Protocol of the Session on October 5, 2006

Erste Bemerkung. Herr Möller hat bereits darauf hingewiesen: Es gibt schon jetzt einen Probestimmzettel, der einem ins Haus geschickt wird.Das heißt,man kann sich auf die Wahl vorbereiten. Es ist also nicht richtig, zu argumentieren, man sei in der Wahlkabine völlig überfordert, es dauere zu lange, und Ihre 85jährige Oma sei überfordert,sofern Sie ihr nicht behilflich seien.Das Argument ist an der Stelle nicht richtig; denn man kann sich darauf vorbereiten. Herr Hahn, deswegen stimmt das so nicht.

(Nicola Beer (FDP): Dann dauert das eine Stunde, bis das in der Wahlkabine abgeschrieben ist!)

Ich weiß nicht, wie langsam Sie in Frankfurt sind. Anderswo geht es schneller.

(Lachen des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Stimmt, dort gibt es jetzt eine Dreierkoalition. Daher rührt die Übereinstimmung in Frankfurt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Frankfurt gibt es eine Zweierkoalition!)

Was die weiteren Vorschläge der FDP betrifft, den Beruf und den Wohnort des Bewerbers auf dem Stimmzettel zu vermerken: Vor ein paar Jahren hat die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg eine sehr interessante Studie zu dem Thema Kumulieren und Panaschieren durchgeführt. Es gibt auch schon ein Ranking zu der Frage:Wer wird bevorzugt gewählt? Recht oft werden Akademiker gewählt.

(Zuruf des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Ja, dann wird der berühmte Frauenarzt gewählt, Herr Kollege Heidel, Sie sprechen es an. – Es ist also die Frage, ob Sie damit Präferenzen hervorrufen,die so nicht gewollt sind.

Zu der Angabe der Wohnorte. Bisher ist es möglich, den Wohnort zu vermerken, wenn der Kreistag – die Gemeindevertretung – das beschließt. Es geht hauptsächlich um den Kreistag. Besteht da nicht die Gefahr, dass man eher Kandidaten wählt, die in der großen Stadt Friedberg wohnen, als solche, die etwa aus Echzell oder aus Glauburg stammen? Das ist so. Bisher ist diese Angabe möglich, wenn sich die Parteien einvernehmlich darauf verständigen.Wir haben uns im Kreistag Schwalm-Eder einstimmig dagegen entschieden, weil wir wollen, dass sich der Kreistag aus Vertreterinnen und Vertretern aller Städte und Gemeinden zusammensetzt. Was ist also die Zielsetzung Ihres Antrags?

(Jürgen Walter (SPD): Friedberg statt Vilbel!)

Ihr nächster Vorschlag betrifft die Möglichkeit, über das Internet zu wählen. Herr Hahn, das Internet ist ein neues Medium. Über die Internetwahl muss man in Ruhe nachdenken. Sie haben auf die Schweiz verwiesen. Es gibt jetzt zwei Staaten,in denen das möglich ist.Einer davon ist Estland. Dort hat man z. B. für die Lokalwahlen am 16. Oktober die Internetwahl eingeführt.

Besondere Voraussetzungen sind erforderlich. In Estland braucht man einen computerlesbaren Personalausweis. 80 % der Einwohner verfügen über einen solchen Ausweis. Das ist bei uns bei Weitem noch nicht der Fall; denn wir haben diese Technik noch nicht. Außerdem können Sie in Estland Ihre Stimmabgabe bis zur letzten Minute rückgängig machen. Das ist also ein relativ aufwendiges Verfahren. Eine höhere Wahlbeteiligung war in Estland nicht festzustellen.Im Vorfeld haben 21 % der Wähler angekündigt, online zu wählen. Am Schluss waren es ganze 2 %. Ich habe mich mit der Materie auseinandergesetzt.

Was ist mit Computerhackern? Ist das möglich? Das muss bedacht werden; denn wir alle wollen Manipulationen ausschließen. Es gibt einen neuen Fall aus Holland: Eine niederländische Bürgerinitiative knackt das Netz der Wahlcomputer.

