Protocol of the Session on October 5, 2006

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Die Schöpfungslehre à la CDU!)

Herr Boddenberg, es ist schon interessant, dass diese Erkenntnisse bis heute nicht bei Ihnen angekommen sind. Ich glaube, diese Ignoranz haben die hessischen Schulen in der Tat nicht verdient.

(Beifall bei der SPD)

Nach dem Motto „Handarbeiter in die Hauptschule, Kopfarbeiter in das Gymnasium, und die Realschule bietet eine Mischung von beiden“, so sieht Ihre schulpolitische Ideologie aus. Die Hessische Kultusministerin vollzieht das voll nach, aber kein ernst zu nehmender Bildungswissenschaftler wird sich heute noch mit dem Begriff „begabungsgerechte Förderung“ abgeben, die sich auf drei Stufen abbilden lässt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bildungspolitik, die auf einem solchermaßen reduzierten Begabungsbegriff aufbaut, vernachlässigt den Bezug auf den ganzen Menschen, wie ihn Bundespräsident Köhler einfordert. Die Vielfalt von Interessen und Talenten, die Individualität des einzelnen Kindes lassen sich nicht in Einklang bringen mit einer Ideologie, die die Begabung von Kindern ausschließlich an den selbst gesetzten Maßstäben von Fächerlehrplänen messen will. Sie nehmen damit das Scheitern von Kindern im Bildungssystem in Kauf, und zwar gleichermaßen von Kindern mit Lernschwierigkeiten und von Kindern mit außergewöhnlichen Talenten. Beiden wird diese antiquierte Bildungspolitik nämlich nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Sie machen damit die Forderung nach Individualisierung des Lernens zur Farce – wieder ein Beispiel für den Etikettenschwindel in Ihrer Bildungspolitik. Individuelle Förderpläne gibt es nicht etwa für alle und von Anfang an. Es gibt sie speziell für leistungsschwache Kinder – aber erst dann, wenn ihre Versetzung gefährdet ist. Förderung setzt erst dann ein, wenn Kinder im System Schule zu versagen drohen. Individuelle Förderung nach diesem Verständnis ist eine Reparaturmaßnahme und kein neues Lernprinzip, um Kinder beim Lernen zu motivieren und zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Freiheit von Schulen, die Lebensbedingungen und Voraussetzungen ihrer Schüler zur Grundlage des Handelns zu machen, kommt in Hessen nur zögerlich

voran. Ich zitiere den Bundespräsidenten, weil er das meines Erachtens sehr schön formuliert hat:

Schulen brauchen... Freiheit für eigene Gestaltungsideen. Sie sollen inhaltlich ihr eigenes Profil entwickeln können, sie sollen mitentscheiden, welches Personal zu ihrem Profil passt, und sie sollen Mittel nach eigenem Ermessen einsetzen können,...

Als Bundespräsident Köhler dies formulierte, hat er sicherlich nicht an die Unterrichtsgarantie plus gedacht.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Frau Kultusministerin, ich könnte mich mit Ihnen jetzt wieder über Zeitungsartikel austauschen. Sie haben bestimmt wieder einen gefunden, in dem irgendein Schulleiter die Unterrichtsgarantie plus lobt. Der eigentliche Fehler Ihrer Unterrichtsgarantie plus liegt nicht darin,dass sie nicht funktioniert.Vielmehr konterkariert dieses Konzept die ernsthaften Ansätze für mehr Selbstverantwortung der Schulen und verwischt den Qualitätsbegriff in Unterricht. Sie wollten eigentlich nur die Debatte um Ihre „Unterrichtsgarantie“ beenden, die immer wieder großspurig und wahrheitswidrig verkündet wurde. Der Erledigungsvermerk und das Abschieben der Verantwortung auf die Schulen waren aber wichtiger als die Verwirklichung der eigenen Forderung nach mehr Qualität im Unterricht.

