Protocol of the Session on July 9, 2003

Das, worauf der Kollege Al-Wazir eben hingewiesen hat, ist richtig:Was soll denn eine Steuerreform bewirken? Sie soll bewirken, dass die Leute mehr Geld in der Tasche haben. Damit sind wir wieder bei der Frage der Finanzierung. Soll man es über die Aufnahme von Schulden versuchen? Dazu zitiere ich aus der „Wirtschaftswoche“. In der „Wirtschaftswoche“ heißt es eindeutig:

Doch sein Reformprogramm ist auf Sand gebaut. Steigen die Schulden, wird sich die Wachstumsschwäche in Deutschland verschärfen und nicht verringern.

Manfred Neumann, der Leiter des Instituts für internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Bonn, sagt:

Die Steuerreform auch nur zum Teil durch eine höhere Staatsverschuldung zu finanzieren, wäre kompletter Wahnsinn.

Das wollen wir in Hessen sicherlich nicht.

Bei der anderen Frage geht es um die Ausgabenkürzungen. Es wird immer so getan, als gäbe der Staat das Geld aus,indem er es quasi verbrennt und den Rauch durch den Schornstein abziehen lässt – Geld, das, wenn man es nicht verbrennt, niemandem fehlt.

Ich bin froh, dass die Kollegin Fuhrmann jetzt anwesend ist; denn sie ist jetzt – am Anfang war sie es nicht, aber das ist ja egal – bei der SPD für die Ausgaben zuständig. Sie haben in den bisherigen Debatten des Plenums und in den Ausschusssitzungen über jedes einzelne Mütterzentrum und über jedes einzelne Frauenhaus diskutiert.

(Norbert Schmitt (SPD): Zu Recht!)

Über jeden Cent Zuschuss, der nicht mehr gegeben werden kann, regen Sie sich auf. Deswegen werden wir morgen und vor allen Dingen bei der Haushaltsberatung im Herbst eine sehr spannende Diskussion darüber führen, was wir noch ausgeben können und was wir nicht mehr ausgeben können. Aber wenn wir kein Geld mehr ausgeben, müssen uns auch die Auswirkungen deutlich sein.

Herr Abg. Milde, gestatten Sie Zwischenfragen?

Nein, nicht von Frau Fuhrmann, vielen Dank. Die Frage habe ich schon in der letzten Ausschusssitzung gehört.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Wir reden gerade über das, was man durch Ausgabenkürzungen erreichen kann. Dabei muss man aufpassen.Wenn wir wirklich mehr Geld zur Verfügung stellen wollen, dürfen wir nicht einfach plump das Geld von der rechten in die linke Tasche geben und sagen:Wir senken die Steuern, holen all das aber an anderer Stelle wieder herein.– Wo ist denn dann mehr Geld in der Tasche, das investiert werden kann?

(Beifall bei der CDU)

Also müssen wir eine Steuerreform schaffen, die in Deutschland die psychologische Wirkung hat, dass die Menschen das Geld investieren, das, wie es der Ministerpräsident gesagt hat, im Moment auf den Festgeldkonten, auf den Sparkonten und auf den Girokonten liegt. Darauf muss eine Steuerreform ausgerichtet sein. Sie muss eine psychologische Wirkung haben. Die Menschen müssen optimistisch sein, dass es wieder vorangeht, dass es wirtschaftlich aufwärts geht.

Deshalb haben wir einen Antrag vorgelegt, der diese Rahmenbedingungen eindeutig festlegt: eine Strukturreform in der Gesundheitspolitik, in der Rentenpolitik und am Arbeitsmarkt, keine zusätzliche Nettoneuverschuldung und dann eine Steuerreform, die diesen Namen verdient.

Wir reden seit Jahren darüber. Übrigens waren die Zitate, die der Kollege Wagner am Anfang der Debatte aus der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten und aus unserem Regierungsprogramm gebracht hat, recht schön. Die Zitate waren alle ganz prima; das Zitieren kann man stundenlang fortsetzen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht um die falsche Politik, nicht um die Zitate!)

Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass wir für Steuersenkungen sind. Aber im gleichen Atemzug – in allen Erklärungen, bei allen Bundesparteitagsbeschlüssen – haben wir deutlich gemacht, in welche Rahmenbedingungen eine solche Steuerreform eingebettet sein muss, damit sie die Wirkung erzielt, die wir uns alle wünschen.

Noch etwas möchte ich sagen: Der von Ihnen – auch von uns immer mehr – geliebte Hessische Rundfunk hat in der vorletzten Woche in hr 1,einem guten Sender,einen Kommentar zum Vorziehen der Steuerreform gebracht.

