Protocol of the Session on October 14, 2015

Ich komme noch einmal zu unserer Begründung, weshalb wir diesen Armutsausschuss brauchen. Ja, der Ausschuss der 18. Legislaturperiode hat 131 Empfehlungen abgegeben, davon 88 in parteiübergreifender Einigkeit. Aber ich möchte wissen, ob endlich etwas passiert. Ich sage Ihnen, warum ich darauf bestehe. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht von 2009 enthielt an die 120 Empfehlungen. Umgesetzt worden sind ganze zwei! Wir haben das im vergangenen Jahr erfahren, weil wir im Mai eine entsprechende Anfrage gestellt hatten. Genau deshalb misstraue ich dem Senat. An dieser Stelle will ich die parlamentarische Kontrolle haben. Deswegen brauchen wir die Verstetigung dieses Ausschusses.

(Beifall DIE LINKE, CDU)

Ich komme zu einem weiteren Grund, warum wir diesen Ausschuss wieder brauchen. Herr Dr. vom Bruch, ich muss Sie leider ein wenig enttäuschen, aber ich möchte noch einmal feststellen, dass wir nur ein Dreivierteljahr Zeit für die Anhörungen hatten. Wir wollten uns auch mit der besonderen Problematik Bremerhavens beschäftigen, haben das aber in der kurzen Zeit nicht geschafft. Daher haben wir uns schon damals dafür ausgesprochen, dass wir uns die Option offenhalten, den Armutsausschuss zu verstetigen, das heißt in der 19. Legislaturperiode fortzuführen. Wir haben uns im Wesentlichen nur mit der Stadtgemeinde Bremen beschäftigt. In Bremerhaven sind die Ursachen für die Problemlagen multipler. Daher erfordert auch die Bekämpfung der Ursachen eine andere Herangehensweise. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass wir diesen Ausschuss wieder einsetzen wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich erinnere an die Abschlussdebatte, die wir hier im April 2015 geführt haben. Schon damals haben wir betont, dass sich der Ausschuss mit einigen Themen nicht beschäftigt hatte, zum Beispiel mit der Altersarmut und dem Einfluss von Armut auf die Gesundheitsversorgung. Seitens der Koalition ist damals der Vor

behalt geäußert worden, wir könnten im Land keine Rentengesetze ändern. Das können wir in der Tat nicht. Aber wir in Bremen können auch die meisten Steuergesetze nicht ändern. Dennoch war das Steuerthema Teil der Bestandsaufnahme und des Befundes. Für uns ist klar, was hier in den letzten Jahren passiert ist. Das Ansteigen der Privatvermögen auf der einen Seite hat zur Verfestigung von Armut auf der anderen Seite geführt.

Auch wenn wir in dem Ausschuss der 18. Legislaturperiode auf Empfehlungen dazu verzichtet haben und obwohl die Bremische Bürgerschaft die Rentengesetze nicht ändern kann, so müssen wir uns doch dringend mit der Altersarmut vor Ort beschäftigen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie wir die Folgen der Altersarmut abfedern können. Das wird ein Riesenproblem werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist Ihnen vielleicht nicht bewusst, aber in einigen Stadtteilen leben viele Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien. Ich weiß, wovon ich rede. Alleinerziehend zu sein bedeutet unter anderem, dass es weniger Rentenpunkte gibt. Laut meinem Rentenbescheid bekomme ich 350 Euro gesetzliche Rente. So geht es doch nicht nur mir, sondern inzwischen einer großen Zahl Männer und Frauen in diesem Land. Für diese Menschen wird das in absehbarer Zeit ein Problem. Wir können sie doch nicht darauf verweisen, dass auf Bundesebene irgendwann Gesetze geändert werden müssen. Wir müssen auch vor Ort, in den beiden Stadtgemeinden, Antworten auf diese Herausforderung finden.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Dr. Güldner, ehrlich gesagt, ich habe auch Sie nicht ganz verstanden. Ich finde, dieser Ausschuss hat gut gearbeitet. Er ist zu mehr und zu besseren Ergebnissen gekommen, als das Bündnis gegen Armut, das zur gleichen Zeit im Rathaus tagte.

(Beifall DIE LINKE)

Auch ich finde, wir müssen darauf drängen, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt werden, insoweit gebe ich Ihnen recht, Herr Dr. Güldner. Wir müssen hinschauen, wie die Umsetzung erfolgt, das heißt, was insoweit in den Deputationen passiert und was der Senat unternimmt. Aber es gibt, wie gesagt, auch Themen, die wir noch vertiefend behandeln müssen.

