Ich kann feststellen, dass sich die Behörden in diesem Sinne eben nicht als lernresistent herausstellen, sondern bereits mit Veränderungen begonnen haben, viele im Sinne der Empfehlungen, die sie im Bericht nachlesen können. Selbst wenn sie dies schon tun und taten, bevor der Untersuchungsausschuss seine Arbeit beendet hat, sind sie dazu ganz sicher durch die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses angeregt und veranlasst worden.
Schon deshalb will ich gern wiederholen, dass sich die Arbeit gelohnt hat. Ganz sicher sind geeignete Strukturen, richtige und effiziente Organisation und auskömmliche Ausstattung sowie richtige rechtliche Rahmenbedingungen wichtig. Am Ende
entscheiden aber Engagement, Vorbild und verantwortliches Verhalten von Menschen, insbesondere in Führungspositionen und in öffentlichen Ämtern. Hieran hat es gefehlt, und hieran fehlt es mit Blick auf Patrick Öztürk zum Teil bis heute. - Herzlichen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Bremische Bürgerschaft hat am 25. August 2016, also vor fast genau anderthalb Jahren, auch mit den Stimmen der SPD-Fraktion den Untersuchungsausschuss „Sozialbetrugsverdacht“ eingesetzt. Dieser sollte klären, wie es dazu kommen konnte, dass, über mehrere Jahre organisiert, mutmaßlich 1 000 EU-Zuwanderer nach Bremerhaven gelockt, mit Scheinarbeitsverträgen zum Zwecke des Sozialleistungsbetrugs ausgestattet und teilweise ausgebeutet wurden. Er sollte klären, welcher Schaden durch den organisierten Sozialleistungsbetrug entstanden ist, und wer wie dazu beigetragen und sich selbst bereichert hat.
Der Ausschuss hat die Fragen so weit klären können, wie es im Rahmen eines parlamentarischen Gremiums möglich ist und seine Feststellungen einstimmig verabschiedet. Ich bedanke mich bei dem Vorsitzenden Nelson Janßen für seine hervorragende Arbeit.
Diejenigen, die diese Arbeit jemals gemacht haben - und es sind ja doch ein paar in diesem Parlament -, wissen, wie viel Arbeit damit verbunden ist und wie viel zusätzliche Arbeit im Verhältnis zu den Obleuten geleistet werden muss. Trotzdem bedanke ich mich selbst verständlich auch beim stellvertretenden Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses Herrn Dr. Thomas vom Bruch sowie den Obleuten Sülmez Dogan und Hauke Hilz, die ebenfalls zum Gelingen des Untersuchungsausschusses wesentlich beigetragen haben.
Mein Dank gilt auch allen anderen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bürgerschaftskanzlei sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen für ihre Arbeit. Ich möchte mich ganz
besonders bei Klaus Möhle, Helmut Weigelt und Timo Utermark bedanken, ohne deren tatkräftige Mitarbeit und inhaltliche Unterstützung die Arbeit im Untersuchungsausschuss für mich persönlich viel schwieriger gewesen wäre.
Die Beweisaufnahme hat mein Bild von den Lebensbedingungen in Bremen und Bremerhaven verändert. Die Bulgarinnen und Bulgaren, die in ihrer Heimatstadt Varna besonders elenden Bedingungen ausgeliefert waren, fanden auch hier menschenunwürdige Bedingungen vor. Sie mussten für ausbeuterische Löhne arbeiten. Familien lebten oft für längere Zeit ausschließlich vom Kindergeld. Die Zuwanderinnen und Zuwanderer wohnten teilweise in überbelegten und verwahrlosten Wohnungen, die den Sicherheitsstandards und den Erwartungen und den Anforderungen, die wir an Wohnungen stellen, nicht im Ansatz entsprachen. In den Akten sind bedrückende Einzelschicksale geschildert, die wir im Bericht auch aufgrund der Vertraulichkeitsregeln nicht im Einzelnen darstellen durften.
Diese prekäre Lebenssituation wurde nach unseren Erkenntnissen ausgenutzt, um einen groß angelegten Sozialleistungsbetrug zu organisieren, in dem die Vereine Agentur für Beschäftigung und Integration und Gesellschaft für Familie und GenderMainstreaming in Bremerhaven mit Dolmetschern, mit fingierten Unterlagen und auf vielen weiteren Wegen die Leistungsberechtigung vortäuschten.
