Protocol of the Session on July 9, 2003

Deshalb muss diese Änderung gut durchdacht werden. Sie muss sehr frühzeitig vorbereitet werden, um einen Qualitätsverlust zu vermeiden. Deshalb wird es langsam Zeit, dass die Landesregierung Konzepte vorlegt, wie sie sich diese Einführung denkt.

(Beifall bei der FDP)

Ein Überblick über die Schulsysteme innerhalb der Bundesrepublik ergibt ebenfalls, dass flächendeckend das achtjährige Gymnasium bereits in Hamburg, im Saarland, in Baden-Württemberg, in Sachsen, in Thüringen und in Mecklenburg-Vorpommern vorhanden ist.Außerdem haben Niedersachsen und Sachsen-Anhalt schon gesagt, dass sie es auch einführen wollen. Wir Hessen sollten wirklich nicht hinten anstehen, denn sonst sind die hessischen Kinder auch noch gegenüber den deutschen Kindern aus den anderen Bundesländern benachteiligt.

(Beifall bei der FDP)

Selbst Bundespräsident Rau hat in seinem Gespräch mit jungen Bankern angeregt, dass man die Schulzeit verkürzen sollte. Dieser Weg ist bei den jungen Leuten sehr gut angenommen worden.

Eine derartige Umwandlung des kompletten Bildungsganges braucht ein durchdachtes Konzept, um keine Qualitätsfalle zu werden.Das muss frühzeitig sein.Wir müssen mit allen Verbänden und dem Landeselternbeirat sprechen, und wir müssen die Erfahrungen der anderen Bundesländer, die das schon gemacht haben, einbeziehen. Keinesfalls darf ein verkürzter gymnasialer Bildungsgang ausschließlich nach dem Modell der Turboklassen entwickelt werden, nach dem der Lernstoff einfach zügiger durchgenommen und die Wochenstundenzahl gesteigert wird. Schließlich sollen alle als gymnasialreif beurteilten Kinder in diesem achtjährigen Gymnasium zum Abitur geführt werden können. Wenn wir nur die Wochenstunden weiter steigern, führt das zu einer Überforderung vieler Schüler und damit zu einem Qualitätsabbau.

Bei dreimal sechs, einmal sieben und einmal sogar acht Stunden Unterricht in der Woche mit zusätzlich mindestens einer Stunde Hausaufgaben am Nachmittag haben die Kinder eine 38-Stunden-Woche.Das ist mehr,als es im öffentlichen Dienst der Fall ist.

(Beifall bei der FDP)

Vielmehr ist es notwendig,die Lehrpläne in den einzelnen Fächern gründlich zu entrümpeln. Da reicht das, was jetzt in der Überarbeitung gemacht worden ist, bei weitem nicht aus.Wir müssen die Stundentafeln flexibel gestalten, wir müssen einen fächerübergreifenden Unterricht ermöglichen, und wir müssen den Schulen Freiräume zur Unterrichtsgestaltung geben. Das heißt auch, dass die Schulen Stundendeputate bekommen müssen, in denen

sie den Unterricht halten können, den sie jetzt für nötig halten und der ihnen fächerweise gar nicht vorgegeben ist.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Sie in den letzten vier Jahren alles abgeschafft!)

Eine weitere Streichung der Lehrplaninhalte ist möglich, wenn sie zugunsten der Einführung von Bildungsstandards erfolgt. Denn es wird ein wenig wichtiger sein, Bildungsziele statt Lernziele einzuhalten.Was ein Schüler in einem bestimmten Alter wissen muss, ist sehr viel wichtiger als das, was er lernen muss. Er muss das können, er muss es gelernt haben. Dafür gibt es bereits erste Entwürfe von der Kultusministerkonferenz.

Wie die öffentliche Diskussion deutlich macht, ist die zentrale Frage bei der Schulzeitverkürzung die Durchlässigkeit. Es ist richtig, dass ein verkürzter gymnasialer Bildungsgang spätestens nach der Klasse 5,wenn nämlich die Einführung der zweiten Fremdsprache beginnt, mit den übrigen Schulformen oder Schulwegen schwer vereinbar sein wird.

Seien wir ehrlich: Wo ist die Durchlässigkeit von unten nach oben heute, wo wird sie wirklich praktiziert? Nur in seltenen Ausnahmefällen. Das wird auch dann noch möglich sein.

