Protocol of the Session on May 17, 2006

Meine sehr geehrten Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 101. Plenarsitzung des Hessischen Landtags, heiße Sie herzlich willkommen und wünsche einen guten Morgen.

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsident!)

Meine Damen und Herren, ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest. Wird dem widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Zur Tagesordnung: Erledigt sind die Punkte 1 bis 5, 7, 32, 39 und 44.

Noch eingegangen und auf ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU betreffend Studienbeiträge dienen der weiteren Qualitätsverbesserung der Lehre und der Studienbedingungen, Drucks. 16/5594. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 77 und kann mit den Tagesordnungspunkten 43, 45 und 75 aufgerufen werden. – Dem wird nicht widersprochen. Dann machen wir das so.

Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden.

Wir beginnen mit den Tagesordnungspunkten 43, 45, 75 und 77. Nach der Debatte über die Studiengebühren folgt Tagesordnungspunkt 16, Antrag der Fraktion der CDU betreffend umsichtige und nachhaltige Umweltpolitik in Hessen. Dieser Punkt wird mit Tagesordnungspunkt 31 aufgerufen. Nach der Mittagspause beginnen wir mit den Tagesordnungspunkten 42 und 72.

Zur Information: Herr Staatminister Dr. Alois Rhiel nimmt heute an der Verkehrsministerkonferenz in Berlin teil. Herr Staatsminister Banzer nimmt an einer öffentlichen Anhörung zur Föderalismusreform mit dem Schwerpunkt Justiz in Berlin teil.

Auf Ihren Plätzen verteilt ist der Terminplan des Hessischen Landtags für 2007, der in der letzten Sitzung des Ältestenrats beschlossen wurde und der Ihnen einen Überblick über Ihre Termine im Jahr 2007 gibt.

Wir steigen in die Tagesordnung ein. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 43, 45, 75 und 77 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend keine Studiengebühren in Hessen – Drucks. 16/5543 –

Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend keine Studiengebühren in Hessen – Drucks. 16/5547 –

Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend Drei-Säulen-Modell zur Qualitätsverbesserung und Stärkung der Finanzautonomie an den hessischen Hochschulen – Drucks. 16/5591 –

Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU betreffend Studienbeiträge dienen der weiteren Qualitätsverbesserung der Lehre und der Studienbedingungen – Drucks. 16/5594 –

Erste Wortmeldung: Kollege Siebel für die Fraktion der SPD. Es ist eine Redezeit von 15 Minuten vereinbart.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Beschluss der CDU-Landesregierung, Studiengebühren einzuführen, ist ein historischer Einschnitt. In letzter Konsequenz würden damit wesentliche Ergebnisse der Bildungsreformperiode in Hessen auch im Hochschulbereich revidiert. Der soziale Grundkonsens in der Hochschulpolitik wurde endgültig aufgekündigt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb fordert die SPD-Fraktion heute Morgen sehr knapp und prägnant: Lehnen Sie die Einführung allgemeiner Studiengebühren in Hessen ab. – An die Landesregierung geht der Appell, ihre diesbezüglichen Pläne nicht weiterzuverfolgen, den Gesetzentwurf also nicht in den Landtag einzubringen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum vertritt die SPD-Fraktion diese klare Position? Studiengebühren sind sozial ungerecht. Sie treffen die Familien, die wenig Geld haben.Aber genau die Kinder aus diesen Familien braucht unser Land auch, wenn es Bildungsland Nummer eins werden will. Meine Damen und Herren von der CDU, das Ziel, Bildungsland Nummer eins zu werden, ist noch nicht erreicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Deutsche Studentenwerk hat dazu ausgeführt – ich darf zitieren –:

Die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks verweist sehr nachdrücklich darauf, dass die Entscheidung über den Bildungsverlauf das Resultat komplexer schichtspezifischer Kalkulationen zu den Kosten und Nutzen der Bildung sind.

Höhere Kosten und diesbezügliche Risiken schrecken gerade Kinder aus einkommensschwächeren Familien ab, ein Studium aufzunehmen.

(Zurufe von der CDU)

Herr Irmer, wenn Sie an der Stelle murren, dann muss ich feststellen, dass Sie es erstens nicht begriffen haben und dass es zweitens zum Glück noch ein paar Leute in der CDU gibt, die es begriffen haben, unter anderem der Vorsitzende der Jungen Union, der heute Morgen in „hrinfo“ noch einmal sehr klar gesagt hat, dass die Junge Union gegen Studiengebühren ist. Er hat diese Auffassung sehr wohl begründet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Deutsche Studentenwerk hat festgestellt, dass es darum geht, inwieweit wir auch Kindern armer Familien den Zugang zu unseren Hochschulen ermöglichen. Da besteht ein einfacher und zugleich brutaler Zusammenhang. Schauen Sie sich einmal an, wie das in einer Arbeiterfamilie läuft, wenn darüber entschieden wird, ob der Bub, das Mädel eigentlich studieren soll. Bei dieser in der Tat individuellen Entscheidung geht es nämlich darum, welche ökonomischen Auswirkungen ein Studium auf die Situation der Familie hat. Diese Entscheidung, die individuell getroffen wird, hat nichts mit Bildungsgerechtigkeit zu tun. Sie hat nichts mit Chancengleichheit zu tun. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Sie nehmen billigend in Kauf, dass der Geldbeutel