Dabei war der Abgeordnete Patrick Öztürk nach unseren Feststellungen sehr viel stärker in den kriminellen Sozialleistungsmissbrauch verstrickt, als dies zuvor bekannt war. Er stellte die Räume des Vereins, er zog erhebliche finanzielle Vorteile aus dem Leistungsbetrug, und er ließ sich sogar Tankrechnungen und Strafzettel bezahlen. Selbst Wahlkampfmaterialien wurden für ihn finanziert und von Bulgarinnen und Bulgaren verteilt. Patrick Öztürk schwieg hierzu auch vor dem Ausschuss. Er hatte das Recht dazu, und selbstverständlich gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung, dennoch ist die Beweislage so erdrücken und die Ausbeutung der Notlage anderer zum eigenen Vorteil so niederträchtig, dass Patrick Öztürks Weigerung sein Mandat aufzugeben, schlicht schamlos ist.
Ich hätte Patrick Öztürk dies heute alles gern ins Gesicht gesagt, leider ist er nicht da, und deswegen
Dem Jobcenter und der Stadt Bremerhaven entstand insgesamt ein finanzieller Schaden in Höhe von sieben Millionen Euro. Dieser Schaden ist auch entstanden, weil die vielfältigen Informationen, die seit 2013 im Jobcenter, im Sozialamt, beim Hauptzollamt und später auch bei anderen Stellen vorhanden waren, nicht ernst genommen, nicht zusammengetragen und nicht gemeinsam ausgewertet wurden. Das Jobcenter, das Sozialamt, das Hauptzollamt und die Bundesagentur für Arbeit erfüllten ihre Aufgaben nicht so, wie sie es hätten tun müssen.
Das Jobcenter Bremerhaven, das sich auch in der Trägerschaft des Bundes befindet, war mit dem massenhaften Sozialbetrug überfordert. Bundesweit waren etliche Jobcenter mit dieser neuen Form der Kriminalität überfordert, denn die fingierten Arbeitsverträge und die gefälschten Rechnungen waren auf die Prüfschemata der Jobcenter abgestimmt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren nicht ausreichend geschult.
Darüber hinaus unterstützte die Bundesagentur für Arbeit das Jobcenter Bremerhaven nur unzureichend. Nachdem im Januar 2014 die Bundesagentur von ersten Hinweisen unterrichtet worden war, erfolgte keine Hilfestellung, obwohl die Bundesagentur hinsichtlich der für die Betrugshandlungen entscheidenden Frage der Arbeitnehmereigenschaft weisungsbefugt ist.
Das Hauptzollamt, das in der Zuständigkeit des Bundesministeriums für Finanzen liegt, versagte ebenfalls bei der Aufklärung des Sachverhalts. Im Januar 2014 wurde das Hauptzollamt über den Sozialmissbrauch informiert. Erst am 24. Juli 2015 teilte es mit, dass es für die Ermittlungen nicht zuständig sei. Hierdurch wurden die Ermittlungen anderthalb Jahre verzögert.
Das Sozialdezernat und das Sozialamt Bremerhavens reagierten ebenfalls unzureichend. Der Sozialdezernent Herr Rosche trägt eine politische Mitverantwortung dafür, dass der Sozialmissbrauch so lange andauern konnte.
Ein entschiedeneres Vorgehen von diesen beiden Stellen hätte das Missbrauchsgeschehen möglicherweise um einige Monate verkürzt. Nach unseren Feststellungen lagen spätestens Anfang 2015 im Sozialdezernat so viele Information vor, dass durch eine Bündelung der Informationen eine Eindämmung des Betruges hätte möglich sein können. Ob und in welchem Umfang hierdurch ein Schaden hätte vermieden werden können, kann rückblickend aber nicht mehr beurteilt werden. Für Herrn Rosche spricht, dass er als erster den Sozialbetrug gegenüber der Ortspolizeibehörde angezeigt hat und dass er mit einer völlig neuen Kriminalität konfrontiert war, für die es keine eingespielten Verwaltungsabläufe gab.
In Bezug auf den Magistrat und den Senat hat der Untersuchungsausschuss festgestellt, dass diese Gremien entweder nicht oder erst viel zu spät informiert worden sind. Nach der Information allerdings schritten die Senatorin und die Senatoren sowie der Oberbürgermeister sofort ein.
