Protocol of the Session on February 21, 2018

Der zweite Aspekt! Aus unserer Sicht müssen die Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die das Beamtenrecht bietet. Es muss geprüft werden, ob nicht die Verantwortlichen im Jobcenter und im Sozialamt für den Schaden, der entstanden ist, in Anspruch genommen werden können. Das gibt das Beamtenrecht her. Bei dem kleinen Beamten wird es gemacht. Es gibt verschiedene Rechtsprechung dazu. Der Beamte vergisst ein Navigationsgerät im Auto, es wird gestohlen, und dafür kann ein Beamter wegen grober Fahrlässigkeit haftbar gemacht werden. Er muss den Schaden ersetzen.

In diesem Fall liegt mit Sicherheit aus unserer Sicht im Bereich des Sozialamtes grobe Fahrlässigkeit vor. Ich habe das Beispiel mit den Berichten erwähnt, deren Erkenntnisse nicht verfolgt worden sind, im Gegenteil, sie werden unter Verschluss gehalten. Im Bereich des Jobcenters wurde der Verdacht, dass es sich um kriminelle Machenschaften handelt, dem Zoll mitgeteilt. Es wurde anderthalb Jahre nichts weiter veranlasst. Die Leistungen sind munter ausgezahlt worden. Das ist Vorsatz.

Selbst nach dem stellen der Strafanzeige wurden die Sozialleistungen weiter ausgezahlt. Herr Gruhl hat sinngemäß in der öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses gesagt, wir wollten noch weitere Erkenntnisse sammeln. Das ist aus unserer Sicht zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich. Wir sind insofern der Meinung, dass man die persönliche Inanspruchnahme unbedingt prüfen muss.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident!

(Beifall FDP - Heiterkeit - Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Nein, das war die Inanspruchnahme für die wir ge- klatscht haben!)

Wenn sich am Ende die anderen Fraktionen dieser Empfehlung nicht angeschlossen haben, steht es dem Jobcenter und dem Magistrat natürlich frei, entsprechende Verfahren einzuleiten. Wir fordern beide noch einmal auf, die Verfahren tatsächlich einzuleiten.

Herr Präsident, erlauben Sie mir noch einen letzten Punkt! Ich möchte an den Abgeordneten Öztürk

auch noch einmal den Appell richten, dass er sein Mandat zurückgibt. Er hat sich nicht an der Aufklärungsarbeit beteiligt. Er hat mit hoher Wahrscheinlichkeit an dem Sozialleistungsbetrug teilgenommen. Er hat auf seinem Platz sitzend dafür gestimmt, dass der Magistrat und der Senat aufklären sollen, er hat aber selbst nichts dazu beigetragen. Dies und das von meinem Vorredner Gesagte qualifizieren ihn nicht für ein Mandat. Deshalb appelliere ich an ihn, das Mandat zurückzugeben. - Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Timke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir beraten heute den Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum organisierten Leistungsbetrug in Bremerhaven. Lassen Sie mich gleich zu Beginn ganz deutlich sagen, dass ich beim Lesen des Entwurfs regelrecht angewidert war, wie perfide das System der finanziellen Ausbeutung von Menschen, die oftmals weder der deutschen Sprache mächtig waren, noch lesen oder schreiben konnten, organisiert war.

Ich hoffe, dass dieser Bericht nicht nur zu parlamentarischen Reaktionen führt, sondern dass er auch eine gute Grundlage für die Strafverfolgungsbehörden und weitere Ansatzpunkte für zusätzliche Ermittlungen bildet, die dann auch zu einer konsequenten Bestrafung der Verantwortlichen führt.

(Beifall BIW)

Vieles von dem, was meine Vorredner hier heute gesagt haben, teile ich, und deshalb möchte ich mich jetzt auch nicht in Wiederholungen üben, sondern den Blick auf ein Thema richten, das in der heutigen Debatte - wie ich finde - etwas mehr Raum verdient hätte.

Ich habe in meiner nunmehr zehnjährigen Parlamentszugehörigkeit vier Untersuchungsausschüsse miterlebt. In einem durfte ich sogar mitarbeiten, und das war der Untersuchungsausschuss zu den Krankenhauskeimen. In diesem Untersuchungsausschuss ging es hauptsächlich um Fragen der Hygiene. Bei diesem Untersuchungsausschuss ging es zumindest unterschwellig um Hygiene, nämlich um die politische Hygiene.

