Protocol of the Session on December 13, 2018

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Ich habe heute Nachmittag Herrn Prof. Dr. Hilz sehr genau zugehört, ich teile nämlich Ihre Einschätzung, dass die Aushandlungsprozesse der Sozialpartner, also von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ein sehr bewährtes System sind. Ich bin ein sehr großer Fan dieses Wohlfahrtsstaatsystems, das auf einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern setzt. Im letzten Jahr habe ich mit vielen Arbeitgebern gesprochen, und immer noch hänge ich der Frage an, wieso eigentlich entziehen sich so viele Arbeitgeber der Allgemeinverbindlichkeitserklärung und wenn sie denn überhaupt in Verhandlungen eintreten, legen am Ende dann ihr Veto ein, und damit ist der ganze Verhandlungsprozess gestorben? Vielleicht haben Sie auf diese Frage noch eine Antwort, das würde mich sehr interessieren. So geht das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch Arbeitgeber müssen hier ihrer Pflicht nachkommen und wirklich angemessen an den Verhandlungen auch teilnehmen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Wir fordern deshalb den Senat auf und wünschen ihm auch viel Erfolg bei den Bemühungen, um die wir ihn bitten, denn eine einfache Sache wird das natürlich nicht. Wir fordern ihn auf, sich dafür einzusetzen, dass es möglich wird, in den Tarifausschüssen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nur noch durch Mehrheit abzulehnen, also damit

dann zukünftig nicht nur das eine Votum der Arbeitgeber ausreicht. Wir fordern den Senat des Weiteren auf, zu prüfen, ob und wie es ermöglicht werden kann, die Antragstellung für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung, wie das mit beiden Tarifpartnern dann vonstattengehen kann. Es hört sich relativ übersichtlich an, ist es aber nicht. Das werden wahrscheinlich sehr intensive Gespräche werden, und wir hoffen, dass wir dabei vorankommen. Wir hoffen auch, dass die Unterstützung hier im Haus über die Koalition hinausgeht. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Unterstützung des Antrags. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Bernhard.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir unterstützen diesen Antrag uneingeschränkt. Die Stärkung der Tarifbindung ist ein Schlüsselelement dafür, dass Niedriglöhne gestoppt werden und dass Unternehmen, die diese Spielregeln nicht einhalten, vom Markt gedrängt werden. Leider ist die Realität eine ganz andere. Da hat ja auch die Antwort auf unsere Große Anfrage zum Landesmindestlohn – wir haben ja in dieser Bürgerschaft relativ viel darüber diskutiert – ein ganz anderes Ergebnis aufgezeigt. Nur gut die Hälfte der Beschäftigen arbeitet überhaupt noch unter Bedingungen, also in Betrieben mit Tarifbindung. Das gilt für Bremen und Bremerhaven und ebenso für den Bund.

In Bremen wie in anderen Großstädten sind nach meiner Kenntnis nur noch 20 Prozent aller Betriebe tarifgebunden – Quelle: IAB-Betriebspanel –, das ist erschütternd wenig, das muss man feststellen. Es kennt im Grunde genommen aktuell auch nur eine Richtung, und die heißt abwärts, das darf man nicht vergessen. Auch das häufig vorgebrachte Argument, die meisten würden sich trotzdem in irgendeiner Weise an Tarifen orientieren, stimmt so nicht; denn wenn man sich das hier anschaut, dann orientieren sich von 80 Prozent der nicht tarifgebundenen Betriebe zwei Drittel überhaupt nicht an vorhandenen Tarifen. Deswegen finde ich das an der Stelle ein sehr bedenkliches Ergebnis.

Das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist per se aktuell zu schwach. Es ist insofern schon ein guter Schritt gewesen, dass das Land Bremen das in Bezug auf das Hotel- und Gaststättengewerbe letztendlich verankern konnte, aber

die Hürde ist doch recht hoch: Antrag durch beide Tarifparteien, meine Vorrednerin hat es erwähnt, und die Zustimmung sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber im Tarifausschuss sind die Voraussetzungen. Dementsprechend stagnieren die Zahlen natürlich auch: Von 454 im Jahr 2007 sind wir auf 444 in 2016 gesunken, auch das hat ja unsere Anfrage ergeben.