Um zukünftig einen vergleichbaren Sozialbetrug zu verhindern, hatte Untersuchungsausschuss eine Vielzahl von Empfehlungen erarbeitet, die ebenfalls weitgehend geeint sind. Wichtig ist vor allem, dass das Jobcenter besser aufgestellt werden muss. Hierzu zählt etwa eine bessere Identitätsprüfung bei der Antragstellung. Bei der Personalzuweisung ist ferner zu berücksichtigen, wenn es zu einer erhöhten Arbeitsbelastung durch Ablehnungsbescheide kommt. Das Jobcenter muss außerdem Zugriff auf unabhängige Telefondolmetscher haben, um eine unverfälschte Kommunikation mit den Antragstellerinnen und Antragstellern zu ermöglichen.
Zudem muss insgesamt mit Hinweisen besser umgegangen werden. Dies betrifft vor allen Dingen die Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden. Informationen müssen der richtigen Ermittlungsbehörde übermittelt werden, und Hinweise sind systematisch zu erfassen. Schließlich sind vom Jobcenter staatsanwaltschaftliche Erkenntnisse zur Rückgewinnungshilfe umzusetzen, und nicht nur nur zur Kenntnis zu nehmen.
Die Bundesagentur für Arbeit muss die Bekämpfung des organisierten Sozialleistungsmissbrauchs als eigene Aufgabe annehmen, etwa im Rahmen der Innenrevision, der Performance Dialoge und der Trägerversammlungen. Sie darf die Jobcenter mit dieser neuen Form der Kriminalität nicht allein
lassen, sondern sie muss Verbindungen zu den Informationen und Kompetenzen der gesamten Bundesanstalt für Arbeit knüpfen.
Im kommunalen Bereich brauchen wir einen anderen Umgang mit dem Bildungs- und Teilhabepaket. Diese Leistungen sollen zukünftig nach Qualitätsmaßstäben gewährt werden. Schulen sollen die Nachhilfe- und das Lernförderungsangebot im Verbund organisieren.
Zentral ist aus der Sicht des Untersuchungsausschusses ebenfalls, dass der Bundesfinanzminister das Hauptzollamt endlich so aufstellt, dass es seine Aufgaben vernünftig wahrnehmen kann. Nach dem letzten Untersuchungsausschuss gelangt auch dieser Untersuchungsausschuss zu der Feststellung, dass das Hauptzollamt seine Aufgabe nicht richtig wahrgenommen hat.
In der Zusammenarbeit zwischen den Behörden liegt vor allem ein großes Problem. Das muss abgestellt werden.
Die SPD-Fraktion wird nachfragen und überprüfen, ob und wie die Empfehlungen umgesetzt werden. Ich bin mir darin mit meinen Kolleginnen und Kollegen einig, dass wir dieses Thema auf Dauer weiterverfolgen müssen.
Den weitergehenden Empfehlungen der Opposition hat sich die Koalition jedoch nicht angeschlossen. Kurz zur Erläuterung: Bei den Forderungen handelt es sich teilweise um allgemeine politische Forderungen, teilweise finden die berechtigten Empfehlungen keine Grundlage in der Beweisaufnahme, und teilweise ist der Adressat ausschließlich der Bund. Deswegen haben wir entschieden, bestimmten Empfehlungen keine Zustimmung zu erteilen.
Abschließend ist für mich festzustellen: Es wurden Fehler gemacht, und es gab Versäumnisse der Behörden. Die Empfehlungen sprechen hier eine deutliche Sprache. Ein Abgeordneter, der von der SPD aufgestellt worden ist, hat sich auch mutmaßlich schwerer Straftaten schuldig gemacht, und er zieht hieraus nicht die Konsequenz. Dies schmerzt! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab aber keinen Filz, und es gab keine schützende Hand der SPD.
Die öffentlichen Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden der CDU im Zusammenhang mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses, die dies nahelegten, sind auch durch die Beweisaufnahme widerlegt worden.
Es handelte sich um Spekulationen, Mutmaßungen und falsche Behauptungen ins Blaue mit dem Ziel, die SPD in Bremerhaven und ihre Mitglieder zu diskreditieren und zu beleidigen. Hierfür wäre eine Entschuldigung angebracht. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteilte begrüße ich recht herzlich auf der Besuchertribüne die Mitglieder der Bürgerinitiative „Kein Windrad am Bultensee“.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste! Ich spreche jetzt nicht mehr in meiner Funktion als --.