Protocol of the Session on July 9, 2003

(Clemens Reif (CDU):Aber doch nicht so!)

Das ist das Problem, über das wir heute hier reden.

Wer aber den Sozialstaat umbauen will und umbauen muss, was Sie immer postuliert haben – ich weiß es am besten –,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

der seine Anfänge im 19. Jahrhundert hat, der kann doch keinesfalls vor der Umstrukturierung des althergebrachten Handwerksrechtes zurückschrecken, dessen Wurzeln in der Tat – Frau Tesch hat es beschrieben – in den Zünften des Mittelalters noch immer zu erkennen sind. Meine Damen und Herren, das Handwerk gäbe es doch auch nicht mehr – das wissen Sie doch genauso gut wie ich –, wenn sich die Handwerksbetriebe nicht laufend modernisiert hätten.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Das wissen die erfolgreichen Unternehmerinnen und Unternehmer in diesen unterschiedlichen Bereichen auch ganz genau. Meine Damen und Herren, sie sind viel weiter als die Funktionäre mit ihrem Geschrei, jetzt würde in Deutschland Hand an die Wurzel des alten Handwerksrechtes angelegt. Das ist doch einfach nicht der Fall.

Frau Tesch hat es ausgeführt: Der Meisterbrief soll in vielen Bereichen des Handwerks nicht mehr nötig sein,wenn man ein Unternehmen gründen will. Vom Meisterzwang sollen aktuell zwei Drittel der Handwerksberufe befreit werden. Gegenwärtig sind 94 Handwerke in der Anlage A der Handwerksordnung aufgeführt, die die meisterpflichtigen Handwerke enthält. Künftig sollen dies nur noch 29 sein. Der Rest wechselt in die Anlage B der Handwerksordnung. Dort werden künftig jene Handwerke aufgeführt, in denen der Meisterbrief in der Form eines freiwilligen Qualitätszertifikats erhalten bleibt.

(Clemens Reif (CDU):Woraus entnehmen Sie,dass es jetzt besser wird?)

Der Meisterzwang soll nur dort bestehen bleiben, wo unsachgemäße Berufsausübung die Gesundheit oder das Leben der Kunden gefährden können, wie z. B. im Kraftfahrzeuggewerbe, in Gesundheitsberufen, bei Augenoptikern, Zahntechnikern, Installateuren und Bauhandwerkern.

(Clemens Reif (CDU): Was ist denn mit den Lebensmittelberufen?)

Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, Herr Kollege Reif, das eine Einschränkung der freien Berufswahl, wie sie in Art. 12 des Grundgesetzes garantiert ist, nur aufgrund eines wichtigen Gemeinschaftsgutes für gerechtfertigt hält. Im Übrigen sage ich Ihnen: Schauen Sie in die aktuellen Regelungen von Europa. Dann werden Sie feststellen, dass Sie dort enorme Wurzeln für unsere heutige Änderung finden.

(Clemens Reif (CDU): Das interessiert mich nicht, solange Europa nicht nach Deutschland kommt!)

Sie müssen trotzdem dem zuhören, was ich gerade sage. Ob es Sie interessiert, ist mir relativ egal.

Zweitens. Auch in den zukünftig noch meisterpflichtigen Handwerken soll sich ein Geselle selbstständig machen können, wenn er zehn Jahre berufstätig war, davon fünf Jahre in herausgehobener verantwortungsvoller oder lei

tender Stellung. Meine Damen und Herren, zu dem Punkt will ich noch etwas sagen.

(Michael Boddenberg (CDU): Dann können Sie es gleich ganz abschaffen!)

Es mag einige in diesem Hause geben, die sich über unseren Änderungsantrag wundern, die Bäcker, die Konditoren und auch die Metzger in der Anlage A zu belassen. Dazu sage ich Ihnen ganz klar: Wenn man der Meinung ist,dass bei einigen Berufen die Frage der besonderen Gefährlichkeit, wie ich es eben ausgeführt habe, gegeben ist, und man auf die Ausbildung als Geselle nicht verzichten kann und will, dann darf man die Berufe, die originär mit der Produktion von Lebensmitteln beschäftigt sind, nicht einfach außen vor lassen.

Meine Damen und Herren,ohne Zweifel ist bei diesen genannten Berufen – wir alle haben die immer wiederkehrenden Lebensmittelskandale im Kopf – aufgrund einer erhöhten Sensibilität für den Verbraucherschutz eine Gefährlichkeit gegeben.Es geht uns darum,dass bei der Ausbildung zum Gesellen Grundfertigkeiten des Berufes vermittelt werden,

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

aber noch viel mehr die Grundlagen der Gesetze und Verordnungen zur Lebensmittelsicherheit, die übrigens auch auf EU-Ebene bestehen, die die Grundlage des Berufes überhaupt sind. Das darf man meines Erachtens nicht einfach außen vor lassen. Deswegen halten wir es hier für notwendig, dass vor der Möglichkeit, einen Betrieb zu gründen, auf jeden Fall der Berufsabschluss als Geselle notwendig ist. Wer das nicht so sieht und unsere Position aus grundsätzlichen Erwägungen verneint, muss dann auch erklären, warum er die Anlage A in der Handwerksordnung überhaupt noch für erforderlich hält.

