Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal freue ich mich, dass die Frage der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche Thema hier im Haus ist, darüber kann man aus meiner Sicht gar nicht oft genug sprechen. Frau Böschen und auch Frau Kohlrausch haben eben in der Bildungsdebatte auch gesagt, da kommen die Kinder verschiedenster Art her, aber das ist das Fundament für eine Bildungskarriere. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass Kinder mit Gewalterfahrungen es unglaublich schwer haben, genau dieses Fundament für eine Bildungskarriere aufzubauen. Das wissen Sie aus Ihrer Lehrpraxis mit Sicherheit genauso. Gewalt gegen Kinder ist sehr zerstörend und hat Auswirkungen, die man in Wirklichkeit ganz schlecht beschreiben kann.
Ich sage es einmal so: Es ist noch gar nicht so lange her, als körperliche Züchtigung ein probates Mittel der Pädagogik war. Ich kann mich selbst an meine Schulzeit erinnern, ich war ein bisschen ein quirliges Kind und musste in der ersten Klasse in der Ecke stehen,
vor der ganzen Klasse. Auch das ist eine Form von Gewalt und Demütigung, die heute mit Sicherheit keiner mehr machen würde. Der Klassenlehrer ist schon gestorben, er hieß damals Stock, und sein Name war tatsächlich Programm. Wenn man nicht so gehorcht hat, wie er sich das vorstellte, mussten wir die Hände vor ihm hinhalten, und er hat dann mit dem Lineal auf die Hände geschlagen. Auch das ist Gewalt.
Es gibt viele, die sagen, ach, so eine kleine Tracht Prügel schadet nichts, und viele, die es erlebt haben, sagen hinterher, es hat mir ja auch nicht wirklich geschadet. Das ist ein riesengroßer Irrtum! Ich glaube, jeder Mensch, der solche Erfahrungen macht, trägt ein gewisses Päckchen mit sich. Im Übrigen, um das an dieser Stelle auch zu sagen, ist
Es ist nun aber auch so, und das wissen wir, dass Gewalt in den Familien äußerst häufig vorkommt und gerade die Einrichtungen, die wir haben – das Bremer JungenBüro, dass Mädchenhaus, Schattenriss und der Kinderschutzbund – sehr gute Arbeit machen, das möchte ich an dieser Stelle durchaus auch lobend erwähnen. Sie machen sehr gute Arbeit, aber sie sagen auch, sie erreichen natürlich nicht alle Kinder und Jugendlichen. Das ist klar, weil viele sich nicht trauen, eine Einrichtung aufzusuchen.
Deswegen muss man die Frage, ob man eine solche Interventionsstelle einrichtet, meiner Meinung nach noch weiter diskutieren. Der Antrag besagt, wir wollen ein Konzept, wir wollen einen Vorschlag, wie es geht und wie es gehen kann, und genau das finde ich richtig. Ich finde, wir brauchen genau über die Frage, wie es geht, an welcher Stelle man wie eine solche Stelle einrichten kann, jetzt eine Fachdiskussion mit den beteiligten Trägern. Ich werde ganz bestimmt nicht jetzt schon sagen, das ist zusätzlich, wenn ich noch nicht einmal weiß, wo eine solche Stelle möglicherweise angesiedelt werden kann und welche Kosten dann entstehen. Das werden wir dann besprechen und dann mit Sicherheit auch entsprechend finanziell hinterlegen, da seien Sie einmal ganz gewiss, Frau Ahrens!