der Familien über den Lebens- und Bildungsweg der jungen Menschen entscheidet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sage ich entschieden und klar: Wir waren in der hessischen Bildungspolitik schon einmal weiter.Aber der Hessische Ministerpräsident möchte einen neuen Keil der sozialen Ungerechtigkeit in diese Gesellschaft treiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Was das große Vorbild von Herrn Koch, Helmut Kohl, mit der De-facto-Abschaffung des BAföG in seiner 16-jährigen Regierungszeit nicht geschafft hat, das will Koch offensichtlich mit Studiengebühren in Hessen realisieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Wir reden doch nicht wie die Blinden vom Sehen. In den Jahren 1982 bis 2000 sank der prozentuale Anteil der Arbeiterkinder an den Hochschulen von 23 % auf 13 %. Herr Koch,wer hat zu dieser Zeit in Berlin regiert? Es war ein Riesenkraftakt der rot-grünen Bundesregierung, die mit Milliardenbeträgen das BAföG wieder aufgestockt und dafür gesorgt hat, dass wieder mehr Arbeiterkinder an unsere Hochschulen kommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Jetzt kommt Herr Koch und will mit Studiengebühren die soziale Segregation wieder anheizen. Es soll wieder heißen: Zeige mir deine Eltern, und ich sage dir deinen Bildungsweg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie murren, will ich mich gerne mit den politischen Argumenten des Gegners auseinander setzen. Herr Klee, ich habe gestern von einem Abgeordneten der CDU-Fraktion gehört, dass das Land Hessen gezwungen sei, Studiengebühren einzuführen. Alle Länder um Hessen herum würden Studiengebühren einführen, deshalb sei es unausweichlich, auch in Hessen solche Gebühren zu erheben.

Ich frage Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion: Seit wann ist der Hessische Ministerpräsident, seit wann ist die hessische CDU-Fraktion an diesem Punkt eigentlich so kleinmütig? Seit wann schauen Sie auf andere Länder? Herr Ministerpräsident, in allen Fällen – z. B. „Wisconsin Works“, Einbürgerungstest oder, um ein Beispiel aus dem Hochschulbereich zu nehmen, Elite-Förderung – haben Sie dezidiert immer eine eigene Position für das Land Hessen eingenommen. In diesem Fall aber sind Sie kleinmütig und sagen: Wir müssen uns ändern und uns an die anderen Länder anpassen. – Das nimmt Ihnen niemand ab.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Herr Koch hat den Saal leider verlassen, aber ich möchte Herrn Koch und Herrn Corts einen Vorschlag machen, wie sie das Profil des Landes schärfen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, verzichten Sie auf die Studiengebühren. Erklären Sie, dass Ihnen die Hochschulbildung so viel Steuergeld wert ist, wie Sie aus

den Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer erhalten. Folgen Sie doch dem Vorschlag des Finanzministers,der in der ersten Fassung des Hochschulpaktes vorgeschlagen hat, den Hochschulen, wenn es zu Steuermehreinnahmen kommt, 4,5 % mehr zu geben. Das sind 50 Millionen c.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Frau Kühne-Hörmann,Sie sollten Ihre Presseerklärungen ein bisschen genauer lesen. Sie schreiben, die SPD schade den Studierenden, indem sie so tue, als ginge es nur ohne Beiträge. Natürlich geht es ohne Beiträge. Es geht darum, den politischen Willen zu formulieren. Das tun Sie aber nicht in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Würden wir keine Studiengebühren erheben, dann hätten wir natürlich insofern ein Problem, als dass möglicherweise in anderen Ländern Studiengebühren erhoben werden. Herr Corts, aber auch hierzu gibt es einen Gegenvorschlag. Es gibt den Vorschlag, einen Ausgleichsfonds zwischen den Ländern zu schaffen, damit die Länder, die relativ mehr ausbilden, als sie Landeskinder haben, etwas von den Ländern bekommen, die relativ weniger ausbilden, als sie Landeskinder haben.

Herr Ministerpräsident, beauftragen Sie doch Ihren Wissenschaftsminister, mit Herrn Zöllner diese Frage zu diskutieren. Dann könnte das ein wunderschönes KochBeck-Papier werden, in dem beide Länder dies gemeinsam ohne Studiengebühren schultern können – durch eine Möglichkeit des Ausgleichs zwischen den Ländern. Das wäre ein Alleinstellungsmerkmal, dass Sie herstellen könnten. Das fände ich unglaublich spannend.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das waren zwei Argumente des politischen Gegners, mit denen ich versucht habe, mich auseinander zu setzen. Mir fallen aber immer mehr Argumente ein, die gegen Studiengebühren sprechen. Das sind nicht nur Kleinigkeiten.