Protocol of the Session on October 15, 2015

Das Wort hat der Abgeordnete Röwekamp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor drei Wochen hat die Bremische Bürgerschaft aus Anlass der Abgabe einer Regierungserklärung von Bürgermeister Dr. Sieling ihre Erwartungshaltung an den unmittelbar bevorstehenden Gipfel der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung formuliert. Wir haben im Parlament, wie ich finde, bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen eine sehr sachliche Debatte geführt. Der Bürgermeister hat seine Position im Vorfeld dieses Flüchtlingsgipfels genannt, und die Debatte hat dem Parlament damals gutgetan.

Wenn wir jetzt Bilanz ziehen, dann müssen wir sagen, jawohl, das, was die Bundesregierung aus Anlass des Flüchtlingsgipfels mit den 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder vereinbart hat, ist ein guter, ist ein tragfähiger, ein auf breiten Konsens angelegter Kompromiss. Ich finde, der Kompromiss ist richtig gut verhandelt worden, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD)

Das sage ich auch ganz bewusst, obwohl es nach dem Gipfel wie immer, wenn man Kompromisse findet, Deutungshoheiten gibt. Je nach dem, wem man gerade zugehört hat, ist ja als das Ergebnis festzuhalten, dass sich jeder überwiegend durchgesetzt hätte. Ich kann Ihnen sagen, ein breiter politischer Konsens wird davon getragen, dass jeder seinen Anhängerinnen und Anhängern vermittelt, dass das ein Kompromiss gewesen ist, der von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird.

In dem Zusammenhang muss man sagen, ja, ein Kompromiss ist immer ein Geben und ein Nehmen. Derjenige, der mit der Erwartungshaltung in die Verhandlungen gegangen ist, er könne sich in allen Punkten durchsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätte überhaupt keine Einigung erreicht.

Ich will deswegen ausdrücklich sagen, es mag vielleicht sein, dass insbesondere die CDU/CSU sich bei

der Frage der Ausweisung zusätzlicher sicherer Herkunftsländer durchgesetzt hat. Es mag auch sein, Herr Bürgermeister Sieling, dass sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit ihrer Forderung nach einer finanziellen Beteiligung oder der Übernahme der Kosten für die Unterhaltung der Flüchtlinge durchgesetzt haben. Es mag auch sein, dass sich die Grünen bei der Frage durchgesetzt haben, ob es außerhalb des Asyls und außerhalb der Genfer Flüchtlingskonvention Möglichkeiten der legalen Zuwanderung, insbesondere für Menschen aus dem Westbalkan, nach Deutschland gibt.

Trotzdem steht am Ende ein Kompromiss, der in allen Einzelheiten von allen Teilnehmern – mit einer Ausnahme – getragen worden ist. Der Thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte, wie wir mittlerweile wissen, in weiser Voraussicht in einer Protokollnotiz angekündigt, dass er für nichts garantieren könne. So ist es dann ja auch gekommen, im Übrigen nicht wegen der rot-grünen Regierungsmitglieder, sondern wegen der Regierungsmitglieder aus seiner eigenen Partei.

Das war aber auch die einzige Protokollnotiz, die er abgegeben hatte, sodass man den Eindruck haben konnte, jawohl, die CDU/CSU, die Bundesregierung und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder stehen hinter der Vereinbarung. Die Sozialdemokraten stehen hinter dieser Vereinbarung, und auch die Grünen waren an der Vereinbarung beteiligt. Es ist also eine gute Grundlage dafür, dass wir bei einem zentralen Thema, das dazu geeignet ist, große Ängste und Verunsicherungen auszulösen und Rechtspopulisten Zulauf zu verschaffen, einen breiten politischen Konsens gefunden haben. Ich fand das Ergebnis richtig gut, und ich möchte mich bei Ihnen, Herr Bürgermeister Dr. Sieling, dafür bedanken, dass Sie so gut und erfolgreich für Bremen verhandelt haben.