Er hat ausdrücklich davor gewarnt,dass die Steuerreform, wie sie angelegt ist, vorgezogen wird. Er hat daran erinnert, dass wir 1997 im Deutschen Bundestag eine Steuerreform beschlossen hatten – das sollten auch die Kollegen der FDP noch in Erinnerung haben –,

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

die in die damalige Zeit passte und die vor allen Dingen das Steuersystem dramatisch vereinfacht und alle Fragen der Steuerproblematik anerkannt hat. Deswegen sind wir in der Frage des Vorziehens der Steuerreform gar nicht so weit weg von der FDP, auch wenn das öffentlich einen etwas anderen Eindruck macht.Wenn man sich den Antrag der FDP nämlich durchliest, dann stellt man fest, dass sie im Prinzip die gleichen Bedingungen wie wir für ein Vorziehen der Steuerreform stellt.Also seien wir uns darüber einig, zumindest wir von CDU und FDP, dass wir alle Steuersenkungen wollen, dass wir diese Steuersenkungen aber in keinem Fall um jeden Preis wollen.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf das Zitat von Franz Josef Strauß aus dem Jahre 1974, das Herr Tarek Al-Wazir genannt hat, eingehen. Dass Franz Josef Strauß ein Stratege war, ist unstrittig. Es lässt sich heute auch leichter darüber reden. Franz Josef Strauß hat damals eine wirtschaftliche Situation in Deutschland angekündigt – wenn die Bundesregierung so weitermacht, wie sie damals nach seiner Meinung weitermachen sollte –, in der wir in Deutschland inzwischen sind.Das ist der Unterschied zu damals.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Deswegen möchte ich noch kurz darauf eingehen, was wir in Hessen zu erwarten haben.Wir haben im nächsten Jahr, wie es der Ministerpräsidentgesagt hat, nach bisherigen Planungen auf der Basis eines Wirtschaftswachstums von 2 % – wenn es 1 % ist, können wir einen Teil der Einnahmeseite streichen – durch das Vorziehen der Steuerreform zusätzlich eine Neuverschuldung in einer Größenordnung von 700 bis 900 Millionen c.Lieber Herr Kollege Schmitt, alle Kollegen von den GRÜNEN und der SPD, ich frage Sie, ob Sie diesen Weg in den Verschuldungsstaat so weiter gehen wollen oder ob Sie nicht mit uns den Weg gehen wollen: Steuern vorziehen, Optimismus in Deutschland schaffen, aber solide finanziert. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Sie sollten an Ihre Ausgaben gehen!)

Das Wort hat Frau Abg. Ruth Wagner, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit den Einlassungen und Auslassungen von SPD und GRÜNEN muss man sich eigentlich nicht auseinander setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Denn ich glaube, dass vor allen Dingen die Scheinheiligkeit, mit der mein Namensvetter hier das Wort „Steuerreform“ in den Mund genommen hat, eine „Verhohnepipelung“ dieses Parlaments ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Denn vor Jahren hat die GRÜNEN-Fraktion das Wort Steuerreform und den Nachlass von Steuern,den die FDP gefordert hat,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie sind doch die Steuererhöhungspartei!)

nicht nur als Turbokapitalismus gegeißelt, sondern das Wort auch gescheut wie der Teufel das Weihwasser.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU) – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Hören Sie auf!)

Meine Damen und Herren, Sie sind Wendehälse in einer Art und Weise, wie das in der Zeit der Wende in der DDR niemand gemacht hat.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt wird es langsam eine Beleidigung!)

Sie haben eine seriöse Beschäftigung mit dem,was wir vor vier Jahren, meine Herren, in der alten Koalition von CDU und FDP als eigenständigen Vorschlag entwickelt haben, nie für wert erachtet.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch gar nicht! Andrea Fischer! Christine Scheel!)

Verehrter Herr Ministerpräsident, auch Ihnen muss ich sagen: Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass die Bundesregierung in der heutigen Situation in der Bringschuld ist, um es klar und deutlich zu sagen,wann sie endlich das einhält, was der Bundeskanzler in seinem Wahlkampf verspro

chen hat – was er gelegentlich selbst vergessen hat – und was er jetzt wieder versucht umzusetzen, nämlich dass er Steuererhöhungen – es sind zahlreiche Steuererhöhungen in den letzten vier Jahren und insbesondere in den letzten Monaten gewesen – nun tatsächlich zurücknimmt und sagt: Steuererhöhungen sind Gift für die Wirtschaft.

Meine Damen und Herren, wir brauchen eben kein Gift, sondern wir brauchen endlich Nahrung für die Wirtschaft, für mehr Wachstum, für die Konjunkturankurbelung. Die FDP in Hessen wie auf Bundesebene ist die Einzige, die seit dem solmsschen Reformkonzept vor sieben Jahren konsequent Vorschläge gemacht hat.

(Beifall bei der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch Quatsch!)

Wir wollen als Zielvorstellung festhalten, dass es richtig wäre, eine Einkommensteuerveranschlagung der Menschen in Deutschland zu haben, die sich auf 15, 25 und 35 % einpendelt. Das muss die Zielvorstellung sein, der alle Schritte, die jetzt diskutiert werden, dienen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, nun will ich noch einmal zu der CDU und zu Ihnen,verehrter Herr Ministerpräsident, etwas sagen. Ich hoffe sehr, dass der Satz, dass es egal sei, ob Sie mit oder ohne FDP regieren, nicht so ausgelegt werden kann, wie GRÜNE und SPD es verhöhnend gesagt haben.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wir haben das beobachten können! – Zuruf des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Sie haben manchmal kein Glück mit solchen Situationen. Ich hoffe, dass Ihnen in den letzten Tagen klar geworden ist, dass – auch ohne die hessische FDP in dieser Regierung – die anderen fünf Länder, in denen die FDP mit regiert, klare Bedingungen für eine Steuererniedrigung gestellt haben.

(Beifall bei der FDP – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Bonn haben Sie die Steuern immer mit erhöht!)

Meine Damen und Herren, das Bundesratsverhalten wird ohne die FDP nicht wirklich zu einem guten Ende führen.