Protocol of the Session on October 6, 2006

Der hessische Innenminister Volker Bouffier hat im Dezember des Jahres 2005 einen für seine Verhältnisse erstaunlichen Vorschlag gemacht:

Hessens Innenminister Volker Bouffier hat ein festes Bleiberecht für Ausländer vorgeschlagen, die seit Jahren in Deutschland geduldet werden und

eine Arbeit haben. Diese Menschen seien mit ihren Familien hier fest integriert, so der Minister.

Herr Innenminister, ich kann dazu nur sagen: Eine späte Einsicht, aber wir loben Sie für den Lernprozess, den Sie in den letzten Jahren offensichtlich durchgemacht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Herr Innenminister hat auch gesagt, eine Abschiebung nach einer langen Phase der Duldung würde von den Betroffenen als ungerecht empfunden. Da könnten wir humanitäre Aspekte stärker zur Geltung bringen, ohne die Bevölkerung zu überfordern, erklärte Bouffier wenige Tage vor der Innenministerkonferenz in Karlsruhe, wo dieses Thema noch einmal diskutiert wurde. Ich sage auch hier: zwar eine späte Einsicht, Herr Innenminister, aber durchaus Lob für den Lernprozess, den Sie in den letzten Jahren in diesem Bereich durchgemacht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Zusammenhang mit der Debatte um das Zuwanderungsgesetz und seine Verabschiedung ist immer wieder darüber diskutiert worden, dass wir das Instrument der Kettenduldung abschaffen wollten. Eine Duldung ist nämlich kein Aufenthaltstitel, sodass die Menschen, die hier in Deutschland geduldet werden, im Prinzip von Monat zu Monat damit rechnen müssen, dass sie das Land wieder verlassen müssen.

Dieser Unsicherheitsaspekt, diese Form des Aufenthalts in Deutschland, kann so nicht länger hingenommen werden. Es ist mit dem Zuwanderungsgesetz nicht gelungen, die Kettenduldungen abzuschaffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen ist es unbedingt notwendig, eine Bleiberechtsregelung in Deutschland zu verabschieden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben in der letzten Zeit eine ganze Menge an Unterstützung bekommen. So sagte z. B. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble: „Jeder sieht doch, dass man Kinder, die hier geboren wurden, zur Schule gingen und oft sogar einen guten Abschluss gemacht haben, nicht irgendwohin abschieben kann.“ Meine sehr verehrten Damen und Herren, recht hat der Bundesinnenminister.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bekam nachdrücklich Zustimmung von der SPD. Bei diesem Zitat muss man genau hinhören:

„Wir haben endlich einen Innenminister, der das sehr nüchtern und rational sieht und nicht ideologisch“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, der „Rheinischen Post“. Schäuble habe das Bleiberecht unaufgefordert in die Debatte eingeführt. „Das ist überhaupt kein Vergleich zu seinem Amtsvorgänger, der Wutausbrüche bekam, wenn nur das Wort Bleiberecht ins Gespräch kam.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sie haben offensichtlich auch hier einen Paradigmenwechsel durchgemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lebhafte Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Meine Damen und Herren, streiten Sie sich doch bitte später, wo der Kollege Schily hergekommen ist. – Herr Kollege Frömmrich, Sie haben das Wort.

Frau Kollegin Fuhrmann, es kommt nicht darauf an,

(Zurufe der Abg. Gerhard Bökel und Petra Fuhr- mann (SPD))

wo er herkam. Es kommt darauf an,

(Florian Rentsch (FDP):Wo er hinging!)

bei welcher Partei er dieses Amt ausgeübt hat. Da war er einwandfrei bei der SPD, Frau Kollegin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lebhafte Zurufe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Meine sehr verehrten Damen und Herren,wir haben auch Zustimmung aus der Bundestagsfraktion der Union bekommen.Wolfgang Bosbach

(Michael Boddenberg (CDU): Der war immer bei der CDU!)

hat z. B. gesagt, dass wir in diesem Bereich unbedingt eine Lösung brauchen.

(Unruhe)

Der hessische Innenminister Volker Bouffier hat einen Vorschlag in die Debatte eingebracht, der, wie ich meine, eine gute Grundlage ist, ein erster Schritt für eine Debatte.

