Protocol of the Session on May 9, 2019

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, DIE LINKE, FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag des Abgeordneten Tassis mit der Drucksachen-Nummer 19/1967 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Abgeordneter Tassis [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, BIW, Abgeordneter Patrick Öztürk [SPD, fraktionslos], Abgeordnete Wendland [par- teilos])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag mit großer Mehrheit ab.

Sozial ungerecht, zu teuer und rechtspolitisch bedenklich: Modellprojekt umsetzen, auf Ersatzfreiheitsstrafen verzichten! Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 6. Februar 2018 (Drucksache 19/1520)

Wir verbinden hiermit:

„Schwitzen statt Sitzen“ zur Pflicht machen - verpflichtende gemeinnützige Arbeit vor Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe Antrag der Fraktion der FDP vom 10. April 2018 (Drucksache 19/1540)

sowie

Sozial ungerecht, zu teuer und rechtspolitisch bedenklich: Modellprojekt umsetzen, auf Ersatzfreiheitsstrafen verzichten „Schwitzen statt Sitzen“ zur Pflicht machen – verpflichtende gemeinnützige Arbeit vor Vollstreckung einer Freiheitsstrafe Bericht und Antrag des Rechtsausschusses vom 10. April 2019 (Drucksache 19/2134)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Schulz.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort als Berichterstatterin für den Rechtsausschuss Frau Aulepp.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gelegenheit, hier als Vorsitzende des Rechtsausschusses über eine sehr ausführliche Diskussion zu berichten, die wir im Rechtsausschuss gehabt haben, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ich versuche trotzdem, mich kurz zu fassen. Wie Sie mich kennen, wird mir das mit Bravour gelingen.

Der Rechtsausschuss hat sich intensiv mit Fragestellungen der Ersatzfreiheitsstrafe befasst. Wir haben in mehreren Sitzungen intensiv diskutiert, eine Anhörung mit sechs Fachleuten gemacht, haben zwei ausführliche Stellungnahmen des Justizressorts zu diesem Thema auf der Grundlage der an den Rechtsausschuss überwiesenen Anträge in die Beratung einbezogen, zum einen von der Fraktion DIE LINKE und zum anderen von der Fraktion der FDP. Das war spannend und interessant, auch die

Expertinnen und Experten, die wir angehört haben, haben die Ersatzfreiheitsstrafe als Instrument an sich, vor allem aber auch die Handhabung kritisch betrachtet, und das zog sich tatsächlich über alle Expertinnen und Experten, obwohl jede Fraktion beziehungsweise Gruppe eine Expertin/einen Experten benennen konnte.

Deswegen haben wir als Rechtsausschuss am Ende auf dieser Grundlage den Antrag und die Empfehlung, die Sie ja vorliegen haben, eingebracht. Mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Bürger in Wut gegen die Stimmen der CDU und bei Enthaltung der Fraktion der FDP und der Fraktion DIE LINKE ist der Vorschlag an die Bürgerschaft im Rechtsausschuss beschlossen worden, wie mit Ersatzfreiheitsstrafen zukünftig umgegangen werden soll. Die Empfehlung, den Antrag der Fraktion DIE LINKE abzulehnen, ist einstimmig beschlossen worden gegen die Stimme der Fraktion DIE LINKE. Bei dem Antrag der Fraktion der FDP war es so ähnlich, die FDP hat für den Antrag gestimmt, aber der Rechtsausschuss hat ansonsten einstimmig die Ablehnung empfohlen.