Wir haben das Ganze in der Auseinandersetzung um Ryanair intensiv zu spüren bekommen. Hier war es explizit ein riesiges Problem, dass es so etwas nicht gibt. Der Fall Ryanair hat auch gezeigt, dass wir Unternehmen haben, die im Umgang mit ihren Beschäftigten einen frühkapitalistischen Stil pflegen und bei dem Wort Betriebsrat im Grunde genommen Ausschlag bekommen und letztlich auch Dumpinglöhne durchsetzen, die wirklich völlig inakzeptabel sind.

Da fragt man sich schon, warum es nicht Allgemeinverbindlichkeitsregelungen, gerade im Bereich der Luftfahrt, geben kann. Das ist doch durchaus im öffentlichen Interesse, es geht auch um Zuverlässigkeit im Transportwesen, und letztendlich geht es auch um Menschenleben.

(Beifall DIE LINKE)

Hintergrund ist, dass alle großen Fluggesellschaften inzwischen ihre Billiglinien haben und deshalb der Druck insgesamt in dem Bereich nicht besonders hoch ist. Das ist aber eben auch genau das Problem, denn wenn sich einmal in einem Wirtschaftsbereich die Sitten entsprechend verwildert haben, ist es sehr schwer, das wieder einzufangen und zurückzudrehen.

Deshalb muss die Bundesregierung – –. Wir finden auch deswegen diesen Aspekt so wichtig, dass das dann auch für die Landesregierung gilt und die Möglichkeit bietet, sie eben auch dann zu beschließen, wenn es im Tarifausschuss ein Patt gibt, das ist eben eine ganz entscheidende Stellschraube, und keine Mehrheit gegen diese Allgemeinverbindlichkeitsregelung. Sie muss es zudem auch dann durchsetzen können, wenn es keinen Antrag darauf gibt, und das auch nicht von der Arbeitgeberseite einseitig geblockt werden kann. Im Vergabebereich haben wir vor einiger Zeit, weil die EU es ja wieder zulässt, etwas Ähnliches gemacht, und wir haben die Tarifbindung da eben bezüglich des Baubereichs im Tarif- und Vergabegesetz festgeschrieben. Das bedeutet genauso, dass bestehende Tarife für alle gelten, jedenfalls wenn es sich um öffentliche Aufträge handelt.

Natürlich zielt auch der Vorschlag, die unterste Entgeltgruppe im öffentlichen Dienst zur Mindestgrenze des Landesmindestlohns zu erheben, auf einen ähnlichen Effekt. Das wäre letztendlich auch eine Regel, an die man sich halten muss.

Zusammenfassend ist es jedenfalls so, dass wir das vollkommen richtig finden. Ich weiß, dass es eine schwierige Angelegenheit ist. Das ist nichts, womit wir offene Türen einrennen werden. Es wäre aber sehr schön, wenn wir an dem Stück weiterkommen und dass wir da sozusagen eine ganzheitlichere Stellschraube bekommen, um so etwas durchzusetzen. Ich kann insofern nur sagen, wir unterstützen das auf ganzer Linie. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Kastendiek.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich die Debatten der letzten ja fast zwei Tage vor Augen führt, mal ein bisschen darüber nachdenkt, dann wundert man sich schon. Wenn man den Gesamteindruck auch als Gesamtstrategie des einen oder anderen hier unterstellt, mit welchen massiven staatlichen Eingriffen Sie in die Lohnfindung zwischen Tarifpartnern eingreifen wollen. Das heißt, die Mitgefühl heuchelnden Tränen, die Sie hier vergießen, wir wollen Tarifautonomie stärken. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie machen im Augenblick genau das Gegenteil.