Der Untersuchungsausschuss kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass Selim und Patrick Öztürk für das Betrugssystem hauptverantwortlich sind. Beide haben die Vereine ABI und GFGM geführt und über diese Vereine staatliche Gelder bezogen, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Die vom Untersuchungsausschuss vernommenen Zeugen bestätigen, dass der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Patrick Öztürk und sein Vater Selim die handelnden Personen bei den Leistungsabrechnungen waren, die letztlich zu einem Gesamtschaden für die öffentliche Hand in Höhe von fast sieben Millionen Euro führten.

Darüber hinaus hat es Selim Öztürk insbesondere von den bulgarischen Zuwanderern für jede Dienstleistung Gelder kassiert. Für das Anlegen einer persönlichen Akte musste beispielsweise jeder Zugewanderte 50 Euro bezahlen.

Neben diesen beiden Drahtziehern aus der Familie Öztürk gibt es noch weitere Verantwortliche, die durch ihr Handeln dazu beigetragen haben, dass dieser Betrugsskandal über eine so lange Zeit mit einem so hohen Schaden für die öffentliche Hand erst möglich wurde. In diesem Zusammenhang ist es schlicht unglaublich, dass insbesondere sozialdemokratische Verantwortungsträger in Bremerhaven dem kriminellen Treiben ihres Parteikollegen Patrick Öztürk tatenlos zugeschaut haben. Nein, sie haben nicht tatenlos zugeschaut, sondern sie haben bewusst weggeschaut!

(Beifall BIW)

Ich will hier gleich konkreter werden, denn zwei unrühmliche Rollen spielen in diesem Betrugsskandal der ehemalige SPD-Stadtrat Klaus Rosche und die Amtsleiterin des Sozialamts Frau Henriksen, die ebenfalls der SPD angehört. Auf der Pressekonferenz zum Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses Ende Januar haben Sie, Frau Grotheer, über Ihren Parteikollegen Herrn Rosche gesagt, dass er mit seinem Amt überfordert gewesen sei.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Korrekt!)

Angesichts der Ergebnisse aus den Zeugenbefragungen empfinde ich diese Formulierung als Verniedlichung und Verharmlosung der tatsächlichen Abläufe. Ihr Parteikollege Herr Rosche war nicht überfordert, er hat bewusst weggeschaut, er hat bewusst Hinweise ignoriert, und er hat bewusst Gesprächsbitten seines Dezernentenkollegen Michael Frost zurückgewiesen. Derjenige, der auf diese

Weise agiert, ist als Verantwortungsträger nicht überfordert, sondern dem muss man schon mangelnden Handlungswillen vorwerfen.

Deshalb kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass nur deshalb nicht konsequent gegen die Machenschaften des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Patrick Öztürk vorgegangen wurde, eben weil er Mitglied der SPD ist.

Ich will einmal die einzelnen Abläufe beleuchten. Bereits im Juni 2013 lagen der AWO und der SPD Hinweise vor, dass der Vater des SPD-Abgeordneten Selim Öztürk bulgarischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beim Ausfüllen von Anträgen helfen und dafür eine Gebühr nehmen und diejenigen, die diese Gebühr nicht zahlen konnten, illegal auf Baustellen seiner Immobilien beschäftigen würde. Im September 2013 ist es zu einem Treffen zwischen dem Sozialdezernenten Rosche, den Herren Selim und Patrick Öztürk sowie dem Geschäftsführer der AWO gekommen. Ziel dieses Treffens war es, dass der von den Öztürks geführte Verein ABI die fragwürdigen kostenpflichtigen Beratungen einstellt. Dies hat der Verein in der Folgezeit aber nicht getan. Halten wir also fest: Herr Rosche wurde mit dem Thema bereits im September 2013 konfrontiert, und er hat schon damals nur halbherzig gehandelt.

(Beifall BIW)

Im Januar 2014, also nur vier Monate später, wandte sich der Geschäftsführer des Jobcenters Bremerhaven, Herr Gruhl, per E-Mail an Herrn Rosche und setzte ihn über die Auffälligkeiten im Jobcenter in Zusammenhang mit Herrn Selim Öztürk und den Vereinen AWI und GFGM in Kenntnis. Herr Rosche wurde darüber informiert, dass Herr Öztürk senior kostenpflichtig bulgarische und rumänische Zugewanderte hinsichtlich des Bezugs von Leistungen des Jobcenters beraten und für diese Personengruppe übersetzen und dolmetschen würde. Die Reaktion von Herrn Rosche auf diese E-Mail: Keine!