Weil heute ja der Tag des Abschieds ist – wer weiß, welche Aufgabe auf welche Abgeordnete oder welchen Abgeordneten in der kommenden Legislaturperiode zukommt –, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich als Vorsitzende des Rechtsausschusses bei allen Mitgliedern des Rechtsausschusses ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit zu bedanken. Besonders möchte ich mich bei der Verwaltung dieses Hauses bedanken, ganz besonders auch bei Michael Weiß,

(Beifall)

der den Rechtsausschuss lange begleitet und mir immer auf die Sprünge geholfen hat, wenn ich wieder einmal nicht wusste, an welcher Stelle in der Tagesordnung ich eigentlich war. Mein herzlicher Dank geht auch – und hier stellvertretend an den Staatsrat Herrn Schulz – an das gesamte Justizressort. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mit Herzblut und intensiv mitgearbeitet. Es war mir immer ein Vergnügen, den Rechtsausschuss zu leiten, und es war mir auch ein Vergnügen, Ihnen den Bericht des Rechtsausschusses jeweils vorzustellen. Erst einmal als Vorsitzende des Rechtsausschusses herzlichen Dank. – Danke!

Als Nächster erhält der Abgeordnete Janßen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema habe ich geerbt, Peter Erlanson ist leider erkrankt.

Wir haben einen Antrag zur Frage der Ersatzfreiheitsstrafen gestellt. Wie können wir vermeiden, dass Menschen, die zu einer Geldstrafe verurteilt werden und diese nicht zahlen können, dafür ersatzweise ins Gefängnis kommen. Wie kann dieser Zustand vermieden werden? In der Justizvollzugsanstalt Bremen sitzen jeden Monat 50 Personen zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe ein. Neben der Tatsache, dass diese Menschen nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden sondern zu einer Geldstrafe, stellt das die Justiz vor eine enorme Herausforderung und Belastung. Jeder Tag in Haft kostet uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zudem 140 Euro. Das ist nicht das Hauptargument, aber es ist ein Argument, das dazugehört.

Es gibt wichtige Hilfsprojekte in Bremen und Bremerhaven wie den Verein Bremische Straffälligenbetreuung, den Verein Hoppenbank e.V. oder die Gesellschaft für integrative soziale Beratung und Unterstützung mbH (Gisbu) in Bremerhaven, denen wir für ihre wichtige Arbeit ausdrücklich danken wollen,

(Beifall DIE LINKE)

die beispielsweise durch Projekte helfen, Geldstrafen abzuarbeiten und Ratenzahlungen zu ermöglichen. Auch das „StadtTicket Extra“ ist ein wichtiges Projekt, um zu ermöglichen, dass Menschen nicht durch Ersatzfreiheitsstrafen bestraft werden. Wir wissen genau, dass die meisten dieser Menschen häufig unter multiplen Schwierigkeiten leiden, körperliche, psychische Erkrankungen haben und/oder Suchtprobleme vorliegen. Häufig haben wir ein Armuts- und kein Kriminalitätsproblem.

Wir haben seit Jahren kontinuierlich eine hohe Zahl an Personen, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen und fordern in unserem Antrag eine Bundesratsinitiative, um für die Dauer von fünf Jahren ein Modellprojekt, welches die Vollstreckung von Geldstrafen unter Verzicht für die Ersatzfreiheitsstrafe beachten soll zu erproben. Wir haben im Rechtsausschuss Anhörungen und Beratungen durchgeführt. Dabei, das wurde von der Ausschussvorsitzenden, Frau Aulepp, angeführt, haben die Expertinnen und Experten unsere Meinung bestätigt, wonach im Ergebnis die derzeitige Praxis der Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe und

die Ausstattung der Justiz, um diese durchzuführen, an vielen Stellen höchst problematisch ist. Nicht immer kann gewährleistet werden, dass abgewendet werden kann, dass Menschen ersatzweise ins Gefängnis kommen. Die Fraktion der FDP beantragt parallel mit einer Bundesratsinitiative, die Menschen vor der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe zu gemeinnütziger Arbeit zu zwingen. Das lehnen wir genauso wie der Großteil aller anderen an der Beratung Beteiligten aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Zwangsarbeit kann keine Antwort sein, wenn eine Geldstrafe nicht vollstreckt werden kann.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt auf der Grundlage von Artikel 12 Absatz 3 des Grundgesetzes die Möglichkeit, bei gerichtlich verordnetem Freiheitsentzug auf das Instrument der Zwangsarbeit zurückzugreifen. Das kann dann nicht zutreffen, wenn es um eine Verurteilung mit einer Geldstrafe geht, deshalb sehen wir verfassungsrechtlich erhebliche Bedenken. Das kann nicht der Weg sein, das Problem wird damit nicht gelöst. Die meisten Betroffenen sind aufgrund multipler Problemlagen gar nicht in der Lage, regelmäßige, gemeinnützige Arbeit zu leisten und von alternativen Projekten ist im Antrag der Fraktion der FDP nicht die Rede.