Wenn Sie also über das Internet reden, müssen Sie auch sehen, welche Risiken damit verbunden sind. Schließlich will niemand ernsthaft, dass Manipulationen vorkommen. Deswegen ist das eine Frage, mit der wir uns im Ausschuss im Rahmen der Anhörung auseinandersetzen müssen. Wir müssen uns damit beschäftigen, welche Kontrollmechanismen wir einbauen können. Das wollen wir gern kritisch beleuchten.

Eine andere Frage ist – Herr Kollege Walter hat sie im Anschluss an die Kommunalwahlen einmal thematisiert –, warum wir nicht über das System in Niedersachsen reden, in dem es Kumulieren und Panaschieren gibt? Beispielsweise sind für den Kreistag nicht 71 Stimmen, sondern 3 Stimmen vorgesehen.Das ist ein Ansatz,über den man reden könnte. Vielleicht führt das dazu, dass mehr Leute wählen gehen. Auch das ist wichtig. Die Frage, ob Kumulieren und Panaschieren in großen Gebietskörperschaften, in denen eine relativ große Anonymität herrscht, wirklich zielführend sind, kann man in der Anhörung kritisch beleuchten.

Herr Hahn, jetzt möchte ich etwas zu Ihrer Festlegung sagen, wonach direkt Gewählte nicht auf dem Wahlzettel vermerkt werden sollen.Warum unterstellen Sie den Leu

ten, dass sie nicht wissen, dass diese ihr Amt wahrscheinlich nicht antreten? Wenn sie Kreistagsabgeordnete sind, bleiben sie hauptamtlich.

Aber es geht darum, dass der Hauptamtliche eine Unterstützung für seine Politik braucht, die sich auch in der Mehrheit eines Gremiums widerspiegelt. Das ist doch legitim.Warum unterstellen Sie den Wählerinnen und Wählern nicht, dass sie das erkennen können? Auch das ist die Praxis. Haben Sie nicht so viel Angst. Ich weiß, Sie haben nicht so viele Hauptamtliche. Deswegen stellt sich das Problem bei Ihnen nicht.

(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nicht mehr lange, Herr Rudolph!)

Herr Hahn, wenn ich mir die Direktwahlergebnisse der letzten Jahre in Hessen anschaue, dann sehe ich: Der Anteil der FDP-Bürgermeister ist eher übersichtlich.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja, eben!)

Ich gebe zu, die zwei oder drei im Schwalm-Eder-Kreis sind zwei oder drei zu viel. Das weiß ich, das muss ich zugeben.Aber das ist ja nicht für die Ewigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr Hahn, daher denke ich, das ist ein Vorschlag, der populistisch klingen mag.Aber die Wählerinnen und Wähler vor Ort erkennen schon, wer kandidiert und warum. Dass politische Wahlbeamte im Parlament eine Mehrheit brauchen, ist legitim.

Was also bleibt? Ein Gesetzentwurf, der suggeriert, damit könne man möglicherweise eine höhere Wahlbeteiligung erzielen.Aber die Fallstricke, die wir darin sehen, sind relativ deutlich. Herr Möller hat darauf hingewiesen. Eine Anhörung dazu ist sinnvoll und in Ordnung. Die Möglichkeiten einer Internetwahl sollten wir in Ruhe prüfen, meine kritischen Anmerkungen dazu habe ich bereits gemacht. Diese Fälle aus der Praxis sind nicht wegzudiskutieren.

Wir sollten auch andere anstehende Fragen diskutieren.

(Jürgen Walter (SPD): Über die 5-%-Klausel!)

Herr Kollege Walter, eine 5-%-Klausel ist wohl verfassungsrechtlich nicht zu machen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Danke!)

