Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wo fängt Armut an? Und was ist das Minimum, das man zum Leben braucht? Das sind Fragen, die wir uns hier immer wieder gestellt haben und vermutlich auch in Zukunft stellen werden.
Der Hartz-IV-Regelsatz soll eigentlich das Existenzminimum abdecken. Doch wie errechnet sich das Existenzminimum? Welche Bedarfe werden
dazu berechnet und welche nicht? Ich frage Sie, gehört aus Ihrer Sicht ein Weihnachtsbaum dazu? Der Adventsschmuck? Regenschirme? Zimmerpflanzen? Speiseeis im Sommer? Haftpflichtversicherung oder Malstifte für Kinder in der Freizeit, um nur einige Beispiele zu nennen. Alle diese Bedarfspositionen werden aus dem Regelsatz herausgerechnet. Das Herausstreichen dieser Konsumgüter wird genutzt, um den Regelsatz künstlich klein zu halten. Ich finde, das ist ein Unding.
Die Diakonie Deutschland hat es vor zwei Jahren ausgerechnet, insgesamt stehen einem Erwachsenen durch diese Berechnung 150 Euro pro Monat weniger zu als der Vergleichsgruppe. Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, dass sich hier etwas ändert. Mit diesem Antrag setzen wir uns für eine faire Berechnung ein, die sich an der Realität orientiert.
Unserer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist es auch noch sehr wichtig, das Thema Sanktionen anzusprechen. Wir brauchen eine Debatte über die Sinnhaftigkeit. Ist es überhaupt zielführend, mit Sanktionen zu arbeiten, gerade im Hinblick auf die jungen Menschen unter 25 Jahren? Wir sind der Meinung, dass das gesetzlich garantierte Existenzminimum auf gar keinen Fall durch die Sanktionen unterschritten werden darf. Die geringste Kürzung führt bereits dazu, dass gesellschaftliche Teilhabe kaum noch möglich ist. Außerdem verfehlen die Sanktionen meistens ihr Ziel. Oft bewirken sie sogar das Gegenteil. Junge Menschen, denen die Leistungen gestrichen werden, brechen häufig den Kontakt zum Jobcenter ab und suchen den Weg in die Schwarzarbeit.
Hartz IV soll eigentlich vor Armut schützen. Sanktionen sollen eigentlich zur Arbeitsaufnahme beitragen. Der Alltag zeigt jedoch etwas anderes. Das ist der Grund, warum wir uns auf Bundesebene für eine neue Garantiesicherung einsetzen. Anstelle von Sanktionen wollen wir ein System, das mit Anreizen und Belohnung arbeitet.
Darin sehen wir die Zukunft. Doch bis wir bundesweit solch ein System etabliert haben, brauchen wir Zwischenschritte. Dafür ist unser Antrag, erst einmal vorsichtig die Sanktionen zu entschärfen. Die Ergänzung durch DIE LINKE, auch die Praxis auf Landesebene mitzudenken und in Bremen und Bremerhaven auf eine Reduzierung der Sanktionen
Den Änderungsantrag der Abgeordneten Susanne Wendland lehnen wir ab. Für die Forderung, die Bedarfsgemeinschaften abzuschaffen, braucht es viel mehr als nur ein paar Zeilen aufzuschreiben.
Mit Blick in die Zukunft möchte ich daher betonen, Abstiegsängste und Existenzängste müssen ersetzt werden durch, wie es Robert Habeck formuliert, Mut, Wagemut und Kreativität. Das sollte unser Ziel sein. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich unterstütze den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen nur bedingt. Darüber hinaus stellt sich für mich die Frage, warum die Koalition erst jetzt diesen, wie sie sagt, ersten Schritt wagt. Immer wieder haben wir hier über die Armut im Lande Bremen diskutiert, immer wieder haben wir festgestellt, wie viele Menschen in unserem Land unter dem Existenzminimum leben. Passiert ist viel zu wenig.
Klar, der Hartz-IV-Regelsatz ist Sache des Bundes, aber auch das Land hat die Pflicht, Menschen mit wenig Geld zu unterstützen. „Das Existenzminimum endlich fair und realistisch berechnen“, lautet die Überschrift des Antrags. Das ist für mich altbekannt und auch die Feststellung, dass immer mehr Menschen bei den Tafeln anstehen. Mir geht Ihr Antrag nicht weit genug, deswegen habe ich einen Änderungsantrag eingebracht.
