Protocol of the Session on November 23, 2006

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das musste doch kommen!)

Es spricht eher für denn gegen diese Reform, dass man an der Stelle ein so breites Spektrum von Lobbyisten gegen sich aufbringen kann.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Bravo, bravo, bravo!)

Meine Damen und Herren, diese Reform ist deutlich besser als ihr Ruf.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Als ihr Spies!)

Ich will aber nicht bestreiten,dass sie ein paar Mängel hat. Mit denen fange ich an.

(Nicola Beer (FDP):Ach, dann doch!)

Der erste Mangel dieser Reform – da kann ich den anderen Oppositionsfraktionen in diesem Hause gar nicht so ganz widersprechen – ist der Merkel-Kauder-Fonds. Diesen Fonds brauchte man sicher nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit Mühe und Not hat es die Sozialdemokratie geschafft, ihn wenigstens einigermaßen schadlos zu gestalten, indem die Ausreißer über die 95- und 1-%-Regel eingefangen wurden.Wer sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt, weiß, die 1-%-Schutzregel für Versicherte wurde morgens um vier Uhr vereinbart, und morgens um zehn Uhr kam die CDU an und wollte sie wieder abschaffen. Ein Glück, dass das gelungen ist.

(Nicola Beer (FDP): Das ist ja toll!)

Ich will an der Stelle genauso deutlich sagen, wenn CDUMinisterpräsidenten – da ist der unsrige auch nicht immer völlig leise – erklären, sie wollten diesen Fonds nicht: Wir haben ihn nicht erfunden, wir haben ihn auch nicht gebraucht. Wenn die CDU ihn auch nicht mehr haben will, kann man darauf verzichten.

(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Bravo, bravo, bravo!)

Das muss man an dieser Stelle allerdings deutlich sagen. Die SPD hatte schon vor der Bundestagswahl ein ausgefeiltes differenziertes Konzept, wie die Einnahmenseite zu reformieren ist.Was das in der CDU für ein Chaos auslöst, konnten wir Ende 2004 beobachten, als man sich überhaupt verständigen konnte. Meine Damen und Herren, dass das Kopfpauschalenmodell der CDU nicht nur unsinnig, sondern in der CDU auch nicht mehrheitsfähig ist, wissen wir alle. Dass sie dann auf diese eigenartige Fondsidee gekommen ist – mein Gott, dass Frau Oppermann hier erzählt, dass der Steuerzuschuss jetzt so groß wird, das habe ich mit Interesse gehört. An der Stelle hat sich gezeigt, dass Frau Merkel überhaupt nicht satisfaktionsfähig ist,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): He!)

die vorher den Steuerzuschuss zusagte und ihn anschließend auf Druck der Ministerpräsidenten wieder herausnehmen musste.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Waren das Ausfälle?)

Allerdings hätte es eines höheren Steuerzuschusses bedurft, um die gröbsten Fehlentwicklungen zu heilen.

Frau Oppermann, wenn Sie uns erzählen, der einzige Weg sei die Abkoppelung von der Lohnbindung,dann kann ich dazu nur sagen,dass die CDU dies entschieden verhindert hat. Keine zusätzliche Einnahmenart wird herangezogen, obwohl Sie genauso gut wissen wie ich, dass die Abschaffung einer prozentualen Beitragsbemessung auch in der CDU nicht mehrheitsfähig ist.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Ausführungen eines wahrhaft kompetenten Diskussionspartners zitieren, der sich vor Kurzem sehr deutlich dazu geäußert hat, wie die Finanzierung der Sozialversicherung zu gestalten ist. Heiner Geißler,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Heiner Lauterbach!)

der keineswegs sozialismusverdächtig ist,

(Zurufe: Doch!)

erklärte auf dem 60. Jahrestag des VdK: Die einzig vernünftige Lösung zur Finanzierung der Sozialversicherung ist die Bürgerversicherung ohne Beitragsbemessungsgrenze.

Meine Damen und Herren, einen zweiten Punkt muss man sich anschauen, der bei dieser Reform ein Problem darstellt, jedenfalls in den frühen Phasen des Entwurfs.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Noch eines!)