(Unruhe)

Einen Moment, Herr Kollege Frömmrich. – Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch herzlich um Aufmerksamkeit bitten. Wer dringende Gespräche zu führen hat, sollte das bitte außerhalb des Plenarsaals machen. Ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für den Redner.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Herr Präsident. – Über die Details, die der hessische Innenminister vorgeschlagen hat,muss man,wie ich finde, noch reden: Wer kommt in den Genuss? Wer wird ausgegrenzt? – Meine sehr verehrten Damen und Herren,aber selbst für diejenigen,die öffentliche Leistungen beziehen, hat der hessische Innenminister einen Vorschlag gemacht, der besagt, man müsse eine Frist setzen und in dieser Frist müssten diejenigen sehen,dass sie ohne Sozialleistungen in Deutschland überleben können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,ich meine,es ist eine gute Grundlage für eine Debatte, wenn man dann noch die Vorschläge aus Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein dazu nimmt. Ich glaube, dass wir dringend eine vernünftige Bleiberechtsregelung brauchen.Auf dieser Grundlage sollte die Innenministerkonferenz beim nächsten Mal endlich eine Bleiberechtsregelung beschließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Härtefallkommission wird diese Probleme nicht lösen.Wir werden dort Einzelfälle lösen. Wir haben bisher 36 Fälle positiv entschieden.Aber die Masse der Fälle,mit denen wir es zu tun haben, werden wir darüber nicht lösen. Wir haben es in Deutschland mit einer Personengruppe von 200.000 Menschen und allein 50.000 Kindern zu tun, die nur über eine Duldung verfügen. In Hessen sind das 15.000 Personen.

Dieses Problem diskutieren nicht nur wir im Hessischen Landtag oder auf Bundesebene. Es wird zurzeit auch in vielen Stadtparlamenten und Kreistagen über die Problematik diskutiert,weil die Menschen dort vor Ort sind,weil sich Kinder, weil sich Schulklassen um ihre Klassenkameradinnen und -kameraden kümmern. Das Problem soll endlich auch dort angegangen werden. Wir haben Beschlüsse in Frankfurt,wir haben Beschlüsse in Gießen,wir haben Beschlüsse in Wiesbaden, die dazu auffordern, eine Bleiberechtslösung zu verabschieden. Wir haben in den Kreisen Bergstraße und Offenbach-Land Beschlüsse, die den hessischen Innenminister ausdrücklich auffordern, endlich eine Bleiberechtsregelung zu verabschieden und die Ermessensspielräume, die die Ausländerbehörden haben, bis zum Abschluss einer Bleiberechtsregelung auch zu nutzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Wintermeyer, ich will Ihnen eine kurze Kostprobe geben. Dieses Problem geht nicht nur GRÜNE und SPD an, sondern auch die CDU. Ich habe ein Schreiben des Korbacher Bürgermeisters aus meinem Heimatkreis, der von der CDU ist. Er schreibt:

die Betroffene, um die es geht –

ist in vorbildlicher Weise in die deutsche Gesellschaft und vor allen Dingen in den Schulunterricht integriert. Eine Abschiebung in den Kosovo würde ihre positive Entwicklung beeinträchtigen, da sie keine sozialen Bindungen dahin hat. Ihre Familie und all ihre Freunde leben in Korbach.

Ich glaube, dass wir alle – alle politisch Verantwortlichen – aufgefordert sind, dieses humanitäre Problem, das wir in Deutschland haben, endlich zu lösen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Innenminister, wenn man die Forderung stellt, dass wir eine Bleiberechtslösung brauchen, und wenn man wie Sie nach langer Debatte dazu gekommen ist, dass man diese Forderung unterstützt, dann muss man, wenn man A – Bleiberecht – sagt, auch B sagen und jetzt endlich einen Abschiebestopp in Hessen verhängen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Innenminister, es kann nicht sein, dass Sie in der öffentlichen Debatte als Bleiberechtsminister durch die Gazetten gehen, aber in der Realität in Hessen immer noch der Abschiebeminister sind, wie wir es in den Sommerferien erlebt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben die Fälle der Abschiebungen, die in den Sommerferien durchgeführt worden sind, schon des Öfteren diskutiert. Kürzlich wurde wieder eine Familie getrennt. Teile der Familie, Kinder, sind nach Togo abgeschoben worden. Ein Teil der Familie ist in Hamburg, ein anderer Teil sitzt in Preungesheim in Abschiebehaft. Ich will gar nicht mit Ihnen darüber streiten, ob die Frage der Ausreise oder Nichtausreise in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Ich sage Ihnen nur: Man geht in unserem Lande nicht so mit Familien um. Man schiebt nicht Kinder in Staaten ab, die sie nicht kennen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sagen nicht nur wir. Schauen Sie sich z. B. an, was der ehemalige Bundespostminister Schwarz-Schilling in einem Beitrag der „Frankfurter Rundschau“ geschrieben hat: Hier ist etwas nicht in Ordnung. Es schreit zum Himmel.

Dann sind Sie aufgefordert, dieses Problem endlich auch in Hessen zu lösen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)