Frau Kollegin Schönhut-Keil, ich bitte um Nachsicht für die Störung. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Wagner?

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bitte schön!)

Frau Schönhut-Keil, was ist der Unterschied zwischen der Qualitätsanforderung, die Sie an einen Metzger oder einen Bäcker stellen, und der an einen Maurer oder einen Maler, bei denen Qualität ebenso lebenswichtig ist? Sonst würden bei uns die Häuser zusammenkrachen, wie das in der Türkei gelegentlich geschieht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das ist ohne Zweifel richtig. Sie wissen aber ganz genau, dass sich z. B. auch die Maurer entsprechenden Qualitätsanordnungen unterwerfen müssen, wie z. B. einer Baustatik, damit genau das nicht passiert.

(Zuruf des Abg. Gerhard Bökel (SPD))

Dann haben Sie aber immer noch jemanden auf dem Bau, der die Qualität eines Maurers nach den Sicherheits- und Qualitätsstandards überprüft,

(Zuruf des Abg. Michael Denzin (FDP))

die in Deutschland gelten. Das ist aber bei einem selbstständigen Metzger, bei einem selbstständigen Konditor oder einem Bäcker in dieser Form nicht der Fall.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Dieser hat niemanden mehr, der ihn überprüft. Deswegen sind wir auch der Meinung, dass wir aufgrund der besonderen Sensibilität gerade dieser Berufe, die bei der Lebensmittelerzeugung eine Rolle spielen, einen anderen Maßstab anlegen müssen als z. B. bei einem Maurer.

(Michael Denzin (FDP): Steinmetz!)

Ich möchte aber noch eines sagen, was Herr Reif angeführt hat, weil ich das für richtig halte.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Herr Reif, ich stimme Ihnen an einem Punkt zu. Wir haben dies deshalb in unserem Antrag als letzten Punkt aufgenommen.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Es reicht nicht, die Hürde, sich selbstständig zu machen, herunterzuziehen und auf der einen Seite somit eventuell eine Gründerwelle auszulösen, den Leuten aber auf anderen Seite nicht das betriebswirtschaftliche Know-how mitzugeben, um tatsächlich einen Betrieb führen zu können.

(Michael Boddenberg (CDU): Ja!)

Meine Damen und Herren, über diese Fragen haben wir uns Gedanken gemacht. Wir halten es auch für sinnvoll, dass zusammen mit den Industrie- und Handelskammern und den Berufsschulen Lehrgänge entwickelt und angeboten werden, in denen sich die Selbstständigen, die interessiert sind, entsprechend weiter qualifizieren können. Wahrscheinlich würde es auch vielen,die schon jetzt einen Betrieb haben, nicht schaden, das noch einmal zu lernen. Wie gesagt, an dieser Stelle sehen wir tatsächlich einen Änderungsbedarf und haben das in unserem Antrag entsprechend aufgeführt.

(Michael Boddenberg (CDU): Das heißt, dass jetzt zwangsweise...)

Herr Boddenberg, ich verstehe Sie so schlecht.

Frau Kollegin Schönhut-Keil, ich bitte nochmals um Nachsicht. Die Redezeit nähert sich ihrem Ende.

Was soll ich machen, wenn mir so lebhaft dazwischendiskutiert wird?

(Clemens Reif (CDU): Zum Ende kommen!)

Ich komme zum Ende, keine Panik. – Herr Boddenberg, es ist doch völlig klar, dass wir keine Zwangsverpflichtung wollen. Dann würden wir Ihnen wieder eine Überschrift liefern.

(Clemens Reif (CDU): Ganz zum Schluss noch ein gutes Argument!)

Ich rede gerade mit Ihrem Kollegen; ich kann nicht duo hören. – Wenn jemand sich vornimmt, einen Betrieb zu gründen, und Geld und Zeit investiert, dann hat er ein In

teresse daran, sich entsprechend fortzubilden und entsprechend schlau zu machen.

Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, dass dies alles eine maßvolle Modernisierung und eine maßvolle Entbürokratisierung ist.

Sie wissen wahrscheinlich, dass wir GRÜNE uns schon lange für eine solche Reform der Handwerksordnung eingesetzt haben. Ich habe es eben schon einmal gesagt: Im Übrigen muss die Handwerksordnung allein deswegen geändert werden, um sie an den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Europäischen Gemeinschaft anzupassen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.