Hätten die Schulen die Möglichkeit, externe Verstärkung als Ergänzung zum Stundenplan oder nicht in der Stundentafel definierte Alternativen für ausgefallenen Unterricht mit den Mitteln der Unterrichtsgarantie plus einzubauen, dann könnte auch zusätzliche Qualität entwickelt werden. Sie geben aber vor, dass Fachunterricht auch ohne Lehrer stattfinden kann. Damit haben Sie die Qualität per Definition bereits reduziert. Die Eltern werden daraus sicherlich ihre Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Noch ein paar Worte zu der Forderung des Bundespräsidenten nach einem gebührenfreien verbindlichen letzten Kindergartenjahr. Im Jahre 2002 hat die hessische SPDFraktion diesem Landtag ein Konzept für ein gebührenfreies verbindliches letztes Kindergartenjahr vorgelegt. In vielen Anträgen, auch in Haushaltsberatungen, haben wir die Realisierung gefordert. Jetzt, zum Haushalt 2007, kommt das Programm BAMBINI. BAMBINI hat aber den Nachteil, dass es auf Kosten der Kommunen finanziert wird und dass die Forderung nicht aufgrund der Erkenntnisse der Bildungspolitik in den Haushalt aufgenommen wurde, sondern um populistisch auf Stimmenfang in Hessen zu gehen. Das ist das eigentlich Tragische an diesem neuen Programm für die Kindergärten.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben sich in keinster Weise darüber Gedanken gemacht, wie man die Kinder erreicht, die bis heute noch keinen Kindergarten besuchen, weder mit drei noch mit fünf Jahren. Genau diese Kinder sind es, auf die es uns allen ankommen sollte. In einzelnen Regionen, z. B. bei mir zu Hause in Offenbach, sind es bis zu 15 % der Kinder dieses Alters, die keinen Kindergarten besuchen. Wer nicht ernsthaft darüber nachdenkt, wie man diese Kinder erreicht und ob man nicht eine Möglichkeit für den Besuch des Kindergartens in Erwägung ziehen sollte, hat das Ziel von vornherein verfehlt.

(Beifall bei der SPD)

Die Hessische Kultusministerin redet oft und gern von „Leuchttürmen“ in ihrer Bildungspolitik. Leuchttürme sind für diejenigen erbaut, die weit weg sind. Wer unter dem Leuchtturm steht, steht im Dunkeln und hat einen eingeschränkten Blickwinkel. Die Berliner Rede des Bundespräsidenten enthält eine Reihe von Forderungen, die über die Sicht vom Fuße des Leuchtturms weit hinausgehen. Die SPD-Fraktion kann sich mit ihren bildungspolitischen Konzepten in diesen Forderungen wiederfinden. Wir fordern Sie jetzt auf, als Regierungspartei diese Forderungen und Vorschläge auch in Ihrer Bildungspolitik umzusetzen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Ab- geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Das Wort hat Herr Kollege Irmer für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Habermann, same procedure as every year. Bei Ihnen hat sich nichts verändert.

(Lebhafte Zurufe von der SPD)

Der pädagogische Stalinflügel ist wieder zutage getreten. Zurück in die pädagogische Steinzeit, das ist das Motto Ihrer Rede. Diese Einschätzung möchte ich kurz begründen.

(Beifall bei der CDU – Lebhafte Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben erneut der Einheitsschule das Wort geredet, und Sie versuchen damit letzten Endes, sämtlichen pädagogischen Erkenntnissen zum Trotz etwas durchzusetzen, was in der Lebenswirklichkeit schlicht und ergreifend gescheitert ist.

Sie wollen darüber hinaus nicht nur die Einheitsschule einführen. Sie haben aktuell beschlossen, künftig auch den Einheitslehrer, passend dazu, zu kreieren. Da unterscheiden wir uns natürlich dramatisch. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung im Rahmen des Landtagswahlkampfes zu dieser Thematik.

