Sie sehen, hierdurch geht es zurück zu den Fehlern des letzten Jahrhunderts.Wir alle haben gesehen, wie es zu einem Artenschwund gekommen ist und weshalb gesetzliche Regelungen notwendig waren. Die Freigabe, die Sie jetzt vornehmen, das ist gerade so, als ob man im Straßenverkehr alle Regelungen wegnehmen würde und nur auf die Vernunft der Menschen setzen würde. Meine Damen und Herren, das wäre absolut unvernünftig.
Wir müssen ein vernünftiges Naturschutzgesetz haben. Das, was Sie machen, ist eine Rückwärtsrolle in das letzte Jahrhundert und bringt uns im Naturschutz keinen Schritt weiter.
Bitte noch einen Satz. – Herr Hahn, ich habe gelesen, Sie kämpfen für Streuobstwiesen. „Zu dieser neuen Erkenntnis ist der FDP-Politiker nach einem Gespräch mit Naturschutzverbänden in seinem Wahlkreis Wetterau gekommen.“
Das ist aus dem Jahr 2001. Wenn Sie jetzt umfallen, sind Sie wieder ein Wendehals. – Ich danke Ihnen.
(Beifall bei den BÜNDNIS 90/die Grünen und der SPD – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das kriegt nur die FDP hin: In der Regierung dafür, in der Opposition dagegen!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das ist ein Gesetz der Legenden. Die Legenden stehen sämtlich in der Begründung.
Man kann ein ganz schlichtes Beispiel nehmen. In der FFH-Richtlinie steht in Art. 6 Abs. 2: Jede Verschlechterung ist nicht zulässig. – Im Hessischen Naturschutzgesetz steht eine Verbotsverschlechterung erheblicher Art.
§ 33 Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes verlangt die Unterschutzstellung aller Einzelgebiete von FFH. – Dieses Gesetz verzichtet genau auf diese Unterschutzstellung.
Alles in allem also: Das, wovon die Landesregierung redet – dass sie nämlich etwas 1 : 1 umsetzt –, bereits dieser Grundzusammenhang ist schlicht unwahr und entspricht nicht dem vorliegenden Gesetzeswerk. Frau Apel, allein deswegen werden Sie noch genug zu tun haben, um wenigstens die 1 : 1-Umsetzung hinzubekommen.
Mein zweiter Punkt. In der Anhörung wurde von vielen Leuten, die Ihnen durchaus wohlwollen, gesagt, diese Art der Gesetzgebung ist keine Entbürokratisierung, sondern eine Beschäftigungstherapie für die Verwaltung.
Sie haben das schon einmal bei der letzten Novelle gemacht.Da haben Sie ein Gesetz verabschiedet,kurz bevor ein neues Bundesnaturschutzgesetz in Kraft trat. Der Effekt ist: Sie haben ein Gesetz mit hohem Anpassungsbedarf. Statt jetzt diesen Anpassungsbedarf zu realisieren – Sie wissen, dass Sie in zweieinhalb bis drei Jahren ein neues Umweltgesetzbuch haben –, machen Sie wieder ein Gesetz, von dem Sie wissen, dass Sie es in zweieinhalb bis drei Jahren anpassen müssen. Das heißt, Sie verlangen von den Menschen, die Sie mit Ihrer Personalpolitik ausgedünnt haben, dass sie alle zweieinhalb Jahre ein neues Gesetz lernen – nur weil Sie nicht in der Lage sind, Ihre Gesetzgebung auf die Bundes- oder europäische Gesetzgebung abzustimmen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Wie kann man Menschen „ausdünnen“?)
Allerdings frage ich mich auch, warum diese Landesregierung eigentlich bei der Föderalismusreform so darauf bestanden hat, dass dieser Bereich in die Länderkompetenz geht. Denn die anderen Bundesländer – jedenfalls, soweit ich ihre Begründungen gehört habe – haben immer gesagt: Ja, wir wollen den Naturschutz in starker Länderkompetenz haben, damit wir in der Lage sind, unsere regionaltypische, unsere eigene Naturschutzgesetzgebung in diese Gesetze einzufügen, damit wir in der Lage sind, das, was es nur bei uns gibt, zu schützen.
