Wir brauchen eine Neuregelung des HSOG im Bereich der Wohnraumüberwachung, der Telekommunikationsüberwachung und der Rasterfahndung. Wir unterstützen den vorgelegten Gesetzentwurf der FDP-Fraktion. Wir werden sehen, wie die Anhörung im Innenausschuss ausgeht. Wir lassen aber nicht zu, dass die, die 2002 verfassungswidrige Regelungen in das Gesetz geschrieben haben, sich jetzt als die Sachwalter der Grund- und Bürgerrechte aufspielen.
Wer sich für die Wahrung und den Schutz von Grund- und Bürgerrechten einsetzen will, der muss das auch und gerade in schwierigen Zeiten tun. Ich stelle fest: Als es darauf ankam, sich für diese Rechte einzusetzen, hat die FDP kläglich versagt.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir begrüßen den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion ausdrücklich. Aber statt dass Sie sich im Umfeld der Fußball-WM sonnen, Herr Innenminister, hätten wir eigentlich erwartet, dass Sie die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung aufgreifen, Ihre Hausaufgaben machen und dem Parlament vorlegen.
Wir haben Sie bereits im Mai aufgefordert, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Rasterfahndung zu erfüllen und das HSOG zu ändern. Wir haben eindringlich davor gewarnt, dass sonst jede Entscheidung vor einem Gericht landen werde.Wir sind allerdings überrascht, dass die Initiative ausgerechnet von der FDP-Fraktion kommt, Herr Hahn. War es denn nicht ausgerechnet der Kollege Hahn, der es in der Debatte anlässlich der Novellierung des HSOG im Jahre 2002 noch ausdrücklich abgelehnt hat, eben diese nun von ihm vorgeschlagenen Regelungen in das Gesetz aufzunehmen? Ich gebe zu, in der FDP gab es Zweifel, aber sie waren in der Koalition nicht durchsetzungsfähig. Jetzt probieren Sie es auf diesem Wege. Wir freuen uns aber sehr, dass die FDP jetzt klüger geworden ist.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Florian Rentsch (FDP): Jetzt sind wir in Vorleistung getreten! – Heiterkeit)
Wir stehen dem heute zu erörternden Gesetzentwurf grundsätzlich positiv gegenüber, auch wenn einzelne Formulierungen nach einer Fachanhörung sicher noch zu dis
kutieren sein werden. Die FDP-Fraktion stützt sich in ihrem Antrag auf mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, unter anderem zur akustischen Wohnraumüberwachung. Der FDP-Antrag beruht auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 3.März 2004,wo zur akustischen Wohnraumüberwachung unter Bezugnahme auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde festgestellt wurde, dass ein absolut geschützter Kernbereich privater Lebensgestaltung anzuerkennen ist. In diese Bereiche dürfen Überwachungsmaßnahmen nicht hineinreichen. Dies gilt in gleichem Maße für die Telekommunikationsüberwachung.
Wie sehr die Wohnraumüberwachung in die verfassungsrechtlich stark geschützten Persönlichkeitsrechte des Einzelnen eingreift, hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen immer wieder betont und dabei gerade keine Entscheidung zwischen Täter und Nichttäter getroffen. Hintergrund dieser Argumentation ist, dass es mit der Würde des Menschen eben nicht vereinbar ist, ihn zum bloßen Objekt der Staatsgewalt zu machen. Auch wenn dies manchen konservativen Kreisen in unserer Gesellschaft nicht gefällt, so steht doch fest, dass ein Straftäter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs behandelt und dadurch zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung und Strafvollstreckung gemacht werden darf.
Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht daher auch in seinem Urteil vom Juli 2005 zum Thema Telekommunikationsüberwachung aufgegriffen. Auch wenn die Vorgaben zur Wohnraumüberwachung nicht 1 :1 übertragen worden sind, wurde die Eingriffshürde so hoch angesetzt, dass Informationen aus dem höchst persönlichen Bereich geschützt werden. Konkret bedeutet das, dass es als Voraussetzung eines besonders hohen Rangs des gefährdeten Gutes und einer hohen Intensität der Gefährdung bedarf. Der Kernbereich der Privatsphäre darf auch dabei nicht erfasst werden. Nach aktueller Gesetzeslage in Hessen unterliegen die Erkenntnisse aus dem Bereich privater Lebensgestaltung momentan lediglich einem Verwertungsgebot. Das genügt uns ebenso wenig wie den Liberalen. Im Falle der Bedrohung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung muss die Abhörmaßnahme sofort abgebrochen werden. Das fordert auch das Bundesverfassungsgericht.