Ich glaube nur, dass wir die Diskussion jetzt erst einmal führen müssen, da gibt es einiges zu diskutieren. Die Wächterfunktion des Jugendamtes darf eine solche Stelle überhaupt nicht infrage stellen. Es darf an dieser Stelle keine Schwächung des Jugendamtes geben, weil es gar nicht anders geht. Im Zweifel ist das Jugendamt die Institution, die überhaupt Inobhutnahmen einleiten kann. Das kann nicht eine irgendwie geartete Stelle, sondern das kann und muss das Jugendamt machen. Da muss man also schauen, welche Aufgaben eine solche Stelle hat und wie die Verbindung zum Jugendamt und zu den anderen Trägern in der Gesamtkonzeption passt.
von Kindern und Jugendlichen ist, und ich bin manchmal froh, dass wenigstens im Bildungsbürgertum völlig klar ist, dass man Gewalt nicht anwenden soll. Im Übrigen muss man sich aber auch nichts vormachen, es gibt sehr subtile Gewaltformen, auch psychische Gewalt kann man an dieser Stelle ansprechen. Wenn wir alle diese Fragen fachlich korrekt auf einem Fachtag diskutieren, dann werden wir auch mit den Trägern, die schon am Start sind, eine gemeinsame und gute Lösung finden, die uns weiterhilft, mehr von diesen Opferkindern und -jugendlichen zu erreichen, und das ist ja das Ziel, das dahintersteht.
Ich weiß, dass viele sich nicht trauen, sich dem Jugendamt zu nähern, weil oft gesagt wird, das Jugendamt nehme ja die Kinder weg. Das ist so eine gängige Vorstellung.
Ich komme zum Schluss! Ich glaube, dass der Ruf des Jugendamtes schlechter ist als seine Arbeit, aber das kann helfen, eine Stelle einzurichten, die mit dem Jugendamt gemeinsam versucht, mehr Kinder und Jugendliche zu erreichen, die Gewalterfahrungen gemacht haben. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir weiter eine erfolgreiche Debatte über dieses Thema führen und einen entsprechenden Fachtag einrichten, auf dem man das noch einmal ausführlich diskutieren kann, und dann werden wir das auch vernünftig finanzieren.
Der Antrag der CDU ist wortgleich mit unserem, außer dass das Wort „zusätzlich“ darin steht, und das Zusätzliche machen wir erst dann, wenn wir es inhaltlich so weit geklärt haben, dass wir genau wissen, wie es dann gehen soll. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zur Einleitung zu diesem Thema einmal aus dem sechsten Bericht der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Häusliche Beziehungsgewalt“ zitieren. Der sechste Bericht stammt aus dem Jahr 2014, und dort wird das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen zitiert: „Häusliche Gewalt gegen Frauen ist noch immer eine der
am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit und eines der größten weltweiten Probleme. Neun von zehn Personen, die in der EU Opfer von Gewalt in der Partnerschaft werden, sind Frauen. Der Anteil der Frauen in den EUMitgliedsstaaten, die Opfer physischer Gewalt seitens ihres Partners werden, liegt zwischen zwölf und 35 Prozent“.
Das Problem bei häuslicher Beziehungsgewalt ist also sehr groß, das hat der Senat ja erkannt, und deswegen gibt es diese ressortübergreifende Arbeitsgruppe, die im Jahr 2014 ihren sechsten Bericht vorgelegt hat.
In dem dortigen Kapitel 3.3, „Kinder und Jugendliche unterstützen“ steht, dass in der parlamentarischen Befassung mit dem fünften Bericht, der davor vorgelegt wurde, die Unterstützung mitbetroffener Kinder und Jugendlicher als Opfer von Gewalt oder als Miterlebende – also wenn sie es mit anschauen – als sehr wichtig angesehen wird, weil sie psychische Folgen erleiden. Es kann aber auch sein, dass sie in solchen Situationen selbst Opfer tätlicher Übergriffe werden. Hier wird zitiert, dass Fachleute aus Bremen die Notwendigkeit einer gezielten Ansprache von Kindern und Jugendlichen bei Gewalt in ihrer Familie, ihrer Väter gegenüber ihren Müttern, bestätigen.
Quasi als Fazit wird empfohlen: Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen brauchen mehr Beachtung. Es fehlt an proaktiver eigener Ansprache. Die Vernetzung von entsprechenden Fachleuten bei Gewalt in der Familie und häuslicher Beziehungsgewalt sollte verbessert werden. Das war im Jahr 2014.