Das ist aber bereits auf dem Weg der Besserung. Frau Schulz-Asche hat auf das Problem der Einführung des Schuldprinzips verwiesen. Krankheiten sind Schicksale. Wir sind weit davon entfernt, die komplexen Mechanismen der Krankheitsentstehung im Detail zu kennen oder zu verstehen. Der Algorithmus, wenn Bakterien, dann Infekt, der schon im 19. Jahrhundert unzutreffend war, ist nun völlig überholt. Deshalb ist die Idee, man könne eine schuldhafte Verursachung von Krankheiten unmittelbar zuordnen, schon im Ansatz verfehlt.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle ist man noch nicht einmal zur Ursachenfrage vorgedrungen, sondern man ist dazu übergegangen, dem Einzelnen zufällige Ereignisse zuordnen zu wollen. Ich komme auf das Piercing oder das kosmetische Eingriffskonzept zu sprechen.

(Norbert Kartmann (CDU):Wo haben Sie denn Ihr Piercing?)

Selbst wenn man der Meinung wäre, dass ein Mensch, der sich ein Piercing machen lässt, für das damit verbundene Risiko einstehen sollte, dann müsste dieser Mensch doch in dem Moment dafür einstehen, in dem er das Piercing machen lässt. Das kann aber doch nicht für den einen von 100 gelten, den das zufällige Schicksal von eingewanderten Bakterien in die entstandene Wunde trifft. Das ist doch völlig absurd. Das hat mit dem, was jemand willkürlich entscheiden kann, überhaupt nichts mehr zu tun.

An dieser Stelle wird deutlich, wie grotesk die Idee ist. Noch deutlicher wird es bei der Frage höherer Zuzahlungen für Krebspatienten, die nicht an Früherkennungsmaßnahmen teilgenommen haben. Hierfür gibt es drei wesentliche Gesichtspunkte. Wer zur Früherkennung geht, hat sich klargemacht, dass er Krebs bekommen könnte. Wer das nicht tut, tut es deshalb nicht, weil er gar nicht auf die Idee kommt, es könnte ihn treffen. Ein Unterschied von 1 % bei der Frage der Zuzahlung wird überhaupt keinen Motivationseffekt haben. Diese Menschen rechnen nicht damit, dass sie die höhere Zuzahlung trifft. Deshalb wird sie sie auch nirgendwohin bewegen.

Stattdessen stellen wir fest, dass wir uns in einem völlig überschätzten Bereich befinden. Ich habe wahrlich nichts gegen Früherkennung. Früherkennung ist eine wichtige Einrichtung. Machen wir uns aber klar:Von 2.000 Frauen, die zum Mammografiescreening gehen, wird eine durch das Screening gerettet. Sechs weitere sterben dennoch an Brustkrebs. Allerdings bekommen etwa 200 Frauen ein falsches positives Ergebnis in der ersten Untersuchung, und 50 Frauen davon leiden für einen relevanten Zeitraum von Wochen bis Monaten erheblich unter den Ängsten, die dadurch ausgelöst werden. Zehn Patientinnen werden einer im Nachhinein als unnötig erwiesenen Operation unterzogen, damit eine Frau gerettet wird.

Ich halte das Mammografiescreening für sinnvoll. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist aber die eine Frage, ob das sinnvoll ist, und eine andere Frage, ob man Frauen vorschreiben kann, dass sie sich in diesem Konflikt zwischen zwei Möglichkeiten für die eine Möglichkeit zu entscheiden haben oder extra bezahlen müssen. Meine Damen und Herren, das kann man niemandem zumuten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt in gleicher Weise für eine Reihe anderer Möglichkeiten in diesem Zusammenhang. Ärzte sind nicht diejenigen, die Patienten vorschreiben, welche Behandlung sie zu ertragen haben.Menschen sind in der Lage,das zu entscheiden.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ist das Gesetz nun gut oder schlecht?)

Meine Damen und Herren, die Bundesgesundheitsministerin ist deshalb auf dem Weg, hiervon Abstand zu nehmen. Leider ist die CDU noch nicht so weit. Ich bin aber voller Hoffnung, dass wir das noch geregelt bekommen.

Die Kürzung im Bereich der Krankenhäuser kommt zur Unzeit. Hierbei stimme ich Frau Schulz-Asche zu. Ich habe kein Verständnis dafür, dass die hessische Sozialministerin eine solche Infragestellung der Krankenhausstruktur in unserem Bundesland mit sich machen lässt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es fehlt die Positivliste. Liebe Frau Oppermann, die Kostenerstattung ist nun wahrlich keine gute Idee.Allerdings gibt es auf der anderen Seite eine ganze Reihe außerordentlich sinnvoller struktureller Veränderungen. Das ist z. B. der gemeinsame Bundesverband. Eine Vielzahl von Entscheidungen im Gesundheitswesen kann man natürlich nur einheitlich und gemeinsam treffen. Deshalb macht es Sinn, dass in diesem Bereich die Krankenkassen anders organisiert werden. Die Professionalisierung des gemeinsamen Bundesausschusses führt dazu, dass die Entscheidungen über die Zulassung neuer sinnvoller und wichtiger Medikamente und Leistungen schnell und deutlich unbürokratischer als in der Vergangenheit getroffen werden. Auch die Professionalisierung des gemeinsamen Bundesausschusses einschließlich der Stärkung der Rechte der Patientenvertreter ist ein Vorteil.

