Protocol of the Session on January 23, 2019

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt also bisher gar kein entsprechendes Papier zur Strategie des Senats. Selbst, wenn man dieses Papier vielleicht als Grundlage nehmen wollte – das übrigens im Jahr 2015 unmittelbar vor der Bürgerschaftswahl das Licht der interessierten und geneigten Öffentlichkeit erblickt hat, genauso wie jetzt das neue Papier des Senats auch wieder unmittelbar vor der Bürgerschaftswahl die Öffentlichkeit erreichen soll –, was findet man in diesem bisherigen Papier eigentlich als konkrete Maßnahmen des Senats?

Dort heißt es, ich zitiere: „Es gibt bereits zahlreiche erfolgreiche und erfolgversprechende Ansätze, die zur Sicherung des Fachkräfteangebotes beitragen.“ Dann steht darin: „Dazu gehören die zahlreichen Maßnahmen zur Stabilisierung des Erwerbspersonenpotenzials.“ Dann steht darin: „Entscheidend sind auch Rahmenbedingungen, die es den Menschen ermöglichen, am Erwerbsleben zu partizipieren.“ Schließlich steht darin: „Von zentraler Bedeutung sind Initiativen, die gemeinsames Lernen bis einschließlich des zehnten Jahrgangs ermöglichen.“ Und dann steht darin: „Neben diesen bestehenden Initiativen und Strukturen wurden auch Herausforderungen identifiziert, welche in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden sollten.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ja einmal eine richtig tolle Strategie.

(Beifall CDU)

Ich glaube, dass das alles nicht reicht. Es reicht auch insbesondere deswegen nicht, weil sowohl dem Antrag, der aus den Koalitionsfraktionen hier gemeinsam mit der Fraktion der FDP vorliegt, als auch in der praktischen Politik eigentlich das Grundlegende fehlt, nämlich die Frage: Sind unsere Schülerinnen und Schüler nach Abschluss ihrer schulischen Ausbildung überhaupt in der Lage, den Anforderungen der hoch verdichteten und auch immer komplexer werdenden Ausbildungsberufe zu genügen, oder nicht? Da ist die Antwort ganz klar: Nein, sie sind es in der Mehrzahl nun einmal gerade nicht.

Wir haben das Problem, dass unsere Schülerinnen und Schüler, unserer Absolventen der Schulen diesen Anforderungen des Arbeitsmarktes häufig nicht gerecht werden. Dazu schweigt sich Ihr Antrag vollständig aus. Es geht nun einmal nicht darum, nur Akademiker zu produzieren, sondern es geht darum, das, was Herr Reinken hier gerade auch angesprochen hat, in die Tat umzusetzen und Wirklichkeit werden zu lassen: Nämlich darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Mensch am Schluss seiner schulischen Laufbahn Abitur haben muss, dass ein mittlerer Schulabschluss auch ausreichend ist, um einen Beruf zu ergreifen, von dem man sein Leben lang leben, in dem man sein Leben lang lernen kann und für den man vor allen Dingen ausreichend qualifiziert ist.

Wir wollen Schluss damit machen, dass nur die akademische Ausbildung und nur das Abitur in unserer Gesellschaft etwas zählen, meine Damen und

Herren. Wir brauchen eine Verstärkung der beruflichen Ausbildung auch in unseren Schulen. Das fehlt in Ihrem Antrag vollständig.

(Beifall CDU)

Was wollen Sie eigentlich tun, um die Berufsbildungsreife von jungen Menschen zu verbessern? Wie wollen Sie eigentlich etwas daran ändern, dass bei den unter 25-jährigen Erwerbslosen 70 Prozent keinen schulischen Abschluss haben? Wie wollen Sie eigentlich verhindern, dass pro Jahr mehrere 100 Menschen unser staatliches Ausbildungssystem ohne jeden Abschluss verlassen und ohne, dass wir von ihnen überhaupt wissen, in welchen Maßnahmen sie verbleiben?

Ich sage für die Fraktion der CDU: Wir brauchen in unserem Schulsystem auch klar eine Perspektive und ein Unterrichtsfach, das die berufliche Ausbildung der dualen Ausbildungsberufe in unserem Land in den Blick nimmt, das die Menschen dafür begeistert und das die Schülerinnen und Schüler dafür qualifiziert, am Ende ihrer Schulausbildung eine duale Ausbildung zu ergreifen und Fachkraft für den Arbeitsmarkt in Bremen und Bremerhaven zu werden.

(Beifall CDU, FDP)

Ich glaube deswegen abschließend, dass wir ein Maßnahmenpaket brauchen, das eine verbesserte Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen vorsieht, das die duale Ausbildung stärkt, zum Beispiel auch durch Wiedereinführung von Meisterberufen, dass wir die Weiterbildung stärken müssen und dass wir natürlich auch darauf achten müssen, dass wir in Anbetracht der Lebenssituation auch von jüngeren Menschen zu neuen innovativen Maßnahmen kommen, die Teilzeitausbildung beispielsweise für Alleinerziehende ausweiten und ermöglichen.

