Herr Posch hat die Frage der Daseinsvorsorge angesprochen. Es ist doch mittlerweile Allgemeingut, dass wir die Daseinsvorsorge heute, also im Jahr 2006, anders definieren müssen. Wir haben lange darüber gestritten, als wir über die Änderung des § 121 Hessische Gemeindeordnung gesprochen haben. Damals gab es noch Meinungsunterschiede. Aber ich glaube, wir sind einen Schritt weitergekommen. Denn wir haben inzwischen gesagt: Das, was die Privaten besser können, soll die öffentliche Hand bitte bleiben lassen.
Jetzt gibt es aber noch das Problem der Übergangsfrist. Da unterscheiden sich die FDP und die CDU sicherlich hinsichtlich der Fragen der Dauer und der Geschwindigkeit solcher Prozesse.
Ich will ausdrücklich sagen, dass wir meiner Meinung nach alle langsam, aber sicher zu der Erkenntnis kommen müssen, dass die Daseinsvorsorge heute nicht mehr damit verbunden ist, dass die kommunale Ebene oder die öffentliche Hand die Leistung erbringen muss. Vielmehr muss die öffentliche Hand Gewährträgerin für die Erstellung der Leistung sein. Aber sie muss sich aus vielen vormals originären operativen Bereichen zurückziehen.
Liebe Frau Hölldobler-Heumüller, wenn wir darüber Konsens herstellen könnten, dann, so finde ich, können wir lange darüber diskutieren, wie der Tarif des Busfahrers aussehen soll. Aber wir können doch nicht darüber diskutieren, ob das der richtige Weg ist. Wir können uns noch über die Geschwindigkeit streiten, mit der wir das Ziel erreichen. Wir sollten uns aber bitte nicht mehr um den Grundsatz streiten. Denn an vielen Stellen wurde das schon im positiven Sinne bewiesen.
Als Beispiel möchte ich die Post anführen. Ich meine, die FDP-Fraktion hat heute einen Antrag eingebracht, der zum Inhalt hat: Guckt einmal, die wollen die Preise erhöhen. – Gott sei Dank wird der Markt der Briefzusendung in zwei Jahren völlig liberalisiert sein. Über Jahrzehnte gab es dort ein Monopol.Wir alle haben uns doch darüber aufgeregt:Am Schluss bekommen die Politiker wieder die Prügel dafür, dass die Hälfte der Briefkästen abgehängt wird. – Ich bin aber sehr dafür, dass die Unternehmen, denen wir gesagt haben, sie müssten sich dem Wettbewerb
stellen, sich am Ende im Wettbewerb auch behaupten können. Trotzdem muss es dabei bleiben, dass die Politik die Regeln aufstellt.
Ich habe also keine Sorge vor solchen Liberalisierungen, allerdings vorausgesetzt, dass die Politik über die Kontrollinstrumente verfügt. Entweder muss dies über die Parlamente geschehen oder – ich meine jetzt den Fall, über den wir heute reden – über eine Regulierungsbehörde, die dafür sorgt, dass der Wettbewerb unter fairen und gleichen Bedingungen stattfinden kann.
In dem aktuellen Streit verfolgen Regulierungsbehörde und Energieversorger unterschiedliche Ansätze. Es geht nämlich um die Frage: Haben sie tatsächlich über Jahrzehnte hinweg Strukturen aufbauen können, die es rechtfertigen, dass man heute sagen kann: „Okay, wir gehen da mit Samthandschuhen heran“?
Ich finde es richtig, dass die Regulierungsbehörde ein deutliches Signal gesetzt hat. In dem Fall betraf es Vattenfall. Sie hat gesagt: Geht bei den Preisen einmal um 10 bis 12 % herunter, ihr seid zu teuer.
Ich finde es richtig, dass Herr Kurth, der Präsident dieser Regulierungsbehörde,sagt:Wir werden in wenigen Jahren nicht mehr nur noch darüber reden, ob ihr eure Betriebe effizienter gemacht habt.Vielmehr werden wir auch darüber reden, dass ihr in den völlig freien Wettbewerb entlassen werdet, in dem das Preisranking darüber entscheiden wird, ob die Regulierungsbehörde Ja oder Nein zu einem Antrag sagt.
Ich finde das richtig. Ich kann deswegen überhaupt nicht verstehen, dass jetzt auf einmal sowohl die großen als auch die kleinen Energieversorger herkommen und daran erinnern, dass sie eine hohe Arbeitsleistung erbringen, dass sie Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen usw. Ich sage ausdrücklich, dass ich diese Debatte nicht führen will. Ich erwarte von jedem Unternehmen, das ausbilden kann, dass es ausbildet. Aber das darf man doch bitte schön nicht als Argument dafür nehmen,an einer anderen Stelle Subventionen zu erhalten, indem der Minister, der einer Regulierungsbehörde vorsteht, sagt: Okay, ich genehmige das, weil ich eure Gesamtleistung für die Volkswirtschaft beachtlich finde; deswegen mache ich einen Haken an diesen Antrag.
