Vielen Dank, Frau Kollegin Fuhrmann. – Nun hat der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN, Herr Al-Wazir, das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollegin Fuhrmann hat schon angesprochen, dass bei dieser Landesregierung immer genau hingeschaut werden muss, inwieweit Art und Lyrik und politisches Signal zueinanderpassen.
Deswegen werden wir – das ist Aufgabe eines Abgeordneten, so ist das – sehr genau hinschauen, ob die Menschen, die jetzt eingesetzt werden sollen, auch sinnvoll eingesetzt werden und was die Inhalte sind.
Ich glaube, das eigentlich Spannende an diesem Programm ist das, was sich hier gerade in der Kontroverse zwischen der FDP und der CDU manifestiert.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Ich habe damit gerechnet,dass das kommt! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das fängt damit an!)
Erste Lebenslüge, hier immer vor sich hergetragen: Staatlich geförderte Arbeitsmarktprogramme sind immer Unsinn und müssen weg. – Das haben Sie hier fast jahrzehntelang erklärt. Wir stellen heute fest, Sie verabschieden sich gerade von dieser Lebenslüge.
Natürlich. – Zweite Lebenslüge, die Sie bis vor Kurzem immer vor sich hergetragen haben: Bundesagentur kann nix,Kommunen können alles besser.– Wir stellen jetzt das fest, was wir immer gesagt haben: Es kommt auf den einzelnen Fall an.
Wir begrüßen außerordentlich, dass Sie sich jetzt an der Sache und nicht mehr an der Ideologie orientieren.
Dritte Lebenslüge, und die ausdrücklich ausgesprochen: Es war falsch, dass die Kohl-Regierung mit Norbert Blüm als zuständigem Minister in den Achtziger- und Neunzigerjahren alles dafür getan hat, ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt heraus- und in die sozialen Sicherungssysteme hineinzubringen. Auch das ist ausdrücklich richtig.
Deswegen sage ich Ihnen: Wir finden es gut, dass Sie verstanden haben, dass das falsch ist. Wir haben etliche inhaltliche Fragen zu dem Programm und zu der Sinnhaftigkeit des Ganzen.Das werden wir uns genau betrachten, wenn es beginnt. Aber der Paradigmenwechsel ist ausdrücklich richtig.
Es gibt aber einen weiteren Punkt. Es muss doch das, was man macht, zusammenpassen. Herr Boddenberg, da passt einiges nicht zusammen. Wenn Sie völlig richtigerweise sagen, dass die Politik nicht weiter alles dafür tun soll, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt hinauszubringen, dann frage ich Sie, warum die Große Koalition auf Bundesebene die 58er-Regelung, die beinhaltet, dass über 58-Jährige herausgehen und dann dem Arbeitsmarkt ausdrücklich nicht mehr zur Verfügung stehen, um zwei Jahre verlängert hat. Diese Frage kann man schon einmal stellen.
Zur zweiten Frage, die man dann stellen kann. Man kann sagen, es sind die Berliner, es ist alles ganz kompliziert, oder Herr Müntefering ist schuld.
Herr Boddenberg, Sie regieren hier mit absoluter Mehrheit. Ich frage Sie einmal, wie es denn zusammenpasst, dass Roland Koch sich hierhin stellt und sagt: „Wir haben einen Fehler gemacht, indem wir die Älteren herausge
drängt haben“ und gleichzeitig in der Personalvermittlungsstelle mit Stand 31.07. dieses Jahres von den 6.277 Personen, die der PVS gemeldet worden sind, 615 Personen in die Altersteilzeit oder in den Ruhestand gewechselt sind. Die nächste Frage ist, warum noch einmal zusätzlich 431 Personen mit einer Abfindung ausgeschieden sind. Das werden nicht immer Ältere gewesen sein. Aber es werden etliche Ältere darunter gewesen sein, die sich ihren Verlust haben ausrechnen lassen und dann die Abfindung mitgenommen haben.
Es gibt also die Erkenntnis, dass wir einen Fehler gemacht haben, indem wir gesagt haben, die Älteren sollten dem Arbeitsmarkt möglichst nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit großem Tamtam wird ein Programm für 200 Personen vorgestellt.Angesichts der Zahl von 68.000 Erwerbslosen über 50 Jahre werden also 200 Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig hat die CDU mit ihrer absoluten Mehrheit – die sich jetzt dafür feiern lässt – allein im Landesdienst 615 Personen aus der PVS in die Altersteilzeit oder in den Ruhestand wechseln lassen. Das kann doch nicht richtig sein.
Letzter Satz. Deswegen wünsche ich mir, dass Sie sich nicht nur wegen der innerparteilichen Positionierungen zwischen Angela Merkel und Jürgen Rüttgers hier von Ihren Lebenslügen verabschieden, sondern dass dies stringent auch dort eine Auswirkung hat, wo Sie selbst Verantwortung haben. Man muss auch einmal sagen: Nicht nur Norbert Blüm hat in den Achtzigerjahren Fehler gemacht, sondern die Fehler werden unter Ihrer Regierungsverantwortung in der PVS bis heute jeden Tag begangen. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Al-Wazir. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Sozialministerin Lautenschläger das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wissen und Erfahrung in der Gesellschaft wieder einzusetzen und genau diesen Bereich für den Arbeitsmarkt erneut zu erschließen – das ist das Ziel des Programms, das wir aufgelegt haben. Es ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Baustein, hat vor allem aber auch eine große Signalwirkung in unsere Gesellschaft hinein; denn, wie mehrfach festgestellt wurde, rund 68.000 Arbeitslose in Hessen, also 24,6 %, sind älter als 50 Jahre.