Frau Ahrens, Sie haben gesagt, es gehe nicht nur um Geld. Ich hätte mir gewünscht, Sie wären in den Ausschüssen anwesend gewesen. Dann wüssten Sie, dass ich von dieser Gießkannenpolitik in Bremen wegkommen möchte. Es darf nicht sein, dass, nachdem Bedarf an Sprachförderung festgestellt wurde, das Geld über die beiden Stadtgemeinden ausgeschüttet wird, dass aber an den entscheidenden Schulen, die es wirklich nötig haben, nur wenig ankommt. Ich habe mich

immer dafür ausgesprochen, schulscharf beziehungsweise kitascharf hinzuschauen.

(Glocke)

Wir haben insoweit tatsächlich auch ideologische Differenzen mit dem Senat. Gerade deswegen ist die Verstetigung wichtig.

Ich zitiere jetzt niemanden von uns, sondern René Böhme. Er sagte, dass wir in Bremen einen aufholenden Bedarf nicht nur im quantitativen –

(Glocke)

ich komme zum Schluss! –, sondern auch im qualitativen Bereich hätten. Dies bedeute eine Ungleichbehandlung bestimmter Einrichtungen in bestimmten Stadtteilen.

Die Diskussion über die Heterogenität ist noch nicht abgeschlossen, auch wenn wir uns in diesem Haus in einigen Punkten geeinigt haben. Mit den Ressorts gibt es insoweit jedenfalls noch große Differenzen. Das ist ein vierter Grund, diesen Ausschuss zu verstetigen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum wir darüber überhaupt diskutieren müssen. Wir waren uns weitgehend einig in der Einschätzung, dass wir als Parlamentarier an diesem Thema dranbleiben müssen. – Ich danke Ihnen!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren uns einig in diesem Ausschuss über diesen Ausschuss und in sehr vielen – zwei Dritteln – der Punkte, aber mir sind kein Beschluss, keine Diskussion bekannt, wo wir uns einig gewesen wären, dass wir diesen Ausschuss nun als Mittel zum Zweck verstetigen sollen. Darüber waren wir uns überhaupt nicht einig, und deswegen hat die Position, die ich hier heute für die grüne Fraktion vertrete, auch durchaus eine Kontinuität in Bezug auf all das, was Sie heute gesagt haben. Sie haben keine einzige Begründung gegeben, weshalb nur die Fortführung dieses Ausschusses zu diesem Ergebnis führen kann. Dafür haben Sie keinen einzigen Grund genannt, und das ist ein wenig schwach für die zwei hier vorliegenden Anträge.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Ich habe Ihnen drei Gründe genannt, aber Sie wollten ja schon den ers- ten Grund nicht hören!)

Generell muss man noch einmal erwähnen, selbstverständlich hat Armut nicht nur etwas mit kleintei

ligen Maßnahmen auf der Stadtteilebene zu tun, Armut als gesamtgesellschaftliches Phänomen hat sehr viel mit Reichtum zu tun. Unsere Fraktion hat immer gesagt, dass Armut und Reichtum zwei Seiten derselben Medaille sind.

Unsere Partei ist in den letzten Bundestagswahlkampf mit der festen Überzeugung gegangen – und viele Menschen haben sich hinterher darüber mokiert, dass es vielleicht das eine oder andere Prozent im Wahlergebnis gekostet hat –, dass wir, wenn wir dem Staat nicht über Erhöhungen von bestimmten Steuern am oberen Ende der Skala die Mittel zur Verfügung stellen, um die Armut auch zu bekämpfen, dann sozusagen die ganze Übung auch gleich sein lassen können. Wir brauchen Mittel, und diese können eigentlich nur aus einer Vermögenssteuer, aus einer Erbschaftsteuer und aus einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes generiert werden, das ist die Überzeugung der Grünen in diesem Punkt.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Ich finde immer noch, dass das eine Prozent oder die eineinhalb Prozente, die es bei der letzten Bundestagswahl gekostet haben mag – genau weiß man das ja nie, da man nicht in die Köpfe der Wählerinnen und Wähler schauen kann –, durchaus wert sind, diesen Standpunkt auch beizubehalten und zu sagen, das ist eine Position, die sich immer rechnet. Wenn man dem Staat erst Geld entzieht, so wie Sie, Frau Steiner, es gern möchten, jedoch hinterher sagt, was er alles nicht mit dem Geld tut, das man eben nicht gibt, dann ist das eine Position, die draußen überhaupt niemand versteht, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Ich möchte noch einmal betonen, dieser Antrag beinhaltet keineswegs, dass wir irgendwann einmal nur einen Bericht über den Sachstand einfordern, sondern unsere Haltung ist, dass wir – das hat auch schon begonnen – in allen Deputationen, Ausschüssen und Gremien, Senat und Bürgerschaft dieses Thema und die Abarbeitung der einzelnen Empfehlungen des Berichts permanent auf der Agenda haben. Das ist unsere Philosophie. Man kann jetzt über Spielplätze in der Vahr reden, aber zu dieser Debatte steht Ihr Antrag, dass man das nur in einem parlamentarischen Ausschuss kann, gegen den Antrag der Koalition, dass man das überall, zu jeder Zeit und immer tun muss und es auch die Aufforderung an alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause ist, das in allen Gremien zu tun.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Lassen Sie mich ganz kurz nur ein oder zwei Beispiele nennen. Die Entwicklung der Ganztagsschule ist doch die Aufgabe der Deputation für Kinder und Bildung,