Wo wären wir denn, wenn wir dahin kämen, dass die Unternehmen jeder Branche demnächst einen Antrag auf Preiserhöhung stellen könnten, nur weil sie eine nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sozialpolitisch und volkswirtschaftlich wichtige Leistung erbringen? Ich sage ausdrücklich, dass ich das nicht haben will. Ich will, dass auch hier eine klare Trennung zwischen betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten und, wie es hier der Fall ist, gesellschaftspolitischem Auftrag gibt.
Man kommt dann sehr schnell zu den kommunalen Unternehmen.Hier wurde mehrfach das Szenario gemalt, alle diese Unternehmen würden bald der Vergangenheit angehören. Herr Frankenberger, das ist völliger Quatsch. Wir sollten die kommunalen Unternehmen dazu bringen, sich auf ihre Stärken zu besinnen. Zum einen ist das die Nähe zum Kunden. Das ist eine Stärke, die kein anderes Unternehmen in dieser Form hat.
Die andere Stärke besteht darin, dass die dezentrale Energieerzeugung zunehmend interessanter wird. Dazu gibt es eine gesetzliche Grundlage, die Herr Posch an einigen Stellen kritisiert. Sie hat aber dazu geführt, dass es vor Ort Energieerzeugung in kleinerem Umfang gibt.
Wenn wir es hinbekommen, dass kommunale Politiker entscheiden: „Wir wollen das, was vor Ort geht, selbst machen, und zwar in der Produktion und im Vertrieb von Energie“, und dann noch dahin kommen, dass wir trotzdem schlagfertige Strukturen schaffen, die das wirtschaftliche Überleben in einem knallharten Wettbewerb zulassen, dann haben wir die Hausaufgaben richtig gemacht.
Meine Damen und Herren, ich freue mich im Übrigen darüber, dass die meisten Kommunen das schon erkannt haben.
Ein letzter Hinweis. Noch vor einem Jahr haben 70 % der befragten Stadtwerke gesagt: Es wird sich bei den Netzentgelten nichts ändern. Das machen wir so, wie wir es immer gemacht haben, und Herr Rhiel wird schon den Haken daran machen. – Ein Jahr später sagen mittlerweile zwei Drittel, sie vermuten sehr stark sinkende Entgelte. Also hat es eine erste Wirkung gezeigt.
Meine Damen und Herren,die Kommunalpolitiker haben erkannt, dass sie sich in diesen neuen Chancen von dezentralen und kleineren Strukturen durchaus bewegen können.28 % aller Stadtwerke denken darüber nach oder planen sehr konkret eigene Kraftwerke oder Beteiligungen an solchen.
Wir müssen auch das Missverhältnis sehen. Bei der Erzeugung entfallen 10 % auf die kommunale Ebene der Stadtwerke.Bei der Verteilung haben sie einen Anteil von 30 %. Das ist ein Missverhältnis, und ich würde jeden Verantwortlichen in einem Energieunternehmen vor Ort auffordern, in diesen neuen Markt hineinzugehen, der, wie gesagt, aus verschiedenen Gründen attraktiver wird.
Insofern sind wir auf einem wirklich guten Weg.Wir können über die Geschwindigkeit streiten, und ich glaube, dass wir dabei immer im Hinterkopf haben, dass es natürlich den Beschäftigten gibt, der Angst um seinen Arbeitsplatz hat. Es muss dort eine soziale Fürsorge auch von Wirtschaftspolitikern geben. Aber sie darf nicht dahin führen, dass wir Unternehmen zu bequemen Unternehmen machen, weil sie keinen Wettbewerb erfahren und die Politik in den Bereichen, über die wir reden und in denen es aus verschiedenen Gründen keinen Wettbewerb gibt, den Finger nicht in die Wunde legt.
Meine Damen und Herren, diese Unternehmen gehören von der Politik aufgefordert, und nicht nur von der Landespolitik, nicht nur von der Bundespolitik, sondern auch von der Kommunalpolitik, sich fit zu machen für neue Märkte.