Es ist schon seit längerer Zeit bekannt, aber getan hat sich an dieser Stelle leider relativ wenig, bis sich die Kollegin Görgü-Philipp darum gekümmert hat. Dafür möchte ich ihr an dieser Stelle auch noch einmal meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. Frau Kollegin Görgü-Philipp ist nach Rostock gefahren, hat sich die Interventionsstelle dort angesehen, und sie hat es mit ihrem eigenen Engagement jetzt auch so weit gebracht, dass wir an dieser Stelle heute diesen Antrag beraten. Das finde ich gut, und ich finde, dafür gebührt ihr auch persönlicher Dank.
Viele aus diesem Bereich sagen, dass man an dieser Stelle eine Interventionsstelle unterhalb des Jugendamtes braucht, die mit Kindern und Jugendlichen in solchen Situationen gezielt arbeiten kann, die ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann, aber natürlich mit dem Jugendamt, mit der Polizei und weiteren Beteiligten und mit anderen Beratungsstellen zusammenarbeiten, die für die Erwachsenen da sind, sage ich einmal, mit Frauenhäusern et cetera. Genau diese Zusammenarbeit ist notwendig, und dafür ist es auch gut, dass ein solches Konzept erstellt und geschaut wird, wer in Bremen eigentlich genau beteiligt werden muss, wie das aussehen kann und wie viele Stellen dafür nötig sind. Natürlich darf das nicht zulasten irgendeiner anderen Struktur gehen, ich hoffe, das ist selbstverständlich, und wir werden uns auch ganz genau anschauen, wie es dann im Ergebnis aussieht.
Ich finde es aber gut, dass man sich jetzt auf den Weg macht, um endlich diese Empfehlungen aus dem Jahr 2014 anzugehen und umzusetzen und ein solches Konzept zu erstellen.
Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern wir können nach Rostock oder Mecklenburg-Vorpommern schauen, wo es insgesamt fünf solcher Interventionsstellen gibt. In Göttingen gibt es seit 2009 übrigens auch so eine Interventionsstelle, die eigenständig von einem feministischen Verein getragen wird, aber gezielt Kinder- und Jugendberatung für Fälle häuslicher Beziehungsgewalt eingeführt hat. Ich glaube, da kann man auch viel von den Vorerfahrungen an anderer Stelle lernen.
Ich finde es gut, dass jetzt endlich dieser Weg beschritten wird, ich bin gespannt auf das Ergebnis, und wir wünschen diesem Projekt von dieser Stelle aus schon einmal alles Gute. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Peter ist sieben, er wirft die Nachtwindel von sich, es ist sechs Uhr. Langweilig. Ihm ist oft langweilig, weil Kinder nicht mit ihm spielen. Seine Eltern schlafen noch. Die Schwester wacht auf. Sie findet ein Feuerzeug und bekommt es an. Er beobachtet fasziniert das Feuer. Plötzlich bekommt er Angst, er
rennt und zerrt den Vater aus dem Bett. Als das Feuer gelöscht ist, bekommt er Prügel mit dem Gürtel. Er lacht laut, er weint nicht mehr. Er kann das mittlerweile aushalten. Aus dem Hemd des Vaters fällt ein Foto, darauf schauen unter einem schweren Sessel Jungenbeine und ein nackter Jungenhintern hervor, der mit Striemen überzogen ist. Es ist das letzte Foto, das der Vater von seinem eigenen Elternhaus besitzt. Aufgenommen wurde es von einem Mitarbeiter des Jugendamtes an dem Tag, als er selbst aus seiner Familie genommen wurde.
Kinder gehören zur schwächsten Bevölkerungsgruppe, und es ist die Verantwortung der gesamten Gesellschaft, dass Kinder behütet heranwachsen und zu gesunden, leistungsfähigen Erwachsenen und auch zu sozial kompetenten Erwachsenen werden können. Das eigene Zuhause sollte der Ort sein, an dem Geborgenheit, Schutz, Ermutigung, Versorgung und Entspannung zu Hause sind.