Hinzu kommt, dass besonders geschützte Berufsgruppen – der Kollege Hahn hat es bereits gesagt –, wie Ärzte, Journalisten, Pfarrer oder Anwälte, generell nicht abgehört werden dürfen. Allen diesen Anforderungen entspricht die aktuelle Fassung des HSOG nicht, sodass die beantragten Gesetzesänderungen überfällig sind.
Nun zur Rasterfahndung. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 4. April dieses Jahres festgestellt, dass eine präventive polizeiliche Rasterfahndung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eben nur dann vereinbar ist, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter – z. B. für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben und Freiheit einer Person – gegeben ist. Im Vorfeld der Gefahrenabwehr scheidet der Einsatz einer solchen Rasterfahndung aus.Das hessische Polizeirecht entspricht auch hier den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Während das Bundesverfassungsgericht eindeutig das
Vorliegen einer konkreten Gefahr für die vorgenannten Rechtsgüter als Eingriffsvoraussetzung verlangt, hat die CDU mit ihrer im HSOG zu findenden Regelung die Eingriffsschwelle viel zu niedrig angesetzt.Wir haben dies bereits im Jahre 2002 erkannt und schon damals die Aufnahme eben dieser vom Verfassungsgericht nunmehr geforderten Voraussetzung des Vorliegens einer konkreten Gefahr gefordert.
Ich zitiere meinen sehr geschätzten Kollegen Günter Rudolph, der in der ersten Lesung zu dem Gesetzentwurf in diesem Hause am 19. März 2002 gesagt hat: „Richtig hingegen wäre es, einen qualifizierten Gefahrenverdacht in das Gesetz als Grundlage aufzunehmen.“ Hätten Sie das damals getan, hätten wir die heutige Debatte nicht.
Damit wir uns nicht missverstehen: Die SPD-Fraktion hält die kriminaltechnische Methode Rasterfahndung prinzipiell für ein geeignetes Mittel der Vorbeugung in bestimmten herausragenden Gefährdungslagen, also nicht nur bei terroristischen Bedrohungen, sondern auch bei aktuell zu befürchtenden Tötungs- oder Sexualstraftaten – aber eben nur in verfassungskonformer Weise und auch den Schutz des Einzelnen beachtend. In einem funktionierenden Rechtsstaat kann und darf das Begehren nach möglichst vielen Informationen, die man vielleicht einmal für polizeiliche Ermittlungen gegen Bürger verwenden könnte, nicht zum vorrangigen Handlungsmaßstab werden. Vielmehr muss sich der Rechtsstaat immer wieder selbstkritisch die Frage stellen, wie effektiv das jeweils eingesetzte oder angestrebte Mittel für die Verbrechensbekämpfung überhaupt ist und ob dieser Eingriff in bürgerliche Freiheitsrechte überhaupt gerechtfertigt ist.
Die FDP-Fraktion hat im Jahre 2004 eine Kleine Anfrage zu dem Thema an den Innenminister gerichtet, die eher Zweifel an der Effizienz dieser Maßnahmen erbracht hat. Der Personalaufwand zur Beschaffung der Daten war sehr hoch, und die Ergebnisse waren äußerst gering.
Die informationelle Selbstbestimmung als ein Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 des Grundgesetzes ist ein sehr hohes Gut unseres Rechtsstaates.Die Verfassungsrechtler geben uns mit auf den Weg: Je stärker ein Eingriff in die Grundrechte ist, desto präziser müssen die dafür notwendigen Voraussetzungen formuliert werden. – Der ehemalige hessische Justizminister Rupert von Plottnitz hat schon bei der ersten Lesung im Jahre 2002 prophezeit, dass ein Gericht Ihre Regelung wieder aufheben werde. All dies macht deutlich, wie dringend erforderlich eine Novellierung des HSOG ist.