Diese Landesregierung macht etwas ganz anderes. Sie streicht alles, was regionaltypisch, was in Hessen typisch ist, aus dem Naturschutzgesetz raus. Sie will also gar keine landestypischen Prägungen, sondern eine Lizenz zum Abschaffen von Naturschutz. Nichts anderes ist dieses Gesetz.
Ganz nett wird es, wenn man sich den Spaß macht, ein bisschen in historischen Papieren zu blättern. Da sieht man dann, dass Ende des vorletzten Jahrhunderts ein paar sehr engagierte Bürgerinnen und Bürger merkten, dass sich in der Welt um sie herum etwas verändert – durch Wirtschaften,Jagd und andere Dinge –,und feststellten,dass es notwendig ist, einzelne Arten zu schützen.
Danach ist den gleichen Bürgerinnen und Bürgern aufgefallen, dass es offensichtlich nicht funktioniert, weil man immer nur den Katastrophen hinterherläuft. Stattdessen muss man systematisch darangehen, Arten, die vom Aussterben bedroht sind, insgesamt zu schützen.
Dann gab es das Reichsnaturschutzgesetz, das erste Gesetz, in dem andeutungsweise davon die Rede ist, dass es nicht reicht, Arten zu schützen, sondern dass man Lebensräume schützen muss. Dann ist die Diskussion weitergegangen. Es gab beispielsweise mehrere hessische Naturschutzgesetze, in denen – wie auch im Bundesnaturschutzgesetz – relativ deutlich beschrieben war, dass es notwendig ist, Lebensräume und Vernetzungsflächen zu schützen, wenn man Natur auf Dauer erhalten will.
Was in diesem Naturschutzgesetz von all dem übrig geblieben ist, ist der Kern von Artenschutz, wie er von der EU vorgeschrieben wird – mit ein paar Vernetzungsflächen. Im Kern fallen Sie hinter 1935 zurück. Das ist mehr, als man von jedem anderen Gesetz behaupten kann. Ich glaube, die Menschen haben das nicht verdient.
Wie wenig modern die Debatte ist, wird schon an den Begriffen deutlich. Da tauchen noch die altmodischen Doppelkombinationen auf: Natur- und Artenschutz oder Naturschutz und Landschaftspflege. Wer ein Buch über Naturschutz, das in diesem Jahrtausend erschienen ist, in die Hand nimmt, wird feststellen, dass Naturschutz nichts anderes ist als der Überbegriff von Artenschutz, für Landschaftsschutz, für Biodiversität und ähnliche Dinge. Das heißt, Sie haben eine völlig veraltete Begriffsbildung. Sie sind weit hinter Ihrer Zeit zurück.
Aber ich will nicht nur auf die Frage Bund zurückkommen, sondern ich will auf einen Kernbestand moderner Politik zu sprechen kommen, von dem ich glaube, dass dieses Gesetz ihm nicht gerecht wird.Denn es gibt jenseits der europäischen Verträge auch internationale Verträge, die wir abgeschlossen haben. Da hat es doch in Rio und Johannesburg Verträge gegeben, die die Bundesrepublik
abgeschlossen hat. In Klammern: Sie sind sogar ratifiziert. – Da hat es eine Biodiversitätskonvention gegeben, die die Bundesrepublik ebenfalls abgeschlossen hat.