Grundsätzlich bleibt – das ist das eigentliche Ziel – die Durchlässigkeit beim Übergang in die Oberstufe gewährleistet. Deshalb ist das 11. Schuljahr als ganzes Schuljahr, und zwar ohne Qualifikationsphase, unheimlich wichtig. Denn da kommen die Kinder aus den Realschulen und den Gesamtschulen zusammen mit den Kindern aus den verkürzten Gymnasialklassen, sodass man sich dann in der Klasse 11 auf einen allgemeinen Bildungskanon einigen kann, auf einen allgemeinen Bildungsstandard, und dann gemeinsamen in die Leistungsphase geht.

So können Schüler je nach individueller Begabung und eigenem Zutrauen die Sekundarstufe I in fünf oder sechs Jahren durchlaufen. Frau Hinz, die Chance auf ein Abitur bleibt für alle Schülerinnen und Schüler bestehen.

Ich würde deshalb das achtjährige Gymnasium nicht als Bedrohung für die anderen Schulen sehen. Im Gegenteil, es kann durchaus sein, dass die Realschulen – den kooperativen Gesamtschulen würde ich den Weg, den sie gehen wollen, freistellen – und integrierten Gesamtschulen Zulauf bekommen. Das haben wir an Wiesbaden gesehen, wo die integrierten Gesamtschulen Zulauf bekamen, nachdem die Gymnasien angefangen haben, nach Klasse 5 querzuversetzen.

Ich denke, es ist richtig, dass manche Eltern sagen: Nein, meinen Kindern möchte ich das nicht zumuten. Ich möchte, dass sie sechs Jahre lang in die Sek. I gehen. – Dann sollen sie diese Möglichkeit haben und eben hinterher in der Oberstufe mit den anderen Kindern zusammengehen. Ich denke auch, der Wettbewerb zwischen den Schulen wird auf diesem Wege ein Stück facettenreicher.

Einhergehen muss die Schulzeitverkürzung mit der Einführung von Leistungsvergleichen in allen Jahrgangsstufen und Bildungsgängen, um die Qualität des neu zu schaffenden Bildungsgangs rundum überprüfen und evaluieren zu können. Außerdem sagen wir klipp und klar: Wenn für die CDU die Einführung der verkürzten Gymnasialzeit mit der Einführung des Zentralabiturs nach bayerischem Vorbild einhergeht, sagen wir dazu Nein.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben nichts dagegen, wenn die Abiturprüfungen aus zentralen Elementen bestehen, wenn die Schulen einen Strauß von Angeboten bekommen, aus denen sie sich individuell das aussuchen können, was zu ihrem Schulprofil und ihrer Neigung passt. Aber das bayerische Zentralabitur wollen wir nicht.

(Beifall bei der FDP)

Wichtig ist für uns auch ein solider Unterbau durch die Grundschule. Hier unterstützt die FDP die geplante Ausweitung der Stundentafel im Fach Deutsch. Wir würden begrüßen, wenn sie auch im Fach Mathematik erfolgen würde. Damit die Grundschule aber wirklich mit dem Unterricht beginnen kann, werden wir morgen über unseren Antrag zur Kinderschule, d. h. über die vorschulische Bildung debattieren. Ich hoffe, das ist der wichtige Pfeiler des weiter gehenden Bildungsganges.

(Beifall bei der FDP)

Eine generelle Schulzeitverkürzung im gymnasialen Bildungsgang bis zum Abitur ist nur nach Vorlage eines wirklich klaren und eindeutigen Konzeptes zu verwirklichen. Nur dann ist es eine Chance für unsere Kinder, und es sollte auch als eine Chance begriffen werden und nicht als eine Bürde.

Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, so schnell wie möglich ein Konzept vorzulegen, über das man dann intensiv diskutieren kann.

(Beifall bei der FDP)

Als nächster Redner spricht Herr Abg. Dr. Michael Reuter für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß, sich zu vorgerückter Stunde mit so einem Thema zu beschäftigen erfordert viel Konzentration und Aufmerksamkeit. Aber ich glaube, das Thema ist wichtig. Wir sollten uns die notwendige Zeit und Aufmerksamkeit dafür nehmen.

(Clemens Reif (CDU): Machen Sie uns es doch ganz einfach!)