in der Sie beide auch vertreten sind, und selbstverständlich würden wir doch jederzeit sagen, dass wir den Punkt Ganztagsschulentwicklung und auch die Umsetzungsschritte dessen, was da passieren muss, in dieser Deputation kontinuierlich bearbeiten. Da ist es doch eine Verdopplung, wenn wir das Ganze noch einmal in einem gesonderten Ausschuss machen, das bringt dort gar nichts, sondern die Beschlüsse fallen dann doch am Ende in der Deputation.

Genauso ist es bei anderen Themen. Sie haben zu Recht die Alleinerziehenden angesprochen, es sind die Migrationsbewegungen erwähnt worden. Es gibt inzwischen drei Pakete der Koalition, im Senat, Beschlüsse der Bürgerschaft, wie wir die Integration der ankommenden Flüchtlinge verstärken sollen. Das sind die konkreten Maßnahmen, um die es geht, und Sie haben keinen einzigen Grund genannt, warum dafür dann noch einmal die Fortsetzung dieses Ausschusses notwendig wäre. So ist es bei vielen anderen Themen auch, daher steht diese Frage heute hier zur Debatte. In dieser Frage haben wir uns klar positioniert, und deswegen stellen wir den Antrag der Koalition zur Abstimmung. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als Nächste hat das Wort Frau Senatorin Stahmann.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte mich für die Debatte bedanken, bei der das Thema der Stärkung des sozialen Zusammenhalts noch einmal mit großer Ernsthaftigkeit aufgegriffen wird und alle sich auch einig sind, dass wir in Bremen schon viel getan haben, aber dass es nicht reicht, man sich darauf nicht ausruhen kann, sondern viel zu tun bleibt.

Jetzt gibt es eine Auseinandersetzung darüber, mit welchem Instrument man das Thema noch einmal stärker in den Fokus rückt, sei es durch einen Ausschuss oder die Arbeit in den vielen Deputationen. Ich kann als zuständige Senatorin sagen, dass ich es sehr begrüße, wenn sich alle Deputationen und Ausschüsse, die dem Landtag zur Verfügung stehen, mit diesem Thema befassen, weil es schlichtweg ein Thema des Parlaments insgesamt sein muss.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir bereiten jetzt schon den nächsten Armuts- und Reichtumsbericht vor und werden dem Parlament auch über die durchgeführten Maßnahmen Bericht erstatten, wie es in dem Antrag von Rot-Grün vorgeschlagen wird.

Ich will aber noch einmal dem Argument entgegentreten, hier werde etwas verschlafen, oder der Senat brauche einen Weckruf. Noch einmal in aller Ernsthaftigkeit, es war dieser Senat, der den Ausbau der

Kindertagesbetreuung ganz groß zur Sprache gebracht und einen Entwicklungsplan für die nächsten fünf Jahre vorgelegt hat.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Man kann ja viel vorwerfen, aber hier jetzt wirklich nicht behaupten, es hätte da jemand geschlafen.

Wir haben den weiteren Ausbau der Ganztagsschulen vorangetrieben, die Quote der Schulabbrecher wurde gesenkt, und wir waren das erste Bundesland, das präventive Armutsbekämpfung betreiben wollte, indem ein Mindestlohn eingeführt wurde.

(Beifall SPD)

Wir dürfen die stattgefundenen Erfolge – ich sage einmal, auch angestoßen von verschiedenen Fraktionen hier im Haus – nicht verschweigen. Wir müssen einfach sehen, dass sich einiges auch bewegt hat. In Bezug auf die Schulsozialarbeiter – als Geschenk dargeboten bekommen von der CDU mit einem Teilhabepaket – hat man gesagt, Länder, wir geben euch für eine bestimmte Zeit die Schulsozialarbeiter. Es war diese Regierung in Bremen, die erklärt hat, wir führen das Programm fort, und wir haben 50 Stellen abgesichert, daher kann man doch nicht sagen, hier würde jemand – –.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Was war das für eine Geburt! – Abg. Frau Ahrens [CDU]: Aber wir haben dafür gekämpft, und das von Anfang an!)

Das ist egal! Frau Ahrens, es wurde aber gemacht, und deshalb kann man nicht behaupten, wir hätten das an der Stelle verschlafen, denn der Senat hat hier reagiert.

(Beifall SPD)