Die spannende Frage ist: Wie kann man eigentlich im 21. Jahrhundert ein Naturschutzgesetz entwerfen, in dem das Wort „Nachhaltigkeit“ dreimal – so oft habe ich es gefunden – auftaucht? Warum ist das so? Weil Nachhaltigkeit keine Rolle spielt. Man kann das eigentlich relativ gut beschreiben. An einer Stelle formulieren Sie beispielsweise – was ich aus einer bestimmten Interessenposition heraus verstehen kann –, dass für die Landwirtschaft besonders wertvolle Flächen für den Ausgleich nicht in Anspruch genommen werden dürfen. Da stellt sich doch die spannende Frage: Wie kommen Sie eigentlich zu dieser Auswahl? Warum eigentlich dürfen für die Erholung von Menschen besonders wertvolle Flächen in Anspruch genommen werden? Warum dürfen möglicherweise besondere Landschaften in Anspruch genommen werden? Warum gibt es nur diese eine Sichtweise? Das liegt daran, dass die Nachhaltigkeit mit ihrer Grundidee, nämlich unter ökonomischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten ein Gleichgewicht zu schaffen,bei diesem Gesetz keine Rolle gespielt hat. Wenn hier von Maßstäben die Rede ist, sind das rein ökonomische Maßstäbe. An dieser Stelle müssen wir schauen, ob wir noch auf einem modernen Stand sind.
Besonders deutlich wird dies bei Frau Apels Ausführungen. Denn sie hat über Streuobstwiesen geredet, als ginge es um ein Gesetz zur Förderung von Keltereien und Apfelbäumen. Mit Verlaub: Bei dem Schutz der Streuobstwiesen geht es überhaupt nicht darum, ob irgendein Apfel von einer Kelterei verwendet wird. Das ist der Nebeneffekt.
Genau, Prost! Wasser – das macht einen klaren Kopf. – Sie müssen bitte einmal Ihre eigenen Umweltminister, die genauso wie die sozialdemokratischen für den Schutz von Obstbeständen und der hessischen Streuobstwiesen eingetreten sind, nach ihren Begründungen dafür fragen, warum sie das getan haben. In erster Linie geht es bei Streuobstwiesen um Naturschutz. In zweiter Linie nehmen wir billigend und voller Freude in Kauf, dass sie für eine vernünftige Produktion in Keltereien genutzt werden können.
Frau Apel, das ist doch genau der Punkt. Sie setzen die ökonomische Verwertbarkeit vor den Schutz der Natur. Ökonomie vor Nachhaltigkeit – das ist die Parole der CDU.
Sie machen das gleich noch einmal. Da steht ein höchst eigenwilliges Verständnis von Eingriffstatbeständen. Ich bin durchaus in der Lage, differenziert darüber zu reden, was für eine Bedeutung die Umwandlung von Grünland in Ackerland hat. Aber in ein Gesetz zu schreiben, dass dies nicht als Eingriff zu werten sei, wo es selbst in Hessen eine andere Verwaltungsrechtsprechung gibt, das ist nicht nur ein Verstoß gegen Bundesrecht,sondern es entstammt
schlicht einem Weltbild, nach dem das Verfolgen wirtschaftlicher Interessen nicht durch das Ziel, die Natur zu schützen, verhindert werden kann.
Ich nenne Ihnen nun einen Spruch, den Frau Kollegin Hammann an dieser Stelle hätte bringen müssen, um zu beschreiben, wie Sie das sehen. Ihre Politik lautet: freie Fahrt für freie Traktoren und für freie Bagger, aber nicht für die Natur.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Mit Biodiesel, der jetzt teurer wird!)
Aber kommen wir zu den Varianten,bei denen es eher komisch wird.Da gibt es eine nette Bestimmung,die sagt,die Behörde könne nach einem Eingriff abweichende Anforderungen an den Zustand stellen. Was heißt das? Das heißt doch, wenn man es auf die Spitze treibt, Sie machen einen Froschtümpel platt und hängen Fledermauskästen auf. Ich sage das einmal so schlicht und einfach.
Das ist genau der Punkt. Ihnen geht es überhaupt nicht darum, das zu schützen, was da ist, sondern Sie wollen sozusagen einen Disneyland-Park, in dem Sie Fledermäuse vorführen können und auf der Fläche ungehindert machen können, was Sie wollen. Deswegen machen Sie dieses Naturschutzabbaugesetz. Genau das ist es.