Wir freuen uns darüber, dass die Koalition sich in einigen Bereichen durchaus bewegt hat, auch wenn sie sich nach wie vor mit dem Grundsatz sehr schwer tut, von der Ersatzfreiheitsstrafe als Instrument abzuweichen. Wir stellen fest, dass der Ausschuss auf der Grundlage des Antrages der Koalition mehrere Initiativen vorlegt, um zu verhindern, dass Ersatzfreiheitsstrafen eingesetzt werden müssen. So soll die Ersatzfreiheitsstrafe nur auf erneute richterliche Entscheidung verhängt werden und nicht durch eine Prüfung nach Aktenlage. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Das Verfahren soll nicht mehr so sein, dass ein Rechtspfleger nach Aktenlage entscheiden kann. Die Ersatzfreiheitsstrafe soll nur durch ein Urteil, nicht durch einen Strafbefehl verhängt werden.

Das ist ein Komplex, von dem ich glaube, dass er sehr wichtig ist. Wir wissen, dass viele der Menschen, die von Ersatzfreiheitsstrafen betroffen sind, Menschen sind, die nicht über den juristischen Sachverstand, nicht über die finanziellen Mittel, teilweise nicht einmal über eine Adresse verfügen. Wir hier bestrafen häufig Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Bei denen zieht die Strafkulisse Ersatzfreiheitsstrafe nicht, weil das

Menschen sind, die meistens gar nicht so mit der Gesellschaft interagieren, dass sie in einem formalen Widerspruchsverfahren oder ähnlichem ihre Rechte geltend machen wollen. Wir sind froh, mit dieser Diskussion etwas angestoßen zu haben, das in der Beratung ein Ergebnis gefunden hat. Wir finden, Sie hätten jetzt auch noch den nächsten Schritt gehen und mit einem Modellprojekt versuchen können, die rechtlichen Normen weiterzuentwickeln und zu schauen, wie wir grundsätzlich in die Diskussion darüber kommen, ob beispielsweise das Schwarzfahren nicht umgewandelt werden kann in eine Ordnungswidrigkeit, um wegzukommen von den Ersatzfreiheitsstrafen, die bei der Nichtzahlung von Geld eingesetzt werden können. Daher bedanken wir uns dafür, dass Sie ein Stück des Weges mit uns gegangen sind.

Wir werden ein Auge darauf haben, ob die Maßnahmen, die jetzt vorgeschlagen wurden, tatsächlich dazu führen, dass in Zukunft weniger Menschen in das Gefängnis müssen, weil sie das Geld nicht zahlen konnten. Wenn das nicht der Fall sein sollte, werden wir in der nächsten Legislaturperiode auf unsere Vorschläge zurückkommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sind froh, dass wir noch einmal die Möglichkeit haben, zum Ende der Legislaturperiode über den Antrag „Schwitzen statt Sitzen“, über den Antrag der Fraktion DIE LINKE zu Ersatzfreiheitsstrafen allgemein und über den Antrag des Rechtsausschusses, der mit den Stimmen der Koalition und Bürger in Wut zustande gekommen ist, zu debattieren.

Wir hatten die Thematik – das sagte Frau Aulepp sehr ausführlich – im Rechtssauschuss diskutiert. Anhörungen waren qualifiziert und haben uns insgesamt in der Debatte und in der gedanklichen Arbeit vorangebracht. Wir können das jetzt nicht alles in einem Fünf-Minuten-Beitrag noch einmal zum Besten geben und miteinander abwägen. Deswegen möchte ich mich kurz auf die drei Anträge fokussieren.