(Beifall CDU, FDP)

Um dann Argumente heranzuziehen, die nun wirklich mit dem, was Sie hier beschließen wollen, nichts zu tun haben. Auf der letzten Plenarsitzung im November wurde ein gemeinschaftlicher Antrag beschlossen, § 117 Betriebsverfassungsgesetz entsprechend so zu ändern. Genau das ist das Problem: Was Sie gerade besprochen haben und als Begründung für diesen Antrag heranziehen, existiert gar nicht mehr. Also entweder nehmen Sie Ihre Beschlussfassung vom letzten Mal ernst oder nicht. Sie müssen sich schon entscheiden und nicht jedes Argument, was Ihnen gerade einmal passt, vorbringen. Das ist keine seriöse Argumentation.

(Beifall CDU, FDP)

Genauso, Frau Müller, das Problem, das Sie hier beschreiben, werden Sie damit nicht lösen. Wenn

Sie Alleinerziehenden die Möglichkeit in einem größeren Maße einräumen wollen, neben Kinderbetreuung auch entsprechend in den Unternehmen zu arbeiten, dann müssen Sie anders ansetzen. Das werden Sie nicht mit der Allgemeinverbindlichkeit lösen, sondern das werden Sie mit Betreuungsmöglichkeiten lösen können.

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Und mit höheren Löhnen!)

Unfug, höhere Löhne! Das ist doch völliger Unsinn. Sie wissen doch ganz genau, dass sich die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zum Teil auch nur in den unteren Lohnbereichen wiederfindet. Das heißt, Sie gehen hier völlig an der Wirklichkeit vorbei, meine sehr verehrten Damen und Herren. Sie haben von der realen Welt, die draußen existiert, hier überhaupt nichts mehr in den letzten ein bis zwei Jahren mitbekommen.

(Zurufe Abgeordnete Böschen [SPD], Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen])

Denn die Wahrheit ist, dass Sie hier mit frühkapitalistischen Vorurteilen arbeiten, dass jedes Unternehmen, das nicht dem Arbeitgeberverband angehört, in Ihren Augen ein Ausbeuterunternehmen ist, die sich von einer fairen Bezahlung weit entfernt haben. Mitnichten, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Vorurteil, das Sie hier pflegen, stimmt schlichtweg nicht.

(Beifall CDU, FDP)

Deswegen reicht so ein pauschaler Antrag nicht, um das, was Sie wollen, nämlich die Stärkung der Tarifautonomie, herbeizuführen. Sie müssen sich natürlich dann schon einmal Gedanken machen, wie sieht es denn aus, wer schließt eigentlich mit wem Tarifverträge? Das sind natürlich in Ihren Augen nur die Gewerkschaften, die Ihnen konform erscheinen. Also es darf nur eine DGB-Gewerkschaft sein, schätze ich einmal –

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Unsinn!)

Ja, aber da fängt es doch schon an, dann haben Sie zwei Gewerkschaften, die vielleicht konkurrierende Tarifverträge schließen. Welcher gilt denn dann als allgemein verbindlich? Solche Bereiche gibt es übrigens an der Stelle.

(Abgeordnete Böschen [SPD]: Und das wissen wir sogar!)

Und warum schreiben Sie es in Ihren Antrag dann nicht hinein, Frau Böschen, und ignorieren diese Fakten schlichtweg? Ihnen geht es nur um Populismus. Ihnen geht es um Symbolpolitik. Wer ist der Gerechteste in diesem Land? In diesen Wettbewerb werden wir nicht einsteigen, weil es mit seriöser Politik nichts zu tun hat. Es hat auch nichts damit zu tun, die Tarifpartner, die Tarifautonomie zu stärken, nämlich dass zwischen den Tarifpartnern ein entsprechender Lohn ausgehandelt wird. Es sind die Gewerkschaften, denn die Gewerkschaften haben das gleiche Problem: Wie viele Arbeitnehmer sind denn noch organisiert? Tun Sie doch nicht so, dass die Gewerkschaften einen besonders hohen Organisationsgrad hätten. Also wie können Sie die Tarifpartner stärken, auf der einen Seite die Gewerkschaften, die zum Teil auch nur noch einen Organisationsgrad von circa 20 Prozent haben? Was hat das denn mit repräsentativer Vertretung von Arbeitnehmerinteressen zu tun? Offensichtlich gibt es an der Stelle auch großen Defizite, meine Damen und Herren! Auf der anderen Seite sind die Arbeitgeberverbände natürlich auch aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Verbände attraktiv sind. An der Stelle müssen Sie beginnen, damit es eine weitere, eine vertiefte Verbreitung von Tarifverträgen gibt.