(Beifall CDU, SPD)

Ja, es stimmt auch, der Kompromiss wird verunglimpft. Das ärgert mich besonders, und zwar insbesondere dann, wenn ich gestern einige Ausschnitte aus Debattenbeiträgen der Mitgliederversammlung der Grünen gehört habe. Ich will ausdrücklich sagen, ich habe kein Verständnis dafür, dass die Bremer Grünen dafür sorgen wollen, dass sich Bremen am Freitag im Bundesrat diesem breiten gesellschaftlichen Konsens nicht weiter anschließen kann. Eine Enthaltung wirkt im Bundesrat wie eine Ablehnung. Derjenige, der diesen gefunden Kompromiss ablehnt, meine Damen und Herren, der zeigt, dass er in Deutschland und in Bremen nicht regierungsfähig ist, derjenige verweigert sich in einer ganz entscheidenden Situation der Staatsräson.

(Beifall CDU)

Da wurde behauptet, dass die Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsländer eigentlich nur eine Aktion gegen die Minderheiten der Sinti und Roma sei. Meine Damen und Herren, ich finde es schon fast hetzerisch, auf welche Weise Sie eine solche Debatte führen, weil Sie die Augen vor der Wahrheit verschließen. Ich zitiere aus einem Gastbeitrag von Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier im „Spiegel“ dieser Woche. Sie schreiben – ich zitiere –: „Ja, wir hatten einen hohen Anteil von Flüchtlingen aus dem westlichen Balkan. Diese haben aber keine Chance auf Anerkennung auf Asyl. Sie müssen rasch in ihre Heimat zurückkehren.“ Genau! Recht haben diese beiden Herren von der Bundesregierung!

Das Grundrecht auf Asyl ist nicht die Lösung für die Minderheitenprobleme von Sinti und Roma. Das ist eine europäische Aufgabe. Wir haben eine nationale Verantwortung. Wer den Menschen aber vorgaukelt, man könnte sie über das Asylrecht lösen, der verschließt die Augen vor der Wirklichkeit auch in Bremen und Bremerhaven.

(Beifall CDU, SPD)

Ist es für diese Menschen denn eine bessere Perspektive, nach Deutschland zu kommen, nach einem Verfahren mitgeteilt zu bekommen, ihr werdet auch als Asylbewerber nicht anerkannt, mit Abschiebeaufforderung und Ausreisepflicht belegt zu werden und in Deutschland auf Monate, auf Jahre, auf Jahrzehnte keine Bleiberechtsperspektive zu haben? Nein, es ist die falsche Antwort für diese Menschen. Die richtige Antwort ist, diesen Menschen einen legalen Zugang nach Deutschland und insgesamt nach Europa zu geben, wie es dieses Bündnis getan hat und wie es der Kompromiss vorsieht. Das ist die ehrliche Antwort. Es darf keine populistische Antwort geben, wie sie gestern von den Grünen in Bremen gegeben worden ist.

(Beifall CDU)

Ich habe mich maßlos geärgert, als ich gehört habe, dass Bremen und die grünen Grundsatzpositionen nicht käuflich wären. Es unterstellt nämlich, dass die anderen politischen Parteien, die diesen Kompromiss mittragen, und dass die Ministerpräsidenten, die am Tisch gesessen haben, käuflich gewesen wären. Nein, es ist eben ein Kompromiss. Bei einem solchen Kompromiss geht es um die Begrenzung von Zuwanderung, um die Beschleunigung der Verfahren, um Möglichkeiten, auch für den Westbalkan legale Zuwanderung zu ermöglichen. Es geht darum, Kommunen und Länder von den einseitigen Lasten dieses Flüchtlingszustroms zu befreien und ihnen Erleichterung zu verschaffen.