Wenn Kinder oder Jugendliche in den eigenen vier Wänden körperliche oder seelische Gewalt erleben, wird Vertrauen zerstört und die Vertrauensfähigkeit grundlegend zerstört. Kinder und Jugendliche, die von den Eltern misshandelt werden, geraten in einen schleichenden Prozess psychischer und physischer Verletzungen und befinden sich dauerhaft in einer Art Schockzustand, der Angst und Irritation produziert, Aufnahmefähigkeit blockiert und ihre Lernfähigkeit massiv reduziert. Um sich selbst zu schützen, sind sie gezwungen, sich den Bedürfnissen der Misshandelnden anzupassen, sich deren Forderungen unterzuordnen.
Mit einem Weltbild aufzuwachsen, in dem Menschen als Unterdrücker oder Unterdrückte agieren, birgt die Gefahr, dass man selbst im Leben nur die Möglichkeit sieht, als Unterdrücker oder Unterdrückter oder beidem im Wechsel zu agieren. Während wir Spuren physischer Gewalt sehen können, ist psychische Gewalt in ihrer Wirkung nach außen kaum erkennbar oder einschätzbar. Aber massiver Druck, Unterdrückung, Isolation, permanente Entwertung, völlig fehlendes, völlig übermäßiges oder paradoxes Erziehungsverhalten und Loyalitätskonflikte hinterlassen ihre Spuren in der Psyche des Kindes.
Um fürchterliche kindliche Dramen und generationsübergreifenden Kreisläufe von Gewalt zu durchbrechen, brauchen wir in Bremen eine Interventionsstelle, an die sich direkte und indirekte
Opfer wenden können. Gewalt in der Familie erzeugt Schuld- und Schamgefühle. Der Wunsch, zu ignorieren was passiert ist, hindert alle Beteiligten daran, über die familiäre Situation zu sprechen. In der Interventionsstelle sollen die Betroffenen einen sicheren Raum für Zuwendung, einfühlsame Gespräche, Therapieangebote oder auch Unterschlupf in einer Wohnung finden.
Was wir nicht brauchen: Ein hundertstes Unterstützungsangebot, dessen Finanzierung nach einem Jahr, wenn man sich das Erreichte werbewirksam auf die Fahne geschrieben hat, wieder heruntergefahren wird. In der Planung darf außerdem der Kardinalfehler nicht passieren, dass häusliche Gewalt als isoliertes Thema betrachtet wird. Gewalt ist fast immer eingebettet in eine ganze Kette anderer Phänomene, die mit betrachtet und angegangen werden müssen.
Eine institutionelle Einbindung in die Beratungsstelle Neue Wege e. V. und in die Arbeit der Frauenhäuser in Bremen halten wir für sinnvoll und mit dem notwendigen ganzheitlichen Blick auf die Thematik auch für erforderlich. Dort gibt es bereits einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit Gewalt, das gilt auch für die Zusammenarbeit mit dem Mädchenhaus Bremen e. V. und dem Bremer JungenBüro e. V. Auch Kinder alkoholkranker Eltern sollen in der Interventionsstelle einen Raum finden, um über ihre Erlebnisse zu reden und Hilfe für die nicht sichtbaren psychischen Schäden zu erhalten.
Im Gegensatz zu dem was ich vorhin meinte gehört zu haben: Familiäre Gewalt kommt in wohlhabenden wie in einfachen Familien vor, sie kommt in einheimischen wie in Migrationsfamilien vor. Daher bedarf es eines kultursensiblen Vorgehens und natürlich auch ausreichender Übersetzungsmöglichkeiten in der Interventionsstelle. Als Freie Demokraten begrüßen wir die Initiative der Koalition und stimmen dem Antrag gern zu. Die Erstellung des Konzeptes, die im Änderungsantrag der Fraktion der CDU detaillierte Vorgaben findet, ist nach unserer Meinung in den Händen des gestaltenden Fachpersonals gut aufgehoben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Der Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen reagiert
auf das von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2017 ratifizierte Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (Istanbul-Kon- vention) sowie die steigende Zahl von Kindern und Jugendlichen in Bremen und Bremerhaven, die als Zeugen und/oder Opfer von häuslicher Gewalt betroffen sind.