Protocol of the Session on June 21, 2006

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wundere mich ein wenig, dass weder ein Vertreter der CDU-Fraktion noch ein Vertreter der SPD-Fraktion auf die Angriffe des Kollegen Hahn auf die große Koalition antworten möchte. Da sich bisher kein Kollege zu Wort gemeldet hat, bin ich gerne bereit, jetzt zum Antrag der FDP-Fraktion aus der Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stellung zu nehmen.

Bevor ich zur Sache komme, Herr Kollege Hahn, will ich allerdings an die Debatte vom 29. März 2006 erinnern, die wir in diesem Plenarsaal geführt haben, als es um den Schutz der deutschen Sprache vor überflüssigen Anglizismen ging.

Damals hat Frau Kollegin Ruth Wagner unter anderem gesagt – sie hat viel gesagt, auch sehr Gutes –:

Meine Partei hat in Baden-Württemberg zu einer Stuttgarter Veranstaltung wie folgt eingeladen: „Wir laden ein zu einem Meeting in die Konditorei ,Old Liberal Candidate‘“.

Ruth Wagner sagte dazu:

Ich glaube, wir sind verrückt. Meine Damen und Herren, das ist wirklich ein Sprachmüll ohne Ende.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Sprachmüll besteht aus Denglisch – einem schlechten Umgangsenglisch – und vor allen Dingen auch aus einer undifferenzierten Werbesprache.

Was passiert drei Monate später? Die FDP veröffentlicht eine Presseerklärung mit der Überschrift „FDP entwirft Fahrplan für die Bundespolitik von Roland Koch“:

Jörg-Uwe Hahn: „Mit unserem Programm ,4 Steps to Berlin‘ coached die FDP in den nächsten Tagen Roland Koch...“

Ich weiß nicht,ob Roland Koch dieses Coaching nötig hat. Ich erwähne das hier deshalb, weil dort gesagt wurde; der „first step in Berlin“ sei es, keine Mehrwertsteuererhöhung auf den Weg zu bringen. Bei dem zweiten Step ging es um das Gleichstellungsgesetz, bei dem dritten Step um die Mindestlöhne und bei dem vierten Step um die Gesundheitsreform. Dann heißt es am Mittwoch, dem 21. Juni 2006 – also heute –: „FDP zieht Bilanz“. Das ist das, was Sie gerade getan haben.

(Norbert Schmitt (SPD): Das war die Bilanz? Oje!)

Herr Kollege Hahn, ich habe schon immer die Meinung vertreten: Wer nichts zu sagen hat, der sagt es auf Englisch, dann hört es sich wenigstens besser an.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Erstens. In der Kritik an der großen Koalition stimme ich mit Ihnen überein – auch wenn ich aus einer anderen Richtung komme.

(Jürgen Walter (SPD): Du hast so gut angefangen, Tarek!)

Aber wenn wir das konsequent zu Ende denken, müssen wir jetzt Ihren Namen ändern. Dann müssen wir in Zukunft sagen: „the little yellow rooster formerly known as Jörg-Uwe Hahn“.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zweitens.Herr Kollege Hahn – da widerspreche ich Ihnen ausdrücklich –, Sie haben gesagt, es sei von dem SPDBundestagsabgeordneten Joachim Poß ungezogen gewesen, den Bundespräsidenten zu kritisieren. Ich weiß nicht genau,was er gesagt hat.Deswegen will ich nicht sagen,ob das ungezogen ist oder nicht.Aber ich kenne Joachim Poß zumindest so weit, dass ich mir sicher bin, dass er, wenn er den Bundespräsidenten schon kritisiert hat, dies wenigstens bewusst getan hat.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr richtig!)

Sie haben den Bundespräsidenten allerdings unbewusst in einer sehr viel schlimmeren Art kritisiert, indem Sie gesagt haben, er habe den Bundestag letztes Jahr aufgelöst, weil er sich Vorfahrt für weitere Reformen erhofft habe. Wenn das stimmen würde, wäre das ein schwerwiegender Verfassungsbruch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das hat er gesagt! Das war seine Rede!)

Sie wissen doch, die einzige Möglichkeit, wie ein Bundespräsident – –

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Haben Sie schon vergessen, was er gesagt hat?)

Ich habe das nicht vergessen.Aber dabei geht es um die Frage, ob die dauerhafte Mehrheit eines Bundeskanzlers gesichert ist, und nicht darum, ob sich jemand Vorfahrt für die Arbeit erhofft.Herr Kollege Hahn,insofern sollten Sie noch einmal über das nachdenken, was Sie gesagt haben.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Haben Sie die Rede nicht gehört, Herr Kollege Al-Wazir?)

Herr Kollege Hahn, ich komme zu Ihren inhaltlichen Punkten. Sie haben vier Punkte genannt: Mehrwertsteuererhöhung, Gleichstellungsgesetz, Mindestlöhne und Gesundheitsreform. Sie haben gesagt, die Parteien sollten sich an diesen Punkten zu ihren Positionen bekennen.