Fast ein Viertel der Arbeitslosen, rund 30.000, gehört zu dem Personenkreis der Arbeitslosengeld-I-Empfänger. Genau bei diesem Personenkreis setzen wir mit unserem Programm an. Es geht darum, die Beschäftigungsquote wieder zu erhöhen, aber auch darum, der Gesellschaft zu signalisieren, dass man, selbst wenn man älter als 50 Jahre ist, die Möglichkeit hat, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, nachdem man seine Beschäftigung verloren hat.
Die entscheidende Frage ist: Wie flexibel ist unser Arbeitsmarkt dort? Schaffen wir es, Ältere wieder in Jobs zu vermitteln? Mit allen Programmen, die wir auflegen, werden wir nämlich nicht verhindern können, dass Menschen auch in Zukunft ihre Arbeit verlieren und Abfindungen annehmen.
Nur ist es heute so, dass ein Älterer, der seine Arbeit verliert, kaum eine Chance hat, wieder einen Job zu finden. Wie schon dargestellt worden ist, unterscheidet sich Deutschland in diesem Punkt durchaus vom europäischen Ausland. In Deutschland liegt die Quote der sozialversicherungspflichtig beschäftigten 50- bis 64-Jährigen nur bei 39,7 %. Im Vergleich dazu: Bei den 25- bis 49-Jährigen sind es 62,1 %.
Das ist der Ansatz, den wir mit unserem Programm wählen. Wir müssen dort zu einer Flexibilität kommen. Es muss klar sein, dass die Menschen eben nicht dauerhaft dem Arbeitsmarkt fernbleiben sollen und dass wir nicht abwarten wollen, bis sie in das Arbeitslosengeld II abrutschen und dann keine Chance mehr haben.Bei großer Arbeitsmarktferne wird es nämlich noch schwieriger, jemanden dort wieder zu integrieren.
Es stellt sich die Frage: Wie ist man in der Vergangenheit in Deutschland mit diesem Thema umgegangen? Es war falsch, die Menschen mithilfe von Vorruhestandsregelungen herauszunehmen. Nur muss man dazu sagen, dass, obwohl das Norbert Blüm passierte – also CDU und FDP –, damals ein breiter gesellschaftlicher Konsens in diesem Punkt bestand. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sich die SPD oder die GRÜNEN dagegengestemmt hätten.
Es ist auch nicht so, dass sich die Gewerkschaften oder die Arbeitgeber dagegengestemmt hätten,sondern es handelt sich schlichtweg um einen Fehler in unserer Gesellschaft, der korrigiert werden muss. Es muss klar sein, dass Ältere ihre Erfahrungen einbringen können und dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, eine Chance haben, einen neuen zu finden.
Sie wissen, dass man dort durchaus unterschiedliche Regelungen ausprobiert hat, wie man, z. B. über Änderungen beim Kündigungsschutz, mehr Flexibilität bei älteren Menschen schafft. Von europäischer Seite ist das gekippt worden. Das ist sicherlich ein ganz großes Problem in diesem Bereich, weil die Flexibilität gerade dort eine große Rolle spielt.
Deswegen haben wir uns mit unserem Programm dafür entschieden, in einen Bereich zu gehen, von dem wir wissen, dass es dem Land etwas bringt, wenn wir dort Menschen beschäftigen.Das ist der Fall,wenn wir z.B.klar wissen, dass wir in Zukunft Personen brauchen, die Hauptschüler coachen und Praktikaplätze suchen.Das heißt,wir brauchen gestandene Persönlichkeiten,die ihre Erfahrungen einbringen.
Auf der anderen Seite haben wir uns dafür entschieden, das nicht über den zweiten Arbeitsmarkt zu machen, sondern über die Zeitarbeit voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einzukaufen.Wir wissen nämlich auch,dass wir dort über einen bestimmten Zeitraum hinweg bestimmte Lücken stopfen wollen – was dem Land etwas bringt, aber auch denjenigen, die wir in Beschäftigung bringen wollen, einen echten Vorteil verschafft.
Wenn heute z. B. ein Dreher mit 55 Jahren arbeitslos wird, hat er meistens keine Chance mehr, wieder als Dreher in einem Unternehmen beschäftigt zu werden.Wenn er aber durch die Teilnahme an diesem Programm zeigt, dass er über ein Coaching und über eine Phase am Arbeitsmarkt – mit einer völlig neuen Ausrichtung – fähig ist, seine Arbeitsleistung in Form einer Dienstleistung, z. B. als Coach, einzubringen, hat er nach den 18 Monaten die Chance, in anderen Unternehmen in völlig neue Aufgabengebiete
Ich komme gleich zum Schluss. – Ich glaube, es wäre wichtig, wenn auch vom Hessischen Landtag das Signal ausginge, dass dies ein Beispiel ist und dass die Zeitarbeit eine ganz entscheidende Rolle bei der Flexibilität, aber auch bei den Einsatzmöglichkeiten von älteren Beschäftigten spielt. Die Zeitarbeit kann den älteren Beschäftigten als eine Brücke dienen;denn gerade bei der Zeitarbeit hat es in den vergangenen Jahren Zuwächse auf dem Arbeitsmarkt und bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gegeben.
Wir haben uns vorgenommen, dafür zu sorgen, dass mindestens zwei Drittel derjenigen, die an dem Programm teilnehmen – bis zu 1.000 Personen –,anschließend auf andere Arbeitsplätze weitervermittelt werden.Dieses Signal ist es wert,auch an andere Unternehmen und Arbeitgeber weitergegeben zu werden.
Es geht darum, dass dort eine Möglichkeit besteht, flexibel damit umzugehen, aber vor allem auch darum, Erfahrung und Wissen in Zukunft nicht brachliegen zu lassen, sondern in unserer Gesellschaft alle Anstrengungen zu unternehmen, um dieses Erfahrungspotenzial wieder für alle zu erschließen.