Im Antrag der FDP-Fraktion hingegen ist die Rede von „einer zentralistischen Einheitskrankenversicherung mit zentral vorgegebener Staatsmedizin und Rationierung, Verlust von Therapiefreiheit, freier Arztwahl und Freiberuflichkeit“. Meine Damen und Herren, die von Ihnen gewählten Begrifflichkeiten stammen doch aus der Mottenkiste des Kalten Krieges. Es war doch auch jemand von der FDP dabei, als wir uns gemeinsam mit der verehrten Frau Sozialministerin in Schweden davon überzeugen durften, dass staatsmedizinische Systeme mindestens so

effizient, wenn nicht sogar besser sind, zu einer besseren Versorgungsqualität und höheren Lebenserwartung sowie zu einer höheren Zufriedenheit der Patienten führen. Außerdem sind die Wartezeiten dort auch unter Kontrolle. Nebenbei ist das Ganze auch noch preiswerter.

Meine Damen und Herren, wir wollen nicht der Staatsmedizin das Wort reden.Aber in solch einem Bausch und Bogen die Verbesserung und Entbürokratisierung in den zentralen Strukturen als Staatsmedizin abzutun, ohne zu wissen, wovon man redet, ist nicht in Ordnung. Die Menschen haben etwas anderes verdient.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Oppermann hat auf die deutliche Verbesserung bei der Honorierung der Ärzte verwiesen. Dabei wird es in Zukunft deutlich gerechter zugehen. Die Honorierung von Ärzten ist ein Problem, das man lösen muss. Die Honorierung von Ärzten ist in höchstem Maße ungerecht. Die Ärzte auf der Zeil haben nicht nur die besser gelegenen Praxen, sondern sie haben darüber hinaus zahlreiche Privatpatienten und verdienen deutlich mehr als ein Arzt, der sich in einer ländlichen Region Hessens nachts um zwei Uhr mit einem Köfferchen auf den Weg macht, um 20 km über verschneite Straßen zu fahren. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, dass die Union den Privatpatientenhonorartopf nicht in das gesamte ambulante Honorar mit hineinnehmen und alle nach gleichen Kriterien honorieren wollte, damit Ärzte in WaldeckFrankenberg genauso für ihre Arbeit honoriert werden, die schwerer ist als in mancher Facharztpraxis in der Metropole, wie diejenigen, die sich die schicken Ecken herausgesucht haben. Immerhin kommen wir ein deutliches Stück weiter bei der Honorierung der Ärzte durch die festen Europreise und die Pauschalierung.

Meine Damen und Herren, wer diese Reform in Bausch und Bogen ablehnt, der muss erklären, wie er sonst die Versorgung in den neuen Bundesländern sicherstellen will. Dort gibt es jetzt schon Gegenden mit gravierendem Ärztemangel.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Gehen Sie doch in die Rhön!)

Meine Damen und Herren, die Änderung des Vertragsarztrechts löst dieses Problem. Wer diese Reform nicht unterstützt, der muss erklären, wie er das Problem lösen will.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Das machen wir ja! Sie hören nur nicht zu!)

Frau Oppermann hat darauf verwiesen – an dieser Stelle stimme ich ihr voll zu –, dass zukünftig in Deutschland jeder krankenversichert sein muss und sich die privaten Krankenkassen in Zukunft nicht mehr davonstehlen können, wenn jemand einmal krank war und anschließend wieder zurück in die private Krankenversicherung möchte. Jeder Mensch muss ein Recht auf eine Krankenversicherung haben.

Wenn man beobachtet, welche Mühe sich die privaten Krankenversicherer machen, um generalstabsmäßig geplant Massenbriefe unter die Leute zu bringen, wie zum Teil von Mitarbeitern der privaten Krankenversicherer Briefe mit gefälschten Absendern an Bundestagsabgeordnete geschickt werden, um politisch Druck zu machen, dann weiß man, dass es um viel Geld geht. Die privaten Krankenversicherer haben etwas abzugeben. Das können sie auch tun.