Es gibt eine Vielzahl von konkreten Maßnahmen, die man ergreifen kann, um den Fachkräftemangel in Bremen und Bremerhaven zu beheben. Leider steht weder in dem Papier des Senats noch im Antrag der Koalition auch nur ein konkreter Vorschlag. Wir werden deswegen den Antrag der Koalition und der FDP-Fraktion ablehnen und dem sehr viel detaillierteren und konkreteren Antrag der CDU zustimmen. – Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Strunge.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Fachkräfteentwicklung ist, das wissen wir eigentlich alle, kein ganz einfaches Thema. Seit langer Zeit wird zwischen Gewerkschaften und Unternehmen um die Frage gestritten: Gibt es denn überhaupt einen Fachkräftemangel?

Die Böckler-Stiftung hat kürzlich einen Report veröffentlicht, der ziemlich scharf behauptet, es gebe vor allem einen verbreiteten Unwillen, Fachkräfte adäquat zu bezahlen. Das ist vielleicht ein bisschen überspitzt, aber ganz falsch ist es auf jeden Fall nicht. Denn natürlich kann man insbesondere im niedrigqualifizierten Bereich – auch da wird von Fachkräften gesprochen – mit einer besseren Bezahlung offene Stellen leichter besetzen.

Unstrittig ist eigentlich aber auch, dass es kein rein demografisches Argument gibt, dass man nicht sagen kann, nur weil die Bevölkerung schrumpft, – davon ist man jedenfalls vor ein paar Jahren ausgegangen – wird es einen Fachkräftemangel geben. Denn wenn die Bevölkerung schrumpft, dann schrumpft letzten Endes auch die Produktion. Die Bevölkerungsentwicklung allein schafft also keinen Fachkräftemangel. Deswegen halten wir auch die Fachkräftestrategie des Senats für dringend überarbeitungsbedürftig, die nämlich genau diese falsche Theorie zum Ausgangspunkt macht.

(Beifall DIE LINKE – Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]: Das sind jetzt alternative Fakten, glaube ich!)

Stattdessen heißt Fachkräftemangel in meinen Augen nicht flächendeckend, aber was klar ist, dass es jeden Fall in bestimmten Bereichen und Branchen einen Fachkräftemangel gibt, dass in der Bevölkerung nicht in hinreichendem Maße die Qualifikationen vorhanden sind, die sich auf eine verändernde Produktion und Dienstleistung einstellen. Deshalb ist der Antragstext der CDU-Fraktion näher an dem Problem, wenn er von dem Fachkräftemangel als einer hausgemachten Wachstumsbremse spricht. Genau das sehen wir ja in Bremen und Bremerhaven. Wir haben hier jede Menge Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden. Zuletzt waren es mehr als 1 000 Bewerberinnen und Bewerber, die ohne Ausbildungsplatz blieben. Das ist wirklich eine alarmierend hohe Zahl.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Kollegin Strunge, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buhlert zulassen?

Bitte, Herr Buhlert!

Herr Buhlert, Sie haben das Wort!

Frau Strunge, um Ihre Einschätzung zum Fachkräftemangel verstehen zu können, frage ich Sie: Wie bezeichnen Sie es denn, wenn uns Personen fehlen, die Altenpflege ausüben, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger fehlen, wenn Erzieherinnen und Erzieher, wenn Sozialpädagoginnen und -pädagogen fehlen, Leute, die die entsprechende Qualifikation mitbringen, um diese wertvollen sozialen Arbeiten zu erledigen? Wie bezeichnen Sie das und wie wollen Sie dem abhelfen?

Das bezeichne ich als einen Fachkräftemangel in bestimmten Bereichen und bestimmten Berufsgruppen.

(Abgeordnete Bergmann [FDP]: Also dann gibt es ihn doch?)

Das habe ich doch gerade eben gesagt. Hätten Sie mir zugehört -- Ich habe gesagt: Es ist umstritten, ob es einen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt. Wenn man sich die Prognosen von unterschiedlichen Wirtschaftsinstituten anschaut und dann schaut, was zum Beispiel die Bundesagentur für Arbeit dazu sagt, gibt es dort erhebliche Unterschiede. Unstrittig ist, sagte ich ungefähr vor eineinhalb Minuten, dass es in bestimmten Bereichen und Branchen – und auch in bestimmten Regionen ist es unterschiedlich – einen Fachkräftemangel gibt. Im Bereich der Pflege und Gesundheit haben wir garantiert einen Fachkräftemangel, da stimme ich Ihnen zu.