Ein letzter Satz, meine Damen und Herren. Insofern erreichen wir mehr Transparenz. Wir erreichen günstigere Stromtarife. Ich habe eingangs auch darauf hingewiesen, dass wir im internationalen Vergleich in einer dramatischen Schieflage sind. Ich glaube, wir erreichen am Ende mehr Zukunftssicherung auch und gerade für die kommunalen Unternehmen durch mehr Wettbewerb. Es ist nicht so, wie die Sozialdemokraten behaupten, die das Gegenteil sagen und meinen, Wettbewerb schade den kommunalen Unternehmen. Herr Frankenberger, das ist ein grober Unfug. Wir können uns in den nächsten Wochen – wir tun das bereits in den nächsten Aktuellen Stunden – über den öffentlichen Personennahverkehr und viele andere Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge unterhalten, bei denen ich glaube, dass wir insgesamt auf gutem Weg sind, aber die Erkenntnisse bei dem einen oder anderen etwas schneller, bei Ihnen leider häufig etwas langsamer vonstatten gehen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Boddenberg. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind damit am Ende der Regierungserklärung des Hessischen Ministers für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung betreffend „Mehr Wettbewerb im Energiemarkt – 1 : 0 für die Verbraucher“. Die Aussprache dazu hat stattgefunden.
Mit aufgerufen war der Antrag der Fraktion der FDP betreffend Genehmigungsverfahren für Stromentgelte, Drucks. 16/5540. Er soll dem Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr überwiesen werden. – Kein Widerspruch.
Mit aufgerufen wurde der Dringliche Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend keine überhöhten Strom- und Gaspreise in Hessen, Drucks. 16/5711. Darüber wird jetzt abgestimmt.
Wer diesem Dringlichen Entschließungsantrag der CDU zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Fraktion der CDU. Wer ist dagegen? – Das sind die drei anderen Fraktionen. Damit ist der Dringliche Entschließungsantrag der Fraktion der CDU mit Mehrheit angenommen.
Ebenfalls mit aufgerufen war der Dringliche Antrag der Fraktion der FDP betreffend Energieversorgung, Drucks. 16/5714, der auch an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr überwiesen wird.
Meine Damen und Herren, dann darf ich Sie beschließen lassen über weitere Anträge, die auf Ihren Plätzen verteilt sind. Da ist zum einen der Dringliche Antrag der Fraktion der FDP betreffend Preiserhöhung der Deutschen Post Mai 2006, Drucks. 16/5719. Die Dringlichkeit wird bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Antrag Tagesordnungspunkt 77, und zwar mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion. Gibt es Vorschläge zur Ausschussüberweisung?
(Nicola Beer (FDP): Europaausschuss! – Gegenruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Quatsch! – Axel Wintermeyer (CDU): Ich schlage den Wirtschaftsausschuss vor! Das hat nichts mit Europa zu tun, es geht um die Preise! – Gegenruf der Abg. Nicola Beer (FDP): Es geht um europäischen Preisvergleich!)
Es ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Verfassungspflicht zur Verwirklichung der Gleichberechtigung einhalten – Wirkungen des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes der Öffentlichkeit im Detail offen legen,Drucks.16/5720,eingegangen.Wird die Dringlichkeit bejaht? – Dies ist der Fall. Dann wird dieser Antrag Tagesordnungspunkt 78. Redezeit fünf Minuten?
Dann ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Biomasse – heraus aus dem Dorf, rein in die Region, Drucks. 16/5721, eingegangen. Die Dringlichkeit wird bejaht? – Dann wird dieser Antrag Punkt 79. – Frau Beer.
Ich bitte, den Antrag zusammen mit den Tagesordnungspunkten 16 und 31 aufzurufen und, weil es dann drei Anträge sind, zehn Minuten Redezeit festzulegen.
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Nicht zehn Minuten Redezeit! Das machen wir nie! – Gegenruf der Abg. Nicola Beer (FDP): Es sind drei Anträge! Das haben wir oft gemacht!)
Dann lasse ich über den Antrag der FDP abstimmen, die Redezeit auf zehn Minuten zu erhöhen. Es geht um Tagesordnungspunkt 79, der mit den Punkten 16 und 31 aufgerufen werden soll. Die FDP beantragt, die Redezeit auf zehn Minuten zu erhöhen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und FDP.Wer ist dagegen? – Das sind die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist dieser Antrag mit Mehrheit angenommen.
Dann ist der Dringliche Antrag der Faktion der CDU betreffend SGB-II-Fortentwicklungsgesetz ist ein erster wichtiger Reformschritt, Drucks. 16/5722, eingegangen. Die Dringlichkeit wird bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Antrag Punkt 80.
Dann ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Meinungsfreiheit auch für Schulleiter, Drucks. 16/5724, eingegangen. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Dieser Antrag wird Tagesordnungspunkt 81 und wird aufgerufen
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach dem, was wir gerade erlebt haben, gerne, Herr Präsident: fünf Minuten!)