Diese Regierung, dieser Senat ist entgegen der Ankündigungen der Grünen und den Mutmaßungen eben gerade nicht käuflich. Er ist konsensfähig, meine

Damen und Herren. Das ist ein großer Unterschied zu dem, was Sie auf Ihrer Mitgliederversammlung verkündet haben.

(Beifall CDU, SPD)

Deswegen werden sich morgen im Bundesrat ganz maßgebliche Fragen stellen, erstens: Sind die Bremer Grünen eigentlich überhaupt noch koalitionsfähig?

Zweitens: Sind die Grünen insgesamt überhaupt noch in der Lage, auf die großen Probleme in unserem Land eine kompromissfähige und gesellschaftlich tragfähige Antwort zu geben?

Gerade das Letzte ärgert mich sehr. Ja, der Bundestag hat heute vorgelegt. 475 Abgeordnete haben für diesen Kompromiss gestimmt. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen für Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD)

Das Verhalten der Grünen auf Bundesebene finde ich aber auch fatal für die demokratische Kultur in Deutschland. Sie sagen, wir stimmen abschnittsweise ab, weil wir gegen die sicheren Herkunftsländer und gegen die Beschleunigung von Asylverfahren sind, aber das Geld, die die Bundesregierung auf den Markt wirft, nehmen wir gerne. Wer ist denn da käuflich, frage ich die Grünen in Bremen!

(Beifall CDU)

Demokratie versteht sich nicht als Rosinenpickerei. Man kann sich weder in der Regierungsverantwortung noch in der Opposition nur die Sachen heraussuchen, die einem gefallen. Regierungsverantwortung bedeutet eben auch, Konsense einzugehen und sich an Absprachen zu halten. Ein solcher Konsens bedeutet auch, wenn die Grünen an diesem Verhandlungstisch gesessen haben, haben die Grünen auch insgesamt eine Verantwortung. Es sind Spielchen, bei denen geschaut wird, wie die Mehrheitsverhältnisse am Freitag sind. Wir werden rot-grüne Stimmen für diesen Kompromiss benötigen. Die Grünen werden den Ausschlag dafür geben, ob es diesen breiten gesellschaftlichen Konsens in Deutschland gibt oder nicht.

Nun können Sie Bremer Grünen sagen: Wir sind die besseren Grünen. Wir wissen es besser als Herr Kretschmann in Baden-Württemberg. Wir wissen es vielleicht auch besser als die Grünen in Hamburg. Wir wissen es besser als die Grünen in NordrheinWestfalen. Das Motto „Wir schauen einmal, wer schon zustimmt; denn wenn die Mehrheit zustimmt, müssen wir Bremer Grünen nicht mitmachen und machen uns einen schlanken Fuß“ ist aber eine Bankrotterklärung der politischen Verantwortung. – Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, es ist jetzt etwas über 20 Jahre her, als CDU und SPD im Dezember 1992 den sogenannten Asylkompromiss vereinbarten. Das war der erste Angriff auf das im Grundgesetz geschützte Asylrecht.

(Beifall DIE LINKE)

Das durch die Verfassung geschützte Asylrecht war eine Errungenschaft und Lehre aus dem Nationalsozialismus. Die bestialischen Verbrechen der Schoa, der Vernichtung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden sind in unser Geschichtsgedächtnis eingebrannt. Der Porajmos, was auf Romanes für Verschlingen steht, bezeichnet die Vernichtung von rund 500 000 Sinti und Roma durch die Nazis. Das gerät eher in Vergessenheit, gehört aber genauso zur historischen Verantwortung der BRD.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Das Grundgesetz schreibt angesichts dieser Vergangenheit als eine von wenigen Verfassungen weltweit das Recht auf Schutz fest. Das ist eine Errungenschaft, meine Damen und Herren.