(Beifall DIE LINKE)

Aber kommen wir noch einmal zurück zur Situation in Bremen und zu der Situation, dass auf der einen Seite auch hier von einem Fachkräftemangel gesprochen wird, wir aber auf der anderen Seite über 1 000 junge Menschen haben, die keinen Ausbildungsplatz finden. Das zeigt doch, dass ein ganz zentraler Punkt, die Ausbildung von jungen Menschen ist, wenn wir Fachkräftemangel bekämpfen wollen. Das sagt auch die Arbeitnehmerkammer. Sie sagt das ganz deutlich in einem Zitat: „Es ist nur

eine Frage der Zeit, bis die Ausbildungskrise in eine Fachkräftekrise umschlägt.“

Wir brauchen also gerade in diesem Bereich, im Bereich der Ausbildung, neue Steuerungselemente, um hier Abhilfe zu schaffen. Wenn wir uns jetzt die zahlreichen Beschlusspunkte anschauen im Koalitionsvertrag beziehungsweise -antrag mit der FDP jetzt auch, dann sehen wir dort als einzige greifbare Instrumente, die Berufsschulen besser auszustatten und Teilzeitausbildung anzubieten. Das ist in der Tat absolut richtig. Das unterstützen wir auch. Aber die sonstigen Maßnahmen, die hier aufgelistet werden, sind teilweise sehr unkonkret, sie bringen nicht viel oder sie sind zum Teil auch zu konservativ gedacht.

Wir finden, in einer sich derart rasch wandelnden Arbeitswelt darf man die Ausbildungsangebote nicht nur entlang der unmittelbaren Bedarfe der Unternehmen entwickeln. Wir finden auch, dass sich Neueinrichtungen von Masterstudiengängen, die wir prinzipiell natürlich begrüßen, nicht nur an den Bedarfen der Wirtschaft orientieren können, wie das von Ihnen gefordert wird. Das greift einfach zu kurz.

(Beifall DIE LINKE)

Auch der Antrag der CDU-Fraktion fordert, die Berufsschulen besser auszustatten und Teilzeitausbildungen anzubieten. Das heißt, wir hoffen, dass angesichts dieser fraktionsübergreifenden Sichtweise dann auch in den kommenden Haushaltsverhandlungen entsprechende Mittel dafür bereitgestellt werden, denn das ist ja in diesem Haus anscheinend Konsens, was wir sehr begrüßen. Wir finden auch viele Punkte im Antrag der CDU-Fraktion richtig, zum Beispiel wenn Sie den Missstand der verschleppten Anerkennungsverfahren bei der ausländischen Berufsqualifikation benennen oder wenn sie von der Idee der Bildungsprämie sprechen, wenn Arbeitslose Qualifizierungen machen. Selbstverständlich finden wir es auch nicht falsch, wenn Sie davon sprechen, dass beim Übergang von der Einstiegsqualifizierung in die duale Berufsausbildung die Übergangsquote gestärkt werden soll. Wenn man sich aber auch bei Ihnen das Sammelsurium der Punkte anschaut, dann haben wir genau wie bei dem Antrag der Koalition den Eindruck, das wird nicht reichen, das ist am Ende zu wenig. Wir behaupten auch nicht, dass wir das allumfassende Allheilmittel gefunden haben, aber wir sind überzeugt, dass wir die Ausbildungskrise in Bremen lösen müssen,

(Glocke)

wenn wir uns gegen den Fachkräftemangel stellen wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Das bedeutet für uns, wir brauchen dringend einen Ausbildungsfonds in Bremen, der es wirklich schafft, dass mehr Ausbildungsplätze hier in Bremen zur Verfügung gestellt werden. Dieser Punkt findet sich in keinem der Anträge. Wir werden morgen Nachmittag eine ausführliche Debatte genau zu diesem Punkt führen, weil er so wichtig für die Zukunft der jungen Menschen, aber auch für die Fachkräfteentwicklung ist. Dem Antrag der Koalition sowie dem Antrag der CDU-Fraktion werden uns an dieser Stelle enthalten, weil er nichts Falsches tut, aber die Fachkräftesicherung sicherlich nicht allumfänglich herstellen wird. – Herzlichen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Dr. Müller.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Strunge, mir ist jetzt gerade eingefallen: Also, unser Antrag ist nicht genug. Daran haben wir uns gewöhnt, dass die koalitionären Anträge nicht genug sind. Der CDU-Antrag ist auch nicht genug.

(Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Aber schon bes- ser!)

Der war schon besser, aber nicht genug. Dann wäre es doch jetzt schön gewesen, in dieser Debatte einen Antrag der Fraktion DIE LINKE, der alles umfasst, debattieren zu können und dem zustimmen zu können.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP)

Der liegt leider – –.

(Zuruf Abgeordnete Strunge [DIE LINKE])

Morgen haben wir eine Debatte zu Ausbildungszahlen, nicht zur Fachkräftegewinnung und schon gar nicht zu einer Innovationsstrategie für den Bremer Wirtschaftsstandort. Schade! Ich bin gespannt.

(Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Das erfahren wir morgen!)

Das erfahren wir morgen. Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass wir das morgen erfahren.