffen und auch umgesetzt wird.Wir bitten die anderen Fraktionen in diesem Hause, denen der Tierschutz die gleiche Herzensangelegenheit ist wie der CDU-Landtagsfraktion, unseren Antrag zu unterstützen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lannert. Das waren exakt 15 Minuten. Es gibt also keinen Redezeitzuschlag für die anderen Fraktionen.– Ich erteile Herrn Kollegen Grumbach für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lannert, Sie haben Ihre Rede mit dem Satz eingeleitet: Religion darf in Deutschland kein Deckmantel für die Verletzung des Tierschutzes sein. – Sie haben damit eine Debatte eröffnet, die Sie zwar im Bereich Tierschutz fortgeführt haben, die aber eigentlich eine Verfassungsdebatte ist.

Ich denke, dass es hier ein bisschen des Nachdenkens bedarf. Real tun Sie Folgendes: Sie bringen zwei Verfassungsvorschriften, eine ältere, nämlich die Religionsfreiheit, und eine neuere, nämlich das Staatsziel Tierschutz, in eine Reihenfolge. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie sich der Konsequenz dieser Art der Debatte bewusst sind. Die Konsequenz ist nämlich,dass Sie sagen:Die Religionsfreiheit ist einem Staatsziel untergeordnet.

Unabhängig von der konkreten Entscheidung, zu der es noch das eine oder andere zu sagen gäbe, haben Sie damit eine Grundentscheidung getroffen, die dem Charakter und der Grundstruktur unserer Verfassung nicht gerecht wird. Wenn wir auf anderen Politikfeldern so verfahren würden, nämlich die Religionsfreiheit auch anderen Staatszielen, die etwas schützen, unterzuordnen, würden Sie ganz schnell feststellen, dass das nicht Ihrer normalen Argumentation entspricht. Deshalb würde ich vorschlagen, in dieser Frage noch einmal nachzudenken, ob Sie sich nicht, angeleitet durch ein verständliches Begehren, auf einen Weg begeben haben, der in die Irre führt. Wir haben nämlich in unserem Grundgesetz aus gutem Grund ein paar sehr harte Schutzbestimmungen, die auch dann, wenn sie für die Menschen schwierig zu ertragen sind, einen Sinn ergeben.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt ist noch spannender. Er bezieht sich auf Ihre Darstellung. Mehr als 3.000 Jahre, bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein, war die Methode des Schlachtens, die Sie gerade beschrieben haben, die am ehesten tierschutzgerechte. An dem Punkt haben Sie völlig zu Recht aus jüdischen und islamischen Schriften zitiert,in denen sehr präzise beschrieben wird,dass der Umgang mit Tieren und die Achtung vor der tierischen Kreatur in diesen beiden großen Weltreligionen einen ganz anderen Stellenwert hatten als in den berühmten „zivilisierten“ Gesellschaften Europas und Nordamerikas.