Ich möchte zu unserem Antrag Drucks. 16/185 sprechen, mit dem wir zweierlei erreichen wollen:

Zum einen möchten wir, dass die Regierung davon Abstand nimmt, die generelle Schulzeitverkürzung auf zwölf Jahre durch Verdichtung der Sekundarstufe I bis zum Abitur zu erreichen. Zum anderen sprechen wir uns dafür aus, das rheinland-pfälzische Modell zu übernehmen, nämlich durch schulorganisatorische Maßnahmen zu erreichen, dass das Abitur vor Ostern abgelegt werden kann. Damit können die Abiturientinnen und Abiturienten mit Beginn des Sommersemesters das Studium aufnehmen bzw. nach Absolvierung des Wehr- oder Ersatzdienstes oder des freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres mit dem Studium im Sommersemester des nächsten Jahres beginnen.

Zu unserem ersten Teilantrag. Mit der im Regierungsprogramm angekündigten Schulzeitverkürzung setzt die Landesregierung das fort, was sie schon seit Jahren tut, näm

lich die Gräben zwischen den einzelnen Schulformen zu vertiefen und zu verbreitern.

(Beifall der Abg. Heike Habermann (SPD))

Wir haben im Grunde nichts dagegen, wenn die Schülerinnen und Schüler früher mit dem Abitur in der Tasche die gymnasiale Oberstufe verlassen können.Was wir aber nicht wollen, das ist zum einen das achtjährige generelle Turboabitur, man könnte auch von einem Zwangsabitur sprechen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Hören Sie doch auf! Das kann doch nicht wahr sein! So ein Quatsch!)

Denn dieses Turboabitur verursacht größere Brüche in unserem Schulsystem. Die Verkürzung bläht die Wochenstundentafel auf 35 Stunden und mehr in der Sekundarstufe I auf.

(Fortgesetzte Zurufe der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das, was man so erwirtschaftet, kommt natürlich nur den Schülerinnen und Schülern zugute, die ab der Jahrgangsstufe 5 gymnasiale Bildung genießen.

(Weitere Zurufe der Abg. Ruth Wagner (Darm- stadt) (FDP))

Frau Wagner, hören Sie doch zu, und denken Sie an Ihren Blutdruck.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ich höre die ganze Zeit zu! Deswegen werde ich so laut!)

Schülerinnen und Schüler,die die Sekundarstufe I in einer integrierten Gesamtschule oder einer Realschule durchlaufen, kommen nicht in den Genuss einer solchen Schulzeitverkürzung. Analog gilt dies auch für das berufliche Gymnasium. Dass durch diese Unterschiedlichkeit in den Stundentafeln der Übergang zwischen den einzelnen Schulformen kolossal erschwert wird, liegt auf der Hand und wird, wie zu vermuten ist, durch diese Maßnahme auch bezweckt.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Henzler, ich muss Ihnen widersprechen. Sie haben in Ihren Ausführungen zu der Durchlässigkeit Ursache und Wirkung etwas vermischt.Wenn ich in der Vergangenheit die Durchlässigkeit erschwere,dann kann ich nicht hinterher fragen, wieso keiner mehr übergehen kann. Insofern haben Sie Ursache und Wirkung verwechselt.

(Beifall bei der SPD – Mark Weinmeister (CDU): Das war doch schon bei Ihnen so!)

Wenn wir am dreigliedrigen Schulsystem festhalten müssen, obwohl dies nach PISA I zumindest umstritten ist, so muss doch die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schulformen optimal ausgestaltet werden. Mit der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit wird aber das Gymnasium, wie bereits in der Presse festgestellt wurde, gegenüber den anderen Schulformen systematisch abgeschottet.

Können wir es uns wirklich leisten, die Begabung unserer Kinder an der Hürde künstlich abgeschotteter Schulsysteme kläglich scheitern zu lassen? Wenn, wie zu lesen war, in der verkürzten gymnasialen Sekundarstufe I mit der zweiten Fremdsprache bereits in der 6. Klasse begonnen wird, was passiert dann mit den Schülern aus der Förderstufe, die auf das Gymnasium wechseln wollen? Müsste dann nicht auch in den A-Klassen der Förderstufe bereits im 6. Schuljahr mit der zweiten Fremdsprache begonnen

werden? Falls dem nicht so ist, dann können diese Förderstufenschüler nicht mehr in das Turbogymnasium wechseln – Anschluss verpasst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)