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Jetzt machen Sie mal einen Vorschlag!)

Alles andere ist hier ehrlicherweise nur Symbolik. Es grüßt der 26. Mai 2019. – Vielen Dank!

(Beifall CDU, FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Böschen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Genau! Jetzt sollen wir die Arbeit einstellen, nur weil Herr Kastendiek den 26. Mai 2019 vor Augen hat.

(Beifall SPD)

In Betrieben mit Tarifbindung gibt es 20 Prozent mehr Verdienst, das macht über das Jahr circa 7 000 Euro aus, dort gibt es kürzere Arbeitszeiten und längere Urlaubsansprüche. Alles in allem also etwas, das sich für die Belegschaft, für die Beschäftigen dieser Betriebe mehr als lohnt.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es lohnt sich aber nicht nur für die Beschäftigen, sondern auch für das Unternehmen selbst, weil sehr viele Unternehmen durchaus beschreiben, dass es eine Erleichterung ist, dass Tarifverträge diesen ganzen Rahmen regeln und sie das nicht permanent selbst aushandeln müssen. Diese Betriebe haben in der Regel ein besseres Betriebsklima, eine höhere Motivation der Beschäftigten, einen Wettbewerbsvorteil in der Akquise von Fachkräften sowie eine Möglichkeit des fairen Wettbewerbs mit anderen Unternehmern derselben Branche. Das sind alles hervorragende Vorteile. Trotzdem müssen wir feststellen, wie es eben ausgeführt wurde, die Tarifbindung nimmt aus meiner Sicht dramatisch ab. Woran liegt das?

Wir haben tatsächlich eine Deregulierung von Produktmärkten, ja! Wir haben eine Auslagerung von Firmen ohne Tarifbindung, und genau da passiert das, Herr Kastendiek, was Sie beschrieben haben. Wenn wir uns die Post anschauen, die früher eine hundertprozentige Tarifbindung hatte: Heute gibt es die ganzen vielen kleinen Postdienstleister, zum Teil ohne Betriebsräte, die tatsächlich Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinneninteressen einfordern könnten. Das Gleiche gilt für die Pflegedienste. Welcher Pflegedienst hat einen Betriebsrat? Wo wird hier tatsächlich geschaut, dass entsprechende Arbeitsbedingungen und Einkommenssituationen verhandelt werden?

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben einen Strukturwandel von den mitbestimmungsstarken Branchen hin zu immer mehr Dienstleistungssektoren mit immer kleineren Betrieben, in denen weder Gewerkschaften noch Tarifverträge eine Rolle spielen, da bin ich völlig bei Ihnen, Herr Kastendiek, aber ich halte das ehrlich gesagt für absolut desaströs, dagegen muss man etwas unternehmen.

Wenn wir uns die neu gegründeten Unternehmen, insbesondere im IT-Bereich oder im Osten anschauen, dann stellen wir fest, dass diese immer weniger in den Arbeitgeberverbänden organisiert sind. Von wegen Tarifautonomie, nichts! Das geht den Bach herunter. Diese Entwicklung, das wissen Sie alle, führt dazu, dass zwar immer billiger produziert werden kann, die Löhne und Arbeitsbedingungen in diesen Branchen aber immer unattraktiver werden. Nicht umsonst gibt es einen Fachkräftemangel im Logistikbereich, im Einzelhandel, im IT-Bereich. Das hat Gründe, warum es das in diesem Fachkräftebereich gibt. Deswegen, meine Da

men und Herren, brauchen wir eine weitere Stärkung des Instrumentes der Allgemeinverbindlichkeitserklärung.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)