1993 wurde der erste Angriff auf dieses Grundrecht vorgenommen. Es wurden die sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erfunden, in denen angeblich sicher ist, dass es keine Verfolgung und keine Menschenrechtsverletzungen gibt. 1993 wurden Ghana und Senegal als sicher deklariert. Heute stellen wir fest, dass im Senegal zum Beispiel Homopaare mit fünf Jahren Haft bestraft werden. Wir haben hier über die Rechte von queeren Paaren in dieser Bürgerschaft geredet. Ghana und Senegal sind ganz sicher nicht sicher, zumindest nicht für diese Gruppe.

Im November 2014 wurden Serbien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina als sicher deklariert. Es gibt eine Bremer Reisegruppe, die dort war. Ich habe den Bericht und möchte daraus ein paar Beispiele über die Situation der Roma in Serbien nennen.

66 Prozent der Roma in Serbien haben keinen Zugang zu Medikamenten. Beim Rest der Bevölkerung sind es 32 Prozent. 67 Prozent der Roma in Serbien sind unterernährt. In der Gesamtbevölkerung sind es 13 Prozent. Sie wohnen in Elendsvierteln ohne sanitäre Einrichtungen. Ich glaube, „sicher“ sieht anders aus.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Das glauben im Übrigen auch Gerichte, die kumulative Verfolgungsgründe zu den vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten anerkannt haben, und zwar auch zu Serbien.

Das zeigt, dass Gerichte im Hinblick auf bestimmte Minderheiten eine andere Meinung haben.

Ich habe eben eine Freundin getroffen, die Romani ist, und sie hat mir berichtet, dass sie im Augenblick stark unter Druck gerät. Sie hat in Serbien eine extreme geschlechtsspezifische Verfolgung durch nicht staatliche Akteure erlebt. Die geschlechtsspezifische Verfolgung wird in Serbien nicht geahndet, sie wird von staatlichen Akteuren toleriert. Die serbischen Staatsorgane schützen sie nicht. Sie kann im Gegensatz zu dem, das Sie hier deklarieren, nicht abgeschoben werden, weil sie schwer traumatisiert ist. Sie hat gesundheitliche Gründe, um in Bremen bleiben zu können.

Der Kosovo, Albanien und Montenegro, die jetzt zu sicheren Staaten erklärt werden sollen, sind nicht so sicher, wie immer getan wird. Allein im Kosovo sind 5 000 KFOR-Soldaten stationiert. Laut EULEX-Mission ist keine funktionierende Justiz im Kosovo vorhanden. Weiterhin ist kein wirksamer Schutz vor Verfolgung vorhanden, vor allen Dingen für Roma.

Diese Problematik ist der Bremischen Bürgerschaft bewusst, denn im Jahr 2010 hat sie beschlossen, dass keine Roma in den Kosovo abgeschoben werden sollen.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben den Antrag seinerzeit unterstützt und haben ihn unterzeichnet. Zusammen mit den Koalitionsfraktionen haben wir gefordert, dass das Ermessen bei der Erteilung humanitärer Aufenthaltserlaubnisse ausgeschöpft werden soll, und wir haben uns für ein langfristiges Bleiberecht eingesetzt.

Im Kosovo hat sich seit 2010 nichts geändert. Diejenigen, die den Kosovo heute zu einem sicheren Herkunftsland erklären, konterkarieren den 2010 beschlossenen Antrag und befürworten kein Bleiberecht und den Ausschluss humanitärer Aufenthaltserlaubnisse. Wenn eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis unbegründet erteilt wird, erwirbt man keinen Aufenthaltstatus, und die Folge ist die Abschiebung. Das ist genau das Gegenteil des im Jahr 2010 in diesem Hause gefassten Beschlusses.

Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ist geprägt von Willkür, und das widerspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Kommission schlägt vor, die Türkei als sicheres Herkunftsland einzustufen. Herr Steinmeier verhandelt im Augenblick mit Recep Tayyip Erdogan. Wenn wir uns vor Augen führen, was in Ankara, in Cizre und Suruç passiert ist, dann glaube ich nicht, dass die Türkei ein sicherer Staat ist.