Andere haben das anders gelöst, das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Entscheidend aber ist, dass wir eine gute Politik machen. Dann gehen mehr Menschen wählen. Bei der letzten Kommunalwahl hatten wir in Hessen eine Landesregierung, die eine schlechte Kommunalpolitik macht.Vielleicht war auch das ein Grund dafür,dass zu wenige gewählt haben. Deswegen wollen wir da eine andere Politik machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rudolph. – Als nächster Rednerin erteile ich Frau Kollegin Erfurth für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt kommt endlich einmal ein sachlicher Beitrag!)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Drehund Angelpunkt des FDP-Antrags ist die zurückgehende Wahlbeteiligung. Daher möchte ich mich einen Moment mit dieser Wahlbeteiligung beschäftigen. Das sollte uns als Demokraten ständig umtreiben. Wir sollten schauen, wo Versuche möglich sind, Menschen das Wahlrecht auch als unabdingbare Voraussetzung der Demokratie nahezubringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Hahn, vor diesem Hintergrund bin ich durchaus dankbar,dass Ihr Antrag nicht die Forderung enthält,eine Wahlpflicht festzuschreiben.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wir haben Ähnliches – vorhin haben Sie das vornehm verschwiegen – vom Kollegen Rentsch nach der Kommunalwahl gehört.Ich nehme an,diese Äußerung war auf allgemeine Enttäuschung nach diesem Wahlgang zurückzuführen und nicht so ganz ernst gemeint.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Warum waren wir enttäuscht? Wir haben gewonnen! – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Na ja, diese Diskussion wollen wir heute nicht fortsetzen.

Ich möchte zunächst nochmals auf die Wahlbeteiligung eingehen. In der Aktuellen Stunde nach der Kommunalwahl hat der Innenminister in einer langen Reihe von Beispielen die Entwicklung der Wahlbeteiligung in der Vergangenheit vorgetragen.Damit wollte er ableiten,dass die Anzahl der Kreuze auf einem Wahlzettel keinen Einfluss auf die Wahlbeteiligung hat. Wenn diese Bewertung stimmt – aus meiner Sicht spricht viel dafür –, dann muss man sich in der Tat fragen, woran es denn liegt, dass Menschen von ihrem Wahlrecht immer weniger Gebrauch machen.Woran liegt es, dass besonders junge Menschen keinen Zugang zur Politik haben?

Beispielsweise hat die 14. Shell-Jugendstudie im Jahr 2002 festgestellt, dass sich nur noch 30 % der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren als politisch interessiert bezeichnen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das ist schon länger her, jetzt ist das anders!)

1991 hatten wir einmal 57 % Wahlbeteiligung bei Jugendlichen, jetzt einen Rückgang auf 30 %. Dieser Anteil ist auch in der letzten Zeit nicht gestiegen.

Selbst wenn man unterstellt, dass sich bei jungen Menschen Interessen auch noch einmal verlagern, kann man daraus deutlich einen Trend ableiten – nämlich den Trend, dass da eine Generation von Jugendlichen in die aktive Politikphase hineinwächst, die erkennbar mit Politik nichts am Hut haben will.

Daher müsste unser Auftrag doch lauten, Politik für Kinder und Jugendliche nachvollziehbar zu machen, sie ihnen angemessen zu vermitteln und ihnen auch ein bisschen Spaß an der Politik und an ihrem Lebensumfeld, an der Mitgestaltung in der Politik, beizubringen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das ist es, was die GRÜNEN sehr gern machen: Spaß!)

Ich sage Ihnen, das gelingt auch trotz der Besuchergruppen, die wir hier im Landtag haben, nicht. Das konnte ich

erst heute wieder feststellen, und ich denke, auch Kolleginnen und Kollegen,die heute oder gestern Schülerinnen und Schüler als Besuchergruppen hatten, können das ebenso feststellen. Es gelingt nicht, Jugendliche für Politik und für das Miteinander zu interessieren.

Da sind wir nun gefragt. Das können nämlich wir regeln. Wir können Jugendlichen durchaus nahebringen,wie man sich in Kommunalparlamenten, in Kinder- und Jugendparlamenten – ihnen angemessen – engagieren kann. Das können wir regeln. Da sehe ich ein großes Aufgabenfeld für uns, Kindern und Jugendlichen Politik ganz praktisch beizubringen.