Die von den Jobcentern verhängten Sanktionen sind für mich ein Unding. Sie verletzen die Menschenwürde und gehören abgeschafft. Denn mit den Sanktionen fallen die Menschen in noch tiefere Notlagen, als sie ohnehin schon sind. Wie sieht die Praxis aus: Der Berater benutzt die Sanktionen als Bestrafung, um die Menschen zu einer Arbeit oder in oft sinnlose Maßnahmen zu zwingen. Das ist für mich kontraproduktiv. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt es nur, wenn sie in einem angstfreien Raum stattfindet. Die Jobcenter sollten sich
auf Beratung und Vermittlung von Arbeit konzentrieren, die Teilnahme an Beratung und Weiterbildung sollten freiwillig sein.
Wir reden hier im Parlament oft von Teilhabe am Leben. Also kann sich zum Beispiel eine langzeitarbeitslose Frau einmal eine Kinokarte kaufen, kann sie ins Freibad gehen oder sich einen Ausflug mit der Bahn nach Cuxhaven ans Meer leisten? Klare Antwort: Kann sie nicht.
Noch schwerer wird es, wenn die Menschen in Bedarfsgemeinschaften zusammenleben, also zusammen eine Wohnung haben, dann bekommen sie zusammen weniger Geld. Anstatt 416 Euro pro Person im Regelsatz, gibt es nur 374 Euro, also pro Person wieder 42 Euro weniger. Einkommen und Vermögen zusammenlebender Menschen werden pauschal gemeinschaftlich angerechnet. Für mich gehören deshalb die Bedarfsgemeinschaften abgeschafft, der Regelsatz muss eine individuelle Leistung sein und auf ein menschenwürdiges Existenzminimum muss es einen individuellen Rechtsanspruch geben.
Ich weiß, mein Änderungsantrag wird abgelehnt. SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden ihren Antrag durchsetzen. Sie sprechen von einem ersten Schritt, aber meine Damen und Herren, sind Sie nicht ein bisschen zu halbherzig unterwegs? Für mich muss die Armutsbekämpfung im Lande Bremen weit mehr Fahrt aufnehmen, denn selbst wenn der Bundesrat aktiv wird, wenn nach langer Diskussion der Regelsatz tatsächlich um vielleicht etwa einhundert Euro steigt, glauben Sie wirklich, dass dieses Geld reicht, um tatsächlich am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen? Ich bin der Meinung, wir brauchen eine Zäsur.
Klar ist, das Hartz-IV-System hat gemessen an den Werten unseres Grundgesetzes versagt. Die Bundesspitze von Bündnis 90/Die Grünen will von Hartz IV abrücken und der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD spricht sich dafür aus, die Sanktionen und auch die Bedarfsgemeinschaften endlich abzuschaffen.
Was will der Antrag hier? Er möchte die Sanktionen nur entschärfen. Das heißt für mich, die Sanktionen sollen bleiben. Da, meine Damen und Herren von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, sind andere in ihren Parteien durchaus weiter.
Wie heißt es so richtig im Grundgesetz: Jeder soll ein Leben in Würde führen. Sanktionen verletzen aber die Menschenwürde. Wie ist es aber mit den Existenzängsten? Was macht das mit den Menschen in unserem Land? Wir brauchen deshalb ein bedingungsloses Grundeinkommen. Alle Probleme, die Sie hier in Ihrem Antrag auflisten, wären gelöst, von der Kinder- bis zur Altersarmut. Die Diskussion darüber ist nicht neu. Immer mehr Menschen schließen sich dieser Idee an, es schafft weder den Sozialstaat ab, noch verlieren die Menschen ihre Lust auf Arbeit und ja, es ist finanzierbar durch neue Steuermodelle und auch die Abschaffung der Hartz-IV-Leistungen.
Wie gesagt, ich unterstütze den Antrag im ersten Punkt, weil Armut endlich bekämpft wird, wenn auch nur langsam, ein kleines Stück. Ich will aber mehr und mache mich für ein bedingungsloses Grundeinkommen als individuellen Rechtsanspruch ohne Zwang zur Arbeit stark, für ein Grundeinkommen, das die materielle Existenz sichert und eine tatsächliche Teilhabe ermöglicht und, das ist mitentscheidend, ohne Prüfung auf Bedürftigkeit, jedem soll es zustehen, bedingungslos. Wie hatte ich doch vorhin gesagt: Wir müssen weiterdenken, neu denken, alte Denkmuster in unseren Köpfen überprüfen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir diskutieren heute unter dem Titel „Existenzminimum endlich fair und realistisch berechnen“ einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD.