(Beifall bei der CDU – Andrea Ypsilanti (SPD): Wir auch! – Weitere Zurufe von der SPD)

Frau Kollegin Habermann hat heute so nett von „Gemeinschaftsschule“ gesprochen. Man scheut sich noch, den Begriff „integrierte Gesamtschule“ als Einheitsschule öffentlich zu propagieren.Sie hat öffentlich erklärt, je vielgliedriger ein System sei, desto ungerechter sei es, und eine Gesamtschule als Konkurrenz zum Gymnasium mache eigentlich keinen Sinn. So weit Frau Kollegin Habermann. Das bedeutet übersetzt, dass in letzter Konsequenz die Botschaft herauskommt, dass Sie die Gymnasien in diesem Bundesland abschaffen wollen.Wir werden natürlich überall vor Ort sagen, was Sie vorhaben,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Und verhindern!)

und es verhindern, sofern Sie die Mehrheit bekommen sollten.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben aus der Vergangenheit nichts gelernt. Selbst Ihre eigenen Parteigenossinnen und -genossen haben schon die richtigen Erkenntnisse gezogen. Ich erinnere an die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Bildungsfragen, die Landtagsabgeordnete Schäfer aus NRW, die den SPD-Kultusministern – die paar, die es noch gab und gibt – schriftlich erklärt hat:

Es ist ohne Test vorherzusagen, dass Länder mit selektiven Schulsystemen, die den Strukturreformen der letzten 30 Jahre widerstanden haben, bessere Schülerleistungen in allen Schulformen haben.

Sie wissen, dass Ihr System keine guten Schulleistungen produziert.

(Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihres doch auch nicht! Darüber müssen Sie doch auch einmal nachdenken!)

Trotzdem halten Sie an diesem gescheiterten Modell fest. Das ist ein pädagogisches Verbrechen an unseren Kindern. Das werden wir nicht zulassen.

(Beifall bei der CDU)

Sie sollten auch einmal darüber nachdenken, was Herr Gabriel – er ist Ihnen auch bekannt – zum Thema soziale Herkunft und Schulerfolg in der „Zeit“ erklärt:

Und auch den engagiertesten Gesamtschulvertreter darf es nachdenklich stimmen, wenn ausgerechnet das konservative Baden-Württemberg mit seinem dreigliedrigen Schulsystem nicht nur gute Leistungen, sondern auch die geringste Bindung des Bildungsverlaufs an die soziale Herkunft aufweist.

So weit Herr Gabriel aktuell.

(Norbert Schmitt (SPD): Den zitieren wir nachher, wenn es um Biblis geht, auch wieder!)

Meine Damen und Herren, ich will jetzt auf das Thema integrierte Gesamtschule nicht weiter eingehen, weil wir in Zukunft sicherlich noch genügend Zeit haben werden,um die Ergebnisse, die alle auf dem Tisch liegen, zu dokumentieren. Die Ergebnisse weisen – am Beispiel Nordrhein-Westfalens – nach, dass die Leistungen der Schüler, die die integrierte Gesamtschule besucht haben,weit,weit hinter den Schulleistungen der Schüler hinterherhinken, die die Hauptschule, die Realschule und die Gymnasien besucht haben. Diese Ergebnisse liegen vor.Aber Sie sind beratungsresistent. Sie nehmen diese Ergebnisse nicht zur Kenntnis, was für unsere Kinder außerordentlich bedauerlich ist.

(Norbert Schmitt (SPD): Sie nehmen die Erkenntnisse der Bildungsforscher über Hessen nicht zur Kenntnis! Das ist Ihr Problem!)

Ich möchte aber gerne auf die Rede des Bundespräsidenten eingehen.Der Tenor in der Öffentlichkeit war sehr positiv. Das, was er dort gesagt hat, findet weitestgehend unser aller Zustimmung. Es geht um ein paar Grundauffassungen. Wenn man diese Rede einmal sehr aufmerksam liest und analysiert, dann wird man, für uns zumindest, feststellen können, dass wir als CDU Hessen, als Landtagsfraktion uns durch diese Rede in unserer Bildungspolitik bestätigt fühlen.

(Lachen bei der SPD)

Ich will das auch an einigen Punkten deutlich machen. Das ist gar nicht so schwer, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht.Der Bundespräsident hat z.B.erklärt, dass Ausbildungsplätze fehlen.

(Norbert Schmitt (SPD): Insbesondere in Hessen!)