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE zielt im Kern darauf, Ersatzfreiheitsstrafen bei Vollstreckung von Geldstrafen abzuschaffen. Zunächst war von einem Modellprojekt von fünf Jahren die Rede,

jetzt ist davon die Rede, dass man das insgesamt machen sollte. Wir halten diesen Schritt für fragwürdig und glauben auch nicht, dass etwas damit gewonnen wird, wenn man Bagatelldelikte zu Ordnungswidrigkeiten herabstuft. Auch diese Ordnungswidrigkeiten müssten später durchgesetzt werden, wenn sie nicht bezahlt werden können. Dabei kommt vom Arbeitsaufwand im Ergebnis nichts heraus.

Beim Lesen des Protokolls, auch der Anhörung der Sachverständigen, ist mir noch einmal aufgefallen, dass wir teilweise von einer anderen Verantwortlichkeit der Betroffenen ausgehen. Die Fraktion DIE LINKE sieht die Personen mehr durch Umwelteinflüsse, durch Sozialisation beeinträchtigt, sich rechtskonform zu verhalten, und findet, dass diese bei Arbeitslosigkeit, Drogen, Alkoholsucht deswegen keine Verantwortung mehr übernehmen müssen. Wir sehen dies ein bisschen anders, denn einem solchen Verfahren ist immer ein richterlicher Spruch vorausgegangen. Der Richter hat die Tat auf Rechtswidrigkeit und Schuld, also auch auf die besondere Verantwortbarkeit des Einzelnen geprüft, und wenn er zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass hier die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei den Betroffenen fehlen würde, hätte er schon gar nicht zu einer Verurteilung kommen können.

Zu guter Letzt ist aus unserer Sicht das Straf- und Vollstreckungsrecht auch nicht der Rechtsrahmen, um psychische, psychosoziale oder gesundheitliche Probleme zu lösen, sondern das kann nur ein Teilaspekt sein. Wir haben in Bremen ein eigentlich gutes Netz an Drogenberatungsstellen, niedrigschwelligen medizinischen Angeboten, Schuldnerberatungsstellen. Wer möchte, kann sich Hilfe holen. Wer auf Hilfe verzichtet, ist dann auch selbst für seine Situation verantwortlich.

Zum Antrag der Koalition: Wir werden ihn schon alleine deshalb ablehnen, weil er die Ablehnung unseres Antrags vorsieht, sich aber auch nicht die Mühe macht, zu versuchen, die Gedanken, die wir in unserem Antrag vermittelt haben, mit einzuarbeiten. Wir halten auch viele der anderen Vorschläge, der Punkte des Koalitionsantrages für schwierig. Aus der Anhörung hat sich auch herausgefiltert, dass Sie den Antrag, den wir gestellt haben, nach unserer Auffassung nicht hinreichend durchdacht haben. Die verfassungsrechtlichen Probleme wurden nicht in allen Fällen von den Sachverständigen so bestätigt und wir meinen auch, dass eine weitere gerichtliche Entscheidung

für eine Ersatzfreiheitsstrafe nicht getroffen werden müsste, insbesondere auch was die Überlastung der Gerichte anbelangt. Bei den Punkten 2c und 3c Ihres Anliegens hätten wir uns durchaus vorstellen können, mitzumachen.

Insgesamt sehen wir aber, dass die im Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen nur sehr langfristig umzusetzen sind. Wie wir in der Anhörung mitbekommen haben, wird diese Thematik seit Jahren diskutiert und alle Vorredner haben angedeutet, dass das nur eine Zwischenstufe sein kann und in der nächsten Legislaturperiode versucht werden muss, das Thema weiter anzugehen, um vielleicht eine Kompromisslösung zu finden.

Zu unserem Antrag noch kurz Folgendes: Wir wollen das, was heute schon freiwillig möglich ist, also Ersatzfreiheitsstrafen abzuarbeiten und die Geldstrafe hinfällig werden zu lassen, dies wollen wir verpflichtend machen. Wir haben in Bremen freiwillige Arbeitsmöglichkeiten durch den Hoppenbank e. V. und die Brücke