Lassen Sie mich zu Anfang sagen, die Überschrift empfinde ich ein wenig als Zumutung. Wenn da steht „Existenzminimum endlich realistisch berechnen“, will ich wirklich einmal sagen, liebe Kollegen von der Koalition, das hätten Sie vor Jahren schon haben können. Das war vor Jahren schon angesagt, dass jeder wusste, diese Berechnungen, die da aufgrund der statistischen Grundlagen angestellt werden, indem Sie nämlich die 15 unteren Prozent der Bevölkerung zur Berechnung herangezogen haben, führen immer wieder und haben immer wieder dazu geführt, dass das Existenzminimum im Grunde genommen bei Hartz IV und bei der Grundsicherung nicht erreicht wurde. Ich finde, das sollte man zu Anfang auch einmal deutlich sagen.
Andererseits, Herr Möhle, wenn Sie so weitermachen, werden wir noch Freunde. Das ist natürlich ein ausgesprochener Schritt für die SPD, dass Sie jetzt endlich einmal zugeben, dass da etwas geändert werden müsste, und jetzt machen Sie sich auf den Weg und stellen hier den Antrag. Da muss ich einfach sagen, das ist anerkennenswert, denn da trifft tatsächlich einmal der Spruch zu: Wir sind da auf einem guten Weg. Das wäre in der Tat ein guter Weg, wenn wir da vorankommen.
Lassen Sie mich noch einmal sagen: Es ist aber auch höchste Zeit! Das will ich auch noch einmal deutlich sagen. Wer heute ins Internet geschaut hat, heute ist der neue Armutsbericht des Paritätischen herausgekommen, stellt fest, dass es 13,7 oder 13,8 Millionen arme Menschen in diesem Land gibt, aber was natürlich das Entscheidende dabei ist: 33 Prozent davon arbeiten, die sind nicht arbeitslos. Das heißt also im Grunde genommen, eine ganze Anzahl von Menschen heute kann – ein Drittel ist es ja tatsächlich, 33,3 Prozent –, genau ein Drittel kann sich von seiner Arbeit nicht mehr ernähren, nicht mehr leben, nicht mehr ein existenzwürdiges Leben führen. Da finde ich, müssen die Alarmglocken läuten.
Da ist etwas, bei dem wir einfach zugreifen und sagen müssen: Das muss jetzt endlich einmal aufhören. Das muss wirklich aufhören.
Mindestens. Ich sage einmal klar, wir haben jetzt für uns als Fraktion DIE LINKE gesagt: Gut, wir finden den Anlauf gut, wir sehen den Veränderungswillen bei der SPD, das ist wunderbar.
Wir haben einen Änderungsantrag gemacht, in dem wir noch einmal gesagt haben: Ja, es ist gut, dass Sie endlich anfangen, aber beweisen Sie bitte schön doch erst einmal, dass Sie es wirklich ernst meinen. Und wenn Sie es wirklich ernst meinen, dann sage ich hier auch in aller Deutlichkeit, dann müssen Sie vor Ort, da, wo Sie Mehrheiten haben, wo Sie auch Einfluss durch Ressorts und durch Senatorinnen und Senatoren haben, jetzt endlich auch einmal zugreifen. Deshalb haben wir einen
Zusatzpunkt zu dem Beschluss hinzugefügt, in dem wir gesagt haben, dass wir vor Ort, zum Beispiel beim Jobcenter, in die dortigen Strukturen hineingehen müssen, und es gibt lokale Spielräume. Da sind wir als Fraktion DIE LINKE zumindest sehr fest überzeugt. Es gibt lokale Spielräume und die müssen genutzt werden. Die müssen auch genutzt werden, wenn die SPD weiter glaubwürdig bleiben will.
Zum Abschluss: Den Antrag von Frau Wendland – ja, das ist völlig richtig, was darin steht. Das ist schon immer Position der Partei DIE LINKE gewesen, deshalb haben wir uns als Partei gegründet, deshalb sind wir die ganze Zeit sozialpolitisch unterwegs, weil wir einfach sagen, diese Gemeinschaften müssen weg, diese Sanktionen müssen weg. Das, finde ich, ist überhaupt keine Frage. Die Frage, die sich für uns heute nur stellt, ist: Die SPD macht sich auf, –
das hat so lange gedauert, dass wir sehr froh sind, dass das überhaupt passiert. Ich will einmal sagen, die Bissen, die Frau Wendland Ihnen jetzt vorsetzt, sind für die SPD, glaube ich, zu schwer zu nehmen. Das kann man Ihnen nicht zumuten. Davor muss man Sie ein bisschen schützen.
Von daher werden wir ganz deutlich sagen, wir werden uns bei den Punkten von Frau Wendland, da wir sie richtig finden, an der Stelle enthalten. Ansonsten werden wir natürlich dem Antrag der SPD zustimmen, denn er ist wunderbar, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit in den nächsten Monaten, um das jetzt auch tatsächlich einmal auf den Weg zu bringen. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss ein wenig Wasser in den Wein gießen.