Im Mai 2014 schrieb der Bremerhavener Schuldezernent Michael Frost an Herrn Rosche und wies auf die bestehende Problemlage bei der Gewährung und Durchführung von Nachhilfestunden durch den Verein AWI hin. Herr Frost schlug in seinem Schreiben einen gemeinsamen Gesprächstermin mit der Leitung des Jobcenters sowie des Schul- und Sozialamts vor. In seinem Antwortschreiben, nur wenige Tage später, reagierte Rosche auf diesen Vorschlag ablehnend. Er stellte

klar, dass es nicht die Aufgabe der Schuldezernenten Frost sei, die zu gewährenden Leistungen an die beiden Vereine zu überprüfen. Das mag, meine Damen und Herren, zwar formal richtig gewesen sein, aber dennoch stellt sich die Frage, warum Herr Rosche einen Gesprächstermin verweigert hat.

Nach diesem Schriftwechsel sah der Sozialdezernent keine Veranlassung, den massiven Vorwürfen gegenüber dem SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Patrick Öztürk, seinem Vater Selim sowie den beiden Vereinen AWI und GFGM nachzugehen.

Im August 2014 wandte sich die ehemalige Schulleiterin der Astrid-Lindgren-Schule an Herrn Rosche und schilderte ihm die in ihrer Schule bestehenden Probleme im Hinblick auf die Lernförderung. Sie äußerte dabei den Verdacht, dass die abgerechneten Leistungen gar nicht erbracht worden seien. Herr Rosche hörte sich die Ausführungen geduldig an, bedankte sich für die Informationen, und es passierte in der Folge nichts.

Im Mai 2015, also 20 Monate, nachdem Herr Rosche erstmalig mit den Vorwürfen gegen die Herren Öztürk konfrontiert worden war, drängte die Leiterin der Humanitären Sprechstunde Bremerhaven, Frau Dr. Becker, den Sozialdezernenten Rosche zu einem Gespräch, in dem sie ausführlich auch auf die Machenschaften der Vereine ABI und GFGM hinwies. Zum Beleg ihre Erkenntnisse übergab sie dem Sozialdezernenten eine Kopie eines mutmaßlich gefälschten Arbeitsvertrags.

Ebenfalls im Mai 2015 wandte sich der Geschäftsführer des Jobcenters an den Sozialdezernenten und übergab die Kopien von Arbeitsverträgen, diverse Arbeitsverträge und sonstige gesammelte Unterlagen. Wie reagierte Herr Rosche auf diese Hinweise? Ich zitiere einmal aus dem Bericht des Untersuchungsausschusses: „Der Sozialdezernent gab in dem Gespräch zu verstehen, dass er bereits Kenntnis von dieser Problematik habe. Nach der Einschätzung der Zeugen Frau Fandrich bagatellisierte der Sozialdezernent das Vorgetragene und behauptete, das seien alles nur Gerüchte, und man könne nicht jedem Gerücht Glauben schenken. Am Ende der Besprechung sagte der Sozialdezernent zu, er würde ein weiteres Gespräch mit den Herren Selim und Patrick Öztürk führen und bat die anwesenden Personen um Stillschweigen.“

Das, meine Damen und Herren, ist genau das Gegenteil von Aufklärung. Das, Frau Grotheer, hat

auch nichts mit der Überforderung des Dezernenten zu tun. Mit dieser Bagatellisierung der Vorfälle und mit der Vereinbarung des Stillschweigens, meine Damen und Herren, kann vermutlich nur das Ziel verfolgt worden sein, den Parteigenossen Patrick Öztürk, der in der Bürgerschaft sitzt, und seinen Vater, der ebenfalls Mitglied der SPD war, zu schützen.

(Beifall BIW)

In diesem Zusammenhang ist im Übrigen interessant, dass Herr Rosche offenbar das angekündigte Gespräch mit den Herren Öztürk gar nicht geführt hat, zumindest wurde dem Untersuchungsausschuss ein solches zweites Gespräch nicht bekannt. Dafür ging die bewusste Ignoranz des damaligen Sozialdezernenten gegenüber den mutmaßlichen Betrugsvorwürfen weiter.