Ich kann Ihnen relativ klar sagen, was BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von den einzelnen Punkten hält. Wir halten die Mehrwertsteuererhöhung für falsch. Die Tatsache, dass die Sozialdemokraten vor der letzten Bundestagswahl gemeinsam mit uns die Ankündigung, die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte zu erhöhen, gegeißelt haben, und dass am Ende eine Erhöhung um 3 Prozentpunkte herausgekommen ist, ist in der politischen Debatte in der Bundesrepublik Deutschland schon ausreichend gewürdigt worden.

Wir halten die Mehrwertsteuererhöhung vor allem aus folgendem Grund für falsch: Wenn es um den Arbeitslosenbeitrag geht, so erfolgt die Rückgabe des Teils, der zurückfließt, auf eine völlig falsche Art und Weise. Es wird nämlich weiterhin nur an die nominalen Sätze gedacht, nicht aber – gerade bei den Niedriglöhnen – an Progressionen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Hahn, ich will Ihnen allerdings eines sagen: Ich finde es ein wenig komisch, dass sich ausgerechnet die FDP, wenn es um die Mehrwertsteuererhöhung geht, als Retterin der Enterbten aufspielt. Die FDP war nämlich in ihrer Regierungszeit von immerhin 1969 bis 1998 für insgesamt fünf Mehrwertsteuererhöhungen verantwortlich: zwei zusammen mit der SPD, drei zusammen mit der CDU. Herr Kollege Hahn, das bedeutet, während Ihrer Regierungszeit ist die Mehrwertsteuer von 11 % auf 16 % gestiegen, also eine Steigerung von 45,4 %.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Jetzt sind wir gleich wieder beim Plottnitz! – Norbert Schmitt (SPD): Die FDP war immer dabei!)

Sie sagen jetzt: Skandal, die Mehrwertsteuer wird erhöht. – Ich glaube, es ist völlig richtig, was Sie über die SPD gesagt haben, wenn es um das Thema Umfallen geht. Aber Sie können meistens nicht umfallen, weil Sie von Anfang an flachliegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist die FDP bei dem Thema Mehrwertsteuererhöhung nicht unbedingt ein geeigneter Ankläger.

Zum Gleichstellungsgesetz und zum Antidiskriminierungsgesetz. Ich finde, das, was Sie hier vorgetragen ha

ben, entspricht mehr oder weniger dem ganzen neoliberalen Glaubenskanon, der auf Ihrer Platte immer wieder vorkommt. Aber was das Gleichstellungsgesetz betrifft, muss ich sagen:Angesichts der Geschichte der Freien Demokratischen Partei und angesichts der Geschichte des Liberalismus in Deutschland finde ich das doch ein wenig unterkomplex – um es einmal vorsichtig auszudrücken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Im Gegensatz zu euch haben wir eben eine Geschichte! Hambacher Fest!)

Sie zeigen nämlich, dass Sie „liberal“ nicht mehr umfassend im Sinne des Wortes verstehen, sondern dass Sie „liberal“ nur noch als wirtschaftsliberal definieren. Herr Kollege Hahn, Sie müssen sehen, dass es für den besitzenden Wirtschaftsbürger, den Sie vor Augen haben, immer am bequemsten ist, wenn er keine Auflagen zu beachten und möglichst keine Steuern zu zahlen hat.Sie müssten eigentlich wissen, dass das nicht immer etwas mit einer liberalen Gesellschaft zu tun hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wer zahlt die meisten Steuern in diesem Land? Wer zahlt 70 % der Steuern in diesem Land? Das Bürgertum! 70 % der Steuern zahlt das Bürgertum!)

Hören Sie doch mit den Steuern auf. Ich rede jetzt über das Gleichstellungsgesetz und das Antidiskriminierungsgesetz.

(Weitere Zurufe des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr Kollege Hahn.

Der aufgeklärte Liberalismus hatte erkannt,dass man den einzelnen Bürger und die einzelne Bürgerin in die Lage versetzen muss, für seine oder für ihre Rechte zu streiten.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ja!)

Er hat deshalb dafür gesorgt, dass die Bürgerrechte im Staat etabliert werden.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Richtig!)

Deshalb hat er auch das Recht des Einzelnen geschaffen, diese Bürgerrechte vor Gericht einzuklagen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das sollen jetzt die Gewerkschaften machen, oder wie? Sollen sie eine Verbandsklage einreichen?)

Herr Kollege Hahn, wir müssen feststellen, dass der Staat in der heutigen Zeit teilweise weniger Macht hat als ein einzelnes Wirtschaftsunternehmen, das sich im Zweifelsfall auch diskriminierend verhalten kann. Es geht jetzt darum, mithilfe einer Weiterentwicklung der einklagbaren Bürgerrechte dafür zu sorgen, dass die Diskriminierung kein Kavaliersdelikt mehr ist. Der Einzelne muss in die Lage versetzt werden, mit den Mitteln des Rechts für seine Rechte zu kämpfen.Dass eine Partei,die sich immer noch liberal nennt, so gegen das Antidiskriminierungsgesetz polemisiert, ist eine Schande.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)