Wir unterstützen das Einfügen des konkreten Gefahrenbegriffs bei den Bestimmungen über die Rasterfahndung, wie wir das bereits 2002 gefordert haben. Deshalb werden wir den Gesetzesweg jetzt positiv begleiten. Frau Zeimetz-Lorz, es reicht eben nicht, abzuwarten. Sie haben im Moment ein Gesetz, das den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht entspricht. Deswegen ist dringender Handlungsbedarf gegeben, und Sie können eine Novellierung nicht auf die lange Bank schieben.
Sie haben die offene Formulierung angesprochen. Eben diese ist das Problem. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die Voraussetzungen sehr konkret formuliert sein müssen.
Zum Gesamtkomplex der nicht immer ganz einfachen rechtlichen Materie möchten wir noch Folgendes ergänzen. Die SPD in Hessen setzt sich für eine effektive Verbrechensbekämpfung im präventiven und repressiven Bereich ein.Wir warnen aber auch vor dem Übereifer derjenigen, die unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung Gefahren heraufbeschwören und Ängste erzeugen, um dann die Freiheitsrechte des Einzelnen immer mehr beschneiden zu können.
Es gehört gerade zu den Errungenschaften unseres Rechtsstaates, dem Einzelnen auch den Schutz vor dem Staat zu gewähren. Auch dies zeichnet nämlich unseren Staat vor den undemokratischen Staaten aus, von denen auch terroristische Bedrohungen ausgehen.Deshalb hatte die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, Recht, als sie anlässlich der Vorstellung des Grundrechtereports 2006 davon gesprochen hat, dass sich der Staat im Bann der Angst befinde. Sie hat in diesem Zusammenhang von einem „unersättlichen Sicherheitsbedürfnis“ gesprochen, das dazu führe, dass der Staat immer mehr in die Grundrechte der Bürger eingreife und deren Freiheit missachte.
Meine Damen und Herren, es gehört auch zu unseren Aufgaben, die Grundrechte der einzelnen Bürger zu beachten.
Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Es ist eine außergewöhnlich schwierige Materie, für die Bürger im Lande eine sehr grundsätzliche und eine, für die es keine ganz leichten Antworten gibt.Ich bedauere,dass die Redner der Opposition auf die Ausführungen von Frau Kollegin Zeimetz-Lorz so wenig,teilweise gar nicht eingegangen sind. Frau Faeser, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Die Beachtung und Wahrung der Grundrechte ist nicht nur eine Amtsverpflichtung, es ist die Konstitutive eines demokratischen Rechtsstaats.
Daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Der Kollege Hahn, der sich entschuldigen musste, hat vorhin gesagt: „Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, und dies ist zu respektieren“. Ja.
Deshalb möchte ich zwei Bemerkungen hinzufügen. Es enthebt uns zum einen nicht der Pflicht, genau zu untersuchen, was sie entschieden haben, und zum Zweiten ver
pflichtet auch der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht nicht, alles gut zu finden, was sie entscheiden.
Meine Damen und Herren, deshalb einige wenige Bemerkungen. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen keinen einzigen Fall des HSOG.
Nur damit wir wissen, wovon wir reden: Das hessische Polizeigesetz ist vom Bundesverfassungsgericht weder aufgegriffen noch gar in irgendeinem Punkt als mit der Verfassung nicht konform bezeichnet worden.
Zweite Bemerkung – das ist eine, wie ich finde, notwendige Klarstellung. Wir haben drei Komplexe. Wir haben die Wohnraumüberwachung, wir haben die Telekommunikationsüberwachung, und wir haben die so genannte Rasterfahndung. Ich bekenne ausdrücklich: Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang haben die Arbeit der Sicherheitsbehörden nicht erleichtert. Die Polizeibehörden, übrigens auch die sonst von Ihnen so gern als Kronzeugen gegen den Innenminister ins Feld geführte Gewerkschaft der Polizei und alle anderen, haben diese Entscheidungen scharf gegeißelt.
Ich kann es mir nicht so einfach machen wie ein Oppositionsabgeordneter oder überhaupt ein Abgeordneter.Als Verfassungsminister muss ich sehr ernsthaft damit umgehen und fragen:Was müssen wir tun?