Erst am 25. Juli 2015, also fast zwei Jahre, nachdem Herr Rosche erstmalig Hinweise auf Unregelmäßigkeiten erhalten hatte, informierte der Sozialdezernent die Ortspolizeibehörde Bremerhaven über den mutmaßlichen Sozialbetrug beim Jobcenter Bremerhaven. Zu diesem Zeitpunkt gingen die Gerüchte, dass die beiden Vereine ABI und GFGM im Zusammenhang mit Unregelmäßigkeiten beim Leistungsbezug stehen, schon durch ganz Bremerhaven. In Bremerhaven war das also gar kein Geheimnis mehr.

(Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, ein solches Verhalten eines amtierenden Sozialdezernenten kann man nicht mit Überforderung rechtfertigen, wie es die SPD in der Pressekonferenz versucht hat. Hier hat man seitens der Amtsführung versucht, einen Betrugsskandal zu vertuschen. Es wäre zu jedem Zeitpunkt für Herrn Rosche und dem von ihm geführten Sozialamt ein Leichtes gewesen, die Vorwürfe gegen die Öztürks sowie die beiden Vereine zu überprüfen. Es hatte ja von verschiedenen Seiten genügend Hinweise und Beweise gegeben, doch Stadtrat Rosche hat alle Warnungen bewusst ignoriert.

Ebenso verhält es sich im Übrigen mit seiner Leiterin des Sozialstaats Frau Henriksen, die zahlreichen Hinweisen auf mögliche Betrugsfälle schlichtweg nicht nachgegangen ist. Sie hat sie ignoriert, wie der Untersuchungsausschuss auch in seinem Bericht festgestellt hat.

Deshalb erwarte ich neben den anderen guten und richtigen Punkten, die im Bericht stehen, dass auch der Magistrat Bremerhavens hier seine Möglichkeiten ausschöpft, weiter ermittelt und das auf der Grundlage dieses Berichts ein Disziplinarverfahren gegen Herrn Rosche und Frau Henriksen eingeleitet wird, denn eine Pensionierung schützt ja nicht vor einer Disziplinarmaßnahme. Das heißt, auch Herr Rosche kann heute noch disziplinarische belangt werden.

Man sollte das auch auf alle Fälle tun. Sollte der Magistrat in Bremerhaven diesen Weg nicht beschreiten, dann werden wir das in der Stadtverordnetenversammlung mit einem Antrag fordern. - Vielen Dank!

(Beifall BIW)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal bedanke ich mich in dem üblichen Rahmen - ich will das jetzt nicht alles wiederholen -, weil ich meine Rede sehr kurz halten möchte. Ich bedanke mich im Übrigen, dass es mir die SPD-Fraktion gestattet hat, hier zu reden, und zwar in der Funktion als Sprecher der Sozialdeputation.

Nach der Wahl ist seinerzeit ein neuer Kollege in die Sozialdeputation gewählt worden, nämlich Patrick Öztürk. Einem neuen Kollegen hilft man möglichst, man unterstützt ihn, und das haben wir, die Kollegen, die schon länger in der Sozialdeputation Mitglied sind, getan.

Eines Nachts ruft mich gegen 23.00 Uhr Patrick Öztürk an, es sei alles ganz furchtbar, es gebe eine riesige Pressekampagne gegen ihn, die Vorwürfe seien unzutreffend, und er fragt mich, was er tun könne, welchen Ratschlag ich ihm geben könne, dieser Pressekampagne zu begegnen. Ich war zu dem Zeitpunkt völlig davon überzeugt, dass er mit dem Sozialbetrug nichts zu tun hatte.

Ich war sehr lange davon überzeugt, dass er damit nicht zu tun hatte. Es kamen dann aber immer mehr Details an das Tageslicht, hier einmal ein bisschen, dort einmal ein bisschen. Ehrlich gesagt, am Ende dieses Untersuchungsausschusses bin ich erschrocken, mit welcher Raffinesse, mit welcher kriminellen Energie und mit welcher sozialen Rücksichtslosigkeit an dieser Stelle Sozialbetrug betrieben worden ist.

(Beifall SPD)